Die Finanz-Bundesliga-Tabelle 2019/20 – Teil 1

Im Mai 2019 veröffentlichte die DFL nach dem Beschluss der Mitgliederversammlung Ende 2018 erstmals die Finanzkennzahlen der Bundesliga-Vereine. Da wir bei der Bundesliga nicht erst seit den Geisterspielen wissen, dass es nur ums Geschäft geht, hatte ich im letzten Jahr die „Finanz-Bundesliga-Tabelle 2018/19“ veröffentlicht. In dieser habe ich die Finanzkennzahlen, die die DFL pro Verein veröffentlicht hat, mit Hilfe von Leistungskennzahlen, so genannten „Key Performance Indicators“, kurz KPIs, analysiert. Daraus ergaben sich für die einzelnen Vereine viele interessante Ergebnisse. Da sich die Vereine untereinander in einem Wettbewerb befinden, war es bereits letztes Jahr extrem spannend zu sehen, wie es tatsächlich um „Financial Fairplay“ bestellt ist. In diesem Jahr wurde es noch einen Tick interessanter, weil es erstmals möglich war, Veränderungen im Vergleich zum vorangegangen Geschäftsjahr zu ermitteln. Bilanzstichtag war der 30. Juni 2019 (bei Eintracht Frankfurt, Bayer 04 Leverkusen, Borussia Mönchengladbach und dem FC Schalke 04 der 31. Dezember 2019). Zu diesem Zeitraum spielten der SC Paderborn, der 1. FC Köln und Union Berlin in der 2. Liga. Im vorangegangen Jahr (Bilanzstichtag 30. Juni oder 31. Dezember 2018) spielten Union Berlin und Fortuna Düsseldorf in der 2. Liga und der SC Paderborn in der 3. Liga.

Da sich letztes Jahr Fans zahlreicher anderer Vereine für diese Tabelle interessiert haben, gehe ich dieses Jahr auf alle 18 Erstligisten der Saison 2019/20 ein. Dadurch wird der Umfang dieser Analyse deutlich erweitert. Aus diesem Grund macht es meiner Meinung nach Sinn, dieses Thema in Abschnitte zu unterteilen:

Teil 1: Einführung und die KPIs Anlagendeckungsgrad und Eigenkapitalquote
Teil 2: Die KPIs Eigenkapitalrendite und Umsatzrentabilität
Teil 3: Die KPIs Personalaufwandsquote und Verschuldungsgrad
Teil 4: Die Finanz-Bundesliga-Abschlusstabelle 2019/20
Teil 5: Kurz-Analyse pro Verein – die Kellerkinder
Teil 6: Kurz-Analyse pro Verein – das Mittelmaß
Teil 7: Kurz-Analyse pro Verein – die High-Performer

Aus den folgenden von der DFL veröffentlichten Kennzahlen habe ich die unten stehenden Unternehmenskennzahlen hergeleitet:

  • Anlagevermögen
  • Eigenkapital
  • Verbindlichkeiten + Rückstellungen (=Fremdkapital)
  • Bilanzsumme
  • Jahresüberschuss
  • Personalkosten
  • Rohergebnis (als Umsatz genutzt)

Daraus habe ich die folgenden Leistungskennzahlen hergeleitet:

  • Anlagendeckungsgrad
  • Eigenkapitalquote
  • Eigenkapitalrendite
  • Umsatzrentabilität
  • Personalaufwandsquote
  • Verschuldungsgrad

Anmerkung in eigener Sache: Unter den Leser*innen dieses Blogs gibt es sicherlich versiertere „Bilanzbuchhalter*innen“ als ich es bin. Man hätte zum Beispiel die passiven Rechnungsabgrenzungsposten dem Fremdkapital hinzurechnen können. Dazu hätte ich dann allerdings auch wissen müssen, um was es sich da tatsächlich handelt. Ziel dieser Analyse ist es daher nicht, für 18 Vereine wasserdichte Finanzgutachten zu erstellen. Vielmehr soll sie den Fußballfans dazu dienen, sich ein grobes Bild seines Vereins in Bezug auf die finanzielle Situation zu machen – im Vergleich zum „verhassten“ Konkurrenten genauso wie zum Vorjahr. Und wie bei vielen „Fan-Aktionen“ ist auch dieser Artikel in der Freizeit entstanden, ohne finanzielle oder sonstige Kompensation. Eine noch detaillierte Aufstellung hätte den zeitlichen Aufwand deutlich gesprengt.

