Unterwegs auf dem Main(z)Radweg

Die schönste Art eine Reise zu beginnen, ist für mich persönlich die, bei der ich mich quasi von der Haustür ab im Reisemodus befinde – ohne Anfahrt zu einem Startpunkt der Reise. Autofahrten zählen da für mich genauso wenig dazu wie Flüge, Bahn- oder Busfahrten. Bisher ist mir das erst einmal gelungen: Meine Weltreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu der ich 2002 aufbrach. Ich startete in einem Mainzer Vorort mit dem Bus, fuhr zum Hauptbahnhof und setzte mich in den Regionalexpress nach Saarbrücken und übernachtete die erste von 365 Nächten im französischen Reims. Aber sonst war es mir bisher nicht gelungen, mich von der Haustür ab auf eine Reise zu begeben – bis zum Sommer 2020.

Start des MainRadwegs in Mainz-Kastel

In diesem ersten Pandemiesommer kamen wir auf die Idee, über die Mainzer Theodor-Heuß-Brücke nach Mainz-Kastel zu radeln und von dort den MainRadweg flussaufwärts entlang zu fahren. Dieser Premiumradweg beginnt quasi direkt vor unserer Haustür und schlängelt sich durch die drei Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg und Bayern über mehr als 500 Kilometer quer durch die Mitte Deutschlands. Im ersten Pandemiesommer waren Tests und Impfungen noch unbekannt, die Inzidenzen niedrig und der Glaube groß, das Schlimmste hinter sich gelassen zu haben. So starteten wir auf unsere erste Etappe nach Frankfurt am Main. Damals nahmen wir alle an, dass die AHA-Regeln ausreichten, um sich nicht anzustecken. Mutationen gab es noch nicht und die Übernachtung im Hotel und das Essen in Innenräumen galten als nicht wirklich riskant.

Die Fahrt in Richtung Bankenstadt mal nördlich, mal südlich des Mains war abwechslungsreich und führte quasi immer über Radwege und immer gut markiert in Richtung Osten. Das Rhein-Main-Gebiet über Offenbach bis nach Aschaffenburg mit dem Rad zu durchqueren ist meiner Meinung nach eine Reise, die sich für alle Radelnde aus der Region sehr lohnt. Natürlich hat nicht jede:r die Zeit, sich mehrere Wochen auf den Drahtesel zu setzen. Aber der Abschnitt Mainz – Aschaffenburg lässt sich in zwei Tagen wunderbar bewältigen. Belohnt werden Radelnde mit flachen Wegen durch viel Natur und an recht wenig urbanen Tücken wie Ampeln, Stau, Menschenmengen und motorisierten Verkehrsteilnehmenden vorbei.

Ankunft in Frankfurt am Main

Gerade die Uferpromenaden in Frankfurt und Offenbach waren sehr beeindruckend. Danach ging es über Wiesen, Felder und durch Wäldchen direkt am Main entlang bis zum imposanten Schloss Aschaffenburg. Hinter der Stadt wurde das Maintal recht schnell enger und manchmal führte der MainRadweg neben der Bundesstraße auf der Spessart- oder Odenwaldseite entlang. Miltenberg war uns persönlich ein wenig zu überlaufen, unser dritter Übernachtungsstopp Wertheim hat uns hingegen sehr zugesagt. Hier mündet die Tauber in den Main und eine Burg wartet, erklommen zu werden.

Wir radelnden die vielen Mainschleifen nach Norden und Süden und kamen am vierten Tag in Lohr am Main an. Wie in Wertheim war es auch hier nicht so hektisch – das war Ende August 2020 aber auch dem Wetter geschuldet, denn es regnete den ganzen Nachmittag und Abend munter drauf los. Regen auf Fernradtouren in Deutschland ist eigentlich normal. Daher ist es wichtig, sich mit dem richtigen Gepäck aufs Rad zu schwingen. Waren früher auch Taschen aus Segeltuch bei Radlern sehr beliebt, bieten mittlerweile viele Hersteller Taschen aus einer Art „LKW-Plane“ an, die hundertprozentig wasserdicht und sehr robust ist. Allerdings ist das durch die Verwendung von PVC nicht unbedingt die umweltfreundlichste Variante. Aber mittlerweile bieten Hersteller auch PVC-freie Varianten an, die etwas teurer sind.

Schloss in Aschaffenburg

Am nächsten Tag war das Wetter wieder besser und wir radelten von Lohr über das schöne Gemünden, das zum Glück nicht so überlaufen war, weiter bis nach Würzburg. Die immer häufiger auftauchenden Weinberge erinnerten ein wenig an die Mosel und wir waren in Weinfranken angekommen. Im Nachhinein ist die Strecke von der Mündung bei Mainz bis nach Würzburg für uns eindeutig der schönste Teil des MainRadwegs. Die Route folgte fast permanent dem Fluss und die Blicke in den Odenwald und Spessart zwischen Aschaffenburg und Würzburg waren oft wunderschön.

Unterwegs durch die Streuobstwiesen in Mainfranken

In Würzburg unterbrachen wir die Tour und fuhren mit dem Zug nach Mainz zurück. Das Schöne an den relativ kurzen Etappen des MainRadwegs ist die Möglichkeit, Arbeit und Freizeit perfekt zu kombinieren. So war es mir möglich morgens zu arbeiten und nachmittags zu radeln. Alle Etappenorte boten 4G/LTE und so war das Arbeiten mit Laptop und Internet problemlos möglich zumal auch die meisten Hotels mittlerweile einigermaßen schnellen WLAN anbieten. Eigentlich wollten wir bereits ein paar Wochen später im Herbst 2020 von Würzburg aus den MainRadweg weiterradeln, doch das Wetter machte unserer Planung einen Strich durch die Rechnung. Der September war zu durchwachsen und der Oktober für uns schon ein wenig zu kühl zum Radeln. Daher vorschoben wir den zweiten Teil auf das Frühjahr 2021.

In Würzburg wurde die Tour unterbrochen…für 10 Monate

Allerdings machte uns die Pandemie zunächst einen Strich durch die Rechnung, da touristische Reisen von November 2020 bis in den Mai 2021 untersagt waren. Auch das Sicherheitsempfinden hatte sich geändert. Im Mai 2021 reisten wir daher zunächst durch Modellregionen Schleswig-Holsteins und empfanden es in jenen Regionen als angenehm, in denen wir das Frühstück im eigenen Zimmer zu uns nehmen durften.

Für mehr als 7 Monate waren touristische Übernachtungen verboten, geschäftliches Reisen war allerdings nie untersagt. Und plötzlich Mitte Mai ging alles ganz schnell. Die Hotels durften Tourist:innen wieder empfangen und auch die Innengastronomie durfte wieder öffnen. Es gab zwar Testverpflichtungen bzw. die Nachweispflicht für Geimpfte und Genesene, aber es ist auch klar, dass Tests keine hundertprozentige Sicherheit bieten, da es ja immer ein Zeitfenster gibt, zwischen Testung und Aufenthalt im Innenraum eines Restaurants. Und dass Geimpfte und Genesene das Virus womöglich weitertragen können, ist bisher auch nicht ausgeschlossen. Daher wollten wir die Innengastromie unbedingt meiden, gleichzeitig aber die Radtour fortsetzen.

Eine der unzähligen Mainüberquerungen hier bei Ochsenfurt

Daher waren für uns nun ganz andere Kriterien bei der Hotelauswahl entscheidend. War es möglich, draußen zu frühstücken? Dazu schauten wir uns die Bilder der Hotels im Netz an, waren aber manchmal auch nicht wirklich daraus schlau geworden. Leider schreiben Hotels grundsätzlich wenig bis gar nichts dazu, ob sie die Möglichkeit bieten, draußen zu frühstücken.

Wenn wir uns das Verhalten der anderen Reisenden anschauten, die sich einfach an die Regeln hielten, sich aber anscheinend ansonsten keinen Kopf um eine mögliche Ansteckung machten, kamen wir uns schon ein wenig übervorsichtig vor – hielten unserer Verhalten dennoch für angemessen.

Ende Juni 2021 machten wir uns schließlich daran, den zweiten Streckenabschnitt zu absolvieren. Mit den Rädern in der Bahn ging es mit dem Quer-durchs-Land-Ticket nach Würzburg. Hatten wir es im letzten Jahr mit der Bahn noch geschafft, ein oder zwei Tage vor der Rückfahrt eine Radreservierung für einen InterCity von Würzburg nach Mainz vorzunehmen, waren dieses Mal alle Verbindungen bereits Tage zuvor ausgebucht. Das Quer-durchs-Land-Ticket der Bahn ist für zwei Leute mit 49 Euro eine gute Alternative, da man am Reisetag am Wochenede alle Züge des Nahverkehrs nehmen kann und werktags ab 9 Uhr morgens. So waren wir flexibel und brauchten keine Angst vor Zugausfällen oder verpassten Anschlüssen zu haben. Dazu kauften wir noch eine Fahrrad-Karte Deutschland für 6 Euro pro Rad.

Ankunft in Kitzingen

Vom Hauptbahnhof in Würzburg aus sind es nur wenige Hundert Meter bis zum Mainufer und zum MainRadweg. An unzähligen Wiesen geht es flussaufwärts aus der Stadt hinaus nach Süden. Mit Ochsenfurt, Marktbreit und Kitzingen warteten die nächsten kleinen Städte mit schönem mittelalterlichen Stadtbild darauf, entdeckt zu werden.

Hinter Kitzingen zieht der Main wieder viele Schleifen, die Berümteste ist die Mainschleife bei Volkach. Diese lässt sich vom Rad auf dem MainRadweg nicht wirklich erkennen. Vor Jahren sind wir hier gewandert und tatsächlich laden viele Orte am MainRadweg zu einem Zwischenstopp ein, um die Region per Pedes zu entdecken. Die ersten Wallfahrtskirchen zeigen, dass wir längst in der weiß-blauen Idylle Bayerns angekommen sind. Gar nicht so idyllisch kommt dann die Industriestadt Schweinfurt daher. Sie bietet allerdings die Möglichkeit, auf einer Maininsel zu übernachten. Die ersten Kilometer hinter Schweinfurt verläuft der MainRadweg paradiesisch anmutend an zahlreichen Picknickplätzen vorbei. Manchmal ist allerdings die Wegführung des MainRadwegs etwas fraglich, insbesondere hinter Haßfurt. Dort führt der Weg nach Zeil am Main auf einem Radweg entlang einer vielbefahrenen Bundesstraße. Vom Main war hier überhaupt nichts zu sehen, obwohl es von Haßfurt einen Radweg zum Main gibt, der weiter nach Sand am Main am Fluss entlangführt. Denn auch von Zeil am Main führt der MainRadweg nach Sand am Main. Später geht es auf Radwegen zwischen den Orten neben einer Straße entlang an weiter flusaufwärts. In den Orten verschwindet der Radweg und Radfahrer werden dauernd daran erinnert, dass hier „rechts vor links“ gilt, während Autofahrer die Ortsumgehung nutzen können. Das war für uns eindeutig der unattraktivste Teil der Tour, schließlich gab es auch kaum nette Einkehrmöglichkeiten am Wegrand, die wir seit Aschaffenburg bis kurz vor Schweinfurt so genossen haben.

