Das ehrlichere Konstrukt?

Was hast Du am 19.05.2009 gemacht? Wahrscheinlich immer noch den Sieg der Nullfünfer in Fürth zwei Tage vorher gefeiert. Schließlich ebnete dieser den Weg für den Verein zurück in die erste Liga, der wenige Tage später am Bruchweg tatsächlich gelang. An eben jenem 19. Mai wurde auch der eingetragene Verein RasenballSport Leipzig gegründet. Was in den folgenden Jahren passierte, ist den meisten von uns bekannt. Der Club stieg bis in die 1. Liga auf und spielt mittlerweile regelmäßig in der Champions League. Gleichzeitig schlägt ihm, spätestens seit dem Aufstieg in die 2. Liga 2014, eine Antipathie durch viele Menschen in ganz Deutschland entgegen.

In diesem Blogpost geht es nicht um das x-te Red Bull-Bashing, sondern schlicht um die Frage, ob der vom Red Bull-Konzern gewählte Ansatz, in Anbetracht der gegenwärtigen Entwicklung des Profi-Fußballs in Deutschland, nicht das ehrlichere Konstrukt im Vergleich zu den „traditionellen“ Ansätzen ist.

Zuschauer sind im Zentralstadion nur als Statisten Willkommen, die Teil der Marketingveranstaltung sind.

Natürlich muss auch ich bei dieser These erstmal ganz tief durchatmen. Die letzten Monate seit der pandemiebedingten Unterbrechung des Spielbetriebs haben mir aber gezeigt, um was es beim Profifußball geht. Diesen Weg verfolgt Red Bull seit der Gründung des Vereins im Jahr 2009 konsequent: die bestmögliche Vermarktung. Das zu vermarktende Produkt heißt bei den Roten in München „FC Bayern“, am Borsigplatz „BVB“ oder bei der DFL „Bundesliga“ – bei RasenBallsport heißt es „Red Bull“. Das Konstrukt aus Leipzig – bzw. wahlweise aus München (da sitzt die Red Bull Besitzergesellschaft) oder aus Fuschl am See (da sitzt der Konzern) – nutzt das Vehikel Profifußball in der Bundesliga, um seine Dosen zu vermarkten. Die Fußballmannschaft ist nur ein Mosaiksteinchen in der globalen Marketingstrategie des Weltunternehmens. Wenn es aus irgendeinem Grund irgendwann einmal lahmt, wird einfach umgesattelt bzw. eine andere Sportart verstärkt genutzt, um den Absatz der Brause zu fördern. Doch so weit ist es aktuell noch nicht. Vielmehr sahen und sehen insbesondere die Verbände, aber auch manche Vereine, im Konstrukt aus Leipzig eine Möglichkeit, ihr eigenes Produkt zu stärken und wurden so Unterstützer des Businessplans von RB Leipzig. Dass sie langfristig der Attraktivität ihres eigenen Produkts womöglich schaden, ist zweitrangig. Der kurz- und mittelfristige Erfolg wird dem langfristigen Weiterkommen untergeordnet. Das ist betriebswirtschaftlich nicht unbedingt sinnvoll, den handelnden Personen in den Vorständen jedoch egal, da diese womöglich nur bis zur nächsten eigenen Vertragsverlängerungen denken.

Anhand von sieben Beispielen möchte ich die Ehrlichkeit von RB Leipzig veranschaulichen:

  • Die Übernahme

Um die Vermarktung langfristig über das Schaufenster Bundesliga hinzubekommen, ist eine Gründung eines Vereins notwendig. Diese erfolgte bei Red Bull an diesem Dienstag im Mai vor elf Jahren und das Oberliga Nordost-Startrecht des Fünftligisten SSV Markrandstädt wurde wenig später übernommen. Von ganz unten zu starten war unnötiger Aufwand und weiter oben hätte der DFB nicht mitgespielt, denn eigentlich wollte Red Bull bei Sachsen Leipzig einsteigen. Da legte der DFB aber sein Veto ein: „Das Engagement beim damaligen Viertligisten, das von Fanprotesten begleitet war, scheiterte am Veto des DFB, der eine zu große Einflussnahme durch den Investor fürchtete. Unterhalb der vierten Liga müssen sich die Vereine jedoch nicht mehr dem DFB-Lizenzierungsverfahren unterziehen.“ so Christoph Ruf 2009 im Spiegel. Der Nordostdeutsche Fußballverband nahm das damals mit der Einflussnahme nicht so ernst und die erste Hürde im Business Plan war genommen. Ehrlich halt.