Führend beim Anlagendeckungsgrad und nie um eine klare Meinung verlegen: Der Verein und seine Mitlieder des SC Freiburgs

1. Anlagendeckungsgrad (Eigenkapital zu Anlagevermögen)

Je höher der Deckungsgrad, desto besser steht es um die Finanzierung des Clubs. Wie im vergangenen Jahr gibt es wieder Clubs mit negativem Eigenkapital, sprich diese Clubs sind bilanziell überschuldet. Das Vermögen des Vereins deckt nicht mehr die Schulden. Im Vorjahr waren es Hertha BSC Berlin, der SC Paderborn und Union Berlin. Die beiden Erstgenannten haben die Kurve gekriegt (Hertha dank eines Investors, siehe weiter unten) und haben nun wieder positives Eigenkapital vorzuweisen. Dafür hängt jetzt der FC Schalke 04 tief drin im Schlamassel mit negativem Eigenkapital. Der FC Augsburg (17 Mio. Euro), RB Leipzig (36 Mio. Euro) und der 1. FSV Mainz 05 (3 Mio. Euro) haben wie im Vorjahr Investitionszuschüsse (wahrscheinlich für das jeweilige Stadion) erhalten, die man dem Eigenkapital zurechnen kann. Ich habe diese Zuschüsse weggelassen, um eine bessere Vergleichbarkeit zu erzielen. Letztes Jahr war dieser Zuschuss bei RB Leipzig größer ist als das eigentliche Eigenkapital in Höhe von 27 Mio Euro. Plötzlich stehen in der Bilanz von RB einfach 100 Mio. Euro mehr Eigenkapital. Diesem sind wahrlich Flügel gewachsen!

Aber auch der Eigenkapitalzuwachs bei Hertha BSC in Höhe von 70 Mio. Euro ist nicht „normal“ – dem Investor sei Dank! Wer immer über die Bayern schimpft…deren Eigenkapital ist im selben Zeitraum um vergleichsweise „geringe“ 40 Mio. Euro gestiegen. Prozentual ist das Eigenkapital auch bei Eintracht Frankfurt durch die Decke gegangen. Es hat sich mehr als verdoppelt – dem Europapokal sei Dank? Mainz 05 hat 47 Prozent mehr Eigenkapital vorzuweisen – ein toller Wert für den Verein. Der FC Schalke 04 hingegen hat Eigenkapital verloren (-25 Mio. Euro) – als einziger Verein überhaupt. Selbst das Eigenkapitalkellerkind Union Berlin hat 0,3 Mio. Euro weniger negatives Eigenkapital vorzuweisen als im Vorjahr.

Das Anlagevermögen sind die so genannten Steine eines Vereins, sprich diese sollen dem Verein dauerhaft dazu dienen, den Spielbetrieb durchzuführen. Dieses hat sich beim SC Paderborn verzehnfacht und sich bei der Eintracht immerhin noch verdoppelt, bei Mainz 05 um gute 60 Prozent. Um fast ein Drittel ist es bei Hertha BSC hingegen gesunken, bei Schalke um 10 Prozent. Auch bei Union ist es leicht gesunken, aber Union hat mittlerweile ein um 50 Prozent höheres Anlagevermögen als die „Alte Dame“! (32 Mio. zu 20 Mio. Euro).

Quelle zu den Entwicklungen beim Eigenkapital bei RB Leipzig und bei Hertha BSC Berlin:

Fußball – Leipzig – 100-Millionen-Transaktion: Leipzig stärkt Eigenkapital – Sport – SZ.de:

Hertha BSC verfünffacht Eigenkapital – rbb24.de

Es ergibt sich die Anlagendeckungsgrad-Tabelle 2019/20 (in Klammern das Ergebnis vom Vorjahr)

1. SC Freiburg (1.)
2. TSG Hoffenheim (2.)
3. FC Bayern München (4.)
4. Borussia Dortmund (3.)
5. Bayer 04 Leverkusen (5.)
6. 1. FSV Mainz 05 (6.)
7. FC Augsburg (7.)
8. Eintracht Frankfurt (8.)
9. 1. FC Köln (9.)
10. RB Leipzig (14.)
11. Borussia Mönchengladbach (11.)
12. Fortuna Düsseldorf (10.)
13. Hertha BSC Berlin (17.)
14. SC Paderborn (18.)
15. VfL Wolfsburg (12.)
16. SV Werder Bremen (13.)
17. FC Schalke 04 (15.)
18. FC Union Berlin (16.)

