Raus aus der Schublade

Sagt Euch der Name Riku Riski etwas? Ja? Prima, dann hat habt Ihr ein gutes Gedächtnis, denn er schaffte es vor wenigen Wochen in die weltweiten Nachrichten und Ihr habt ihn in diesen schnelllebigen Zeiten immer noch auf dem Schirm. Respekt!

Die Corniche in Doha, Katar.
Die Corniche in Doha, Katar.

Nein, der Name sagt Euch nichts (mehr)? Dann geht es Euch so wie mir und wie fast allen Leuten, die ihn Anfang 2019 auch (noch) nicht kannten. Er blieb einem Trainingslager der finnischen Fußballnationalmannschaft in Katar fern, weil er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte, dorthin zu reisen. Dass sich ein Fußballprofi mit dem Gewinner der Asienmeisterschaft 2019 und dem Gastgeberland der WM 2022 auseinandersetzt, ist sehr löblich. Dass er zu dem Schluss kommt, aus ethischen Gründen dorthin nicht zufahren, ist seine persönliche Entscheidung.


Zwischenstopp in Katar auf dem Weg nach Baku 2016

Auch die Bayernfans machten am 19. Spieltag auf Katar aufmerksam. In einem überdimensionierten Plakat sah man Rummenigge und Hoeneß von „Hervorragenden Trainingsbedingungen“ sprechen – dabei hatten sie nur Dollarzeichen im Sinn, während im Hintergrund Menschen ausgepeitscht wurden. Der SPIEGEL machte letzte Woche mit einem Artikel auf, der auf das Jahr 2015 zurückgeht, in dem die Handball WM im Wüstenstaat stattfand und ein Geschäftsmann um seinen Lohn gebracht wurde, für eine Last-Minute-Kopie des Weltpokals, die er kurzfristig angefertigt hat – ohne einen Vertrag aufzusetzen… mit der entsprechendem Werbeagentur wohlgemerkt, nicht mit dem Staat Katar. Philipp Köster, Chefredakteur der 11FREUNDE, reiht sich in der aktuellen Ausgabe seines Magazins mit seiner oftmals sehr lesenswerten Kolumne „Rot wegen Meckerns“ unter dem Titel „Lästige Moral“ ebenfalls ein, da Oliver Bierhoff im Auftrag des DFBs Katar auch einen Besuch abgestattet hatte. Für so ziemlich jeden Kommentator ist damit die Lage klar: Der Fußballspieler der Gute, der FC Bayern geldgeil, der DFB unmoralisch und der Geschäftsmann die arme Sau. Ergo ist Katar für sie das große böse Wüstenland, das gerade einmal so groß wie Hessen ist, aber das aufgrund seines Reichtums durch immense Gasreserven (nicht Ölquellen, wie so manch einer behauptet) sich alles leisten bzw. kaufen kann. In unserer komplexen Welt sind wir alle oft etwas überfordert, und wir versuchen unwillkürlich Dinge möglichst rasch zu ordnen. Man kann auch von Schubladendenken sprechen. Doch diese Schwarz-Weiß-Malerei greift in unserer heutigen Welt einfach zu kurz. Aber der Reihe nach.

Die WM nach Katar zu vergeben stieß bei vielen Fußballfans auf strikte Ablehnung. Was bildet sich dieser Zwergstaat eigentlich ein? Aber es ging um die Vergabe einer Fußballweltmeisterschaft. Diese sollten eigentlich alle Mitgliedsstaaten der FIFA ausrichten dürfen, gerade dann, wenn es finanziell in den Rahmen passt, was man beispielsweise von Ländern wie Südafrika oder Brasilien nicht wirklich behaupten kann. Dieses Rumgeheule, nicht nur von vielen Sommermärchen-Fans, erinnert gerade an die so genannte „Traumbundesliga“, in der zahlreiche Traditionsvereine genannt werden, die doch so viel lieber in der ersten Liga spielen sollten als die Jungs aus Mainz oder Freiburg. Und wie ist Katar an die WM gekommen? Wahrscheinlich so ähnlich wie Deutschland 2006. Kann man ablehnen, aber hat es Deutschland tatsächlich besser gemacht?