Blumenwiesen gibt es entlang des Mains zum Glück wieder häufiger.

Kurz vor Bamberg in Bischberg dreht der MainRadweg nach Norden ab, da Bamberg gar nicht am Main, sondern an der Regnitz liegt. Die Einfahrt in die schöne Stadt versöhnt ein wenig mit den vorherigen Kilometern. Durch viel Grün geht es quasi bis zum Rathaus, das auf eigener Miniinsel im Fluss liegt. Die Stadt entdeckten wir zu Fuß im strömenden Regen. Sie war trotz des schlechten Wetters recht gut besucht. Es ist anzunehmen, dass sie bei schönem Wetter besonders am Wochenende völlig überlaufen ist. Glücklicherweise warteten flussaufwärts weitere kleinere Städte darauf, von uns besucht zu werden. So gelingt es den Fernradfahrenden auf dem MainRadweg immer wieder den Massen zu entkommen.

Am nächsten Tag ging es für uns die 5 Kilometer wieder zurück nach Bischberg und über die Regnitz zurück zum Main, der hier ein Vogelparadies par excellence ist. Wenige Kilometer weiter nördlich sticht schon das Kloster Banz ins Auge, das westlich vom Main auf einem Berg thront. Auf der anderen Flussseite taucht wenig später die Basilika Vierzehnheiligen auf, die nur ein Kilometer vom MainRadweg entfernt bergan liegt. Ein paar Kilometer weiter erreichen wir die Korbstadt Lichtenfels. Anders als das rummelige Bamberg, konnten wir hier in aller Ruhe die kleine Altstadt durchstreifen.

Das Wetter war teilweise durchwachsen. Daher sind wasserdichte Taschen Pflicht.

Tags drauf wurde es etwas wilder, da der MainRadweg zum ersten Mal überhaupt mit Steigungen aufwartete. Bisher konnte die Tour eigentlich mit einem Rad ohne Gangschaltung zurückgelegt werden, oder wie in meinem Fall mit einer arg ausgeleierten Kette. Leider sind in Mainz Fahrradwerkstätten dauerausgelastet. Als meine Kette zwei Wochen vor der geplanten Tour anfing, Probleme zu bereiten, war mir klar, dass ich keinen Termin mehr bekommen würde. Ich kürzte die Kette um vier Glieder und konnte so die Tour wenigstens antreten. Zwischen Hochstadt und Burgkunstadt bekam ich allerdings die Quittung. Schon bei einer Umleitung, die anders als alle anderen nicht richtig ausgeschildert war, ging es steil bergauf und ich konnte auf den jeweils größten Ritzeln vorne und hinten nicht mehr hochfahren. So musste ich an diesem Tag mehrmals schieben.

Daher wuchs in mir der Entschluss, spätestens in Kulmbach eine Werkstatt aufzusuchen. Glücklicherweise werden auf der Webseite des MainRadwegs alle Fahrradläden mit Werkstatt aufgelistet. So begab ich mich am nächsten Morgen im strömenden Regen zur Öffnung des Ladens zu besagter Werkstatt. Das Team war extrem hilfsbereit und brachte mein Rad innerhalb von drei Stunden wieder auf Vordermann. Da es ohnehin den ganzen Morgen regnete und auch die Strecke nach Bayreuth mit 35 Kilometern ziemlich kurz war, passte dieser Reparaturstopp ideal.

Hinter Bischberg bei Bamberg ist der Main nicht mehr schiffbar. Dafür werden die Brücken um so schöner.

Die Bierstadt Kulmbach liegt bereits am Weißen Main. Der Main besteht aus zwei Quellflüssen, dem besagten Weißen Main und dem Roten Main. Mit frisch repariertem Drahtesel ging es wenige Kilometer wieder flussabwärts zum Mainzusammenfluss von Weißem und Roten Main. Die Farbgebung liegt an den unterschiedlichen Gesteinszusammensetzungen, die für eine hellere bzw. eine rötlichere Färbung sorgen. Am Zusammenfluss selbst ist davon allerdings wenig zu sehen.

Ist der Main bereits seit Bamberg nicht mehr schiffbar (die Schiffe fahren auf der Regnitz durch Bamberg und dem Main-Donau-Kanal weiter in Richtung Schwarzes Meer), wird er auf dem Weg nach Bayreuth tatsächlich zu einem Bach, der durch die berühmte Festspielstadt fließt. In Bayreuth gönnten wir uns zwei Hotelnächte, was nach den vorangegangenen fünf Nächten in fünf verschiedenen Unterkünften an sich schon eine Wohltat war. Allerdings läuft das Packen für Radreisen auch wesentlich einfacher ab, als für Wanderungen oder sonstige Touren, da die Radtaschen relativ klein und dadurch übersichtlich bleiben.

Der Mainzusammenfluss bei Kulmbach.

Ohne Gepäck ging es die letzten Kilometer hinauf zur Rotmainquelle. Der offizielle MainRadweg machte hinter Bayreuth einen riesigen Schlenker vom Main weg. Dafür führte der Pegnitz-Radweg in der Nähe des Mains bis ins Städtchen Creußen, der letzten Ortschaft vor der Quelle. Dort trafen wir wieder auf den MainRadweg, der von der Rotmainquelle kommend hier in dem Ort mit Bahnanschluss endet. Wie in Mainz-Kastel fehlt hier in Creußen ein Übersichtplan, den es unterwegs zu Hauf gibt. Eigentlich schade, wenn man fast zwei Wochen auf einem Premium-Radweg unterwegs war und dieser an einem Bahnhof so einfach endet.

Wir fuhren nun in umgekehrter Richtung den MainRadweg über die Rotmainquelle in Richtung Bayreuth zurück. Ging es zwischen Bayreuth und Creußen auf dem Pegnitz-Radweg schon mächtig berghoch, so wurde der Feldweg in Richtung Quelle richtig steil. Andere Radelnde waren überhaupt nicht zu sehen. War der MainRadweg im letzten Jahr insbesondere durch E-Bike-Radelnde manchmal richtig überlaufen, hatten wir dieses Mal den Weg fast immer für uns alleine. Das galt auch für die unscheinbare Rotmainquelle. Das Wasser läuft aus einem Rohr aus dem Fels und der wichtigste Nebenfluss des Rheins nimmt hier seinen Anfang, eher er gegenüber meiner Heimatstadt in den Rhein mündet.

Ankunft an der Rotmainquelle

Die Fahrt auf dem MainRadweg war fast durchweg ein Genuss. Autofahrende waren immer rücksichtsvoll, die Menschen, denen wir begegnet immer hilfsbereit und zuvorkommend. Der Internetauftritt des MainRadwegs ist tatsächlich sehr nützlich, sei es für die Streckenplanung, für die Hotelauswahl mit Bett & Bike Zertifizierung oder die Auflistung der Werkstätten am Wegrand. Es waren 12 wunderbare Tage auf diesem Radweg und eine schöne Möglichkeit, die Reise quasi vor der Haustür zu beginnen und das mitten in der Pandemie mitten in Deutschland.

Corona-Disclaimer:

Folgende aktuellen Erfahrungen haben wir im Sommer 2021 auf dieser Reise gesammelt:

Übernachtungen

Gemäß den lokalen Verordnungen, mussten wir bei jeder Unterkunft einen Antigen-Schnelltest beim Einchecken vorweisen, der frühestens 24 Stunden vorher durchgeführt wurde bzw. einen Genesenen- bzw. Impfnachweis präsentieren. Leider wurde dies nicht bei allen Unterkünften tatsächlich geprüft. Umso mehr achteten wir darauf, dass wir die AHA+L-Regeln einhalten konnten, sprich, wir haben abends ausschließlich draußen gegessen und beim Frühstück darauf geachtet, entweder draußen zu frühstücken oder direkt am offenen Fenster bzw. der offenen Terrassentür. Das hat in fünf von sieben Übernachtungen im Sommer 2021 geklappt. Die zwei Mal, bei denen es nicht geklappt hat, erklärte uns das Hotel, sie hätten keine Konzession für Außengastro. Nach Rückfrage bei der Stadt Mainz ist eine Konzession nur notwendig, wenn auch Alkoholausschank stattfindet. Daher ist diese „Ausrede“ des Hotels also nicht ganz stimmig. Wahr ist allerdings, dass das mit der Stadt abgesprochen werden muss. Ob das überhaupt angefragt wurde, sei dahingestellt. Ich finde es wichtig, Unterkünfte zu sensibilisieren, dass es sehr wohl Gäste gibt, die gerne draußen frühstücken, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, auch wenn es behördlich genehmigt ist, Innengastro anzubieten. Denn nur weil etwas erlaubt ist, heißt es nicht, dass es auch gesundheitlich unbedenklich ist.

Zugfahrt

Auf der Zugfahrt von Mainz nach Würzburg bzw. von Bayreuth nach Mainz waren die Züge nicht überfüllt. Praktisch alle Fahrgäste haben Maske getragen. Maskenvereigernde wurden vom Personal darauf hingewiesen, eine Maske zu tragen. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, saßen wir mit unseren Rädern in der Nähe der Türen. Gegessen und getrunken haben wir nur am Bahnsteig.

Aus dem Test wird ein Fest

In Deutschland endlich einmal irgendwo anders als in den eigenen vier Wänden die Seele baumeln lassen? Das war seit Anfang November ein Ding der Unmöglichkeit und zwar in allen Bundesländern. Doch Mitten in der dritten Welle der Pandemie tat sich plötzlich etwas, zu einem Zeitpunkt, an dem es gerade so schien, als sei das Licht am Ende des Tunnels der Pandemie gerade wieder in weite Ferne gerückt.

Der Föderalismus wurde in unserer Republik in der Pandemie teilweise recht hart kritisiert, etwa wenn zum Beispiel auf der rechten Rheinseite bei höheren Inzidenzen Fitnessstudios öffnen durften und linksrheinisch die Türen für Sportler*innen verschlossen blieben.