Top-Location zum „Last Christmas“ singen und Top-Platzierung bei der Eigenkapitalquote: TSG Hoffenheim

2. Eigenkapitalquote (Eigenkapital zu Bilanzsumme)

Je höher die Quote desto mehr finanzielles Engagement bringt der eigene Club auf, sprich desto mehr finanziert sich der Verein selber und desto geringer ist die Chance, dass der Verein pleite geht. Das sind die Rücklagen, die von den Clubs in Bezug auf die Pandemie gefordert wurden, um Krisenzeiten länger als ein paar Wochen durchzustehen. Die 100 Mio. Euro die RB Leipzig plötzlich mehr an Eigenkapital aufweist führen zu einem Sprung von Platz 14 auf 9 im Vorjahr. Trotz des erhöhten Eigenkapitals bei der Hertha dümpelt der Club immer noch im Eigenkapitalquoten-Tabellenkeller herum. Dies zeigt die finanzielle Dramatik, die bei Hertha BSC im Jahr 2019 geherrscht hat.

Um die „Größe“ der Clubs miteinander zu vergleichen eignet sich die Bilanzsumme ganz gut. Sie zeigt das Gesamtvermögen eines Unternehmens auf – und gleichzeitig auch das Gesamtkapital, das notwendig ist, um den Laden am Laufen zu halten. Das Verhältnis der Clubs untereinander, das sich unter anderem aus dem finanziellen Gebaren der Vorjahre herleitet, ist auch ganz interessant zu betrachten. Der größte Verein (FC Bayern) ist 41-mal größer als der kleinste Verein (SC Paderborn). Dieses Verhältnis ist innerhalb eines Jahres allerdings massiv geschrumpft. Es lag im Jahr zuvor bei 176! Damals war der Verein allerdings noch Drittligist. Der SC Paderborn hat sich innerhalb eines Jahres vervierfacht, die Hertha nahezu verdreifacht, Eintracht Frankfurt verdoppelt und auch Fortuna Düsseldorf ist fast doppelt so groß, im Vergleich zum Vorjahr. Am meisten geschrumpft ist Schalke 04 um zirka 20 Prozent und damit von Platz 4 auf Platz 8 abgesackt. Leicht geschrumpft ist der VfL Wolfsburg, der damit von Platz 5 auf Platz 6 gefallen ist. Mainz 05 ist um ein Drittel gewachsen und liegt unverändert auf Platz 13 und ist damit der kleinste Verein der so genannten drei sympathisch wirtschaftenden Vereine zu denen auch der SC Freiburg (12. vorher 11.) und der FC Augsburg (10. vorher 9.) gezählt werden. Der FCA ist „nur“ um 11 Prozent, der Sportclub „nur“ um 7 Prozent gewachsen. Das heißt im Klartext: Um den Platz zu halten ist tatsächlich ein Wachstum wie bei Mainz 05 um ein Drittel notwendig – zumindest bei den „Mittelklasse-Clubs“. RB Leipzig verliehen die 27 Prozent Wachstum Flügel und das Konstrukt hob von Platz 7 ab und landete auf 3. Der ehemalige Champions-League Teilnehmer SV Werder Bremen sackt weiter ab von 14 auf 15. Hinter dem unangefochtenen Spitzenduo aus München und Dortmund liegen mit RB Leipzig, Bayer 04, der TSG Hoffenheim und dem VfL Wolfsburg mittlerweile vier Vereine, die sich „traditionell“ auf bekannte Geldgeber stützen können.

