Osteuropa 2007 letzter Teil

Guten Tag aus Mainz!

Hatte ich beim Verlassen von Rumänien über die teilweise konstant schlechte Strass geschimpft, dann wusste ich noch nicht, was mir in der Republik Moldau bevorsteht – zumal die ersten Kilometer auf einer Betonpiste sich gar nicht so schlecht anließen. Aber dann mutierte einerseits die Straße in eine Trasse, die alle drei bis vier Meter quer über die Fahrbahn wie ein Keks durchgebrochen war. Das Vorwärtskommen ähnelte dem Radeln auf Eisenbahnschwellen und dies tat meinem Hintern mehr als weh. Um eine Reise vorzubereiten, liest man für gewöhnlich sich mit einem Reiseführer ein. Meiner laberte etwas davon, dass das Radeln wegen der schlechten Strassen strapaziös sei – aber das Land „flach wie ein Brett sei“. Hm, der Reiseführer stammt aus Australien und vielleicht heißt dort die Bezeichnung „flach wie ein Brett“, dass man in Downunder von der Vertikalen spricht. So in etwa sind dann in der Realität auch wirklich die Strassen angelegt: Mir gingen immer wieder die Worte „hoch und nieder immer wieder“ im Kopf rum, denn es ging immer einen Hügel hoch und sofort wieder runter und wieder hoch und… Vielleicht hatten die Aussies auch nur ein Brett vorm Kopf, denn so eine Aussage zu treffen, da muss man schon ganz schön neben der Spur sein.

Die hügelige Landschaft und die Schwellenstraße als Pappelallee angelegt, luden zum Dauer-Picknicken ein. Als dann noch die ersten Pinienwälder und die Myriaden von Weinbergen auftauchten, kam ich mir vor, als ob ich in der Provence oder der Toskana durch die Gegend holpere – OK die Strassen ließen mich wieder daran erinnern, dass ich in Moldau unterwegs war. Der Verkehr nahm immer mehr zu und irgendwie überholten mich kaum Ladas oder Dacias, die rumänische Automarke, sondern nur deutsche Wertarbeit. Die Moldauer scheinen es zu lieben, unter einem guten Stern oder mit weiß-blauem Karologo durch die Gegend zu düsen. Das Tempolimit hängt eher vom Verkehr, dem Straßenzustand und den Witterungsbedingungen ab als von irgendwelchen, zum Teil handgemalten, Verkehrszeichen. Ich kam mir wie ein Zuschauer einer Autowerbung bei einer Pause der „Sportschau“ vor. In vielen Ländern fahren ja die Reichen deutsche Kisten. Diese sehen dann aber schon meist sehr mitgenommen aus, es fehlen Außenspiegel oder das Model ist nicht mehr ganz das neueste. Hier könnte man die IAA direkt auf der Landstrasse abhalten. Nur die Top-Modelle holpern durch dieses kleine Land. Und jetzt verstehe ich auch, warum es fast in jedem Kaff eine Waschanlage gibt.

Nach 165 Kilometern erreichte ich schließlich mit dem Sonnenuntergang die Außenbezirke von Chisinau, das mal wieder in einer Mulde liegt – aber dessen Strassen halbwegs gut geteert waren. Kopfsteinpflaster scheint in Moldau glücklicherweise unbekannt zu sein. Dafür herrschte wohl Bettenknappheit, da die billigen Hotels alle voll waren. Schließlich fand ich Unterschlupf in einer 17-stöckigen Touri-Kolchose, und mein Rad landete auf dem bewachten Hotelparkplatz neben einer Harley und einem Mercedes Coupé. Auf der Hotelsuche bin ich an einem Schickimicki-Restaurant nach dem anderen vorbeigefahren. Dabei bin ich doch gerade in der Hauptstadt des ärmsten Lands Europas angekommen. Der Durchschnittslohn liegt bei 70 US-Dollar im Monat!

Hm, was soll ich in einer solchen Situation machen? Ich beschloss, die Frage lieber mal zu ignorieren, woher all die Kohle stammt, die hier protzig zur Schau gestellt wird. Vielmehr genoss ich die kulinarisch wirklich extrem gute Restaurantszene und wunderte mich nicht weiter. Vielmehr staunte ich über das „Beer House“, die erste Gasthausbrauerei in Chisinau und das ungefilterte, kühle Blonde, das hier frisch gezapft in Weizengläsern serviert wird. Auch die Speisen waren wie bspw. Truthahn in Banane sehr kreativ und langsam verstand ich die Welt an diesem Ort nicht mehr. Denn auch auf der Strasse sind Bettler, wie übrigens auch in Rumänien und der Ukraine die totale Seltenheit. Niemand läuft zerlumpt durch die Gegend. Die High-Heels-Komune aus L’viv ist hier weniger anzutreffen als die edle Flip-Flop-Brigade, was auch ohne Kopfsteinpflaster auf einen deutlich größeren Pragmatismus der moldawischen Damenwelt schließen lässt.

Die Stadt selbst, würde man die reinen Fakten gelten lassen, wäre als potthässlich zu bezeichnen. 1940 durch ein Erdbeben praktisch schon am Tropf hängend, machte der 2. Weltkrieg der im 15. Jhdt. gegründeten Stadt den Garaus. Das Land, früher unter dem Namen Bessarabien bekannt, war mal kurz nach der Oktoberrevolution der Russen 2 Monate unabhängig. Sonst gehörte es entweder als Provinz Moldawien zu Rumänien oder zu den Russen bzw. ab 1945 als Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik zur UdSSR. Und so hielten die Plattenbauten Einzug in der zerstörten Stadt. Doch irgendwie waren die Planer auf dem grünen Trip und so ist die im Schachbrettstil angelegte Stadt mit Alleen und Parks durchzogen. Das dichte Blätterdach liegt wie ein Schleier auf den Häuserschluchten, das jeden Blick nach oben auf die Betonklötze dezent unterbindet. Dadurch guckt man automatisch nur in die Strasse, und so fühle ich mich in der Stadt sogar sehr wohl. Die zum Teil sehr hübschen Menschen flanieren die breiten, panzertauglichen Boulevards entlang, und dabei ist alles nur eine Frage des Sehens und Gesehen Werdens.

Was mich weiterhin in diesem Land irritiert ist die Sprache, die hier gesprochen wird. Offiziell wurden, Gorbi sei Dank, 1988 zunächst einmal wieder die lateinischen Schriftzeichen und „Moldawisch“ eingeführt. Trotzdem finden sich sogar noch Verkehrsschilder vereinzelt in kyrillischen Schriftzeichen. Auf der Straße höre ich auch mehr slawische Gesprächsfetzen – also entweder russisch oder ukrainisch. Das mit dem „Moldawischen“ ist eigentlich ein Witz, denn es ist handelt sich dabei höchstens um einen Dialekt der rumänischen Sprache. Doch in einem Anflug von übertriebenem Nationalstolz wurde sogar ein Moldawisch-Rumänisch-Wörterbuch publiziert. Dies würde in etwa einem Meenzerisch-Deutsch-Wörterbuch entsprechen. Doch das Wörterbuch ist nur ein Mosaikstein für die Politik, die hier betrieben wird. Präsident Voronin versucht sowohl mit Russland zu kuscheln, in dem er sich von den rumänischen Wurzeln, die hier überall existieren, distanziert. Gleichzeitig kuschelt er mit EU und NATO um Hilfe zu ergattern, die dieses Land bitter nötig hat – trotz all dem Protz auf der Gasse.