Ein zweiter Kritikpunkt, der uns in Deutschland sicherlich zu Recht trifft, ist oftmals der fehlende Pragmatismus. Wir möchten das Leben in geregelte Bahnen bringen. Das funktioniert in „normalen“ Zeiten größtenteils ganz gut, in einer Pandemie ist es allerdings schwerlich möglich, jeder Situation, die teilweise vollkommen neu für alle war, mit klar definierten Regeln zu begegnen.

Wenn allerdings die Chancen, die der Föderalismus den Entscheidungsträger*innen in unserem Land bietet, mit einer Prise Pragmatismus angereichert wird, können Projekte realisiert werden, wie sie das Land Schleswig-Holstein Anfang April angeschoben hat.

Überfahrt von Dagebüll nach Amrum auf dem Sonnendeck

Wer die Deutschlandkarte mit den 7-Tage-Inzidenzen in den letzten Monaten genau studiert hat, sah, dass ganz oben immer eine Farbe dominierte, sei es grün, hellgelb oder grau, die im Rest der Karte fehlte. Die Inzidenzen in vielen Landkreisen Schleswig-Holsteins waren schon zu Beginn des Frühjahrs so niedrig, dass sich hier tatsächlich die Möglichkeit bot, der Tourismusbranche einen Weg aufzuzeigen, wie Reisen in der Pandemie für Ungeimpfte möglich sein kann, ohne unvorsichtig oder riskant zu handeln.

So habe ich an einem Freitag Anfang April in einer touristischen Fachzeitschrift das erste Mal von Modellprojekten im Tourismus gelesen, mit denen Schleswig-Holstein der Branche und vielen Urlaubsinteressierten einen Weg aufzeigen wollte, um touristische Reisen wieder möglich zu machen. Für dieses Projekt haben sich viele Landkreise des nördlichsten Bundeslands beworben. Das Land hat schließlich vier Regionen mit unterschiedlichen Sicherheits- und Hygiene-Konzepten ausgewählt.

Bereits ab Mitte April sollten die ersten Regionen an den Start gehen. Der Landkreis Nordfriesland mit seinen wunderschönen Inseln wollte Anfang Mai folgen. So wurde plötzlich mein immer gleiches Wochenende, das seit Frühjahrsbeginn immer samstags mit einer Tageswanderung im erweiterten Umkreis von Mainz etwas aufpoliert wurde, plötzlich um den Faktor „Reiseplanung“ erweitert. Für mich und meine Partnerin war klar, dass wir unbedingt auf eine der Inseln wollten. Das bedeute auch, dass wir unsere Tour erst Anfang Mai starten würden und noch etwas Zeit hatten. Zeit hatte allerdings damit auch die Pandemie, um diese Projekte infolge etwaiger steigender Infektionszahlen wieder zu beenden. Schließlich galt die Regel, dass, falls die Inzidenz über 100 steigen sollte, alles wieder dicht gemacht wird und alle wieder hätten abreisen müssen.

Während ich samstags den Lahnwanderweg erwanderte, begab sich meine Partnerin virtuell auf die Suche nach einer Ferienwohnung auf Amrum. Dorthin wollten wir schon immer – der wilden Natur wegen. Und kurz vor dem Ende meiner Wanderung teilte sie mir ihren Favoriten mit. Da wir nicht wussten, wie hoch die Nachfrage nach Ferienwohnungen war, sendete ich noch auf der Wanderung meine Anfrage ab. Zu dieser Zeit fand sich in den überregionalen Medien allerdings noch gar keine Meldung zu den Modellregionen.

Gleichzeitig wussten wir zu diesem Zeitpunkt gar nicht, ob wir überhaupt nach Schleswig-Holstein einreisen durften. Schließlich gab es im letzten Jahr Bundesländer, die zunächst nur ihren Landeskindern eine Reise erlaubten. Auf den informativen Seiten der schleswig-holsteinischen Landesregierung fand sich ein solcher Passus nicht. Beruhigt hat uns das allerdings auch nicht wirklich, denn die Pandemie hat immer wieder gezeigt, dass man mit Überraschungen zu rechnen hatte.

Antigen-Schnelltests sind Pflicht, aber über all verfügbar und gratis.

Dafür meldete sich das vermietende Paar recht schnell bei uns. Wir waren eigentlich davon ausgegangen, dass jede vermietende Person bei diesem Projekt würde mitmachen. Dem war zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht so. Wir hatten aber Glück, denn das Paar zeigte sich über unsere Anfrage erfreut und nahm die Reservierung unter Vorbehalt entgegen – schließlich waren es noch drei Wochen bis zur Anreise und in Deutschland war die dritte Welle gerade am hochschwappen.

Um ehrlich zu sein, hatten wir Mitte April auch nicht wirklich damit gerechnet, dass dieses Projekt wirklich startet. Schließlich hatte auch Ende März die Außengastronomie in Mainz geöffnet – für genau fünf Tage, ehe alles wieder schließen musste und während ich meine Buchung für das Ferienhaus auf Amrum am Koblenzer Hauptbahnhof vornahm und die Bahn wegen Personen im Gleis Verspätung hatte, musste ich mir danach erstmal Gedanken machen, was eigentlich passiert, wenn ich in Mainz arg verspätetet ankommen würde – schließlich galt damals ab 21 Uhr eine Ausgangssperre. Schließlich erreichte ich unsere Wohnung um halb neun Uhr abends.

Wir beobachteten in der Folgezeit jeden Morgen die Inzidenzen in Nordfriesland. Sie verharrten weiterhin auf einem Level, von dem wir in Mainz nur träumen konnten: plus minus 30! Gleichzeitig machten wir uns Gedanken, wie wir in einem Tag von Mainz auf die Insel Amrum gelangen könnten. Mit dem Zug war das theoretisch möglich. Allerdings hatten wir wenig Lust, auf 12 Stunden Zugfahrt mit Maske und der Ungewissheit am Ende einen Anschluss zu verpassen und es nicht am selben Tag auf die Insel zu schaffen.

Gleichzeitig war es unmöglich, die Reise mit dem Auto unterwegs irgendwo zu unterbrechen. Touristische Übernachtungen waren weder in Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachen oder Hamburg Ende April/Anfang Mai erlaubt. Wir mussten es daher auf jeden Fall in einem Tag von Mainz bis nach Schleswig-Holstein schaffen. Glücklicherweise gab es mit den Regionen Büsum, Innere Lübecker Bucht und Schlei/Eckernförde weitere Landesteile, die sich für Tourist*innen öffnen durften – und das bereits ab Mitte April. Diese waren auch nicht von der Bundesnotbremse mit ihren Ausgangssperren betroffen, so dass wir auch zu später Stunde hätten anreisen können – bis 22 Uhr die Landesgrenze Hamburgs hinter uns zu lassen, sollte machbar sein.

Die Nutzung der Luca-App war für Restaurant-Besuche Pflicht – drinnen wie draußen

Daher wollten wir bereits ein oder zwei Tage vor dem 1. Mai gen Norden fahren und in einer der anderen Regionen übernachten. Wir buchten über eine Buchungsplattform ein Hotel in Büsum – diese Region war von Mainz aus gesehen die nächst gelegene. Das Hotel meldete sich relativ schnell und meinte, sie müssten unsere Reservierung stornieren, da das mit der Modellregion noch nicht sicher sei. Wie sich später herausstellte sollte das Hotel Recht behalten. Aufgrund steigender Fallzahlen öffnete Büsum tatsächlich erst Wochen später.

Der nächste Versuch in der Inneren Lübecker Bucht und die nächste Absage: Das Hotel möchte bis auf Weiteres weiterhin nur Geschäftsreisende beherbergen. In der Tat waren Übernachtungen von Geschäftsreisenden in der Bundesrepublik nie verboten. Dass da das Hotel erstmal abwarten wollte, wie sich die Lage entwickelt war verständlich, zumal auch diese Region tatsächlich erst später als Mitte/Ende April öffnete – ebenfalls wegen steigender Inzidenzen.

Beim dritten Versuch gingen wir nun anders vor. Von Eckernförde hatte ich zuvor schon gehört und konnte es grob an die Ostsee in die Nähe Kiels verorten. Die Region Schlei kannte ich allerdings überhaupt nicht. Dass es sich dabei um einen über vierzig Kilometer langen Ostseefjord handelte und dass es überhaupt einen Fjord in Deutschland gab, war völlig neu für mich. Glücklicherweise bietet diese Regionen eine gute Internetseite an, auf der auch Beherbergungsbetriebe gelistet waren, die an dem Modellprojekt teilnehmen würden. So fanden wir über diese Seite eine Unterkunft und buchten direkt auf der Hotelseite.

In der Schlei-Region war Frühstück im Zimmer Pflicht. Im Frühstücksraum standen die Tabletts zur Abholung bereit.

Unsere Ferienhausvermieter auf Amrum waren anfangs auch nicht sehr optimistisch, was die Vermietung anbetraf. Trotzdem setzten sie den Vertrag auf, meinten aber, das mit der Zahlung könnten wir noch aufschieben – da ja alles so unsicher sei. Außerdem kannten sie auch noch nicht alle Bedingungen, unter denen sie überhaupt wieder vermieten durften. Wir waren trotzdem froh, überhaupt mal einen Beherbergungsvertrag unterschreiben zu dürfen, denn das Hotel aus der Schlei-Region meldete sich überhaupt nicht – was vielleicht aber auch ein gutes Zeichen war?

Die Inzidenz in Nordfriesland stieg nicht und auch in der Schlei-Region, die Mitte April öffnete, war die erste Woche nach der Öffnung gut verlaufen. Auch die Bedingungen für die Reisenden standen mittlerweile fest. Es musste eine Verpflichtungserklärung zusätzlich zum Beherbergungsvertrag unterschrieben werden. In dieser gaben wir unser OK, dass wir uns vor der Abfahrt einem Corona-Test unterziehen würden, die Kontakt-Nachverfolgungs-App „Luca“ herunterladen würden und in regelmäßigen Abständen weitere Tests in der Region würden vornehmen lassen. In der Schlei-Region und in Eckernförde gab es tausende von Testungen und die Positiv-Rate lag im Promillebereich. Die wenigen positiv Getesteten verteilten sich auf Urlauber und Einheimische, so dass man von einem Einschleppen der Pandemie nicht reden konnte.