Einmal die WM an Katar vergeben, kam der nächste Kritikpunkt auf: Auf den WM-Baustellen würden Sklaven arbeiten. Die Aussage von Franz Beckenbauer, er habe in Katar gar keine Sklaven gesehen, lasse ich mal lieber unberücksichtigt. Aber durch die Vergabe der WM an Katar rückte dieses Land in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Plötzlich schaute man hin und stellte Missstände fest. Diese gab es aber nicht nur auf den WM-Baustellen, sondern generell im Bausektor. Ob ein Gastarbeiter auf einer Stadion-Baustelle oder in einem Wolkenkratzer mangels Arbeitsschutz sein Leben lässt, ist unerheblich – der Umstand an sich, dass ein Mensch stirbt, ist eine Tragödie. Daher kann man es auch als Glücksfall bezeichnen, dass das Land jetzt mindestens noch drei Jahre unter der genauen Beobachtung steht, was die Baustellen angeht. Dank guter journalistischer Arbeit tut sich auch etwas. Und der mediale Druck wird sicherlich in der nächsten Zeit nicht geringer. Ende 2018 änderte Katar seine Regeln in Bezug auf den Aufenthalt von Gastarbeitern (und Fußballprofis) im Land. Diese können nun jederzeit das Land verlassen, was früher nicht möglich war, und das ist sicherlich auch ein Verdienst von Menschenrechtsaktivisten.

Die beste Möglichkeit, sich ein Bild von einem Land zu machen, ist allerdings dorthin zu fahren oder mit den betroffenen Leuten zu sprechen, die dort lebten. Ich habe beides gemacht. Doha, die Hauptstadt, war 2016 eine große Baustelle und die meisten Menschen, denen ich begegnet bin, hatten gar keine katarische Staatsbürgerschaft. Sie gehörten zu den besagten Gastarbeitern und hielten sich zeitlich befristet in Katar auf. Jahre zuvor traf ich in Nepal auf einen ehemaligen Gastarbeiter, der in Katar einige Jahre verbracht hatte. Er war dankbar, als Fahrer so viel Geld verdient zu haben, dass er sich, zurück in seiner Heimat, mit seinem erworbenen Auto eine Existenz aufbauen, und mich nun durch den Himalaya-Staat kutschieren konnte. Auf die Arbeitsverhältnisse angesprochen, war er voll des Lobes über das Land – auch diese Geschichten gibt es. Sie klingen halt nur nicht so spektakulär, herzzerreißend und dramatisch, sind aber auch ein Teil der Wahrheit.

Katar möchte sich als Sportnation etablieren. Ob man das nun gut findet oder nicht, wichtig ist, dass die Welt auf das Land und auch seine Nachbarn schaut. Denn dort arbeiten tatsächlich Tausende von Gastarbeitern hauptsächlich aus Südasien, weil sie sich dort mehr für ihr Leben versprechen als in der Heimat. Man stelle sich vor, die arabische Halbinsel wäre kein solcher Jobmagnet und diese Menschen würden über den Iran und den Irak in die Türkei und nach Europa flüchten, da sie sich dort ein besseres Leben als in Pakistan, Indien oder Sri Lanka versprächen.

Einige Nachbarstaaten verstehen sich aktuell gar nicht mit Katar. Sie versuchen Katar sogar ziemlich zu isolieren. Al Jazeera, der einzige TV-Sender in der arabischen Welt, in der Pressefreiheit gelebt wird, und der sehr stark mit der weltweit anerkannten BBC kooperiert, hockt in…Katar. Und eine der Forderungen der Nachbarn an Katar ist Al Jazeera endlich zu schließen, sprich das zarte Pflänzchen der Pressefreiheit in dieser Region endlich kaputt zu treten, damit man zu Hause wieder ungestörter sein Ding drehen kann.