Die Menschen, denen ich hier begegne, freuen sich über uns Touristen – denn wir haben hier Seltenheitscharakter. Viele haben in der Schule Deutsch gelernt, der DDR sei Dank, und nun versuchen sie ihre verrosteten Deutschkenntnisse aufzufrischen. Dies geschieht nicht aufdringlich sondern eher nebenbei, wie bspw. bei den Parkwächtern meines Rads. Fußball und die EM-Qualifikation ist natürlich ein gutes Thema und schon saß ich in dem Häuschen der Parkwächter und es wurde über die Quali-Chancen von Russland und Rumänien diskutiert – Moldau hat sowieso keine Chance – und aus der ehemaligen Sprudelflasche wurde mir plötzlich Rotwein serviert. Wenn man etwas über Moldau weiß, dann vielleicht, dass dieses Land praktisch nur aus Weinbergen besteht und die Qualität des Traubensaftes sagenhaft ist. So war auch der Rotwein im Parkhäuschen außergewöhnlich gut (verträglich).

Nachdem ich die Stadt erwandert hatte, machte ich mal wieder einen Radausflug. Die Touri-Attraktion schlechthin von Moldau ist ein Kloster, das in den Sandstein an einer Flussschleife gehauen wurde. Dementsprechend begegneten mir doch tatsächlich drei „Touristen“, die aber eigentlich geschäftlich hier zu tun hatten. Zunächst versuchte ich das Kloster über die Trampelpfade am Felsrand zu erreichen, was aber unmöglich war. Die Fenster des Klosters waren wie bei den Feuersteins in den Fels gehauen, doch um dort hinein zu gelangen musste ich den Tunnel finden. Eine große Holztuer, die eigentlich verschlossen aussah, ließ sich dann doch mit etwas Kraftaufwand öffnen. Über eine Treppe im Finsteren gelangte ich schließlich durch den Fels ins Kloster, wo ich von einem einsamen Mönch mit wehenden, langen, dünnen, grauen Haaren und Rauschebart empfangen wurde. Der große Raum wirkte mit vielen Jesus- und Marienbildern und dem goldenen Altar etwas überladen – dennoch besaß er eine sehr zur Besinnung einladende Atmosphäre.

Sehr unbesinnlich, weil wieder auf der Straße, radelte ich von Chisinau weiter in Richtung Südosten weiter, Odessa, dem Ziel meiner Radtour entgegen. Eigentlich wäre es am einfachsten gewesen, diese Distanz von ca. 175 Kilometern mit einem Übernachtungsstopp in Tiraspol zurückzulegen. Doch der Geschichte sei Dank, haben die Menschen mal wieder mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. So einfach so ans Schwarze Meer zu radeln, das geht ja gar nicht. Schließlich gibt es in Moldau den Fluss Dnjestr, halb so breit wie der Rhein, dafür doppelt so wichtig als Grenze zwischen zwei Kulturen. Südlich des Dnjestr leben hauptsächlich Moldauer mit rumänischen Wurzeln, nördlich davon im so genannten Transnistrien Moldauer mit russischen und ukrainischen Ursprüngen. Als es mit der UdSSR rapide bergab ging, steigerte sich das Besinnen auf die jeweilige Vergangenheit ins Unermessliche. Transnistrien befürchtete eine Wiedervereinigung Moldaus mit Rumänien, wohingegen Moldau unabhängig von allen werden wollte und Transnistrien eher bestrebt war, die Sowjetunion wieder aufleben zu lassen. Es kam 1992 zum Bürgerkrieg im Hinterhof Europas, den natürlich niemand so richtig gewann. Aber seither ist Transnistrien ein Staat im Staate, mit eigener Währung, eigener Fahne, eigener Armee, eigener Polizei und eigenem Selbstverständnis von einem Land – schließlich wird es von keinem Staat der Welt anerkannt. Dieses Selbstverständnis bringt mir als Reisendem aber nicht viel, denn in Transnistrien haben Hard-Core-Stalinisten das Sagen, die das Wort Rechtsstaat sicherlich noch nie gehört haben. Theoretisch ist es möglich, durch diese abtrünnige Region zu reisen, doch leider ändern sich die „Einreisebestimmungen“ schneller, als die Transfergerüchte bei manch einem Fußballspieler und zweitens wird der jeweilige zu entrichtende Betrag zum Erhalt der „Ein- bzw. Ausreisegenehmigung“ individuell festgelegt – sprich der Korruption und der Willkür sind hier Tür und Tor geöffnet.

Also wurde das nix mit Transnistrien, und ich bog von der Holperstraße Richtung Stalinismus pur nach Süden ab, um zur ukrainische Grenze zu strampeln. Allerdings begab ich mich mit dieser Routenänderung mal wieder in eine sehr prekäre Lage. Wo würde es auf dieser Strecke ein Hotel geben? Darf ich als Tourist die Grenze dort überschreiten? Schließlich sind manches Mal auf unserem Planeten nicht alle Grenzen für Jedermann geöffnet. Ja gibt es überhaupt Restaurants im Süden Moldawiens und führt die Strecke nicht womöglich doch noch über das Gebiet von Transnistrien, das sich sporadisch auch über den Fluss nach Süden ausstreckt?

Peu à peu wurden mir meine Sorgen genommen. Zunächst sah ich schon mal Vehikel mit ukrainischen und russischen Nummernschildern, Busse mit den Schildern „Odessa-Chisinau“ darauf geschrieben und Corps Diplomatique Kennzeichen. Also war die Grenze offen und der Umweg über Südmoldau, um Transnistrien zu umgehen, wohl berechtigt. Dann fand ich in einem Ort ein Restaurant, wo mir nach längerem Hin- und Her die Frage gestellt wurde, was ich denn essen möchte, denn es gab keine Karte und der Wirt machte mir den Anschein, dass ich ihn mit meinem Hungergefühl überraschte. Mir fielen die rumänischen Wörter „porc“ (Schwein), „cartofi“ (Kartoffeln) und „salat“ ein und ruckzuck landete ein Wiener Schnitzel mit Pommes und Salat auf meinem Tisch.

