Niederlande 2003

Auf meiner Stippvisite beim ersten EM Land, gegen das sich die deutsche Fußballnationalmannschaft nun im kommenden Juni durchwurschteln will, muss ich eingestehen, dass auch niederländische Fans von ihrer Mannschaft alles andere als begeistert sind. Dabei haben Fußballer in den Niederlanden die optimalen Trainingsbedingungen: Überall ist es flach, Wiesen gibt es im Überfluss, die Deiche sind natürliche Seiten- und Toraus-Linien, und die Kühe bleiben anders als in Indien auf der Weide und blockieren nicht das Mittelfeld.  

Apropos Indien…irgendwie fühlte ich mich ja schon ein wenig auf den chaotischen Subkontinent zurückversetzt: Fahrräder, Fahrräder und nochmals Fahrräder. Aber anders als bei uns wird hier die Spezies „Radler“ nicht getrunken, sondern Ernst genommen: Es gibt praktisch immer einen Radweg der den Namen auch verdient hat. Die Buckelpisten, in Deutschland oft als Radweg angepriesen und nur mit Mountain Bikes halbwegs befahrbar, fehlen hier komplett. Stattdessen findet der passionierte Radler ebene Pisten, bei denen sogar das Trampen à la Hollandaise, Pardon die Mitnahme auf dem Gepäckträger, beim Mitgenommenen keine bleibenden Schäden am Gesäß hinterlassen. Bei Baustellen auf dem Radweg gibt es eine beschilderte Umleitung, die tatsächlich wieder auf den eigentlichen Weg des Radelns zurückführt. So bleibt dem niederländischen Radler, das allseits beliebte Absteigen und Radweg-Suchen, das bei uns doch öfters vorkommt, erspart. Abgestellt wird das Rad in Radparkhäusern und die Wahrscheinlichkeit, sein Rad nach einer Kneipentour wieder zu finden liegt hier noch recht hoch, anders als in vielen anderen Zock- und Klau-Regionen.  

Natürlich war es eine prima Sache mit den tatsächlich hier in tausendfacher Ausgabe herumrollenden Hollandrädern ins Restaurant oder in die Kneipe zu düsen. Berge sind hier ein Fremdwort, so dass tags wie nachts die Radwege von allen Bevölkerungsschichten genutzt werden, und sich so ein ganzes Volk fit hält und auch im platten Zustand wieder nach Hause findet, statt am nächsten Hügel in den Graben zu rollen.    

Einerseits muss man auch in den Niederlanden ein prallen Geldbeutel nach der Euro-Einführung haben, um überhaupt in die Nähe des Plattheits-Zustands zu geraten. Andererseits fällt die Auswahl wie man, finanzielle Mittel vorausgesetzt, in eben diesen Zustand fällt, nicht nur wegen der in ganz Holland verbreiteten „Coffie-Shops“, extrem leicht. Urige Kneipen mit unzähligen, zwar nicht nach dem Reinheitsgebot gebrauten, aber doch sehr trinkbaren Gerstensaft-Varianten, laden zum Verweilen und zum Diskutieren über Fußball ein. Und um eben diesen geht es zumindest am 15. Juni 2004, wenn Deutschland gegen die Niederlande spielen wird. Testet dies am besten mal alles selbst aus, hier in den sympathischen Niederlanden und freut Euch auf ein gutes Spiel zwischen zwei fußballverrückten Nationen – egal wie es auch ausgehen mag!  

Bis dahin wünsche ich Euch allen einen geruhsamen Advent. Genießt die Zeit mit Tee und Plätzchen oder dem einen oder anderen Glühwein oder spaced in einem Coffie-Shop mal so richtig ab!

Guyanas 2002 Teil 3

Ich hoffe, Ihr habt weiterhin Lust auf kleine Geschichten, die man während einer Reise durch Südamerika tagein tagaus erlebt. Die letzte Mail endete am sagenhaften Kaieteur Wasserfall. Der Wasserfall alleine wäre den bereits geschilderten etwas turbulenten Flug vielleicht nicht Wert gewesen. Aber da Paul der indianisch-stämmige Ranger nun mal sicherlich seine Bestimmung gefunden hat, Stadtmenschen wie mir die Schönheit seiner Heimat  zu zeigen, sah ich dank seiner Hilfe einige leider selten gewordene Vögel, die im Dickicht des Dschungels nur mit geschulten Augen erkannt werden können. Auch die sog. Golden Frogs, kleine wie der Name schon sagt, golden leuchtende Frösche, die in Blatt-Trichtern leben, hätte ich sicherlich ohne seine Hilfe nicht entdeckt, denn wer guckt schon permanent in am Wegesrand stehende Blatt-Trichter hinein.