Diese Verpflichtung zur Luca-App-Nutzung und zu regelmäßigen Testungen empfanden wir als nicht wirklich aufwendig, störend oder abstoßend. Schließlich befinden wir uns immer noch in einer Pandemie, bei der Reisen spätestens ab dem Spätherbst 2020 verpönt waren.

Die Weite Amrums ließ sich wunderbar genießen.

Gleichzeitig war das Testen seit März in Deutschland allgemein relativ einfach möglich, zumal nur ein Antigenschnelltest gefordert wurde und nicht der aufwendigere PCR-Test. Letzterer gilt allgemein als sichererer, aber auch teurerer. Dieser spielte in den von den Modellregionen entwickelten Sicherheits- und Hygienekonzepten allerdings eine entscheidende Rolle: Würde man positiv getestet, sollte mit Hilfe eines PCR-Tests geklärt werden, ob das Testergebnis tatsächlich korrekt war oder nicht. In der bereits genannten Verpflichtungserklärung war auch klar geregelt, was passiert, wenn wir positiv getestet werden: Entweder Quarantäne im Beherbergungsbetrieb oder sofortige Abreise im PKW. Auch aus diesem Grund war die Idee, diesmal mit dem Auto zu fahren, statt den Zug zu nehmen, die richtige Entscheidung, auch wenn ich persönlich in „normalen“ Zeiten lieber Zug statt Auto fahre und Bahnreisen natürlich nachhaltiger sind.

Ein paar Tage vor der geplanten Abfahrt kontaktierte ich unser Hotel in der Schlei-Region. Dieses meldete sich zurück und sendete eine ähnliche Verpflichtungserklärung wie unsere Vermieter auf Amrum. Diese musste innerhalb von 48 Stunden zurückgeschickt werden – ansonsten wäre der Beherbergungsvertrag gegenstandlos gewesen. Also schnell das Blätterwerk durchgelesen, ausgedruckt, unterschrieben, mit dem Handy abfotografiert und zurückgeschickt. Die Reise sollte jetzt nicht am Papierkram scheitern.

Dann das erste Mal seit Monaten endlich wieder Packen, denn die Reise durfte tatsächlich angetreten werden, da unser Test, den wir in einer Mainzer Apotheke machten, negativ war. Diesen schickten wir, wie vereinbart, an unser Hotel in der Schlei-Region. So ganz konnte ich es allerdings immer noch nicht fassen, dass es endlich losgehen konnte.

Auf der Autobahn nach Norden war tatsächlich relativ wenig Verkehr – schließlich galt ja eigentlich immer noch ein Lockdown und in den meisten Regionen Deutschlands mittlerweile die Bundesnotbremse. Je näher wir der Landesgrenze zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein kamen, desto mehr fielen uns die vielen Autokennzeichen aus allen Teilen Deutschlands auf – Bayern war eindeutig Spitzenreiter – und Schleswig-Holstein zu diesem Zeitpunkt Ende April das einzige Bundesland, das sich teilweise für Tourist*innen öffnete.

Trotz niedriger Inzidenz galt in Husums Straßen Maksenpflicht – 24 Stunden am Tag

Dann die Ankunft im Hotel: Das letzte Mal, dass wir in einem Hotel in Deutschland übernachteten, datierte auf Anfang September 2020, als wir den Mainradweg von Mainz bis Würzburg radelten. Die FFP2-Maske auf, die Tür geöffnet, die Hände desinfiziert und gespannt gewesen, was jetzt passiert. Schließlich gab es Weltregionen während der Pandemie, in denen Tourist*innen alles andere als mit offenen Armen empfangen wurden – galten sie doch machen als Treiber der Pandemie. Meine Bedenken waren aber unbegründet. Die Dame an der Rezeption, die uns mit Maske hinter der Plexiglasscheibe freundlich begrüßte, überprüfte in ihren Unterlagen, die von uns eingereichten negativen Testergebnisse und die unterschriebenen Verpflichtungserklärungen. Sie händigte uns den Schlüssel aus und erklärte uns das Prozedere fürs Frühstück.

Jede Modellregion in Schleswig-Holstein hatte, genauso wie für Testintervalle, ein eigenes Konzept, das auch wissenschaftlich begleitet wurde. Durch die unterschiedlichen Handhabungen, auch was das Öffnen von Innengastronomie angeht, versprach man sich genügend Daten, um daraus Schlüsse für das ganze (Bundes)Land zu ziehen. In der Schlei-Region war vorgesehen, das Frühstück auf dem Zimmer einzunehmen. Wir empfanden diese Regel als sehr beruhigend. Schließlich wollten wir wieder reisen – aber nicht zu jedem Preis. Wir wollten uns einer zusätzlichen Ansteckungsgefahr durch diese Reise nicht aussetzen. Ob wir nun in einem Supermarkt in Schleswig-Holstein (mit Inzidenz 30) oder in Mainz (mit Inzidenz weit über 100) einkaufen würden, sprach ja sogar eher für Schleswig-Holstein. Aber ein Frühstück gemeinsam mit anderen Gästen in einem geschlossenen Raum wäre uns zu riskant gewesen. Schließlich sind Schnelltests höchstens tagesaktuell einigermaßen sicher. Aber die geforderten Testintervalle für Übernachtungen lagen bei 48 bis 72 Stunden.

Worauf wir uns neben der Übernachtung in einem Hotel auch ewig gefreut haben, war die Möglichkeit, endlich wieder Essen zu gehen. Dabei waren die Voraussetzungen an diesem April-Abend alles andere als einladend: Es war kalt, es regnete, es war windig – und dennoch genossen wir es, mit unseren mitgebrachten Klapprädern am Ostseefjord Schlei ein paar Kilometer zu einem Biergarten zu fahren, der ein großes Zelt aufgestellt hatte, bei dem alle vier Seiten geöffnet waren und es somit als „außen“ galt. Vor dem Betreten des Zelts, setzten wir zum ersten Mal die Luca App ein. Schnell den QR-Code abgescannt und schon waren wir im Biergarten eingecheckt und konnten die Speisekarte durch Scannen eines weiteren Codes auf dem Smartphone in aller Ruhe studieren. Die Luca-App wird von vielen Menschen, die sich mit Datenschutz auseinandersetzen, kritisch betrachtet. Der Landesbeauftragte von Rheinland-Pfalz bezeichnete in der Allgemeinen Zeitung Mainz vom 22. Mai 2021 die „Luca-App besser als Zettelwirtschaft“ und hält die Anwendung aber für nutzbar.

Die Pandemie bringt neue Servicemöglichkeiten für Hotels hervor. Der Spucktest war gratis.

Bereits seit Mitte April hatte die Außengastronomie in Schleswig-Holstein landesweit wieder geöffnet – generell war die Nutzung der Luca-App die einzige Bedingungen, um wieder Essen und Trinken außer Haus auf Mehrweggeschirr zu sich zu nehmen. Tests waren grundsätzlich nicht vorgeschrieben. Die Tische im Zelt standen in weitem Abstand und aufgrund der Wetterbedingungen waren wir fast die einzigen Gäste an diesem Abend. Wir genossen es aber trotzdem, endlich mal wieder auszugehen. Speis und Trank waren zudem sehr lecker – so startete die Reise wirklich wunderbar. Nach dem Verlassen des Biergartens mussten wir uns noch schnell in der Luca App auschecken – dazu wurden wir auch mittels Push-Mitteilung entsprechend bereits nach einer halben Stunde im Biergarten hingewiesen. Den Einsatz der Luca-App empfinden wir weder als störend noch als kompliziert.

Am nächsten Morgen stand das Projekt „Frühstück holen“ an. Maskiert ging es hinunter in den Frühstücksraum. Dort war schon unser Tablett vorbereitet. Am Vorabend konnten wir unsere Sonderwünsche (vegetarische Speisen) nennen und alles war auf dem Tablett wunderbar „eingedeckt“. Käse, Ei, Marmelade und Honig, Brötchen, Besteck und Geschirr. Die Thermoskanne Kaffee bzw. heißes Wasser gab es „obendrauf“. Aufgrund der geräumigen Zimmer mit zwei Stühlen und einem großen Tisch war das Frühstücken traumhaft angenehm. Diesen Test haben das Hotel und das Frühstück bei uns auf jeden Fall bestanden.

Wer diesen Blog schon länger verfolgt, weiß, dass wir gerne zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Dazu kaufen wir uns oft Wanderführer, die es mittlerweile für fast jede Region Deutschlands gibt. Allerdings macht es natürlich nicht viel Sinn, für eine Region, in der man nur einen Tag bleibt, einen neuen Wanderführer zu kaufen. So entdeckten wir dank des Ostseefjords Schlei eine neue Art, der Tourenvorbereitung: In der App „Komoot“ hat der Tourismusverband der Region so genannte „Collections“ hinterlegt. Diese können von registrierten Anwender*innen eingesehen werden. Die Wanderroute ist auf einer guten Karte hinterlegt und die Tour kann mit Hilfe des Smartphones abgegangen werden. Eine Wunschregion kann gratis heruntergeladen werden, falls man in Regionen unterwegs ist, bei denen man keine Flatrate oder keinen Mobilfunkempfang hat. Alle Weltregionen gibt es für einmalig ca. 30 Euro zum Download.

So starteten wir zu einer der in den Collections vom Ostseefjord Schlei hinterlegten Touren. Auf dem dreistündigen Rundweg sind wir nur wenigen anderen Wander*innen begegnet. Wir genossen die weite, offene Landschaft und konnten wunderbar abschalten. Corona war plötzlich ganz weit weg.

Der Tourismusverband des Ostseefjords Schei hat in der Wanderapp „Komoot“ viele Tourenvorschläge hinterlegt.

Für den Freitagabend hatten wir bereits Tage zu zuvor von Mainz aus per WhatsApp einen Platz in einem Restaurant in Schleswig reserviert, da wir davon ausgegangen waren, dass die Außengastronomie in einer solch hübschen Stadt an einem Freitagabend nach so viel Monaten des Lockdowns wohl vollkommen überlastet sein würde – das Gegenteil war der Fall. Viele Plätze blieben auch an diesem Abend leer. Abholung und Lieferservice dominierten auch weiterhin in unserem Restaurant. Die Menschen hatten sich wohl im Lockdown eingerichtet und zögerten noch, wieder Speisen in einem angenehmen Ambiente an der zugegebenermaßen sehr frischen Luft zu genießen.