Die Marketing-Strategie der Werbung für ein Hotel in einem Weingut wurde mittels großer Tafeln am Straßenrand bis zum Exzess durchgeführt, und ich wich von meinem ursprünglichen Plan ab, in einem einfachen Gasthaus zu nächtigen, welches in meinem Reiseführer aufgelistet war. Ich hatte eh kein großes Vertrauen mehr in diesen Reiseführer, da viele Dinge, die es vielleicht einmal in Moldau gab, plötzlich nicht mehr gab. Dafür gab es ja bekanntlich umgekehrt auf einmal viele Hügel, die die Autoren des Reiseführers als „flach wie ein Brett“ bezeichneten. Ich bog von der Straße nach 120 Kilometern ab und rollte zum Dnjestr 5 Kilometer steil bergab, um dann vor der Hotelpforte von einem Wächter im Kampfanzug begrüßt zu werden. Anscheinend hatte man keine Lust für einen Gast die Tür zu öffnen und mit einem „Njet“ verstand ich, dass ich jetzt ein Übernachtungsproblem hatte. Da man in Moldau immer einen Plan B haben muss, radelte ich eine Abkürzung in das Dorf, in dem es angeblich ein Gasthaus gab. Nach ca. 20 Kilometern auf der Schotterpiste erreichte ich den Weiler. Im Buch stand eine Telefonnummer, niemand nahm ab, aber es gab ja auch eine Adresse – dumm nur, dass es in dem Dorf gar keine Straßennamen, geschweige denn Hausnummer gab. Und die Einheimischen wussten nichts von einem Gasthof!

Samstag Abends kurz vor Sonnenuntergang in Südmoldawien hatte ich nun echt ein Problem. Wo sollte ich ohne Zelt übernachten. Nach 2 Stunden befand ich wieder an der Kreuzung an der ich ursprünglich zum ersten Hotel abbog und fuhr weiter. Natürlich muss man auch mal Glück haben und dieses fand ich in Form einer Fernfahrerkneipe – der einzigen die ich in 391 Kilometern Moldau-Radeln fand. Ich durfte die Nacht in der 24 Stunden lang geöffneten Kneipe verbringen. Allerdings kamen dann die Fernfahrer in den Gasthof, gaben mir einen „Schnaps“ wie sie sagten nach dem anderen gegen meinen Willen aus. Es war natürlich Wodka und am Ende des Abends boten sie mir an, auf der Pritsche in der LKW-Kabine zu nächtigen. Mit Ohropax hielt ich auch das Geschnarche eines moldauischen Fernfahrers aus und war froh ein Dach über dem Kopf für die Nacht gefunden zu haben.

Am nächsten Morgen rollte ich ohne Kater halbwegs ausgeschlafen zur Grenze, wurde von den Beamten wieder zuvorkommend bedient und war ruckzuckwieder in die Ukraine eingereist. Da meine beiden Karten sich mit den Entfernungen mal kurz um 40 Kilometern verrechneten, brauchte ich nur 85 statt 125 Kilometer, um in Odessa am Schwarzen Meer anzukommen. Kaum im Hostel – oh ja! – angekommen, zu Mittag gegessen, fuhr ein Bus mit dem Team von Schachtjor Donetsk an mir vorbei. Als dann die ersten Fans mit Schwarzmeer-Odessa-Fanschals an mir vorbeimarschierten, nahm ich die Fährte gemeinsam mit einem Engländer auf, ukrainische Bundesliga live im Stadion zu verfolgen. Das Stadion liegt wie das Volksparkstadion in Hamburg in einem riesigen Park und anders als in Mainz gab es an der Tageskasse noch Karten für das Spiel. Stadionzeitungen wurden auch verkauft – allerdings hatten diese keinen Informationscharakter sondern schützten den ukrainischen Hintern vor dem Schmutz auf den Sitzen.

Als Snack auf den billigen Plätzen gab es Popcorn und Schrimps aus der Papptüte. Um das Anstehen für Getränke zu verkürzen wurde das Bier kurzerhand einfach in 1-Liter-Plastikflaschen verkauft, mit denen man allerdings dann nicht mehr auf die Sitze durfte. Vielmehr fristeten wir Biertrinker unser Dasein in der Verbannung am oberen Tribünenrand. Das Spiel war vor allem aus Sicht von Donetsk recht schlecht, denn die spielen ja regelmäßig UEFA-Cup und dafür war dieses 0:0 einfach grottig. Die Zuschauer machten allerdings gut Stimmung und so war der Sonntag Nachmittag gerettet. Außer Fußball gucken, lieben es die Bewohner von Odessa sich an den Strand zu knallen oder in der Innenstadt flanieren zu gehen. So ließ auch ich das Ende dieser Reise gemütlich am Schwarzen Meer ausklingen. Nach 1.145 Radel-Kilometern durch eine für mich davor sehr unbekannte Region unseres Kontinents, bin ich von den bereisten Ländern wirklich sehr angetan. Vielleicht ist es jetzt und in den nächsten beiden Jahren wirklich die beste Zeit, diese verborgenen Perlen zu entdecken, bevor L’viv wie Prag von Kulturtouristen überrannt, Moldawien von Weinbegeisterten überflutet und Odessa wie Mallorca von Partytouristen übervölkert wird.

Osteuropa 2007 3. Teil

Guten Tag aus Chisinau!

Mit der Ankunft in Czernowitz traf ich wieder auf alte Bekannte: Kopfsteinpflaster en masse! Anders als L’viv liegt die Stadt nicht in einem Kessel sondern hoch oben auf einem Hügel. Die Ukraine macht es mir einfach nicht einfach – nach einem Radeltag noch zirka 5 Kilometer zum Hotel auf wenigstens dieses Mal diagonal angelegten Pflastersteinen bei 10 Prozent Steigung durchgeschüttelt zu werden ist wahrlich kein Vergnügen.

Aber auch diese Stadt hat es wirklich verdient, besucht zu werden. Wieder eine Großstadt in der Ukraine – die ich mir so total anders vorgestellt hatte. Auch hier ist wieder alles tipp topp sauber und fertig restauriert. Irgendwie hatte ich in diesem Land heruntergekommene triste Städte erwartet, die vielleicht ein paar Straßenzüge mit hübschen Gebäuden aufweisen. Nein – getäuscht und verwundert! Die Universität besteht sogar aus Backsteinen und hanseatischer Architektur mit diesem stufenartigen Dachkonstruktionen wie bspw. in Lübeck. 

Am nächsten Tag ließ ich den Drahtesel mal stehen und machte einen Busausflug. In der Busstation gab es verschiedene Bahnsteige mit den täglich existierenden Verbindungen. Es war wieder alles in kyrillisch aber dafür sehr akkurat verfasst. Und natürlich fuhr der Bus nach dem Fahrplan pünktlich ab. Mit dem arg betagten Vehikel, das so ca. 40 Kilometer pro Stunde zurücklegte, war ich nur etwa doppelt so schnell wie mit dem Rad unterwegs, da auch der Busfahrer bei den vielen Berg- und Talfahrten nicht einfach mal beim hinabrollen Anlauf nehmen konnte. Schließlich war die Strasse zu verformt und der Fahrer wollte keinen Achsenbruch riskieren. So krochen wir mit zum Teil 20 km/h die Strasse nach der Abfahrt wieder hinauf. Die Abgaswolke war rabenschwarz und ich erinnerte mich gern an die Karpaten zurück, in denen ich meine Lungen aufgrund des nicht vorhandenen Schwerverkehrs einer Frischluft-Kur unterziehen konnte. 