Die Tage an den Kaieteur Fällen, ohne Strom, fließend Wasser (es stammt aus der Regentonne, die natürlich immer voll ist), Autos, Strassen, Internet und anderen „Errungenschaften“ der Zivilisation gingen natürlich viel zu schnell vorbei. Mittlerweile hatte ich mich auch damit abgefunden, wieder in das Flugzeug zu steigen, das mich aus der „grünen Hölle“ abholen soll. Als Alternative zum Flug wäre mir nur eine dreitägige Wanderung in Richtung der nächsten Straße geblieben. Da zog ich dann doch letztendlich die Buschkiste vor. In Guyana ähneln diese „Linienflüge“ aber eher einer Busfahrt. Lediglich der Anfangsflughafen und der Endflughafen stehen fest. Die Stopps en Route bestimmen die mitfliegenden Passagiere. Im Office von Roraima Airways, die mich nun wieder abholen soll, schaute ich auch ganz genau, dass die Angestellte notierte, dass ich von den Wasserfällen 2 Tage später wieder abgeholt werden wollte, um dann weiter nach Süden in Richtung guayanisch-brasilianische Grenze zu fliegen. Denn der „Flughafen“ von Kaieteur Falls besteht lediglich aus einer Holzschutzhütte, einem WC und einer ca. 400 m langen Piste. Zum Glück existiert wegen der widrigen Wetterverhältnisse aber eine Wetterstation, die das aktuelle Wetter an die Piloten funken kann, und auch im Notfall mal anfragen kann, ob ein Flugzeug vorhat, hier zu landen. Denn leider herrscht  im tiefsten Regenwald, meist eher britisches Wetter: Mit anderen Worten: Nebel und Regen.  

Am Frankfurter Flughafen existiert daher für solche Wetterverhältnisse ein sog. Instrumentenlandesystem, mit dem der Pilot auch bei 0 m Sicht landen kann. Hier gibt es so was natürlich nicht. Daher hieß es am Tag meiner geplanten Abreise: Warten, denn die Sicht von vielleicht 300 m und eine Wolkendecke in Höhe von ca. 150 m machten eine Landung unmöglich. Aber der Ranger Paul und Susan von der Wetterstation machten mir Mut, und vertrösteten mich darauf, dass es schon irgendwann aufklaren wird. Der Pilot fragte auch den Wetterbericht über Funk ab, gab aber auf unserer Frage, ob er landen würde keine Antwort. Doch tatsächlich klarte es nach 2 bis 3 Stunden auf, und plötzlich meinten Paul und Susan sie hörten ein Motorengeräusch. Es konnte sich nur um meinen Flieger handeln. In der Tat bemerkte auch ich nach ein paar Minuten ein Brummen und kurz darauf war das kleine Flugzeug, das mich wieder in die Zivilisation bringen würde, auch schon gelandet. Wieder war ich der Einzige der diesmal einstieg und nach ca. 4 Minuten Bodenzeit, war der Flieger schon wieder in der Luft, um nach ca. 20 Minuten in irgendeinem Indianerdorf zu landen, da ein anderer Passagier abzusetzen war.  

Eine Stunde später, nach einem äußert ruhigen Flug, änderte sich die Landschaft abrupt. Der Regenwald wurde durch eine rot- braun gefärbte Ebene abgelöst. Bald darauf setzte die Maschine in Lethem, dem letzten Dorf vor der Grenze nach Brasilien, ca. 200 km nördlich des Äquators auf. Die Savanne, in der ich gelandet war, sieht genauso aus, wie die berühmte Serengeti in Ostafrika. Gemeinsam haben beide Landschaften einem großen Reichtum an Tieren, mit dem Unterschied, dass es hier keine Löwen o. ä. Artgenossen gibt, die mich hier von einer Radtour abhalten könnten. So ging es mit dem Rad (ohne Gangschaltung aber mit Placebo Bremsen) eines Einheimischen auf Safari! Am Pistenrand stehen Strohhütten, die mich wieder stark an den schwarzen Kontinent erinnern, doch aus den Hütten schauen mich hier erstaunte Indianeraugen an. Das Schöne an Guyana ist die Tatsache, dass die Amtssprache Englisch ist, und man daher leicht mit den Einheimischen, die hier zu 90% Indianisch-stämmig sind, in Kontakt treten kann. Auf die Frage, was ich hier so mache, entgegnete ich in einem Gespräch am Wegesrand, ich sei Tourist. Doch dieses Wort hatte mein Gesprächspartner, der ansonsten nicht gerade von einem anderen Stern stammt, noch nie gehört. Anscheinend ist die Spezies Touri hier wirklich noch eine seltene Erscheinung. Die Leute wunderten sich zwar warum ich hier mit einem Fahrrad durch die Gegend kurve, aber dies erweckte bei Ihnen kein Misstrauen, eher Neugierde, wie das Leben in Deutschland so sei.  