Am nächsten Morgen, dem 1. Mai, war es nun auch in Nordfriesland soweit. Der Landkreis mit seinen Inseln öffnete sich wieder für Tourist*innen. Wir befürchteten einen Dauerstau auf der Landstraße nach Dagebüll, doch nur wenige Autos mit auswärtigem KfZ-Kennzeichen fuhren in Richtung Fähranleger. Allerdings gab es bereits zwei Wochen vorher für die avisierte Mittagsfähre keinen Autostellplatz mehr. Wir entschieden uns daher, das Auto in Dagebüll zu lassen und vielmehr unsere Klappräder mit rüber nach Amrum zu nehmen. Das war natürlich auch die wesentlich nachhaltigere Variante.

Bevor wir übersetzen wollten, stand der nächste Schnelltest an. Glücklicherweise gab es sowohl am Fähranleger als auch am Parkplatz in Dagebüll Testmöglichkeiten. Ein verpflichtender Test, um die Fähre zu nehmen gab es allerdings nicht. Vielmehr mussten wir uns testen lassen, um in unser Ferienhaus hineinzukommen. Tage zuvor hatten wir uns bereits für die Teststelle am Fähranleger online registriert und die dazu notwendigen Papiere ausgedruckt und ausgefüllt. Am Testzentrum angekommen hatte man allerdings in der Zwischenzeit komplett auf digitale Erfassung umgestellt. Ein QR-Code musste eingescannt werden und danach konnten wir die Daten im Smartphone eintippen und absenden. Ein Bestätigungscode wurde per SMS zurückgeschickt. Nach der Eingabe erhielten wir auf unserem Smartphone einen individuellen QR-Code, den wir zur Testung bereit halten mussten. Anwenderfreundlicher geht es eigentlich nicht. Allerdings hatten einige Menschen, die mit Smartphones nicht so vertraut waren, ihre Probleme. Dafür stand hilfsbereites Personal zur Verfügung, so dass alle Reisenden umgehend an ihren Test kamen, da mehrere Testcontainer geöffnet hatten.

Zum Testen rät sich ein paar Münzen für die Kaffeekasse mitzubringen, denn ich empfand es wirklich als Privileg, endlich wieder reisen zu dürfen. Dass die Modellregionen ihren Test starten konnten liegt auch an den vielen Menschen, die dieses Testsystem innerhalb kürzester Zeit aufgebaut haben. Da darf auch gerne mal ein Trinkgeld gezahlt werden. Das Testergebnis (negativ) wurde rund 15 Minuten später direkt aufs Smartphone geschickt und wenig später ging es dann auch schon auf die Fähre.

Bisher ließen sich auf dieser Reise zusätzliche Kontakte wunderbar vermeiden – vor allem in geschlossenen Räumen. Das sah auf der Fähre ein bisschen anders aus. Unsere Klappräder konnten wir im Freien auf dem Autodeck abstellen. Um allerdings auf das Sonnendeck zu gelangen, mussten wir drei Etagen im Innenbereich der Fähre hinaufsteigen. Natürlich galt hier Maskenpflicht, die auch von allen praktiziert wurde. So war es möglich, den Innenraum innerhalb von ein paar Minuten nach oben hin zu durchqueren.

Das Frühstück wurde auch an der Schleimündung im Zimmer eingenommen.

Trotz Wind und Regen hielten wir uns auf dem offenen Deck auf – was allerdings nur wenige andere Gäste ebenfalls machten. Gleichzeitig war das Bordrestaurant geöffnet. Das war für uns ein Punkt, den wir nicht ganz verstanden. Gegebenenfalls ungetestete Menschen hielten sich für maximal 90 Minuten in einem geschlossenen Raum auf, um ohne Maske Essen und Trinken zu sich zu nehmen. Das war uns persönlich zu riskant.

Natürlich soll es in einer Pandemie Regeln geben. Gleichzeitig sollte aber auch der gesunde Menschenverstand eigentlich für eine gewisse Eigenverantwortung sorgen. Daher blieben wir auf dem Sonnendeck und stiegen bei der Ankunft in Amrum auch erst die Etagen zu den Rädern hinab, als die Innendecks bereits geleert waren. So war es wieder möglich, diesen Bereich innerhalb von einer Minute zu durchqueren.

Mit Sack, Pack und Rad marschierten wir in Wittdün auf Amrum die wenigen hundert Meter zu unserem Ferienhaus. Das Testergebnis hatten wir unseren Vermietern bereits von der Fähre aus per WhatsApp zugeschickt. Auf Amrum war es unsere Pflicht, nun jeden zweiten Tag einen Test zu machen und das Ergebnis wieder an die Vermieter zu übermitteln. Dazu hatten wir bereits Termine in einer Apotheke in Wittdün eine Woche vor der Ankunft reserviert. Innerhalb der letzten Woche vor der Öffnung wurden allerdings weitere Testzentren auf Amrum etabliert, so dass alle drei Gemeinden auf Amrum Gästen kostenlose Testmöglichkeiten anbieten konnten – natürlich auch sonn- und feiertags.

Wie in der gesamten Modellregion Nordfriesland üblich, waren auch auf Amrum die Innenräume der Gastronomie geöffnet. Anders als auf der Fähre musste zum Besuch allerdings ein tagesaktuelles negatives Testergebnis präsentiert werden. Das galt auch für die Außengastronomie und natürlich auch für Insulaner*innen. Auch das Personal wurde täglich getestet. Trotzdem saßen wir in Amrum immer draußen. Uns persönlich war es zu riskant, innen zu speisen.

Doch zunächst mussten wir in Erfahrung bringen, welche Lokale überhaupt geöffnet waren. Der Landkreis Nordfriesland hatte dazu ein „Board“ erstellt, welches er am 28. April auf seiner Facebook-Seite mit einem Post vorgestellt hat. Allerdings ist diese Übersicht bis heute nicht über Smartphones einsehbar.  Anhand dieser Liste, die wir auf dem Laptop einsehen konnten, war dann die Wahl der Restaurants möglich. Als Reisende, die auf Fisch und Fleisch verzichten, sind aussagekräftige Speisekarten essenziell. Leider haben das noch nicht alle Gastronom*innen auf dem Schirm. Und leider bieten auch viele Restaurants immer noch nur ein „vegetarisches Quotengericht“ an. Das schränkte die Auswahl der Restaurants bereits ein wenig ein.

Es wurden allerdings auch Faktoren wichtig, die vor der Pandemie nicht so wirklich zählten. Ein Dach über dem Kopf zum Beispiel, sprich eine Außengastronomie, die auch bei Regen genutzt werden kann. Ein Windschutz ist an der Nordsee auch keine schlechte Idee und Personal, das motiviert ist, auf die aktuellen Umstände einzugehen, ist auch nicht verkehrt, zum Beispiel wenn es um die Versorgung mit Decken geht. Schließlich war es die erste Mai-Woche über doch ziemlich frisch auf Amrum.

Auf dieser Insel wurde der anfangs angesprochene Pragmatismus wunderbar gelebt. Zwar mussten tatsächlich immer Termine für den nächsten Schnelltest gebucht werden. Da aber Anfang Mai das Testangebot die Testnachfrage eindeutig überstieg, durften wir auch schon mal eine oder zwei Stunden vor dem eigentlichen Termin die Maske absetzen, damit in unserer Nase ein Abstich vorgenommen werden konnte. So ließen sich die Tests wunderbar in das Tagesprogramm einbauen. Das ist natürlich in der Hochsaison sicherlich nicht möglich – aber so lange es die Kapazitäten zulassen, ist dieser Pragmatismus einfach angenehm.

Wunderschön waren die Tage auf Amrum auch durch die Gründe, die bereits vor der Pandemie für die Beliebtheit dieser Insel sprachen: Die Weite der Landschaft mit ihren unzähligen Dünen, Wäldern, Tümpeln, Teichen und Seen. Oder der breite Kniepsand-Strand, der gefühlt die Hälfte der Insel bedeckt. Die idyllischen Dörfer und das sich ständig verändernde Wattenmeer sowie die vielen gefiederten Bewohner taten ein übriges, dass wir uns hier sehr wohl fühlten.

Es war auf Amrum tatsächlich möglich, abzuschalten. Natürlich galt es morgens beim Bäcker die Maske aufzusetzen, die Luca-App zu nutzen und sich regelmäßig testen zu lassen. Aber das waren alles Kleinigkeiten, die wir gerne für den Aufenthalt auf der Insel in Kauf nahmen.

Auch wenn wir die autofreien Ostfriesischen Inseln wie bspw. Baltrum lieben – haben uns die Autos auf Amrum nicht gestört. Die zahlreichen Wanderwege sind so angelegt, dass wir praktisch nie die Straße queren mussten. Für Radfahrende stehen zwei Nord-Süd-Routen zur Auswahl, bei denen man nur am Anfang und am Ende auf einer Straße entlangradeln muss. Der Verkehr war so gering, dass es tatsächlich ein Miteinander der Teilnehmenden am Verkehr problemlos möglich war.

Ortsübliche Wartemöglichkeit auf den Antigen-Schnelltest. Das Ergebnis gab es auf das Smartphone.

Nach ein paar Tagen auf Amrum stand für uns fest, dass wir keine sonderlich große Lust hatten, allzu schnell wieder in das von der Bundesnotbremse betroffene Mainz zurückzukehren. Stattdessen entwickelte sich unsere Reise zu einem Road Trip durch Schleswig-Holstein. Nach der Woche Amrum blieben wir noch zwei Tage in Nordfriesland und machten in Husum Station. Dort nahmen wir einen Hotelservice der besonderen Art in Anspruch. Statt geschlossenem Wellness-Bereich stand ein hoteleigener Corona-Test zur Verfügung. Während wir in Mainz und auf Amrum bereits zwei Varianten des Nasenabstrichs kennengelernt hatten (einmal tief in die Nase gefühlt bis ins Hirn und einmal im vorderen Nasebereich), war hier der Spucktest angesagt. Das war in der Theorie natürlich die angenehmste Variante, denn das Nasenkitzeln ist natürlich alles andere als eine tolle Erfahrung. Man möchte die Tester*innen ja auch im schlimmsten Fall nicht noch als Dank für ihre Arbeit annießen (obwohl man natürlich in die Armbeuge nießen soll). Aber für den Spucktest muss erstmal genug Spucke vorhanden sein, diese muss auch zielgerichtet ins Röhrchen gelangen und letzteres soll natürlich beim Verschließen auch nicht überlaufen. Unser Favorit war danach eindeutig der Nasenabstrich im vorderen Teil des Riechorgans.

