Same same but different

Mainz 05 wird zumTestspiel gegen Newcastle United antreten.

Eigentlich wurde zum Testspielgegner von Mainz 05 und dessen Eigentümer, dem Staatsfonds von Saudi-Arabien, bereits alles gesagt. Manche inklusive Trainer Bo Svensson finden es gut, sich mit dem Verein aus der Premier League sportlich zu messen. Viele Facebook-Kommentierende, die Supporters Mainz sowie die Kommentare einiger Journalist*innen (und hier) stellen die Auswahl des Gegners in Frage. Im Leitbild von Mainz 05 heißt es: „Wir stehen für Offenheit, Respekt und Mitmenschlichkeit…Wir heißen alle Menschen, die diese Werte teilen, willkommen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, körperlicher und geistiger Verfassung, Religion, sozialer Stellung oder sexueller Identität“. Viele dieser Werte werden in vielen Teilen der Welt nicht gelebt (auch teilweise nicht in Deutschland). Wir bekommen es in anderen Weltregionen allerdings meist nicht mit, da in den Medien immer dieselben zwanzig, dreißig Länder präsent sind, die Einfluss auf uns und unser Land haben. Saudi-Arabien gehört aufgrund seiner Bodenschätze und aufgrund seiner Affinität zum Fußball allerdings dazu.

Aber dann bin ich auf dieses Zitat gestoßen: „Die arabischen Staaten sind doch alle gleich, was diese Werte angeht.“ Es stammt aus einer Antwort auf einen Facebook-Post von Mainz 05, in dem der Verein den Testspielgegner Newcastle United in der Sommerpause verkündet und zielt neben Saudi-Arabien auf Katar. Letzteres richtet im Spätherbst die Männer-Fußball-Weltmeisterschaft aus. Dabei handelt es sich um Länder, deren Regierung und teilweise auch deren Gesellschaft ein anderes Werteverständnis haben, als viele Menschen in Deutschland.

Natürlich kann man es sich einfach machen und alle Länder und deren Gesellschaften, die unsere Werte nicht teilen, moralisch boykottieren. In der Praxis klappt das ohnehin nicht, wenn wir tanken möchten und Öl aus Saudi-Arabien in unser Auto fließt oder demnächst Gas aus Katar unsere Wohnung mit Wärme versorgt. Man kann es sich sogar noch einfacher machen und sich sagen, so ist der Profi-Fußball halt heute. Das ist die klassische Schwarz-Weiß-Denke, die halt immer einfacher ist, als sich mit Themen gezielt auseinanderzusetzen. Grautöne sind mühsam, erfordern Zeit, sich diese zu erarbeiten und in der Schnelllebigkeit des Internets ist Zeit für viele ein zu kostbares Gut.

Aber vielleicht nimmt man sich doch ein paar Minuten Zeit und beschäftigt sich zumindest ein bisschen mehr mit diesen beiden Ländern, die aktuell die Gemüter erhitzen. Und vielleicht schätzt man am Ende die Meinung von Expert*innen mehr als das eigene Bauchgefühl oder die verzerrte Darstellung durch verschiedene Interessengruppen.

Den rein subjektiv besten Eindruck erhält man natürlich, wenn man mal selbst in den genannten Ländern vorbeischaut oder mit ihnen direkt in Berührung kommt. Im Falle von Saudi-Arabien ist mir das zweimal passiert. Einmal ging es darum, 1995 auf dem Landweg von Mainz nach Kapstadt gegebenenfalls über das Land zu reisen und einmal landete ich auf dem Rückflug aus Eritrea in Saudi-Arabien zwischen. Mein erster Versuch in der saudischen Botschaft in Amman (Jordanien) scheiterte, da damals Saudi-Arabien nur Geschäftsreisende und muslimische Pilgerreisende ins Land ließ. Mit Touristen und Fußballvereinen im Ausland wollte man damals noch nichts zu tun haben (anders als 2022). Zwei Jahre später beim Zwischenstopp mussten alle alkoholischen Getränke an Bord des Flugzeugs weggesperrt werden, ehe zur Landung angesetzt wurde. Das Flugzeug durfte ich damals nicht verlassen und konnte so nur einen kurzen Blick aus dem Flugzeugfenster auf den Flughafen Jeddah werfen. Nach dem Start in Richtung Frankfurt erhoben sich fast alle zugestiegenen Fluggästinnen und begaben sich auf die Toilette. Wenige Minuten später kamen sie unverschleiert wieder aus dem WC in Jeans heraus. Es war eine sehr bizarre Erfahrung.

