Viva con Oberflächlichkeit?

Dieser Spätherbst war anders als die Spätherbste, an die wir uns alle mehr oder weniger gerne erinnern. Schließlich wurde der letzte Spieltag der Männer-Fußball-Bundesliga in diesem Kalenderjahr bereits rund um den Beginn der fünften Jahreszeit angesetzt. Es gab keine Pokalpleite in Kiel, keinen runden Geburtstag mit der U23 beim 1. FCM zu feiern, kein Last Christmas in Ho$$enheim und zum Glück auch kein standardisiertes Plastik-Banner, das die Mannschaft im Nieselregen nach dem letzten Heimspiel zur Kurve tragen musste, auf dem jedes Jahr sowieso ähnliche Dankesworte an die Fans gerichtet werden.

Nein, dieses Jahr war alles anders. Unser Trainer zum Beispiel nutzte die spielfreie Zeit für eine Reise und traf Schü in Kapstadt für ein Fotoshooting für Viva con Agua. Viva con was? werden sich sicherlich viele Nullfünfer*innen gefragt haben. Nun ist Bo in den sozialen Netzwerken so überhaupt nicht präsent, stand aber dankenswerterweise Pate für diese Social Media-Aktion. Daher findet man von ihm selbst dazu auch nichts im Netz. Um diese Aktion in die Nullfünf-Bubble zu spülen kam Mainz 05 ins Spiel und postete das Bild mit Bo. Dieser hält ein Pappschild hoch auf dem „Water is a human right“ steht. Doch was will uns das sagen? Dazu findet man bei Mainz 05 praktisch nichts.

Tweet von Mainz 05

Nun kann man als Verein eine Aktion des Privatmenschen Bo einfach gut finden. Man kann sie als Mainz 05 auf den Viva Con Agua-Social Media-Kanälen liken oder auch teilen. Aber was macht Mainz 05? Der Verein postet z.B. auf Twitter dieses Bild auf seinem eigenen Kanal. Auch ich war erstmal hocherfreut über diese Aktion, hatte mir aber erhofft, dass da noch etwas kommt, zum Beispiel auf der Webseite.

Aber Mainz 05 gibt keine weitere Erklärung ab. Diese hätte sicherlich selbst auf Twitter innerhalb der vorgegebene maximale Zeichenzahl gepasst – gegebenefalls halt als Thread. Auf änderen Kanälen ist die Zeichenzahl sogar weniger limitiert. Stattdessen steht dort überall, dass Bo die Projekte von Viva Con Agua unterstützt, das Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht.

Nicht jede*r weiß, um was für Organisation es sich bei Viva Con Agua handelt, und was diese Organisation mit dem Profifußball verbindet. Das ist einfach schade, denn die Geschichte von Viva con Agua zeigt, dass es sehr wohl Profifußballer gibt, die mehr können als kicken auf dem Platz, und dass Trainingslager, die nur mit dem Flugzeug zu erreichen sind, durchaus einen Sinn haben, neben dem sportlichen Finetuning bei angenehmen Temperaturen im deutschen Schmuddelwinter.

Je mehr man sich selbst mit Viva Con Agua beschäftigt, desto mehr muss man vielleicht auch das eigene Handeln in Frage stellen. Schließlich versucht Viva Con Agua mit Wasser Spenden zu generieren, damit Menschen Zugang zu Trinkwasser erhalten.

Doch wie fing das alles an? 2005 flog der FC St. Pauli zu einem Trainingslager nach Kuba, in ein Land, in dem es alles andere als selbstverständlich ist, Trinkwasser aus dem Hahn zu bekommen. Den Spieler Benjamin Adrion tangierten die Zustände auf Kuba so sehr, dass er sich dazu entschloss, eine Organisation zu gründen, die Menschen Zugang zu sauberem Wasser ermöglicht – Viva con Agua war geboren.