„Geiz ist geil“ gilt auch in der Ukraine. Zwar gibt es noch keine Billigflieger, dafür aber Billig-Benzin mit 80 Oktan (in Deutschland mind. 92 Oktan) für unschlagbare 50 Euro-Cent. Dass dieses Zeug nicht gut für den Motor ist, zeigen die vielen stehen gebliebenen Ladas und die vielen arg knatternden Kisten, die jeden Moment zu explodieren scheinen. Beim Radeln bin ich immer froh, wenn diese Kisten nicht direkt neben mir umschalten und ich danach durch die Russwolke wie ein Kumpel aus dem Ruhrpott aussehe.

Mittlerweile kam ich auch in den historischen Einflussbereich der Türken, was ich in Kamyanets-Podilsky, dem Ziel meines Busausflugs bemerken konnte. Die Stadt war erst polnisch, und es entstanden Kirchen. Dann kamen die Türken, ließen die Kirchen stehen unter der Bedingung ein höheres Minarett als den höchsten Kirchturm zu bauen. Als die Türken vertrieben wurden, zeigten sich die Polen pragmatisch und bauten einfach auf das Minarett eine Marienstatue drauf. Das ganze sieht zwar etwas gewöhungsbedürftig aus – aber wenigstens wurde hier mal nicht alles beim Wechsel des Besitzers kurz und klein geschlagen. 

Eigentlich wollte ich noch ein wenig den Ort besichtigen, der auf einem Felsen in dramatisch anmutender Lage über einem Fluss errichtet wurde. Aber leider zog wieder ein großes Gewitter auf und ich verzog mich ins Restaurant. Dann gab es einen stadtweiten Stromausfall der sogar die Ampeln lahm legte. Die Strassen waren von dem Platzregen überflutet und jeder fuhr kreuz und quer durch die braunen Fluten. Dies erinnerte mich ein wenig an einen Platzregen in Dar-es-Salaam, Tansania und irgendwie kam ich mir nicht mehr wie in Europa vor. 

Schließlich wurde das Wetter wieder besser, ich nahm den nächsten Bus zurück nach Czernowitz und am folgenden Sonntag radelte ich endlich mal auf vertrauenswürdiger Berg- und Talstraße in Richtung rumänischer Grenze. Abschließend kann ich über die Ukraine nur staunen. Man bekommt hier ein Leben zwischen Vergangenheit und Zukunft mit. Das Land besteht fast nur aus Kirchen – und das in einem 40 Jahre von Kommunisten beherrschten Land. Auf meinen Streifzügen durch verschiedene Städte wurde ich immer von singenden Chören begleitet, deren Stimmen bis auf die Strasse zu hören waren. Das Land hat mit die schönsten Städte des Kontinents, die von großen Zerstörungen in den Weltkriegen weitgehend verschont wurden und mit ihrer Liebe zu Ostereiern wohl auch das einzige Ostereiermuseum auf Erden. Das Essen ist lecker, vielleicht nichts für große Gourmets, aber sogar als Vegetarier würde man hier nicht verhungern. Die angenehm zurückhaltende Art dieses Völkchen trägt mit dazu bei, dass man sich hier vom Alltag erholen kann. 

Und an der Grenze gab es keinen Stress. Stempel rein, Pass zu – rüber zu den Rumänen – Pass angucken und in 5 Minuten hatte ich die Grenze passiert, sowie 505 Radelkilometer im größten Land Europas hinter mich gebracht. Das nahezu grenzenlose Europa ist mittlerweile nun auch im tiefen Osten des Kontinents angekommen. Willkommen geheißen wurde ich in Rumänien in jeder Stadt mit Europafahnen an jeder Straßenlaterne. Ganz große Fans des transatlantischen Bündnisses hissten am Ortseingang sogar die NATO-Fahne. In der EU angekommen konnte ich endlich auf einer makellosen Platanen-Allee gen Süden meinem Etappenziel Suceava in der südlichen Bukovina entgegenrollen.

Bukovina heißt soviel wie Buchenland und gehörte auch früher zum Reich der Habsburger. Vorher und nachher gehörte der Süden zu Rumänien, während die Sowjets sich 1940 den Norden um Czernowitz unter den Nagel rissen und dieser nun zur Ukraine zählt. Weltberühmt ist die südliche Bukovina für ihre Kloester, die eher Burgen ähneln, die die damaligen Nonnen und Mönche vor den Türken schützen sollte. Da im 16. Jhdt. einerseits die Bibel nur in lateinischer Sprache erhältlich war und andererseits sowieso die meisten Bewohner Analphabeten waren, wurden die Kloester innen und außen mit Fresken im byzantinischem Stil als eine Art Bibel-Comic verziert. Auf wundersame Weise sind bis heute noch viele Fresken auf den Außenseiten sehr gut erhalten. Die Kloester sehen aus, als wären sie mit riesigen Tatoos verziert worden. In der Zeit der Habsburger durften die Nonnen und Mönche die Kloester nicht mehr nutzen, da sie orthodox und nicht katholisch waren. Die Kommunisten ließen dieses Verbot bestehen, so dass erst wieder seit 1990 die Kloester von Ordensleuten genutzt werden. 

Auf der Fahrt durch das EU-Rumänien des Jahres 2007 kam ich mir vor, wie bei uns vielleicht vor 50 Jahren. Die Nebenstrassen wurden durchweg eigentlich hauptsächlich von Kutschen und Fuhrwerken genutzt. In jedem Dorf gab es einen Zieh- oder Kurbelbrunnen. Lediglich die Verordnung, dass die hölzernen Wägelchen ein Kennzeichen brauchten und die Kutscher eine fluoreszierende Weste, erinnerten mich wieder an die Gegenwart. Allerdings war es bei den Nummernschildern wohl egal, was darauf stand, denn viele waren alte bundesdeutsche Überführungskennzeichen, ungarische Schilder oder selbst gemalte Bleche mit dem Namen des Dorfes und einer Nummer drauf. Das Radeln auf diesen Nebenstrassen war immer sehr beschaulich und sehr erholsam. Allerdings sind rumänische Nebenstrassen manches Mal überhaupt nicht asphaltiert und das Radeln auf einer Staubstrasse ist dann allerdings gar nicht mehr so beschaulich. Da macht das Entlangrollen auf den Fernstrassen des Landes wieder mehr Spaß, vor allem weil es einen äußerst breiten Seitenstreifen gibt – hauptsächlich für die Gespanne der Vierbeiner gedacht. 