  • Der Verein

Ein Verein hat laut Bürgerlichem Gesetzbuch aus mindestens sieben Personen zu bestehen. Er soll auf Dauer angelegt sein und ein gemeinsamer Zweck soll verwirklicht werden. Das klassische „Vereinsmeiertum“ ist juristisch nirgends vorgeschrieben. Somit besteht RasenBallsport Leipzig e.V. bis heute aus weniger als zwei Dutzend Mitgliedern. Es ist nicht möglich, einfach so Vereinsmitglied zu werden. Die Mitgliedschaft muss durch einen Ehrenrat genehmigt werden. Die geschlossene Gesellschaft par excellence! Schließlich hat RB Leipzig kein Interesse an einer Einflussnahme durch Mitglieder. Ehrlich halt.

  • Die Lizenzierung

Bei der erstmaligen Lizenzierung durch die DFL gab es 2014 zwar Auflagen in Bezug auf Logo, Besetzung der Führung durch das Brauseunternehmen und Senkung des Mitgliederbeitrags (damals 800 Euro p.a.). Diese waren aber butterweich und der Verein kam der DFL nur so weit entgegen, wie er es musste, um die Lizenz nach einigem Hin und Her zu erhalten. Schließlich sollen Marketingstrategien aus Fuschl am See möglichst effizient umgesetzt werden und das Vereinslogo soll noch einen Wiedererkennungswert besitzen. Geld nimmt man hingegen gerne. Daher wurde eine Fördermitgliedschaft eingeführt, um den Nachwuchsbereich zu pushen. Es gibt wie bei einem Bonusprogramm bei Airlines mehrere Level. Nur sind sie bei den Fluggesellschaften gratis. Bei Red Bull sind sie unterschiedlich teuer (70 bis 1000 Euro p.a.). Auf der RB-Webseite findet sich da keine wirkliche Gegenleistung. Ein Stimmrecht im Verein gibt es jedenfalls nicht. Ehrlich halt.

  • 50 + 1 Regel

    Die Wirtschaftswoche hat es prima dargelegt: „… Die 50+1 Regel bezieht sich aber nur auf ausgegliederte Kapitalgesellschaften. Die Stimmrechte in einer Kapitalgesellschaft sind dabei nicht mit den finanziellen Anteilen eines Investors zu verwechseln.“ Bei RB bleibt 1 Prozent beim Verein, 99 Prozent bei der GmbH – das ist legal und ehrlich halt.

  • Eigenkapitalerhöhung

Wenn die Umsetzung des Marketingplans am Geld zu scheitern droht, dann wird Geld aus Fuschl am See nachgeschossen. Während sich viele aktuell darüber beklagen, dass Konzerne in der Pandemie vom Staat gerettet werden, diese allerdings nur Darlehen bekommen und das Geld zurückzahlen müssen, hat RB Leipzig 2019 einfach mal 100 Mio. Euro aus Fuschl am See als zusätzliches Budget erhalten, das ins Eigenkapital geflossen ist. Man sieht dies bei RB Leipzig als marktüblichen Vorgang an. Ehrlich halt.

  • Politik und Marketing

In Konzernen ist es oft Usus, sich politisch nicht zu äußern. Daher ist es im Leipziger Zentralstadion unerwünscht, politische Statements abzugeben. Die Zuschauer sind Teil des Marketingkonzepts und fungieren als Statisten bei der 90-minütigen Produktpräsentation. Laut „Welt“ durften RB-Anhänger 2015 das Plakat „Ligaspiel und Legida – der Montag ist zum Kotzen da“ nicht aufhängen…laut RB lag das ausschließlich an der Fäkalsprache. Die konzernkritische RB Gruppierung „Red Aces“ löste sich mit der Bemerkung „9 Jahre Utopie, 9 Jahre im Wandel. Gegen Widerstände gekämpft, sie ausgehalten, manchmal gewonnen, noch häufiger verloren. Stets auf der Suche nach einem Platz für unsere Ideale. Dieser Weg nimmt nun ein Ende. Nach den Sternen gegriffen, sie gesehen, aber nie erreicht“ im März 2020 auf. Red Aces waren für ihre Statements gegen Rassismus, Sexismus etc. bekannt. Auf einer Marketingveranstaltung stört so etwas natürlich, da es vom eigentlichen Produkt zumindest ablenkt. Ehrlich halt.