Interessant auch, dass diese Tabelle der „wahren Tabelle“ sehr ähnelt. Die ersten drei Teams und die Absteiger sind identisch. Sportlich wesentlich besser sieht es bei Borussia Mönchengladbach (Patz 4 statt 7), dem SC Freiburg (Patz 8 statt 12) und bei Union Berlin (Platz 11 statt 16) aus. Die Eintracht und Mainz 05 stehen wieder exakt da, wo sie auch bei der „Größe“ stehen (Platz 9 bzw. 13). Gleiches gilt für den 1. FC Köln, der allerdings im untersuchten Zeitraum in Liga 2 kickte. Eine schlechte Performance legten demnach der FC Schalke 04 (Platz 12 statt 8) und der FC Augsburg (Platz 15 statt 10) hin. Noch schlimmer stellt sich die Lage für Schalke da, wenn man wie oben bereits erwähnt, dass man im Vorjahr in der Bilanzsumme noch Platz 4 einnahm. Der Sturz von Werder auf Platz 16 im sportlichen Geschehen verwundert dann nicht mehr allzu sehr, da sich der Verein in beiden Jahren von der Bilanzsumme her gesehen auf Platz 14 und 15 befand.

Die Bilanzsummen-Tabelle 2019/20 (in Klammern das Ergebnis vom Vorjahr)

  1. FC Bayern München (1.)
  2. Borussia Dortmund (2.)
  3. RB Leipzig (7.)
  4. Bayer 04 Leverkusen (3.)
  5. TSG Hoffenheim  (6.)
  6. VfL Wolfsburg (5.)
  7. Borussia Mönchengladbach (8.)
  8. FC Schalke 04 (4.)
  9. Eintracht Frankfurt (10.)
  10. FC Augsburg (9.)
  11. Hertha BSC Berlin (15.)
  12. SC Freiburg (11.)
  13. 1. FSV Mainz 05 (13.)
  14. 1. FC Köln (12.)
  15. SV Werder Bremen (14.)
  16. FC Union Berlin (16.)
  17. Fortuna Düsseldorf (17.)
  18. SC Paderborn (18.)

Anmerkung: Bei der Bilanzsumme handelt es sich nicht um eine Finanzkennzahl, die ich erst kalkulieren musste. Sie steht auf der Seite der DFL zu Verfügung. Sie bildet nur die die Basis, um die Eigenkapitalquote zu ermitteln. Groß bedeutet nicht stark, solide oder solvent. Wenn das so einfach zu ermitteln wäre, dann könnte man sich die Analyse der Kennzahlen mit KPIs auch sparen. Daher fließt die Bilanzsumme als solche nicht in die in Teil 4 zu erstellende Finanz-Bundesliga-Tabelle direkt ein, sondern nur über die Eigenkapitalquote.

Es ergibt sich die Eigenkapitalquote-Tabelle (in Klammern das Ergebnis vom Vorjahr)

1. TSG Hoffenheim (1.)
2. SC Freiburg (2.)
3. Borussia Dortmund (3.)
4. Bayern München ( 5.)
5. Bayer 04 Leverkusen (4.)
6. 1. FSV Mainz 05 (6.)
7. Borussia Mönchengladbach (7.)
8. 1. FC Köln (8.)
9. RB Leipzig (14.)
10. FC Augsburg (9.)
11. Eintracht Frankfurt (10.)
12. Fortuna Düsseldorf (11.)
13. SV Werder Bremen (12.)
14. VfL Wolfsburg (13.)
15. SC Paderborn (18.)
16. Hertha BSC Berlin (17.)
17. FC Schalke 04 (15.)
18. FC Union Berlin (16.)

Wie beim Anlagendeckungsgrad dominiert Baden die Liga auch bei der Eigenkapitalquote. Der SC Freiburg und die TSG Hoffenheim sind finanziell gut aufgestellt und investieren in Steine und vielleicht einen Tick weniger in Beine. Trotz der Erhöhung des Eigenkapitals steht die Hertha immer noch extrem schlecht da. Bei RB Leipzig hat die Erhöhung des Eigenkapitals zu einem Sprung von 14 auf 9 geführt. Die Tabelle der Eigenkapitalquote gibt wohl am ehesten Auskunft auf die Frage, bei welchen Vereinen die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass sie eine neue Einstellung des Spielbetriebs wegen Corona überleben könnten.