2016 auf dem Weg nach Baku zum Europa League Spiel von Mainz 05 blieb ich einen Tag lang in Katar. Das Land hat sich damals bereits für Touristen geöffnet, das Einreisevisum gab es am Flughafen und Kleidungsvorschriften für Frauen gab es damals nicht. Zum selben Zeitpunkt wäre es immer noch unmöglich gewesen, nach Saudi-Arabien als Tourist*in einzureisen.

Gefühlt war man damals also in dem einen Land Willkommen, im anderen nicht. Aber um den subjektiven Eindruck, das oben angesprochene Bauchgefühl und um mich persönlich geht es schon gar nicht. Trotzdem blicke ich gerne auf bereits (fast) bereiste Länder zurück und verfolge aufmerksam ihre Entwicklung. Um beide Länder gut zu vergleichen eignet sich daher als erstes ein Blick auf die Seite des Auswärtigen Amts. Dieses teilt seine Einschätzung unter Anbetracht der in Deutschland vorhandenen Werte für jedes Land der Welt mit, damit man sich objektiv ein Bild aus der Sicht eines Reisenden machen kann. Da geht es bei Saudi-Arabien und Katar zunächst um den Punkt „Reiseinfos“:

Frauen

Saudi-Arabien: „Obwohl das Tragen einer Abbaya (schwarzer Ganzkörperumhang) für Frauen keine Pflicht mehr sein soll, sollten die in Saudi-Arabien vorherrschenden gesellschaftlichen Regeln beachtet werden. Unverheirateten Frauen wird angesichts möglicher rechtlicher Konsequenzen dringend von einer Entbindung in Saudi-Arabien abgeraten. Die unerwünschte Kontaktaufnahme ausländischer Männer zu nicht verwandten saudischen Frauen kann zu einer Anzeige wegen sexueller Belästigung führen. Körperlicher Kontakt muss für dieses Vergehen nicht vorliegen, es reicht zum Teil, dass sich eine Frau sexuell belästigt fühlt.“

Katar: „Frauen unterliegen keinen besonderen Beschränkungen oder Verboten.“

Christen

Saudi-Arabien: „Vermeiden Sie die Verteilung christlich-religiöser Symbole.“
Katar: Keine Hinweise

LGBTIQ

Saudi-Arabien: „Homosexuelle Handlungen sind in Saudi-Arabien strafverfolgt und auch gesellschaftlich nicht akzeptiert. Prostitution, homosexuelle Handlungen und außerehelicher Geschlechtsverkehr werden in Saudi-Arabien nach Ermessen des Richters mit Freiheitsentzug und/oder Stockschlägen bestraft, ggf. kann auch die Todesstrafe verhängt werden.“

Katar: „Das Strafrecht in Katar ist geprägt durch islamische Moralvorstellungen. Es sollte Reisenden bewusst sein, dass homosexuelle Handlungen und nichtehelicher Geschlechtsverkehr verboten sind und strafrechtlich geahndet werden. Es sind bisher keine Fälle von Verhaftungen von LGBTIQ-Personen bekanntgeworden, eine „aktive“ Verfolgung findet nicht statt.“

Rechtliche Besonderheiten

Saudi-Arabien: „Das kaum kodifizierte saudi-arabische Strafrecht beruht auf der islamischen Scharia hiesiger Auslegung mit den bekannten, ggf. bis hin zu Prügel- und sonstigen Körperstrafen und Amputationen reichenden Strafsanktionen.“

Katar: „Die Gebräuche und Gesetze von Katar sind stark durch den Islam und dessen Glaubensinhalte und Wertvorstellungen geprägt.“

Pressefreiheit

Geht es um weitere Werte ist, man auf die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) angewiesen. Möchte man die Situation von Medienschaffenden und die Pressefreiheit betrachten, sind „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) ein guter Anlaufpunkt. Die weltweite Rangliste 2022 wird von Norwegen (Kategorie „Gut“) angeführt und auf dem letzten, dem 180. Platz liegt Nord-Korea. Saudi Arabien liegt auf Platz 166 und hat vier Plätze im Vergleich zu 2021 gut gemacht. Dennoch fällt es gemäß RSF in die Kategorie „Sehr ernst“. Katar liegt auf Platz 119 und hat im Vergleich zu 2021 9 Plätze gut gemacht. Das Land fällt laut RSF in die Kategorie „Schwierig“. Deutschland liegt auf Platz 13 und fällt in die Kategorie „Zufriedenstellend“. Zwischen „Zufriedenstellend“ und „Schwierig“ liegt nur eine Kategorie „Erkennbare Probleme“.