Überraschten mich die ukrainischen Städte positiv, taten dies die rumänischen eher im umgekehrten Sinne. Gut, ich war von früheren Reisen durch dieses wirklich schöne Land von Perlen wie Brasov und Sighisoara auch verwöhnt, aber Suceava und später Iasi sind halt hauptsächlich im pragmatisch-nüchternen Nachkriegsbauwahn (wieder)errichtet worden. Die Betonblocks sehen einfach potthässlich aus und die wenigen schönen Kirchen und Gebäude können dies nicht ausgleichen. Allerdings entschädigen die vielen Parks wenigstens etwas für die architektonischen Gräueltaten der Ceaucescu-Ära. 

Allerdings befindet sich Rumänen in der Frühstückkultur-Evolution schon auf einer höheren Entwicklungsstufe als die Ukraine. Ich bekam morgens wenigstens schon einmal im Straßenverkauf Backwaren und Croissants. Gut Kaffee dazu zu fordern, war natürlich überzogen, denn es würde sich dann ja schon die dritte Stufe handeln. Daher aß ich die Teilchen anschließend im Park ehe ich im Hotel am Automaten mir einen Dalmayr-Kaffee hinterzog. Dass ich eine rumänische Großstadt erreiche, merkte ich immer an den Hinweisen für die großen Supermärkte wie METRO, die langsam auch hier die Tante Emma Läden verdrängen. Die Speisekarte wird dafür immer mehr von Pasta und Pizza dominiert. Ob dies daran liegt, dass halb Rumänien bei den Italienern schafft, weiß ich nicht. Denn 99 Prozent der ausländischen Autos stammten in Rumänien aus dem Land des amtierenden Weltmeisters. 

Die Aufnahme in die EU hat wohl in Rumänien zu einem rapiden Preisanstieg geführt, denn im Vergleich zu meinem letzten Besuch vor vier Jahren, ist dies gar nicht mehr das preisgünstiges Paradies. Die Löhne sind allerdings in diesem Zeitraum sicherlich nicht so explodiert. Da frage ich mich, wie die Einheimischen überhaupt noch überleben können. Zum Vergleich: Ein Lehrer bekommt ca. 80 Euro im Monat – eine 1-Zimmer-Wohnung kostet 105 Euro monatlich, wie mir die Hostel-Besitzerin Monika erklärte. Klar, dass sie lieber mit ihren Englisch-Kenntnissen ein Hostel führt, als ihr Wissen den Kids zu vermitteln. Nur wie das alles auf Dauer funktionieren soll, würde ich gerne mal wissen…

Die bisher längste Etappe der Tour stand mir in Iasi bevor. Eigentlich wollte ich früh losfahren, aber die freundlichen Hotelbesitzer, die einigermaßen Englisch sprachen, fragten mich woher ich kam. „Mainz, near Frankfurt“. „Yeah we know Mainz – football!“ Hm, eigentlich wollte ich auf dieser Tour auch ein wenig den Abstieg verkraften, aber jetzt erzählten mir die Jungs, die übrigens Bayern-Fans sind, dass Mainz ja eigentlich oft gut gespielt hat, aber am Ende doch abgestiegen ist… Dafür ist ihr zweiter Lieblingsclub Dinamo Bukarest Meister geworden. Glückwunsch Dinamo – aber kann ich jetzt bitte meine „Trauer“ verarbeiten und losfahren? „We must drink Palinca!“ Dieses 60-prozentige Zeug auf die Meisterschaft von Dynamo zu trinken, vor einer langen Radtour, ist sicherlich die suboptimale Vorbereitung überhaupt. Aber was soll den freundlichen Fußballfans denn antworten? Runter mit dem Zeug und zum Ausgleich machten sie mir noch einen Rosts-Beef-Sandwich. Auf dem Zimmer leerte ich noch schnell eine Liter Flasche Mineralwasser und los ging’s. 

Rumänische Strassen haben immer eins gemeinsam. Sie zeigen Konstanz. Sind sie erstmal einmal schlecht, dann bleiben sie es auch die nächsten vielen Kilometer. Umgekehrt gilt zwar dasselbe, doch das ist mir natürlich dann egal, wenn ich auf einem aus kleinen Steinchen zusammengehaltenen Asphalt unterwegs bin und mir die Steinchen bei jedem Gegenverkehr bis ins Gesicht fliegen. Wenigstens war die Landschaft wieder sehr beeindruckend. Ich kam mir eher wie im wilden Westen als wie in Europa vor. Überall weideten Pferde und Kühe auf der kargen hochebenenartigen Landschaft auf nahezu Meeresspiegel gelegen. Die Sonne brannte vom Himmel und weichte den Teer auf, so dass dieser an den Reifen zu kleben schien und ich immer schwerer vom Fleck kam. Eigentlich hatte ich vor, nach ca. 70 Kilometer am Grenzposten zur Republik Moldau, eine ausgiebige Essenspause zu machen. Aber es gab nur eine Tankstelle mit Sandwichs. Ich hoffte mit diesem Weisbrotgedöns die notwendigen Kalorien wieder zu bekommen und fuhr zur Grenze. Nach 300 rumänischen Radel-Kilometern war dann Schluss mit diesem trotz der hässlichen Städte sehr schönen Land. Als Eu-Bürger ging es bei den Rumänen wieder in Windeseile durch die Kontrolle und ich fuhr über den Grenzfluss Prut, dessen Quelle ich eine Woche zuvor, bei der Besteigung des höchsten Bergs der Ukraine. Bei einem Vorkontrollposten stoppte ich und wurde sehr höflich begrüßt. Mittels Funkgerät wurde ich bei den Grenzbeamten angemeldet. Ich verstand nur das Wort „Tourist“. 

Als ich die Autoschlange vor dem Kontrollposten sah, machte ich mich auf eine lange Warterei gefasst, doch die Schirmmützen winkten mich gleich nach vorne, nahmen den Pass mit ins Häuschen, stempelten diesen sofort und schon war ich offiziell in die Republik Moldau eingereist. Bis zum 31. Dezember 2006 hätte ich für dieses Land noch ein Visum beantragen müssen. Jetzt hätte ich mit allem gerechnet aber nicht so dermaßen zuvorkommend und nett behandelt zu werden. Die gesamte Autoschlange bestand aus den neuesten Karossen aus München und Stuttgart mit den entsprechenden gestylten Damen und den mit dickem Bauch und Portemonnaie ausgestatteten Herren drinnen. Hm, ich reiste gerade in das dem Pro-Kopf-Einkommen nach ärmste Land Europas ein und ich traf nur auf Jet-Set-Genossen, aus dem wahrscheinlich einzigen demokratischen und gleichzeitig von Kommunisten regierten Lands Europas. Aber wenn der Präsident Voronin heißt, dann wird ein Land einem als 05-Fan natürlich gleich sehr sympathisch!