Im zweiten Teil der Finanz-Bundesliga-Tabelle 2019/20 wird es unter anderem um die Eigenkapitalrendite (Jahresüberschuss zu Eigenkapital) gehen. Dort werden wir einen sagenhaften Absturz eines Vereins miterleben. Außerdem lernen wir, wie wir Dietmar H. aus H. bilanziell nennen dürfen. Ob dies eine Beleidigung darstellt, müssen die Finanzbehörden in Sinsheim entscheiden. Dann müsste allerdings auch die DFL juristisch belangt werden, schließlich hat sie diesen Begriff selbst in den Finanzkennzahlen veröffentlicht 😉

Freiburg 2018

Es gibt Dinge im Leben, die braucht wirklich niemand: Eine 3:9 Niederlage am Samstag Nachmittag gehört bestimmt dazu und Montagsspiele sicherlich auch. Dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, liegt daran, dass vor dem Saisonstart 2017/2018 fünf Spiele in der ersten Liga mit der Begründung eingeführt wurden, den Europapokal-Teilnehmern einen zusätzlichen Tag Regeneration zukommen zu lassen.

Spielort Bruchweg - gibt es einen idealeren Ort zum kreativen Protest?
Spielort Bruchweg – gibt es einen idealeren Ort zum kreativen Protest?

Da kurz nach der Winterpause nur noch die Brausekicker aus Leipzig donnerstags spielten, war anzunehmen, dass der Montagskelch an Mainz und Freiburg vorbeigeht, schließlich hatte der SC seit seinem EuroLeague-Ausscheiden in Slowenien im Sommer 2017 genug Regenerationszeit erhalten. Interessanterweise spielt Leipzig schon heute, nachdem sie tatsächlich letzen Montag gegen Leverkusen ran mussten. Dumm nur, dass sie dann einen Tag weniger Pause hatten, um anschließend in Marseille 5 Tore eingeschenkt zu bekommen. Logisch wäre es gewesen, Leipzig nach der Europa-League-Woche den morgigen Montag zu geben und nicht zwischen den beiden internationalen Spieltagen – aber mit Logik kommt man heute wohl nicht mehr allzu weit.

Nachdem es Bremen und Köln bereits genauso traf, die ebenfalls nicht (mehr) international spielten, war ich gespannt, wie die Reaktion in Freiburg und Mainz auf die Ansetzung ausfallen würde. Positiv angetan war ich zunächst einmal von einem nett formulierten Brief unseres neuen kaufmännischen Vorstands, den er nach Frankfurt zur DFL sandte, und nachfragte, womit denn diese Ansetzung von Mainz gegen Freiburg an einem Montag zu begründen sei. Schließlich hatte es für mich den Anschein, dass mein Fußballsportverein in den letzten Jahren allzu oft den rot-weißen Schwanz einzog, wenn es um Haltung gegenüber der DFL, dem DFB oder der Zeitung mit den vier großen Buchstaben ging. Eine schlüssige Antwort erhielt Jan Lehmann aus dem 05-Vorstand zumindest öffentlich nicht, soweit ich mich entsinnen kann.

Wunderbare Stadionordnung und Werbeplakat mit den Logos der Fanvereinigungen aus beiden Städten
Wunderbare Stadionordnung und Werbeplakat mit den Logos der Fanvereinigungen aus beiden Städten

Denjenigen, die die Idee hatten, einfach trotzdem zu der Uhrzeit einen Kick anzusetzen, die wahrscheinlich den meisten Stadiongehern in den Kram passt, sprich samstags halb vier, gebührt ein großes Dankeschön. Denn damit bot sich die Gelegenheit, nicht nur gegen etwas zu sein, sprich gegen Spiele zur Unzeit am Montag, sondern auch für etwas zu sein: Für einen Kick samstags um halb vier, für kreativen Protest, für gemeinsames Aufstehen und Gegeneinanderspielen beider Fanlager, für Support, für ein Ausrufezeichen an gelebter Fankultur.