Eine weitere Neuerung wartete in Husum auf uns. Wir hatten eine Reservierung für ein Restaurant gemacht, in der Annahme, dass nur der Außenbereich geöffnet sei. Schließlich stellte sich heraus, dass wir im Innenbereich Platz nehmen sollten. Das war uns, wie bereits erwähnt, zu riskant und wir hatten daher bereits eine Stunde vorher angefragt, ob wir auch in einem Strandkorb draußen Platz nehmen dürften. Das wurde vorab bejaht, später bei unserem Erscheinen dann vom Chef verneint. Pragmatismus ist nicht jedem in die Wiege gelegt und wir waren froh, nach ein paar Minuten Suche auch am Samstagabend noch ein Pub gefunden zu haben, das uns draußen einen trockenen Platz ohne Reservierung anbieten konnte.

Am nächsten Morgen die nächste Überraschung. Es sollte Frühstückbüffet geben. Das Besorgen von Essen mit Maske störte uns wenig, aber auch hier hatten wir ein mulmiges Gefühl, da ja im Frühstücksraum mehrere Menschen gemeinsam ohne Maske gegessen hätten. Und wir alle hätten dort mit Tests sitzen können, die weitaus älter als 24 Stunden waren, während vor der Hoteltür 24 Stunden am Tag Maskenpflicht galt. Auch hier siegte am Ende der Pragmatismus des Hotelpersonals. Wir fanden eine Lösung, die dem Personal nicht zu viel Aufwand bereitete und uns das Gefühl der relativen Sicherheit gab.  

Da wir uns am Ostseefjord Schlei mit seinem Sicherheit- und Hygienekonzept so wohl gefühlt hatten, verbrachten wir noch ein paar erholsame Tage an der Schlei-Mündung in der Nähe von Kappeln. Es war in der Zwischenzeit gar nicht mehr so einfach, eine Herberge zu finden, da fast alles ausgebucht war. Glücklicherweise waren wohl immer mehr Übernachtungsbetriebe davon überzeugt, dass es was wird mit dem Modellprojekt. Und so kamen wir in einem Gasthof unter, der tatsächlich erst drei Wochen nach dem Start des Projekts in der zweiten Mai-Woche öffnete und dadurch noch kurzfristig ein Zimmer für uns hatte. Auch hier gab es wieder das Frühstück auf dem Zimmer, das wir uns zuvor an einem Büffet mit Bedienung zusammenstellen konnten. So konnten wir mit gutem Gefühl jeden Morgen den Tag gut gestärkt beginnen, ehe es dann doch wieder irgendwann zurück nach Mainz gehen musste…in einen Landkreis mit geschlossener Gastronomie und Ausgangssperre um mittlerweile 22 Uhr für Ungeimpfte wie wir es sind.

Fazit: Jeder Mensch hat ein anderes Sicherheitsempfinden. Die wenigen Situationen, in denen wir uns unwohl gefühlt haben, konnten wir entweder mit Hilfe von Pragmatismus durch das Hotelpersonal lösen oder durch optimiertes „Zeitmanagement“ auf der Fähre, in dem wir allen anderen den Vorrang beim Aussteigen ließen. So war es für uns persönlich möglich, eine wunderbare Reise durch Schleswig-Holstein zu verbringen. Dass Mobilität gleichzusetzen ist, mit erhöhter Gefahr, sich und andere anzustecken, wenn man praktisch nur an der frischen Luft unterwegs ist und die ansonsten die AHA-Regeln einhält, gilt mittlerweile ja auch als wiederlegt.

Wir wurden zehnmal getestet – zehnmal negativ. Wir empfanden es als ein Privileg, die erste Maihälfte zu reisen – ungeimpft aber trotzdem mit einem guten Gefühl der Sicherheit – den Testmöglichkeiten und dem zumeist gelebten Pragmatismus der sehr offenen und freundlichen Menschen Schleswig-Holsteins sei Dank.

Transparenz: Alle Kosten für Transport, Essen, Trinken und Übernachtung wurden selbst bezahlt. Die Komoot-App nutze ich in der Gratis-Version. Die Werbung für die Komoot- und Luca-App erfolgt unbeauftragt und unbezahlt.

Virales Reisen in Indien – Teil 2

Hier geht es zum Teil 1

Irgendwann klappte es schließlich mit dem WLAN und wir checkten zunächst die Informationen des Auswärtigen Amts. Dort stand lediglich, dass die Flugverbindungen zwischen Europa und Indien massiv reduziert worden sind. Deutsche und ein paar andere Europäer durften ja seit dem 11. März nicht mehr einreisen, daher war das ein erwartbarer Schritt. Von innerindischen Reisebeschränkungen lasen wir nichts. Dafür aber auf Facebook, dass das Heavy Metal Festival wegen Corona auf unbestimmte Zeit verschoben worden sei. Verschoben war für uns natürlich total doof, denn wir können ja nicht einfach mal für zwei drei Tage von Mainz nach Bangalore düsen, um Stage Diving zu betreiben. Daher fragten wir nach einer Rückzahlung des ausgelegten Betrags an. Dieser betrug mehr als 120 Euro, da wir ein Paket mit Hotelübernachtung gebucht hatten – wären es ein paar Euro gewesen, hätten wir das als Support für die Organisatoren gerne verbuchen lassen.

Corona dominierte plötzlich auch die indischen Medien

Bereits Wochen im Voraus mussten wir für das Festival-Hotel unsere persönlichen Daten übermitteln. Daher hatten wir bereits eine E-Mail-Adresse parat und baten Salman, den Gründer des Bangalore Open Air (BOA), um eine Erstattung. Er hatte für unsere Situation Verständnis und fragte, ob wir vor der Rückreise nach Deutschland nochmal in Bangalore vorbeischauen wollten. Trotz der Absage des BOA war eine Rückkehr geplant und so verständigten wir uns auf eine Geldübergabe in einem Club der Stadt, in dem am 20. März das „Wacken Metal Battle“ stattfinden sollte – ein Wettbewerb für indische Heavy Metal Bands, bei dem es um einen Auftritt beim Wacken Open Air 2020 ging. Metal Battle in einem Club mit leckerem India Pale Ale statt dem ersten Open Air in 2020 war zwar nicht ganz so schön, dennoch natürlich eine nette Alternative.

Am Abend des 13. März wurden wir im Hotel plötzlich vom Personal angesprochen. Wann wir am nächsten Tag abreisen wollten, war die Frage. Wir entgegneten um 5.45 Uhr, um den Zug nach Goa um 6.20 Uhr in Hospet zu erreichen. Der Hotelmanager sagte, wir müssten wegen des Virus einen Test machen, den nun jede*r zu machen hätte. Es handelte sich allerdings nicht um einen Corona-Test, sondern ums Fiebermessen – eine vollkommen sinnbefreite Maßnahme. Corona ließ sich auch ohne Symptome übertragen – anders als zum Beispiel SARS 2003. Dieser vollkommen nutzlose Test wäre um 10 Uhr am Samstag möglich und wir könnten ja einfach den Nachmittagszug nehmen. Die Zugfahrt nach Goa dauert 9 Stunden und wir hatten eine Reservierung für den Zug am Morgen. Ohne Reservierung nachmittags die Reise anzutreten, hätte sicherlich in einem überfüllten „Sleeper“ geendet – „Physical Distancing“ wäre somit obsolet gewesen. Wir waren auch gar nicht sicher, ob überhaupt nachmittags eine Direktverbindung bestünde oder wir nicht in Hubli auf halber Strecke hätten umsteigen müssen. Wir entgegneten daher, dass wir um diese Zeit ja schon im Zug säßen – was nicht so wirklich auf Verständnis stoß. Ich fürchtete bereits, dass wir im Hotel festgehalten werden würden und uns die frühmorgendliche Abreise womöglich verwehrt werden würde. Wir boten daher an, diesen Test jetzt am Freitagabend um 18 Uhr zu absolvieren. Corona hin oder her – am Freitagabend hat die indische Bürokratie Feierabend. So einigten wir uns darauf, dass wir mitteilten in welchem Hotel wir in Goa übernachten würden, damit dieser Test dann dort am Samstagabend nachgeholt werden würde. Angeblich wurde unser Hotel in Goa verständigt und alle wahrten ihr Gesicht. Tatsächlich konnten wir am frühen Samstagmorgen das Hotel verlassen, den Zug nehmen und danach hoffen, dass wir bis Goa durchkämen.

Blick auf den Strand von Arambol – Goa

In der indischen Bahn lief alles seinen gewohnten Gang. Nichts ließ erahnen, dass womöglich der Zug an der Grenze zu Goa gestoppt werden würde. Wir kamen fast pünktlich am Bahnhof in Vasco da Gama am Indischen Ozean an und ließen erstmal die Massen an Fahrgästen sich dicht gedrängt über den Bahnsteig und die Brücke über diesen ergießen. Hier funktionierte „Physical Distancing“, wie im reservierten „2 Tier“ Abteil wieder gut  – allerdings waren wir die einzigen, die dieses betrieben. Trotz Corona hatten wir es geschafft, die Zielregion unserer Reise zu erreichen. Im Hotel angekommen, sagten wir nichts zu dem angekündigten Test. Schließlich machte uns eine News aus Deutschland schon genug Sorgen. Angeblich sollten Deutsche, die nach dem 15. Februar 2020 in Indien eingereist waren, für 14 Tage in Quarantäne. Wir waren am 7. März eingereist und heute war der 14. März 2020. Sprich hätte diese Meldung gestimmt und wären wir von den Behörden aufgegriffen worden, wären wir womöglich noch für mindestens 7 Tage irgendwo in Quarantäne gelandet. Quarantäne in Indien kann vieles bedeuten. Es gab allerdings noch kein Nobelhotel, das unter Quarantäne stand, so dass die Chance hoch gewesen wäre, in irgendeinem Rattenloch mehr oder weniger eingesperrt zu werden. Rein theoretisch wäre es für die Behören ein Leichtes gewesen uns zu orten, da in jedem Hotel unsere Personalien inklusive Passkopie und Kopie des Visums plus Einreisestempel erhoben worden waren. Niemand sprach uns am Abend auf den angeblich so wichtigen Test an und wir konnten eine erste geruhsame Nacht in Goa verbringen.