Osteuropa 2007 2. Teil

Dobre Den,

auch der schönste Aufenthalt muss einmal zu Ende gehen und so kehrte ich L’viv mit meinem Drahtesel den Rücken, um auf Entdeckungstour in der Ukraine genauer gesagt in Galizien zu gehen. Denn dieses riesige Land ist aus vielen verschiedenen Regionen zusammengesetzt und diese haben oftmals soviel gemein wie Bayern und Ostfriesland. Galizien ist eine Region, die mittlerweile zwischen Polen und der Ukraine geteilt ist. Diese Region war bis auf ein Jahr nach dem ersten Weltkrieg nie unabhängig. Seine Blüte hatte Galizien, als es zum Habsburger Reich der Österreicher gehörte, also bis zum 1. Weltkrieg. Aus dieser Zeit ist auch der Grossteil der Bausubstanz in L’viv noch zu bestaunen – und der Palatschinken, die Sachertorte und der Kaffee schmecken auch noch im 21. Jahrhundert extrem gut. Aber wie gesagt, irgendwann musste mal Schluss sein mit dem Genießen, der Völlerei und ich wollte nun endlich das Land mit dem Rad entdecken.

Ein letztes Mal quälte ich mich den Kessel von L’viv auf dem unebenen Kopfsteinpflaster empor und war verwundert, dass ich gleich auf die richtige Ausfallstrasse gelangt war. Mittlerweile bin ich des kyrillisch Lesens einigermaßen mächtig und die Beschilderung außerhalb von L’viv ist auch tatsächlich äußerst akkurat. Das ist eine interessante Begebenheit in diesem Land, denn es pendelt permanent zwischen 1. und 3. Welt hin und her: 

Die Strassen ändern ihr Gesicht etwa sooft wie dies eines Mainz 05 Fans während einem Spiel. Mal ist alles perfekt und ein paar Minuten später befindet man sich wieder in der totalen Depression. Die Straßen sind oft ein Flickenteppich sondergleichen, der eher an eine mit Aufnähern überzogene Fan-Kutte erinnert, als an ein Transportweg, der die Beförderung von Waren und Personen einwandfrei garantieren soll. Manche Hinweise muss man auch erst mal richtig interpretieren, wie bspw. Zweige, die aus einer riesigen Pfütze rausragen. Dies bedeutet: Achtung hier fehlt der Kanaldeckel… Zum Glück hatte ich diese bizarren Warnhinweise bereits einmal im trockenen Straßenzustand vorher gesehen. Meine liebste Freundin auf der Strasse war die Spurrille. Dies befindet sich meist ca. 30 Zentimeter vom Randstreifen Richtung Fahrbahnmitte und ragt in gewellter Form bis zu 20 Zentimeter in die Höhe. Auf diesem Abschnitt kann ich dann relativ beruhigt Rad fahren, da diese Rillen von den Autofahrern immer gemieden werden. Rechts des Randstreifen franst die Strasse wie ein von Mäusen angeknabberter Keks aus, so dass ich dort unmöglich fahren kann. Manchmal weiche ich allerdings auf den Schotter noch etwas weiter rechts aus, weil der Teerzustand am Straßenrand noch schlechter für das Weiterrollen wäre als der unbefestigte Untergrund. Von daher träume ich meist von den herrlichen Straßenzuständen in Südostasien. 

Ich glaube, dass die sog. 2. Welt sich tatsächlich dadurch zeigt, dass sie viele Teile der ersten bereits adaptiert hat, aber oftmals dies mit Dingen oder Gewohnheiten der sog. 3. Welt kombiniert wird: Der Geldwechsel, früher in Osteuropa durch Zwangsumtausch ein Horror, geschieht hier ganz einfach an Geldautomaten, die es etwa so häufig hier gibt, wie bei uns Zigarettenautomaten. Auf die Cash-Maschinen wird sogar auf Verkehrsschildern (Bankomat aber in Kyrillisch) hingewiesen. Außerdem gibt es überall Geldwechselstellen, so dass die monetäre Versorgung mit der lokalen Währung Hryvnia tatsächlich theoretisch prima ist. Aber viele Geldautomaten sind kaputt, einige akzeptieren die Karte einfach nicht und manche haben nicht genug Geld im Automat… 

Oder das Geschäftemachen. Es gibt den besten Lavazza-Kaffee, die leckersten Torten etc. aber nicht zum Frühstück außerhalb des Hotels, denn morgens ist die Ukraine noch am schlafen. Die Cafes machen erst um 10.00 Uhr auf. Eine Frühstückskultur existiert nicht. Das macht den Start in den Tag in diesem Land zum Horror, wenn ich mir Brot, Käse und Wasser vom Vortag als Frühstück im Zimmer hineinziehen muss, um genügend Kalorien fürs Radeln zu sammeln, da mein Hotel keine Lust hat Frühstück anzubieten. Das Wort „Service“ ist hier eine chamäleonartige Definition: Manches Personal lebt noch zu Zeiten von Hammer und Sichel und ist Meister im Übersehen, Dösen und Nichtbeachten. Aber viele Ukrainer sind sehr um mein Wohlbefinden bemüht. Das ging bei Vitaly, Bed and Breakfast Besitzer, Fremdenführer und fließend Deutsch sprechender Kosmopolit soweit, dass er mir einen riesigen Rabatt aufs Übernachten gab, da er es einfach schön fand, dass ich sein Land erradele. 

Das Übernachten in den gewöhnlichen Hotels ist wieder eine andere Geschichte. Hostels gibt es nur in ein paar Städten und Hotels sind nur ab ca. 30 Euro die Nacht zu ergattern. Den Hotel-Standard gerade mit Südostasien zu vergleichen, wäre der reinste Horror. Die Aufgänge und Bauten protzen nur so von Grandeur, aber die Zimmer sind mit Rausch-TV und oft ohne WC ausgestattet. Aber alles ist wenigstens sauber und darauf kommt es mir ja am meisten an. Oftmals habe ich den Eindruck, dass es an einem Ort immer noch nur ein Hotel gibt, das dann etwa soviel Gäste empfangen kann, wie unser Bruchwegstadion. Der Typ Homo Sapiens Turisticus wurde wohl in der Sowjetunion ebenfalls zwangskollektiviert – alle Touris in die eine Bettenburg alias Hotel-Kolchose. Und dann gibt es dort noch die besondere Jobbeschaffung. Eingecheckt wird an der Rezeption. Dort erhalte ich dann einen Zettel mit dem Stockwerk drauf. Die nicht gerade vertrauenserweckenden Aufzüge lasse ich links liegen und hechele mit dem Gepäck die pompösen Treppen hinauf. In meinem Stockwerk angekommen sitzt dann im günstigsten Fall eine Babuschka und händigt mir gegen Vorlage des Zettels den Schlüssel aus. Willkommen in der Sowjet-Bürokratie!!!