Überall wurde bereits Wochen vor dem Kick mit dem Slogan „Samstags halb vier – Fußball, Bratwurst, Bier!“ der Fankick zwischen den Teams aus dem Breisgau und Rheinhessen beworben. Mit Jürgen Girtler wurde ein kompetenter Pressesprecher  ernannt, der schon letztes Jahr souverän das CrowFANding fürs Fanhaus Mainz medial begleitete. Und mit Petr Ruman wurde auf Seiten des FSV ein kompetenter Trainer verpflichtet. In den letzten Tagen vor dem Spiel wurde mit Plakaten (sogar offiziell genehmigt von der Stadt Mainz) überall in der goldenen Stadt am Rhein dafür geworben – mit den Logos der Fangruppierungen aus Freiburg und Mainz!

Mit Spendenbüchsen wurde für die Fahrtkosten der Freiburger gesammelt
Mit Spendenbüchsen wurde für die Fahrtkosten der Freiburger gesammelt

Die Location, in der der Kick stattfinden sollte, war natürlich der absolute Knaller: das Stadion am Bruchweg, Spielort der Nullfünfer bis 2011 und weiterhin gefühlte Heimat des Fußballsportvereins von 1905. Keine Ahnung, wer das mit dem Verein hinbekommen hat, das Ding am Bruchweg steigen zu lassen, ob Supporters, Fanabteilung, Fanbeauftragte, Fanprojekt, (Fanvertreter im) Aufsichtsrat, oder vielleicht alle zusammen? Auf jeden Fall ein weiteres großes Dankeschön dafür! Somit war alles gerichtet, für unseren Kick am Samstag, um halb vier im Stadion am Bruchweg.

Für Fans wurde nur die Gegengerade geöffnet. Die Nordtribüne gibt’s nicht mehr, bis auf die Sitze, die Ihr Euch im Rahmen des CrowdFANdings letztes Jahr gesichert habt, die Südtribüne zierte ein großes Spruchband in rot-weiß „Samstag halb vier – Fußball, Bratwurst, Bier“ und auf der Haupttribüne nahmen auch ein paar Nasen platz – vielleicht die Handkäsmafia oder die Hautevolee aus der Stadt Gutenbergs… Am Eingang zur Gegengerade prankte eine eigens für diesen Tag geltende Stadionordnung, in der publiziert wurde, was hier nicht hin passt: Keine Homophobie, kein Faschismus, kein Sexismus, kein Rassismuss, kein Hass. Wäre schön, wenn diese Bestandteile in allen Stadionordnungen der Republik fest verankert und dementsprechend gelebt würden – und Clubs, die dafür einstehen, den entsprechenden Rückhalt, von den Verbänden erhielten!

Sehr leckere Verpflegung zu sehr moderaten Preisen
Sehr leckere Verpflegung zu sehr moderaten Preisen

Wenige Meter weiter waren Sammelbüchsen aufgestellt worden „Samstag halb vier“ prankte auf diesen und es bleibt zu hoffen, dass diese sich mit der Zeit füllten, galt es doch, die Anreise der Freiburger ein wenig mitzufinanzieren – schließlich werden viele innerhalb von zwei Tagen zweimal Gäste in unserer Stadt sein. Wenige Meter weiter wurde der edlen Spenderin und dem edlen Spender die gute Tat gleich vergolten, wenn diese einen Blick auf die Verpflegungsstellen warfen: Einerseits monetär mittels sehr fairer Preise, andererseit mit allerlei Leckereien wie Spundekäs‘ mit Brezeln oder Couscous-Salat oder der „Hellen Begeisterung“, dem Bier von Kuehn Kunz Rosen, der Mikrobrauerei, die gleichzeitig Nachbar im alten Rohrlager der neuen Heimat aller Nullfünfer ist: dem Fanhaus Mainz! Übrigens gibt es die „Helle Begeisterung“ exklusiv nur bei Veranstaltungen des Fanprojekts Mainz – da Kuehn Kunz Rosen den edlen Stoff nur fürs Fanhaus braute! Danke und Prost!!!