Am nächsten Tag begab ich mich nun in das vierte Land meiner Reise und musste mich nun mit der vierten Sprache auseinandersetzten. In Surinam kam ich mit Englisch relativ gut durch. In Französisch Guyana und Guyana gab es keinerlei Sprachbarrieren, doch mit der Einreise nach Brasilien änderte sich dies schlagartig. Der Grenzbeamte konnte noch einige Brocken „Ingles“. Doch seither komme ich mit meiner Frage „Vôce fala ingles?“ also „bitte bitte sprecht doch wenigstens einige Wörter Englisch“ nicht sehr weit. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf der Busfahrt nach Boa Vista, dem ersten Ziel in Brasilien, anzufangen Portugiesisch zu lernen, wollte ich nicht ständig mit der Gebärdensprache eine Art rhythmischer Sportgymnastik betreiben.  

Obwohl ich mich nun immer mehr dem Äquator nähere, blieb die Savanne beherrschend. Irgendwie hatten wir das doch im Erdkunde- Unterricht anders gelernt, oder? In Amazonien gibt es tropischen Regenwald (so weit er nicht schon zerstört ist). Aber von Savannen sprach meiner Meinung niemand.  

Mit Brasilien erreichte ich ein Land der krassen Gegensätze. Hier prallen erste und dritte Welt permanent aufeinander. Positiv für mich als Reisenden stellt sich die Tatsache dar, dass man wieder gute (Kredit)Karten hat. Sie werden glücklicherweise sogar im Supermarkt akzeptiert, nachdem diese Plastikkarten bisher eher als Ersatzlineal dienten, denn in den Guyanas war Cash das einzige Zahlungsmittel. Auch konnte ich mich nun mit äußerst komfortablen Bussen fortbewegen, die Strassen waren wieder geteert und Schlaglöcher hatten meist Seltenheitswert. Andererseits fuhr man oft an Papphüttensiedlungen, den bekannten Favelas vorbei, die die immer noch weit verbreitete Armut dieses Schwellenlandes zeigen.  

Aber zwei Dinge scheint alle BrasilianerInnen zu einen: Als erstes sei Futbol genannt!   In Boa Vista bummelte ich durch die Gassen während des WM- Testspiels Portugal gegen Brasilien. Überall gab es kleine Kneipen am Straßenrand mit einem völlig überdimensionierten Riesenfernseher, der das Spiel übertrug. Um den Fernseher waren die Menschen versammelt, wie Bienen im Bienenstock um ihre Königin. Die Gassen hatte ich praktisch für mich alleine. Und plötzlich hörte ich aus allen Fernsehern nur noch das berühmte GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL! Und das obwohl die Portugiesen ein Tor schossen!!! Brasilien glich dann durch einen Elfmeter noch aus, der die etwas trübe Stimmung wieder aufhellte. Ich hatte keinen Moment dieses Spiel eigentlich verfolgt, war aber permanent unwillkürlich auf dem neuesten Stand der Dinge. Ich weiß ja nicht, was in dieser fußballverrückten Nation abgeht, wenn es wirklich um die WM geht, denn es war ja nur ein Testspiel. Das Testspiel der Deutschen Elf gegen Argentinien wurde übrigens danach gezeigt, aber ich halte es zur Zeit doch eher mit Mainz 05, deren Sieg gegen Bielefeld, sogar über Weltempfänger und mit Hilfe der Deutschen Welle bis zu den Kaieteur Wasserfällen mitzubekommen war. Am Sonntag wurde ich dann noch Zeuge einer Radioübertragung eines Fußballspiels in São Paulo. Der Kommentator erinnerte mich in seinem oralen Output von sicher 10 Wps (words per second) an eine Kette Knallkörper, wie wir sie an Sylvester immer loslassen. Nur mit dem Unterschied, dass bei einem Feuerwerk nach ein paar Sekunden wieder Ruhe herrscht und neu gezündet werden muss. Unser Kommentator hingegen schoss sein Feuerwerk aus aneinander gereiten Wörtern 45 ganze Minuten ohne Pause in den Äther. Lediglich alle paar Minuten hörte man ein gewisses Röcheln, da anscheinend beim Reden gleichzeitig ja irgendwie auch Luft in seine Lungen kommen musste, um wieder neue Wörter hinausposaunen zu können. Der Spielstand war übrigens die ganze Zeit 0:0!!!  