Das Internet ist auch so eine Sache. Mal DSL, mal Modem aus der Generation 0.0 analog, so dass das Schreiben hier auch manches Mal zum Abenteuer wird, da die Computer kurz vor dem Abstürzen sind – aber Flachbildschirm und Funkmaus, das muss schon sein. Tja und eben gerade ist die Internetverbindung total unterbrochen und alles bisher geschriebenen mal wieder verschwunden. „This is Ukraine“ sagt mein Nachbar im Internetcafe und was soll ich da noch antworten…

Und dass es in diesem Land extrem Reiche gibt, die zum Teil mit der S-Klasse aus der Meisterstadt oder monströsen US-Hummer-Vehikeln durch die Gegend düsen und extrem Arme, die mit Kutschen über Land zuckeln, ist uns ja bereits zur Genüge bekannt. Man bedenke nur, dass wir uns in Deutschland über Schalke 04 (zu Recht) aufregen, da die jetzt das Geld von der russischen Gazprom in den Hintern geblasen bekommen – aber hier bekommt der Club Schachtjor (deutsch Kumpel) Donetsk einfach mal vom reichsten Mann der Ukraine ein Stadion für 200 Mio. US-Dollar hingestellt – um dem Rivalen Dynamo Kiew Paroli zu bieten. Ha, aber Schachtjor hat zum Glück gerade das Pokalfinale gegen Kiew verloren. Hihi diese Werksvereine kriegen es zum Glück auch hier nicht auf die Reihe, wie bei uns der VfL Golfsburg und die Pillendreher aus Leverkusen. 

Das Radeln über die Landstrasse von L’viv nach Ivano-Frankivsk war relativ anstrengend, da die Ukraine nicht flach sondern sehr hügelig ist. Damit war aber auch die Landschaft sehr schön anzusehen. Es ging an Wiesen und Wäldern, kleinen mäandernden Bächen und an Viechern aller Art entlang nach Süden. Irgendwann musste ich dann mal Mittagessen. In einem kleinen Ort kam ich in die Kneipe mit null Ukrainisch Kenntnissen. Aber irgendwie einigten die Bedienung und ich uns auf einen Eintopf. In meinem Reiseführer fand ich dann auch das Wort für Schweinefleisch, das ich in dem Eintopf wieder finden wollte. Es wurden mir noch ein paar kulinarische Vokabeln an den Kopf geworden und ich antwortete der Einfachheit halber mit „da da da“ heißt „ja, ja, ja“. Nach und nach kamen dann ein deftiger Eintopf, Schweinegeschnetzeltes und Kartoffelbrei auf den Tisch. Ich hatte einfach alles bestellt und platzte fast nachdem ich alles aufgegessen hatte. Sind die Hotelpreise gesalzen ist das Essen extrem günstig und somit war dieses „All U can order and eat“ auf ukrainisch finanziell verkraftbar. 

Unterwegs auf der Strasse läuft das Leben wie in Südostasien ab. Überall gibt es kleine Tante Emma Läden, die IMMER auf haben. Dort kann ich Kekse, leckere Schokolade, Säfte und Wasser kaufen. Die Ukraine hat eine unübersichtliche Auswahl an leckerem Sprudel. Das Brot ist entweder ein Laib Weizen oder Roggen und ähnlich gut wie in Deutschland tja und das Bier ist mit 0,30 Euro sehr kundenfreundlich preislich platziert. Überall ist dieser Stoff zu bekommen. Bspw. am Kiosk als Wegbier, was gerade die amerikanischen Peace Corps Volunteers, die hier überall 2 Jahre Sozialdienst leisten, in Verzückung versetzt, da es in den USA undenkbar wäre. Und es wird überall von allen konsumiert. Die ukrainische Fahne besteht aus den Farben Hellblau und Goldgelb die für das fruchtbare Getreide, das hier wächst und den blauen Himmel stehen sollen. Ich würde eher sagen sie stehen für Gerstensaft und den Gemütszustand mancher ukrainischen Bewohner. Die oft nassen Boeden der Kneipen sind auch weniger einer übereifrigen Reinemachefrau zu verdanken als vielmehr den Suffnasen, die permanent schwankend wankend ihr Wodkagläschen verschütten. Die Torkelnden finde ich nahezu ausschließlich in der Kneipe wo sie relativ friedlich ab und zu das Geschirr zerdeppern aber anscheinend werden sie in solchem Zustand nicht mehr auf die Strasse gelassen, denn dort ist mir noch niemand entgegen gefallen. Eigentlich gibt es dabei doch leckere Speisen, um eine Grundlage zu schaffen. Varenyky sind mein absoluter Energiespender. Dies sind so eine Art Maultaschen mit Hüttenkäse gefüllt und werden mit Sauerrahm serviert. Oder Reibekuchen mit Fleisch gefüllt und mit Sauerrahm serviert. Oder Banosch: Das ist so eine Art Polenta als kleine Pyramiden mit…Sauerrahm serviert oder Borscht. Das ist DIE Speise in der Ukraine. Nein, sagt man hier, Borscht ist ukrainisch, nicht polnisch, nicht russisch! Diese Rote-Beete-Suppe wird mit was serviert? Logisch mit Sauerrahm und ist sehr sehr lecker. Es gibt wohl über 300 Rezepte die Suppe zusammenzustellen aber immer mit… Und für Karnivoren gibt es leckere, zarte Hähnchenbrust sowie Schaschlik mit was serviert? Ihr könnt es Euch ja denken…

Auf der Fahrt nach Ivano-Frankivsk bin ich dann auch der globalisierten Krönung begegnet. Denn in einem Kiosk wurde ich von den Damen gleich mal auf einen Kaffee eingeladen. Dieser stammt von Jacobs. Das Produkt heißt hier allerdings Monarch und die Leute kippen das Pulver direkt ins Glas hinein. Das Resultat schmeckt dann wie ein türkischer Mokka und weder diesen noch die Krönung hätte ich irgendwie in der ukrainischen Pampa erwartet. Nachdem ich bereits über acht Stunden am Radeln war, zog dann das mittlerweile täglich einsetzende Gewitter auf und ich bin der Sowjetzeit mal wieder dankbar gewesen. Alle paar Kilometer existieren Bushaltestellen mit einem schönen Dach zum Unterstellen. So wartete ich den Platzregen mit ein paar radelenden Zeitgenossen in der Haltestelle in trockenem Zustand ab, während die Jungs aus ihrem Handy „Offspring“ dudeln ließen, was natürlich exakt meinem Musikgeschmack entsprach. 

Zweiradfahrer sind mit seit dieser Begegnung eigentlich kaum noch aufgefallen. Es gibt hier keine Mofas und eigentlich auch keine Proleten die wie bei uns auf den Käffern damit herumgurken. Überhaupt habe ich hier noch keine ätzenden Typen ausmachen können. Die meisten Menschen beachten mich nicht weiter. Manche Bierrunde am Straßenrand grölt irgendetwas mir hinterher, was sich aber nicht aggressiv anhört. Manche zücken ihr Photohandy und machen ein paar Schnappschüsse aber sonst radele ich meist ungestört über das Land. 