Die Stahlrohrtribünenstufen nuff und ein Blick nach rechts in den Gästeblock führte zu einem Rattern in meinem Gedächtnis. Wolfsburg mal mittwochs abends erste Liga, ca. 23 Fans, Paderborn dienstags spätnachmittags zweite Liga, ca. 20 Fans davon einer auf dem Platz, um die Aufstellung zu präsentieren – Freiburg samstags zum Fankick ca. 300 Fans! Soviel Hüte kann man gar nicht dafür ziehen! Emi Schömer, der Stadionsprecher, der es letztes Jahr in Mainz eingeführt hat, die Aufstellung endlich erst kurz vor dem Auflaufen der Mannschaften zu präsentieren, war wieder aktiv und durfte in den folgenden 90 Minuten über Langeweile beim Toreverkünden nicht klagen.

Neben Gauls Catering verpflegten auch die Ultras und andere Fans die Stadiongängerinnen und Stadiongänger
Neben Gauls Catering verpflegten auch die Ultras und andere Fans die Stadiongängerinnen und Stadiongänger

Die Stimmung in beiden Blöcken war hervorragend und plötzlich lag der Ball im Mainzer Tor. Die Freiburger im Gästeblock rasteten erwartungsgemäß komplett aus – bis der Schiri die mittlerweile berühmte Yogaübung für Arme durchführte und den Videobeweis anforderte: nach einer längeren Diskussion, die mal wieder dazu führte, dass es zu einer Zweiteilung der Fußballfans kam. Als Stadiongänger  wusste man nicht, wohin mit seinen Emotionen und als imaginärer Fernsehzuschauer tat sich ganz plötzlich die Möglichkeit auf, entspannt zum Klo zu gehen oder ein kühles Bier aus dem Kühlschrank zu holen, da das ja jetzt ohnehin wieder ein zwei Minuten dauern würde, ehe entschieden ist., Anscheinend war man sich letztlich einig – den Videobeweis in die Tonne zu kloppen!!!

Der Videobeweis wird am Bruchweg entsorgt - den braucht in der Form niemand, genausowenig wie Montagsspiele
Der Videobeweis wird am Bruchweg entsorgt – den braucht in der Form niemand, genausowenig wie Montagsspiele

In Halbzeit zwei dann der nächste Aufreger, als ein vermummter Flitzer den Bruchweg stürmte. Ein Leben lang…dieselbe Unterhose an…man konnte zumindest von der königsblauen Farbe der Unterhose des Flitzers Assoziationen mit einem Ruhrpottklub herstellen. A propos Ruhrpott: Unterstützung erfuhren die Nullfünfer an diesem Tag auch aus Duisburg – Respekt auch an die Zebrafans, die den Weg am Samstag hierher gefunden haben.

Tore sind schließlich auf beiden Seiten gefallen – auf der einen mehr, auf der anderen weniger. Dennoch wurde der Nullfünfer-Trainer Petr Ruman frenetisch gefeiert, zunächst am Spielfeldrand – danach als Elfmeterschütze, als er sich selbst einwechselte. Elfmeter und Ruman, da war doch was…ich sag nur Zandi, Torlinie, DFB-Pokal, Dezember 2005 😉

Ein Leben lang...dieselbe Unterhose an...Schwarz-gelb macht Jagd auf Königsblau

Ein Leben lang…dieselbe Unterhose an…Schwarz-gelb macht Jagd auf Königsblau

So um 17.18 Uhr war der Kick beendet, die Feierei in beiden Fanlagern aber noch lange nicht. Mit einer La-Ola wurden die Breisgau-Brasilianer Vol. 2 vom Mainzer Block verabschiedet und das Ergebnis war da schon längst wieder vergessen bzw. gar nicht auf dem Schirm (der lag ja in der Tonne).

Vielmehr ging ein wunderbarer, friedlicher, warmer Frühlingsnachmittag an einem historischen Ort zu Ende. So viele Menschen haben dafür teilweise wochenlang harte Vorarbeit geleistet. Ein letztes großes Dankeschön an alle Beteiligten. So macht Protest Spaß, Sinn und eine 3:9 Niederlage sogar noch Freude, nur Montagsspiele braucht wirklich niemand!

Ein gelungener Samstag-Nachmittag, der soviel besser als ein Montag-Abend ist
Ein gelungener Samstag-Nachmittag, der soviel besser als ein Montag-Abend ist

Hier geht es zu allen Bildern des Spiels.