Lasst uns Fehler akzeptieren

Warum ich ins Stadion gehe und nicht ins Internet, um mir zahlreiche Dekoder zuzulegen, um den Fußball auf dem Bildschirm zu betrachten? Hm, weil nunmal der abgedroschene 5-Euro-ins-Phrasenschwein-Werbespruch „Mittendrin statt nur dabei!“ tatsächlich stimmt.

Blick aus dem Gästeblock auf das Spielgeschehen im Borussia-Park
Blick aus dem Gästeblock auf das Spielgeschehen im Borussia-Park

Und was erlebte ich gestern im Gästeblock? Ein Tor, das erst nicht zählte, dann durch den Videobeweis doch. Eskalieren? Irgendwie nicht. Auch Abdou freute sich zunächst wie ein Schneekönig, dann wurde sein Jubeln abgebremst und schließlich zählte das Tor dann doch. Das kam mir irgendwie wie ein schales Bier vor und die Schmähgesänge gegen den DFB im Anschluss an das gegebene Tor aus dem Mainzer (!) Block zeigen schlicht, dass es Fußballfans halt auch um das Wie und nicht nur ums Gewinnen an sich geht.
Dass Jean-Philippe zuvor elfmeterreif gefoult wurde und der Videobeweis nicht zum Einsatz kam, nun ja. Denn schlimmer geht ja immer: Levins Schuss ins Glück, der Block eskaliert, um dann Sekunden später wieder runterkommen zu müssen. Da war es dann eigentlich schon fast egal, ob das Tor nun zählte oder nicht – die Emotionen wurden wunderbar zerstört.
Vor dem Anpfiff gestern wurde der Videobeweis zum x-ten mal auf der Anzeigetafel erklärt. Er soll den Fußball gerechter machen. Ein hehres Anliegen, eine für sich genommen gute Idee. Aber wenn man das gestrige Spiel betrachtet, hätte das erste Tor letztlich nicht gezählt. Der Gästeblock wäre explodiert und dem Schiedsrichter alles Übel dieser Welt gewünscht worden – so wie seit der Einführung der Bundesliga und schon weit davor. Levins Ding hätte der Schiri als Tor gewertet und der Gästeblock wäre explodiert. Vielleicht hätte es die eine oder andere Bierdusche gegeben. Wer auswärts fährt, der weiß, was es heißt, in der Höhle des Löwen einen Treffer bejubeln zu dürfen. Man steht sicher früh und vielleicht verkatert auf, fährt hunderte von Kilometern und denkt daran, wann sein Club das letzte Mal einen Dreier in der Fremde geholt hat – davon können wir Mainzer ein sehr bekanntes Liedchen singen. Und dann ein Tor für den eigenen (eingetragenen) Verein! Grandios, galaktisch, geil!
Wenn man aber das Versagen beim Foul an Jean-Philippe betrachtet, dann kann man folgendes Fazit ziehen: Der Videobeweis hat nicht dafür gesorgt, den Fußball gerechter zu machen, er hat es aber hinbekommen, dem Fußball seine Emotionen zu nehmen.
Warum der Fußball nicht gerechter wird ist klar. Weil hier Menschen am Werk sind. Und Menschen machen Fehler. Man will also eine Tatsachenentscheidung eines Menschen ggf. durch einen Videobeweis, der durch einen Menschen angeleiert wird, korrigieren. Das kann funktionieren, muss es aber nicht. Vielleicht sollten wir einfach wieder mehr Vertrauen in die Leistung der Schiedsrichter entwickeln oder uns einfach daran laben, sich über ihre Tatsachenentscheidungen so richtig schön aufzuregen. Und sicher ist: Es gleicht sich bestimmt nicht alles an Fehlentscheidungen aus. Aber ein Fußballspiel lebt nun mal von seinen Emotionen. Dass Trainer und Offizielle den Videobeweis wollen, ist nachvollziehbar. Sie wollen das Unkalkulierbare, die Tatsachenentscheidung eines Menschen ausmerzen, damit sie im schlimmsten Fall nicht durch einen Fehler eines anderen um ihren Job gebracht werden. Denn diesen Leuten geht es nicht um Emotionen, sondern rein ums Geld. Und da wären wir schon wieder bei der Kommerzialisierung des Fußballs angelangt. Dass aber auch diese monetären Argumente letztlich ins Leere laufen, sollten die Verantwortlichen zur Kenntnis nehmen.
Und wenn man wie ich als Stadiongänger vielleicht bis gestern dem Videobeweis, nicht erst seit dem Hertha-Spiel, freundlich gesonnen war, dann gestehe ich gerne meinen Fehler ein und denke, dass man diesen nach der Testphase oder gerne früher bitte abschaffen sollte. Er sorgt nicht für Gerechtigkeit und Berechenbarkeit, sondern nur für den Verlust von Emotionen. Und Fehler können tatsächlich sogar zum Schmunzeln anregen. Das hat Robin gestern wunderbar unter Beweis gestellt! Und wenn wir alle mal lernen, Fehler letztlich zu akzeptieren, dann wird der Fußball wieder menschlicher!
In diesem Sinne – pro Stadionverbot, aber nur für den Videobeweis!