Nach 140 Kilometern erreichte ich Ivano-Frankivsk und ich fragte mich, wie man seine Stadt einfach mal so nach einem der zwei Volkshelden der Ukraine benennen kann. Ivano Franko schrieb in seinen Büchern bis zu seinem Tod 1916 über die Missstände in der Ukraine und landete dadurch zeitweise im Knast. Um die Ukrainer zu besänftigen, die seit dem Ende des 2. Weltkriegs in der Sowjetzeit für eine unabhängige Ukraine zu kämpfen, schleimten die Sowjets sich 1962 ein und benannten Stanislaviv einfach um. Es ist wohl die einzige Stadt in der ehemaligen Sowjetunion, deren Umbenennung auch heute noch besteht. Wenn unser Mohamed Zidan in der Winterpause dann von Hamburg wieder zu uns wechselt, weil er den Hub Stevens nicht so wie den Kloppo herzen darf, könnten wir uns das ja auch mal überlegen. Dann müssten wenigstens bei uns die Nummernschilder nicht ausgetauscht werden. 

Die Stadt hat mich in ihrem Aussehen wie L’viv überrascht, denn das Zentrum war ebenfalls mit seinen Häusern aus der Habsburgerzeit sehr attraktiv. Nur der gigantische Flachbildschirm auf dem Marktplatz auf dem Freddie Mercury „The show must go on!“ sang, dieser passte in dieses österreichische Flair nicht ganz so hinein. Nach einer kurzen Stadtbesichtigung fuhr ich weiter nach Süden in das Karpaten-Gebirge hinein. Immer öfter begegnete ich Pferdefuhrwerken und die Kühe erinnerten mich an ihre Artgenossen in Indien. Schließlich blockierten sie seelenruhig die Strassen und grasten überall herum: im Vorgarten, im Wald, am Fahrbahnrand. Werden in anderen Ländern Hunde Gassi geführt, übernimmt hier die Kuh dieses Ritual. Die Alten nehmen den Vierbeiner oft an die Leine und wandern mit ihm durch Pampa. Hunde streunen hingegen im gepflegten Zustand immer quer durch die übrigens sehr sauberen Innenstädte. 

Im Gewitterregen erreichte ich dann mein nächstes Etappenziel – einen Wintersportort mit Skisprungschanze. Dass man hier im Winter Ski fahren kann, war mir vor dieser Reise auch nicht bewusst, aber als ich am nächsten Tag bei der Besteigung des höchsten Berg der Ukraine Schneewechten sah, war ich doch davon überzeugt, dass dies wohl möglich ist. Zum Ausgangspunkt meiner Wanderung musste ich ein Taxi nehmen. Anders als in allen anderen Ländern dieser Welt, musste ich auf ein Taxi warten. Taxifahrer haben hier den angenehmen Verhaltenskodex Touris nicht permanent anzulabern, ob sie denn nicht ein Taxi bräuchten. Nachdem ich eine halbe Stunde im Dorf gewartet hatte, sprang ich in die Strasse und hielt den alten klapperigen Golf an. Der Fahrpreis war fair und fest – allerdings nicht das Boxenkabel. Dieses musste erst vor der Fahrt noch mal richtig mit den Lautsprechern verbunden werden, so dass mir beim Start fast die Ohren mit „Evanescence“ davonflogen. Danach gab es auf der halbstündigen Fahrt ukrainischen Rap zu hören. Heruntergelassene Bahnschranken sind hier nur zum Slalom üben im Sommer da und ruckzuck war ich am Fuße der Hoverla angelangt. 

Mit zwei Ukrainern die ich auf der Strecke traf, liefen wir die knapp 1.000 Höhenmeter diesen Hügel hoch, der aber doch immerhin 2.060 Meter über dem Meer trohnt. Gesehen haben wir anfangs nichts, da wir total in den Wolken und im Platzregen marschierten. Irgendwann hatte Petrus ein Einsehen und es bot sich dann doch noch ein schöner Blick auf die Hügelkette der ukrainischen Karpaten. Beim Abstieg musste ich unwillkürlich an Malaysia denken, denn der Weg verlief sich wieder im Unterholz. Meine ukrainischen Gefährten wollten querfeldein gehen, doch ich ging mit ihnen wieder hinauf und fand schließlich den eigentlich gut markierten Weg wieder. Hier wäre es mir eindeutig zu ungemütlich gewesen, mal wieder zwei Nächte unfreiwillig am Bergbach zu nächtigen. Die Jungs revanchierten sich mit der Mitnahme in ihrer Skoda-Limousine zurück ins Kaff und ersparten mir 20 Kilometer Rückmarsch. 

Am folgenden Tag rollte ich dann über zwei Pässe durch die Berge weiter nach Osten. Dieses Gebiet wird auch als Wald-Karpaten bezeichnet und stellt einerseits den Mittelpunkt Europas dar und andererseits eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete des Kontinents. Mich erinnerte das Ganze vor allem an das Münstertal im Schwarzwald. Allerdings rennen da die Mädels sicherlich nicht in so aufreizenden Klamotten durch die Gegend. In jedem Dorf waren die Kinder und Jugendlichen in trachtenähnlichen Uniformen an diesem Tag gekleidet. Allerdings gehen Röcke bei Trachten und Schuluniformen normalerweise doch deutlich über das Knie hinaus. Ich kam mir vor, als ob ich 110 Kilometer lang durch ein frühes Brittney Spears Video gefahren wäre mit diesen etwas zu beinbetonten Miniröckchen. Später erfuhr ich, dass der 31. Mai der letzte Schultag im Schuljahr ist und daher die Kids so rausgeputzt waren. Hm andere Länder andere Sitten…

Die Strassen in den Karpaten sind sicherlich mit die schlechtesten auf unserem Kontinent. Zum Teil fehlt auch mal die Hälfte der Strasse oder sie ist mit Kies bedeckt. Beim Ruckeln auf den letzten drei bis vierhundert Kilometern muss dann eine Schraube sich gelockert haben. Auf jeden Fall gab es plötzlich einen Knall und ich merkte, dass etwas in die Hinterradspeichen kam und das Rad blockierte. Irgendwie konnte ich den Drahtesel noch lenken und stoppen. Dann merkte ich dass die eine Hinterradtasche abgeflogen ist. Aber ich hatte dieses Mal wirklich riesiges Glück: Die betroffene Speiche war nur etwa lädiert. Ich zog sie fest und damit war dieser Radteil wieder repariert. Um die Schraube zu ersetzen, nahm ich eine halbwegs überflüssig vom Hinterradreflektor, da meine Taschen auch Reflektoren hatten und so war die Tasche in fünf Minuten wieder auf dem ebenfalls verbeulten Gepäckträger wieder angebracht und ich konnte weiterrollen.

Mittlerweile bin ich in Czernowitz (Cernivci) am Ostrand der Karpaten eingetroffen. Dies ist das Tor zu einer neuen Region Europas: der Bukovina.