Als zweites Merkmal, das alle BrasilianerInnen zu einen scheint, sei der äußerst ausgeprägte Körperkult genannt. In diesem Land kann man, um im guten britischen Understatement zu sprechen, niemals „underdressed“ sein, denn wenn die Mädels schon im Bikini zum Einkaufen latschen, und die Jungs nur in knapper Badeshorts zum Kippchen Rauchen auf die Strasse gehen, dann kann man als Touri sich gar nicht mehr falsch anziehen. „Schönen“ Menschen in Brasilien, und das ist fast jede(r) hier, wird provokativ hinterher (oder auch hinein) geschaut, nachgepfiffen oder auch hinterher gehupt, je nach der logistischen Situation. Auch die Ärmsten der Armen versuchen durch nobel anzusehende Kleidung ihrem sozialen Umfeld zu entweichen, dabei zählt natürlich eher die Qualität als die Quantität der Kleidung.  

Allerdings gibt es in Brasilien auch äußerst viele Straßenkids, die schon äußerst früh von zu Hause ausgesetzt, oder verscheucht wurden, da die gesamte Familie nicht zu ernähren war. Als weißer Tourist in Brasilien ist man natürlich das direkt anzusteuernde Ziel eines jeden Straßenkids. Eine Regelung, mit dieser penetranten Bettelei der Straßenkinder von Brasilien zu unterbinden sei, zeigte mir auf der Busfahrt im „Terror Ship“ von „Bin Ladin“ nach Georgetown, „Papi“ ein Rastafarian aus einem Dorf im Nordosten Brasiliens: Bettelt Dich jemand an, da er anscheinend hungrig ist, biete ihm etwas zu Essen an. Hat diese Person nun wirklich Hunger, wird sie auf Dein Angebot eingehen. Möchte diese Person hingegen nur wieder ein paar Réais für einen nächsten Pitú (Caipirinha) erhaschen, beißt sie bei Dir auf Granit. Die Probe auf Exempel machte ich später in Manaus, wo ich von Straßenkids nur so umringt war: Ein kleiner Junge wurde zur permanenten Klette, da er um ein paar Centavos (Untereinheit von Réal) bettelte. Da ich gerade kein Futter parat hatte, schleppte ich meine „kleine Klette“ bis zur nächsten Garküche mit, bei der es für einen Réal (ca. 0,50 €) Fleischspießchen gab. Geduldig und anscheinend wirklich hungrig wartete meine „kleine Klette“ bis der Spieß fertig gebraten war, und es war vielleicht für ihn die einzige (warme) Mahlzeit am Tag. In diesem Falle war also Papis Strategie genau aufgegangen. Das Gegenteil hatte ich mit Papi auf der Fahrt nach Georgetown auch öfters erlebt.  

Was das Essen im Allgemeinen anbetrifft, ist Brasilien sowieso das Paradies für jeden Gourmet: Entweder kann man für umgerechnet 2,50 € „All U can Eat“ erleben oder man geht in die leckeren „Per Kilo Restaurants“, in denen man sich den Teller mit verschiedensten Spezialitäten volladen kann, und danach der Preis (meist 3-4€ pro Kg.) nach dem Gewicht bestimmt wird.  