Menschenrechte

Wenn es um Werte geht, darf das Thema „Menschenrechte“ natürlich nicht fehlen. Eine gute Anlaufstelle ist Amnesty International (AI), die auch über erreichte Verbesserungen in den Ländern berichtet:

„Vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 versprach Katar weitere Reformen seiner Arbeitsgesetze. Außerdem gab der Weltfußballverband FIFA seine Pläne auf, die Anzahl der Teams bei der WM 2022 in Katar auf 48 zu erhöhen. Die FIFA war zuvor wegen menschenrechtlicher Bedenken unter Druck geraten. Eine derartige Vergrößerung wäre nur möglich gewesen, wenn sich weitere Länder in der Region als Gastland zur Verfügung gestellt hätten. Doch Amnesty machte gemeinsam mit anderen NGOs, Gewerkschaften, Fan- und Spielergruppen auf das Menschenrechtsrisiko aufmerksam, das so eine Erweiterung mit sich gebracht hätte – nicht zuletzt für die Wanderarbeiter, die beim Aufbau der nötigen Infrastruktur eingesetzt werden.“

„Um der Zusage nachzukommen, Arbeitsmigrant_innen vor Ausbeutung zu schützen, hat Katar dafür gesorgt, dass diese nicht länger eine Erlaubnis ihrer Arbeitgeber_innen benötigen, um den Arbeitsplatz zu wechseln. Zudem kündigte Katar die Einführung eines neuen, nicht diskriminierenden Mindestlohns an. Vor dem Hintergrund der im Jahr 2022 in Katar stattfindenden Fußballweltmeisterschaften setzt sich Amnesty International seit Jahren für die Rechte von Arbeitsmigrant_innen ein. Die angekündigten Reformen sind zu begrüßen, müssen aber schnell und vollständig umgesetzt werden.“

AI selbst hält von einem Boykott der WM nichts, sondern möchte die WM dazu nutzen, weiter auf die Situation der Arbeitsmigrant*innen vor Ort hinzuweisen.

Generell berichtet AI über die Menschenrechtslage in den einzelnen Ländern, so auch zum Thema Hinrichtungen. AI zu Katar: „Im Februar 2021 setzte der Emir die Hinrichtung eines tunesischen Mannes aus, der wegen Mordes zum Tode verurteilt worden war. Es gab im Jahr 2021 keine Berichte über Hinrichtungen.“ AI zu Saudi-Arabien: „Saudi-Arabien ließ im März 2022 an einem einzigen Tag 81 Menschen hinrichten.“

Geht es um politische Freiheit und Demokratie, empfiehlt sich ein Blick auf den „Annual Freedom in the World“ Bericht von Freedomhouse. Im aktuellen Bericht führen Norwegen, Schweden und Finnland die Liste an (40 Punkte für politische Freiheitsrechte, 60 Punkte für bürgerliche Freiheitsrechte). Saudi-Arabien konnte 7 Punkte erzielen (1 Punkt für politische Freiheitsrechte, 6 Punkte für bürgerliche Freiheitsrechte). Katar erhielt 25 Punkte (7 bzw. 18 Punkte). Beide Länder gelten in dem Report als „not free“. Im Vergleich kommt Deutschland auf 94 Punkte (39/55 Punkte) und gilt als „free“. Zwischen „not free“ und „free“ gibt es nur eine Kategorie „partly free“.

Anhand dieser Fakten kann sicher jede*r von uns seine eigene Meinung zu den beiden Ländern bilden, insbesondere zur Behauptung, dass die arabischen Staaten alle gleich sind, was diese Werte angehen, wie in dem Facebook-Post in den Raum geworfen wurde. Mit Hilfe dieser Rankings und Informationen lässt sich damit recht einfach die grundlegende Situation in einem Land betrachten. Damit kann sich im Jahr 2022 niemand herausreden, von einer Situation in einem Land nichts gewusst zu haben.

Und möchte man sich an einem Leitbild orientieren, das die Mitglieder*innen-Versammlung, also das höchste Gremium eines Vereins legitimiert hat, könnten diese Anlaufstellen sicherlich zur Entscheidungsfindung entscheidend beitragen, wenn man dieses Leitbild leben möchte.