Am nächsten Morgen stand plötzlich die Polizei im Hotel. Sie sperrten aber nur den Pool und das Fitnessstudio wegen Corona ab. Auf den Seiten des Auswärtigen Amts zu Indien fanden wir die angesprochene Quarantäne-Verpflichtung nicht. Da wir uns vor der Abreise in Mainz in die Krisenvorsorgeliste „Elefand“ eingetragen hatten, erhielten wir die aktuellen Änderungen der Sicherheitshinweise für Indien auch per E-Mail mit der netten Begrüßung „Liebe Landsleute“ zugeschickt. Es wurde auf die Reduzierung des Flugverkehrs zwischen Indien und Deutschland hingewiesen, da die größte deutsche Airline ihre Flüge mittlerweile tatsächlich eingestellt hatte. In unserem ersten Domizil in Goa blieben wir wie vorgesehen nur eine Nacht und fuhren nach dem Frühstück ein paar Kilometer weiter nach Norden an den Hippiestrand nach Arambol. Im dortigen Hotel war der Pool offen und Gewichte hätten wir dort auch weiterhin stemmen können. Die kommenden fünf Nächte bis Freitag, 21. März 2020 hatten wir bereits vorab bezahlt, da in Goa die Saison bis Mitte März geht und die besten Hotels oft Wochen vorher ausgebucht sind.

Soziale Kontakte hielten wir hauptsächlich zu Hunden und Katzen

Auf Facebook erhielten wir dann die nächste Stornierung: das Wacken Metal Battle in Bangalore wurde gestrichen, da es in der Stadt den ersten offiziellen Corona-Fall gab und als Reaktion alle Pubs und Clubs bis auf weiteres geschlossen wurden. Wir kontaktieren Salman und fragten, wie wir das nun mit dem Geld machen sollten. Paypal hatte er nicht, eine Gutschrift des Betrags auf unser Kreditkartenkonto ging angeblich auch nicht. Doch wozu hat man Freunde? Salman versprach, einen Freund in Goa zu finden, dem er über eine lokale mobile Bezahlvariante das Geld schicken würde und der Freund uns dann das Geld in bar in die Hand drücken könnne.

Wir genossen die Tage am Strand von Arambol sehr. Trotz Corona konnten wir uns den Hintern jeden Tag mit Klopapier abwischen, uns die Hände desinfizieren, denn beides Klopapier und Desinfektionsmittel gab es hier wie Sand am Meer – und Nudeln gab es auch nicht zum Essen. Aber im Ernst, einsame Strandspaziergänge, das Füttern von Hunden und Katzen und das Genießen von leckerem indischen Essen vereinnahmte uns komplett. Corona war zwar anwesend, aber nicht dauerpräsent, da wir vereinbarten, nur im Hotel auf dem Zimmer den WLAN zu nutzen und beim Essen und unterwegs darauf zu verzichten.

„Physical Distancing“ funktionierte im Restaurant am Strand meist gut.

So langsam mussten wir aber auch an unsere Rückreise denken, schließlich sollte ich am 24. März wieder arbeiten. Der ursprüngliche Plan, am 23. März von Bangalore direkt nach Frankfurt zurückzufliegen, ging nicht mehr auf, da fast alle europäischen Airlines ihre Flüge ab Bangalore bereits gestrichen hatten. Auch von Mumbai konnte man leicht erkennen, dass es von dort kaum noch Flüge nach Europa gab. Mit Hilfe von Metasearchern wie skyscanner.com ist es aber ein Leichtes, nach Flügen zu schauen, die noch buchbar sind.

Gleichzeitig hatten wir in den Medien gelesen, dass das Auswärtige Amt bereits Rückholaktionen startete, um gestrandete Urlauber bspw. aus Ägypten herauszuholen. Dennoch war es natürlich unser Ziel, selbstständig unsere Rückreise zu planen und durchzuführen. Die Botschaft in Delhi mahnte am 18. März wieder alle Reisenden an, unverzüglich Flüge vorzuverlegen und zu versuchen, die Rückreise selbst organisiert anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt waren sogar Flüge von Goa via Doha oder Muscat nach Frankfurt für ca. 500 € zu haben. Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstanden hatte, was da gerade passiert, dem kann man nicht wirklich helfen, zumal das Auswärtige Amt zum ersten Mal überhaut eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen hatte. „Reiswarnung, Sicherheitshinweis, etc. – was bedeutet das“ – hierzu habe ich vor 11 Monaten nach den Terroranschlägen in Sir Lanka einen eigenen Blogartikel verfasst. Wir hatten zwei Tage vorher unseren innerindischen Flug vom Freitag, den 20. März auf den nächsten Tag verlegt, da ja das „Wacken Metal Battle“ ausfiel und wir nun vorhatten, am 22. März von Bangalore via London nach Frankfurt zu fliegen – die einzig mögliche Variante nonstop nach Europa von dort zu gelangen. So wären wir am Samstagabend am Flughafen in Bangalore angekommen, hätten kein Problem mit den indischen Behörden bekommen, da wir dann tatsächlich 14 Tage in „Quarantäne“ verbracht hätten (in Indien halt), bevor wir wieder auf Beamte an einem Flughafen gestoßen wären. Wir hatten einen Plan A und dachten über Plan B nach.

Einsame Küstenspaziergänge waren sehr erholsam – Corona plötzlich ganz weit weg.

Schließlich stellte sich für uns die Frage, was passiert, wenn der UK-Guru von Hampi doch noch Recht behalten sollte, und es zu Beeinträchtigungen im Reiseverkehr Indiens kommen sollte – entweder, dass es ein Flugverbot ab/nach Indien oder ein innerindisches Reiseverbot gäbe. Daher war unser Plan B, nach Ablauf der „Quarantäne“ am Samstag gegebenenfalls in die Hauptstadt Delhi zu gelangen. Dort gab es Hotels direkt am Flughafen, die deutsche Botschaft und noch viele Flüge in die weite Welt. Außerdem wäre sicherlich der erste Flug im Rahmen des Rückholprogramms durch das Auswärtige Amt aus Delhi gestartet – es ist die Hauptstadt des Landes und das Verwaltungszentrum. Es war einfach die logische Wahl für uns gewesen. Hier in Goa gab es zwei internationale Flüge, die nicht mal täglich nach Doha und Muscat verkehrten, eine zweistündige Taxifahrt zum Flughafen und ein Honorarkonsulat, das uns nicht wirklich weiterhelfen konnte (dafür aber das Generalkonsulat in Mumbai, das allerdings 500 km entfernt war). Im Falle einer Ausgangssperre wären wir hier ziemlich blockiert gewesen. So schön Arambol und der Bundesstaat Goa waren, so isoliert wären wir im Falle einer Ausgangssperre gewesen.

Salman meldete sich am 18. März auch noch. Wir könnten am nächsten Tag ins 10 km entfernte Siloim fahren und seine Freundin Bonnie treffen. Er würde ihr das Geld virtuell schicken, wir sie mit dem Taxi abholen, zum Geldautomat fahren und die Kohle bar erhalten. Dies klappte am 19. März tatsächlich – WhatsApp-Kommunikation sei Dank. Incredible India! Am gleichen Tag wurde der Pool im Hotel geschlossen. Es dauerte „nur“ 6 Tage von Sonntag bis Donnerstag bis die Verordnung 18 km Luftlinie nach Norden vorgedrungen war…

Am Morgen des Freitags, 21. März 2020 erhielt ich eine E-Mail, dass unser innerindischer Flug am Samstagabend von Goa nach Bangalore gestrichen sei. Das versetzte mich in eine sehr positive Grundstimmung. Schließlich hing dieser Flug wie Ballast an unseren Beinen. Viele Airlines sprachen zwar von kulanten Maßnahmen was Umbuchungen anging – allerdings nur auf der gleichen Strecke. Wir hätten eigentlich längst Plan B aktiviert, sprich nach Delhi umgebucht, aber eine Gratis-Änderung des Routings ließ die Airline nicht zu. Es gab auch keine Möglichkeit, den Wert des Flugs in einen Gutschein umzutauschen. Und so einfach zweimal 85 Euro sausen lassen, war natürlich nicht wirklich grandios – zumal wir ja eigentlich am Sonntag von Bangalore nach London problemlos hätten fliegen können. Ferner wurden wir direkt auf den nächsten Goa-Bangalore-Flug umgebucht. Daher ging die Tendenz dahin, eine Nacht von Freitag auf Samstag in Goa zu verlängern und den umgebuchten Flug zu akzeptieren.

E-Mail Benachrichtigung durch das Konsulat in Mumbai, das für Goa zuständig ist.

Ich sprach den Hotel-Manager an und der sagte, das mit der Verlängerung sei natürlich kein Problem. Ich erzählte ihm vom gestrichenen innerindischen Flug und er entgegnete mir lapidar, dass es ab Sonntag sowieso keine internationalen Flüge mehr geben würde. Das hätte die indische Regierung so verfügt. Von dieser Nachricht überwältigt, mussten wir erstmal diese Aussage versuchen zu verifizieren, denn wir dachten gleich an den UK-Guru und sein Gerücht, dass die Bundesstaaten ihre Grenzen innerhalb des Landes dicht gemacht hätten. Tatsächlich fand ich einen Zeitungsartikel, der gerade mal ein paar Minuten alt war, der diese für Sonntag angekündigte Sperrung bestätigte. Nun musste alles ganz schnell gehen. Wir suchten den nächsten passenden Flug von Goa nach Delhi über skyscanner.com raus. Allzu knapp durften wir nicht kalkulieren. Wir waren zwar nur 42 Kilometer vom Flughafen entfernt – dafür mussten wir aber zwei Stunden Taxifahrt einrechnen. Außerdem war es angebracht, das zu erwartende Chaos am Flughafen einzuplanen – zwei Stunden sollten dafür passen. Außerdem gibt es in Indien sehr gute und „gute“ Airlines. Wir hatten keine Lust, auf „gute“ Airlines. Es war 9.15 Uhr – der nächste erreichbare Flug mit einer sehr guten Airline sollte um 14.30 Uhr gehen. Das war zu schaffen. Packen in ein paar Minuten, den Flug buchen und auch schon den Flug Delhi – Paris, der abends gehen sollte und für uns noch verfügbar war.

Tatsächlich sind wir um 10.30 Uhr losgefahren. Der Fahrer fing auf einmal an zu Husten. „Physical Distancing“ im Taxi war nicht möglich. In Indien rannten jeden Tag mehr Menschen mit Mundschutz durch die Gegend. Gefühlt aber nur diejnigen, die nicht husteten. Fast zwei Stunden die Luft anzuhalten geht natürlich nicht wirklich. Augen zu (statt Mund zu) und durch. Am Flughafen angekommen, hatte ich mir in der Hektik nur eines von beiden Tickets als PDF aufs Handy gespeichert. Also kam nur einer von uns in den Flughafen hinein. Indien ist eines der Länder, das auch in normalen Zeiten seine Flughäfen absperrt, damit Unbefugte (Terroisten) erst gar nicht ins Terminal gelangen, um Schaden anzurichten. Zum Glück hatte ich mit unserem indischen Telefon bereits im Taxi online eingecheckt. So konnte ich schnell im Flughafen beide Bordkarten am Automaten ausdrucken und wieder raus rennen, um zu beweisen, dass wir beide ein Ticket nach Delhi hatten. Wir durften sofort in den Flughafen hinein.