Von der ersten größeren Stadt in Brasilien (Boa Vista) ging es über 640 km per Bus  in Richtung Manaus. Das Bild der Steppe wich in der Nähe des Äquators doch allmählich dem des Regenwaldes bzw. der Rinderweide, die nach dem Abholzen des tropischen Regenwaldes hier entstanden sind. Und plötzlich verriet ein Schild „Bemvindo ao Equator“. Wir haben mit unserem Bus soeben den Äquator überquert. Genau an diesem Flecken Erde herrscht zumindest für mich immer ein grässliches Wetter. Schon 1995 herrschte auf diesem berühmten Breitengrad am Mt. Kenya Nebel und Temperaturen Nahe am Gefrierpunkt. Und nun in Südamerika? Es spielte sich genau die gleiche Situation hier nochmals ab: Schmuddelwetter am Äquator, allerdings bei 32°C!  

Nach 13 Studen Busfahrt erreicht ich nun meinen ersten Endpunkt dieser Reise: Manaus, die berühmte Stadt am Amazonas. Dabei liegt das 1,4 Mio. Einwohner zählende Manaus – an Einwohner mehr als die 3 Guyanas zusammengenommen – gar nicht am Amazonas nach brasilianischer Definition.  

Am sog. „Encontro des Aguas“ (Zusammenfließen des Wassers) ca. 12 km östlich von Manaus fließen der durch die Stadt ziehende Rio Negro (schwarzer Fluss) und der Rio Solimões aus Peru kommend zusammen. Lediglich die „letzten“ 1.500 km Flusslänge bis zu seiner Mündung in den Atlantik nennen die Brasilianer den Fluss nun Rio Amazonas. An dieser Stelle des Flusses ist der Rio Solimões schon seit 5.000 km auf seiner Reise Richtung Osten. Am Encontro des Aguas fließt das schwarze, also wirklich dunkler wirkende Wasser kilometerlang neben eher hellbraunen des Rio Solimões entlang, ehe sie sich dann doch irgendwann vermischen.    

Mit dem Erreichen von Manaus hieß es nun für mich wieder Abschied nehmen von Amazonien, zu dem die drei Guyanas ebenfalls gehören. Ein besseres Abschiedsbild als die riesigen Flussdampfer, die von Manaus entweder flussaufwärts bis nach Tabatinga an das Dreiländereck Kolumbien, Brasilien, Peru in ca.10 Tagen fahren, oder flussabwärts nach Belém in ca. 5 bis 6 Tagen konnte es für mich nicht geben. Gerne wäre ich mit einem dieser Schiffe weiter gezogen. Doch stattdessen „durfte“ ich wieder einmal den „Luxus“ eines Flugzeuges genießen. Dieser „Luxus“ bestand darin, um 3h10 morgens von Manaus nach São Paulo fliegen zu dürfen und dadurch die harten Bänke der Wartehalle des Flughafens in Manaus auf Schlafmöglichkeiten zu testen. Erwartungsgemäß fiel der Test negativ aus.  

Der Anflug auf die 20 Mio. Einwohner Metropole São Paulo war äußerst beängstigend: Wir flogen über ein bis an den Horizont reichendes Häusermeer. Von einer Landschaft war hier definitiv nichts mehr zu erkennen. Daher hatte ich nicht gerade sonderlich große Lust auf diesen „Moloch“, nachdem ich für fast 3 Wochen keine Hochhäuser, ja noch nicht einmal mehr 2- bis 3-stöckige Gebäude gesehen hatte. Aber nicht die „Reize“ dieser Stadt brachten mich hierher, sondern vielmehr die Tatsache mal wieder jemanden der weltweit verstreuten Schnickschnack-Gemeinde zu besuchen.  

Maria betreut in einem Vorort von São Paolo Kinder in einer Art Kindertagesstätte für ein Jahr. Dadurch dass Maria nicht im Zentrum sondern ca. 30 km davon entfernt lebt, war es gar nicht so einfach sich mal kurz so in dieser Metropole zu treffen. Denn ich spreche nun mal erst äußerst gebrochen portugiesisch und Marias Gastgeber „não ingles“ (kein Englisch). So kam es dass das erste Telefongespräch etwas im Sande verlaufen ist, da Maria nicht zu Hause war, und ich irgendwie vermitteln wollte, dass ich sie am nächsten Tag besuchen wollte. Glücklicherweise haben Marias Gastgeber ihr aber von diesem komischen Anrufer berichtet, und letztendlich konnten wir uns dann doch noch treffen. Nach dem Besuch bei Maria heißt es nun endgültig Adeus Brasil und es geht nun wieder der Heimat entgegen.

Guyanas 2002 Teil 2

Mittlerweile habe ich das sog. 2. Guyana durchquert, da Surinam früher Niederländisch Guyana hieß, und die Holländer dieses Land 1667 von den Engländern im Tausch gegen New Amsterdam, besser bekannt unter dem Namen Manhattan (New York City), eingetauscht hatten.