Viva con Agua wird ganz offiziell vom FC St. Pauli unterstützt. Die „Millerntor Gallery“ etwa, ein Kulturfestival, wurde von Vicva con Agua mit dem FC St. Pauli gemeinsam initiiert: „Das Millerntor-Stadion wird alljährlich zu einer offenen Plattform für Dialog und Austausch. Kunstwerke sämtlicher Genres sowie ein vielfältiges Musik-, Kultur- und Bildungsprogramm zeigen, wie alle die Welt positiv mitgestalten können. Zahlreiche Interaktionsmöglichkeiten machen die knapp 17.000 Besucher*innen zu aktiven Teilnehmer*innen an gesellschaftlichen Veränderungsprozessen.“ Auch das Sammeln von Pfandbechern für Viva Con Agua hat mittlerweile Tradition und einen Battle ausgelöst, welche Auswärtsfans die meisten Becher in einer Saison sammeln. Spoiler: Es ist natürlich der Glubb mit seiner großen Schar an Reisegruppen von Auswärtsfahrenden.

Aber Viva con Agua gibt es auch im Geschäft, Restaurant oder Club um die Ecke. Schließlich werden in Schleswig-Holstein Flaschen mit Wasser für Viva con Agua abgefüllt. Viva con Agua selbst erklärt, dass es natürlich am nachhaltigsten ist, Leitungswasser zu trinken, aber die Organisation bietet nach eigener Aussage mit den Flaschen die Gelegenheit, eine „soziale Alternative auf dem Wassermarkt zu sein“.

Und was macht Mainz 05? Dieses Bild posten – sonst nichts – zumindest bekommt von weiteren Aktivitäten nichts mit. Der Verein springt einfach mal auf den sozialen Nachhaltigkeitszug auf, schließlich spricht er vom „Cheftrainer“ und nicht von „wir“. Postet man das Bild von Bo, sollte sich der Verein entsprechend einbringen. Die einfachste Lösung wäre es natürlich, in der Rückrunde statt für „Essen für Rheinhessen“ für Viva con Agua die Becherspenden, die im Stadion am Europakreisel zusammenkommen, zu nutzen. Doch das würde die Fanabteilung, die dieses Becher-Projekt angestoßen hat, womöglich vor den Kopf stoßen. Schließlich sollte die Fanabteilung bestimmen, was mit dem Geld geschieht und soweit ich weiß, sollen vorallem Projekte in der Region jeweils für eine halbe Spielzeit unterstützt werden, was vollkommen ok und sehr löblich ist.

Vielleicht war es ja sogar einfach nur gut gemeint, das Bild zu teilen, um diesem mehr Reichweite zu verschaffen. Allerdings ist Mainz 05 nicht mehr der „Amateurverein“ der 1980er Jahre, wo vieles noch auf Ehrenamtsbasis geleitstet wurde und vielleicht die eine oder andere Aktion nicht zu Ende gedacht wurde. Der Verein ist mittlerweile ein gestandener Bundesligist, der auch im Bereich Social Media professionell agiert. Und wenn es Mainz 05 Ernst meint mit der Solidarisierung mit Viva Con Agua, sollte der Verein vielleicht für ein Trinkwasserprojekt im Partnerland von Rheinland-Pfalz, Ruanda, Pate stehen, sollte vielleicht etwas Ähnliches wie die „Millerntor Gallery“ im Stadion am Europakreisel initieren oder die Stadionsitzung an Fastnacht dafür nutzen, sollte vielleicht auf die Spendenmöglichkeit für Viva con Agua hinweisen, sollte auf die Spende als Geschenk aufmerksam machen, sollte die Fördermitgliedschaft verlinken oder sollte die Viva con Agua-Glasflaschen im VIP-Bereich der „Scheiß Tribüne“ offerieren. Aber nur ein Bild zu posten wirkt leider wie Viva con Oberflächlichkeit.

Quellen:

Tag des Wasser: Ex-St. Pauli-Profi Benjamin Adrion gründete Viva con Agua – Welt

1. FSV Mainz 05 – News „Schürrle: „Ich musste verzichten, hatte aber einen Traum“

Art creates Water – Viva con Agua Arts gGmbH Hamburg

Böhmermann kritisiert Viva con Agua – Unternehmen bezieht Stellung – utopia.de

1. FSV Mainz 05 – News „Becher spenden, um Hunger zu stillen“