  • #StayAwaySoWeCanPlay

    Zuschauer bekommen im Marketingplan von RB Leipzig die Rolle von Statisten zugewiesen, die helfen sollen, das Produkt zu vermarkten. Verhalten sich diese nicht wie gewünscht, werden sie als störend empfunden. Die Zwangspause des Spielbetriebs ging einher mit einer Zwangspause des Marketings und war tatsächlich schlecht für die Verkaufsförderung. Ob später nun Spiele vor Publikum stattfinden oder Geisterspiele durchgeführt werden, um sie zu stimulieren, ist zweitrangig. Daher ist der von RB Leipzig gewählte Hashtag während der Geisterspiele „Stay away so we can play“ so entwaffnend ehrlich.

Die genannten Punkte sind nicht abschließend. Sie zeigen aber deutlich, wie offen, ungestört und ohne wirklichen Gegenwind der Red Bull-Konzern seine Strategie durchsetzen kann. Dies kann man gut finden oder ablehnen. Allerdings schlagen viele Vereine eine ähnliche Richtung bei vielen der genannten Punkte ein.

Die (vermeintlich) großen Vereine machen das mittlerweile immer ungehemmter deutlich. Beim BVB liegen nur noch 7 Prozent der Anteile beim Verein. Die Nähe von VW und Wolfsburg und von Bayer und Leverkusen ist bekannt. Hertha öffnet sich einem Investor. Der FC Bayern liefert sich Scharmützel mit der aktiven Fanszene. Kleinere Vereine wie Mainz 05 machen den Mund gar nicht mehr auf und schlucken einfach, was von der DFL beschlossen wurde. Stattdessen forderte der Nullfünf-Vorstandsvorsitzende Stefan Hofmann bei der Versammlung der Fanabteilung neulich im Stadion am Europakreisel die Mitglieder auf, Fans zu generieren. Dabei wissen wir alle spätestens seit Nick Hornby, dass man sich seinen Verein nicht selbst aussucht. Sprich eigentlich geht es um eine Akquise von neuen Nullfünf-Sympathisanten. Man kann es auch zynischer ausdrücken: von Neukunden.

Die Akteure im Profifußball verhalten sich mehr und mehr wie Konzerne, die versuchen neue Zielgruppen zu erreichen. RB mit seinen 19 Mitgliedern macht dies auf eine offene und ehrliche Art und Weise. Andere Vereine versuchen es ihren Mitgliedner anders zu verkaufen. Manchem sind diese lästigen Mitglieder ein Dorn im Auge, aber letztlich nutzen sie ihre aktuell noch bestehende Fanbase zielgerichtet aus. Diese leistet viele Stunden ehrenamtlich für den Verein und erhält im Gegenzug dafür keinen Cent. Welcher Konzern hat eigentlich diese Möglichkeiten auf der Personalseite?

Daher stellt sich schon die Frage, welches Konstrukt am Ende ehrlicher ist, wenn es letztlich nur um die Vermarktung und das liebe Geld geht. Vielleicht sollte man sich bei den Vereinen, die andere Zielsetzungen bzw. Werte haben, überlegen, ob die Forderungen der Initiative „Unser Fußball“ zur „Zukunft Profifußball“ so abwegig sind. Denn gut bezahlten jungen Männern und weitaus weniger gut bezahlten jungen Frauen dabei zuzuschauen, wie sie ihren Job verrichten, ist per se eigentlich ziemlich unspektakulär und auf die Dauer langweilig. Das sollten die Entscheider an den entsprechenden Stellen meiner Meinung nach nicht vergessen.

Quellen:

DER SPIEGEL: Rasen Ball Leipzig: Red Bull plant Liga-Einstieg

WirtschaftsWoche: Die Bundesliga GmbH: Die Anteile bestimmen nicht die Stimmrechte

Red Aces: Die Auflösung

kreuzer online: Marktüblich und Männer und Menschheit

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