Ich denke das Beispiel Katar zeigt, dass es heute nicht mehr so einfach ist, ruckzuck ein Urteil zu einem Sachverhalt zu fällen. Vielleicht war es das auch früher nicht. Auf den ersten Blick scheint Katar vielen ein Staat zu sein, den es komplett abzulehnen gilt. Beim näheren Hinschauen fällt uns dann vielleicht auf, dass wir in einer mittlerweile seit Jahrzehnten funktionierenden Demokratie leben und unsere Nachbarstaaten uns nicht feindlich gesinnt sind. Welcher Staat außer Israel ist in der Region eine Demokratie? Richtig, der Jemen! Und da stellt sich dann doch die Frage, ob wir mit unserem westlichen Gesellschaftsverständnis überall ein Copy/Paste durchsetzen wollen, um einen Staat toll zu finden. Das hat in Afghanistan nicht funktioniert und der Arabische Frühling ist letztlich auch überall gescheitert. Übrigens war Katar eines der Länder, in denen es keine Proteste während des Arabischen Frühlings gab – vielleicht weil die Einwohner mit dem autokratischen Stil des Emirs aufgrund des Wohlstands zufrieden sind und Meinungsfreiheit in Katar (im Vergleich zu seinen Nachbarn) nicht vollkommen fremd ist, 70 % der Immatrikulierten auf den Unis von Katar Frauen sind und Homosexualität laut Auswärtigem Amt in Berlin nicht aktiv verfolgt wird.

Sich mit Katar auseinanderzusetzen ist gut. Das Katar-Bashing von manchen Leuten bringt mediale Aufmerksamkeit und Zuspruch von fast allen Seiten. Sich in diesem Zusammenhang für die Rechte von Homosexuellen und von Frauen mit Hilfe von ein paar Zeilen „einzusetzen“ ist sicherlich nicht verwerflich, aber den Betroffenen vor Ort bringt eine Kolumne in einem deutschen Magazin für Fußballkultur sicherlich so rein gar nichts. Das erinnert ein bisschen an die Kritik in den sozialen Netzwerken „weißen, alten Männern“ gegenüber. „Weiße, alte Männer“ sind in diesem Zusammenhang, wir Menschen aus der westlichen Welt, die schon immer wussten, dass das was für uns gut ist, auch gut für alle anderen Erdenbewohner ist. Ja, die Demokratie ist auch meiner Meinung nach die beste Staatsform, die es real existierend gibt. Aber auch bei uns hat es Jahrzehnte gebraucht, um diese gedeihen zu lassen. Es ist ja auch nach wenigen Jahren erst mal 1933 gescheitert. Und bis 1989 war dieses in Teilen Deutschlands weiterhin nicht präsent. Gleichzeitig sollte man es auch tolerieren, wenn Menschen in anderen Regionen sich nicht für die Demokratie stark machen, weil sie vor ihrer Haustür erleben, was in einer Demokratie wie dem Jemen gerade abgeht. Wenn wir vor die Wahl gestellt werden: Auf der einen Seite Demokratie, Bürgerkrieg, Hunger und fehlende Versorgung der Kranken und andererseits Autokratie, Wirtschaftswachstum, relative Meinungs- und Pressefreiheit, gratis Krankenversorgung, ist es nur menschlich, sich für letzteres zu entscheiden

Der FC Bayern und der DFB haben mit ihrer Katar-Connection die Chance, Missstände anzusprechen – hinter verschlossenen Türen und nicht im Rahmen einer Pressekonferenz, einer Pressemitteilung oder einem Social Media Post. Mit Dr. Jörg Englisch hat der DFB einen Compliance-Beauftragten, dessen Aufgabe es sein sollte, mit Katar Themen wie Arbeitsschutz, Mindestlohn, die Rolle von Minderheiten etc. zu besprechen. Gleiches gilt für den FC Bayern, der einen Compliance-Beauftragten endlich einstellen sollte. Journalisten sollten weiterhin das Land kritisch beobachten und bei den Rechten der Gastarbeiter genau hinschauen. Denn schließlich ist es eigentlich eine gute Sache, dass Katar so die Weltöffentlichkeit sucht und die Nähe zu den Erfolgreichen im Fußball. Es gibt 195 Staaten auf der Erde und in vielen läuft vieles falsch. Nur wenige wie Katar suchen das Licht der weltweiten Öffentlichkeit. Dies gilt es zu nutzen, um in diesen Staaten tatsächlich etwas zu bewegen, damit ein mündiger Spieler wie Riku Riski zukünftig ohne schlechtes Gewissen dorthin reisen kann und sich im besten Fall selbst ein Bild von der Lage vor Ort zu machen, ggf. Aktivisten zu treffen, statt einfach den Kopf in den Sand zu stecken und das Land zu meiden.