Dann standen wir vor einer ewigen Schlange schwitzender Menschen. Ich pirschte mich an der Schlange vorbei und checkte, wohin diese überhaupt führte…zu einer „guten“ Airline. Weiter hinten im Terminal befanden sich die Check-in-Schalter unserer sehr guten Airline…keine Schlange. Wir konnten sofort unser Gepäck abgeben. „Physical Distancing“ hat diesmal funktioniert. Weiter zur Sicherheitskontrolle…

Auf „rueckholprogramm.de“ können sich gestrandete Deutsche registrieren, um ggf. ausgeflogen zu werden.

Hier wurde zwischen Weiblein und Männlein getrennt. Die Männerschlange war ziemlich lang und es war dort Usus, erstmal sein Handgepäck aufs Band zu legen und sich dann in die Schlange zu stellen. Zum ersten Mal hatte ich etwas Sorge um den Dienstlaptop, den ich mitschleppte – schließlich war ich bereits vor unserer Abreise auf die Idee gekommen, dass womöglich der Flugverkehr eingestellt werden würde und ich dann aus dem Hotel, wo auch immer, hätte arbeiten können.

Zwei Meter Abstand in der Schlange war natürlich wieder mal ein Träumchen – zwei Zentimeter waren die Realität. Aber wenigstens habe ich hinter der Kontrolle meinen Laptop wieder bekommen. Noch eine Stunde bis zum Abflug. Wir nahmen auf einem der vielen leeren Sitze in der Abflughalle des Flughafens in Goa Platz. Ein paar Sekunden später setzte sich sofort ein Herr neben uns. Arrg…. „Physical Distancing“ funktioniert so nicht wirklich. Also „Reise nach Jerusalem“ gespielt und umgezogen – diesmal auf einen Platz am Ende einer Sitzreihe – so hatte wenigstens einer von uns „Physical Distancing“ durchziehen können. Beim Blick aufs Handy ist mir dieses fast aus der Hand gefallen. Der Flug Paris – Delhi wurde inzwischen gestrichen. Plan A nach Bangalore hatten wir aufgeben, da Plan B nach Delhi zu reisen, besser erschien. Jetzt war die Maschine, die uns von Delhi nach Paris bringen sollte, ab Paris gestrichen worden…

Am Freitagmorgen hatte das Auswärtige Amt seine Sicherheitshinweise bezüglich eines Flugstopps für den kommenden Sonntag nicht aktualisiert. Wir hatten also immer noch daran geglaubt, dass es sich vielleicht um Fake News gehandelt hatte. Doch so „fake“ war das wohl alles nicht. Denn plötzlich hatte uns das Auswärtige Amt per E-Mail eingeladen, uns auf ihrer eigens neu kreierten Rückholprogramm-Seite „Rueckholprogramm.de“ zu registrieren. Die Registrierung nahmen wir noch im Taxi auf der Fahrt zum Flughafen vor und jetzt wo der Flug von Paris nach Delhi gestrichen war…

Auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen, Goa!

Während des zweistündigen Flugs nach Delhi spielten wir alle Varianten durch, die es noch gab. Das Problem: Flüge von Delhi nach Deutschland auf einer Umsteigeverbindung mit zwei unterschiedlichen Airlines bargen die Gefahr, am Transitflughafen zu stranden. Die Emirate hatten bis Freitag noch gar keine Einreisebeschränkungen erlassen – es war aber nur eine Frage von Stunden, bis diese kommen sollte. Wir waren da sehr misstrauisch. In Dubai zu stranden wäre wesentlich kostspieliger gewesen, als in Delhi zu verharren. Gleichzeitig waren tatsächlich am Freitag die Preise für Flüge via Dubai nach Deutschland dermaßen teuer geworden, dass das den finanziellen Spielraum von fast jedem Reisenden überstieg. Es gab noch eine Variante via Kiew in der Ukraine, doch die Ukraine ließ keine Deutschen mehr ins Land. Dadurch dass der Flug von Kiew nach Frankfurt mit einer anderen Airline als der Flug von Delhi nach Kiew stattfand, war die Gefahr groß, dass unser Gepäck in Kiew landen und wir damit in der Falle sitzen würden.

Der Vorteil von Uniformen ist der, dass man von ihr auf den Arbeitgeber schließen kann. Ich sah in der Ankunftshalle eine Dame mit blauer Uniform und sprach sie an, ob sie für die Airline arbeiten würde, mit der wir heute eigentlich nach Paris fliegen wollten. Sie bejahte es und auf meine Frage, ob denn der Flug von Delhi nach Paris heute Nacht tatsächlich gestrichen sei, war sie vollkommen überrascht und sagte, nein, der Flug würde planmäßig starten. Ich hatte einfach den Fehler gemacht und angenommen, wenn der Flug von Paris nach Delhi gestrichen sei, dass auch der Rückflug nicht durchgeführt werden würde. Da Indien allerdings schon vor dem 22. März möglichst keine Menschen mehr ins Land lassen wollte, wurde der Flug nach Delhi tatsächlich für Passagiere gestrichen und die Maschine als „Evakuierungsflug“ leer hierher geschickt. Gleiches wäre übrigens auch beim Flug ab Bangalore der Fall gewesen – nur wäre dieser Flug erst am Sonntag Morgen geflogen, womöglich zu spät, da ja ab dem 22. März keine internationalen Flüge durchgeführt werden durften.

„Physical Distancing“-Schilder in Paris-CDG

Es fiel uns ein riesen Stein vom Herzen und tatsächlich schafften wir es nach Paris – und auch noch pünktlich. Der Flughafen Charles de Gaulle war morgens um 6 Uhr wie ausgestorben, obwohl zu dieser Zeit normalerweise Flugzeuge aus der ganzen Welt ankommen. Um 7.25 Uhr ging unser Flug nach Frankfurt. Nach der Landung auf dem Rhein-Main-Flughafen, musste unser Flugzeug auf einer Außenposition parken, obwohl so viele Flüge gestrichen waren. Die 50 Passagiere wurden in zwei Busse gestopft. Wer jetzt noch über das vermeintlich nicht mögliche „Physical Distancing“ in Indien lächelt oder sich beschwert, solle sich das hier mal auf der Zunge vergehen lassen. Am hessischen Tor zur Welt bekommt es der Flughafen nicht hin, mehr Busse einzusetzen, damit die Passagiere nicht dicht gedrängt wie in der Legebatterie zum Terminal gefahren werden müssen – obwohl wir aus einem Coronoa-Hochrisikogebiet wie Frankreich kommen. Gleichzeitig wurden Flugzeuge von Deutschlands größter Fluggesellschaft am Terminal 2 geparkt – obwohl diese normalerweise in Terminal 1 beheimatet ist. Die Fahrt zurück nach Mainz hingegen war angenehm. Die S-Bahn pünktlich und leer und „Physical Distancing“ problemlos möglich.

Zurück in Mainz wollten wir uns vom Rückholprogramm des Auswärtigen Ams abmelden. Doch das ging leider nicht. Stattdessen werde ich nun täglich von Delhi aus angerufen. Bisher habe ich jeden Anruf leider verpasst. Es ist aber ein verdammt gutes Gefühl zu wissen, dass Dich die deutsche Botschaft nicht im Stich lässt und Dich versucht nach Hause zu holen, Dir Hotellinks schickt und Dich virtuell wunderbar betreut. An dieser Stelle auch nochmals ein großes Dankeschön an das Auswärtige Amt und seine diplomatischen Vertretungen. Seit vergangenen Mittwoch erklärt der Deutsche Botschafter in Indien per täglicher Videobotschaft genau, was wir Landsleute machen sollen, was gerade in Indien passiert und wann der erste Flieger gehen soll. Er ist für Mittwoch Abend den 25. März geplant…ab Delhi mit 500 Leuten an Bord eines Airbus A380! Plan B hätte auch als Plan B2 funktioniert. Glück gehabt!

Leere S-Bahn auf dem Weg vom Frankfurter Flughafen zum Mainzer Hbf.

Nachtrag: Der internationale Luftverkehr ab/nach Indien wurde tatsächlich am 22. März eingestellt. Es wurde für den 22. März eine freiwillige Ausgangssperre landesweit verhängt. Seit dem 23. März ist es praktisch unmöglich, zwischen zwei Bundesstaaten per Zug oder Taxi zu reisen – der UK-Guru hatte mit etwas Zeitverzögerung doch noch Recht behalten. Der innerindische Luftverkehr wurde am Ende des 24. März gestoppt. Die Deutsche Botschaft hat ihren Landsleuten ein „Laisser Passer“ Dokument (Passierscheine) ausgestellt, das rein theoretisch die Möglichkeit bietet, noch nach Delhi zu gelangen. Ob dies tatsächlich noch funktioniert, darf bezweifelt werden.

Fazit: Das Reisen ist mit Hilfe des Internet tatsächlich leichter geworden – vielleicht zu leicht. Es bleibt wichtig, jede Reise, aber insbesondere Reisen außerhalb Europas gut zu planen. Das fängt bei der Gesundheitsvorsorge an (Impfungen, Reiseapotheke), geht über das Lesen von Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amts hin bis zur Information über das Tagesgeschehen in den lokalen Medien und auf den Seiten der Behörden vor Ort und durch Kontakt mit den Einheimischen. Oftmals sprechen viele Backpacker ja davon, dass sie Reisende und keine Touristen seien. Wenn man auf der einen Seite Touristen mit Pauschaltouristen gleichsetzt, die durch einen Tour Guide alles organisiert bekommen, und man selbst andererseits als Individualtourist sich als Reisender sieht, dann sollte man auch in solchen Krisenzeiten, möglichst alles selbst organisieren und sich nicht per WhatsApp beim Stern beschweren, dass niemand einem direkt unter die Arme greift oder sich darauf verlassen, dass einem die Deutsche Botschaft am Ende den Hintern rettet. Denn ansonsten wirkt dieses sich von Touristen unterscheiden wollen leider nur selbstverliebt und vollkommen abgehoben.