Im Gegensatz zu Französisch Guyana ist Surinam nun seit 1975 unabhängig, aber die Verbindungen zu Holland scheinen noch immer zu bestehen: Jeder hier (vielleicht mit Ausnahme von mir) bedauert dass das Oranje Team nicht zur Fußball WM fahren darf, denn Fußball ist hier Nationalsport Nummer 1, dank Clarence Seedorf, dem holländischen Fußballstar, der hier eine Fußballnationalmannschaft samt Stadion aufbaut. Außerdem fahren natürlich die schrottreifen Autos der alten Kolonialmacht bis zum Auseinanderfallen weiter, obwohl hier Linksverkehr herrscht, und damit eigentlich das Steuer besser rechts angebracht wäre. Der  Linksverkehrt ist auf den Kutschen-Linksverkehr vor 1667 von den Engländer eingeführt, zurückzuführen. Es ist schon ein angenehmes Gefühl endlich wieder mit diesen zweifelhaften Gefährten unterwegs zu sein, die höchstens 60 km/h fahren, nachdem in Französisch Guyana mit 140 km/h in ‚Raketengeschwindigkeit‘ durch den Urwald geprescht wurde.    

Die Hauptstadt Surinams mit dem wunderschönen Namen Paramaribo (zu deutsch aus dem Sranan Tango (Surinamesisch): Ort an dem der Maramara-Baum wächst) ist wirklich ein Amsterdam in den Tropen. Die ‚Waterkant‘ ist mit stilvollen Holzhäuschen übersät, die auch an einer Gracht 7.000km weiter nordöstlich stehen könnten. Allerdings ist Parbo, wie die Einheimischen sagen, nicht immer ganz ungefährlich, zumindest für Fußgänger, denn Fußgängerampeln gibt es nicht. Dafür aber Ampeln für Autofahrer, die man als Fußgänger wiederum nicht einsehen kann. Plötzlich befindet man sich dann in folgender Situation: An allen Ecken warten die Autos, und man weiß eh schon nicht mehr wohin man beim Linksverkehr blicken soll, und dann heißt es den ganzen Mut zusammennehmen und die Fahrbahn überqueren, da man ja nie weiß, wie viele Sekunden bleiben, das rettende Ufer in Form eines Bürgersteiges zu erreichen.  

Von Surinam können einige Regionen unserer Erde wirklich etwas Lernen, was das Zusammenleben von Kulturen anbetrifft. Die Bevölkerung besteht aus ca. 50% Afroamerikanern, die seit der Abschaffung der Sklaverei, nicht mehr in den Plantagen der Weißen arbeiten wollten. Daher wurden neue Arbeiter aus Indien und Indonesien herbeigeschafft, die mittlerweile die anderen 50% der Bevölkerung ausmachen. Vier große Weltreligionen sind in Surinam durch diese multikulturelle Gesellschaft hier vertreten: Moslems (Indonesier und einige Inder), Hindus (Inder), Christen (Afroamerikaner) und Juden (einige Weiße). Dieser Mischmasch an Religionen und Kulturen lebt hier nicht nebeneinander sondern miteinander. In Parbo z. B. steht die Synagoge direkt neben der Moschee und keiner hat damit ein Problem. Natürlich sind die Surinamesen auf ihre kleine heile Welt gerade in diesen Zeiten mächtig stolz und meiner Meinung nach haben sie auch einen guten Grund dazu…  

Kulinarisch hat dieser Völkermischmasch natürlich auch paradiesische Zustände für Gourmets hervorgebracht. Frühstücken auf europäisch mit gutem Koffie (Cafe) und Schokokuchen, dann einen Chicken-Curry-Sandwich als Zwischenmahl bevor es Nasi Goreng oder Bami Goreng als Mittagessen gibt. Nachmittags dann die leckeren Früchte von den Märkten als Vitaminschocker (Litschis, Bananen, Mangos, Papayas etc.) und abends von den Holländern Pommes mit Mayo. Na dann guten Appetit.  

Von Parbo ging es weiter an der Nordküste Südamerikas weiter in Richtung Westen, um in das dritte Guyana, das nun auch tatsächlich einfach Guyana (früher Britisch Guyana) zu gelangen. Der Name Guyana soll eigentlich von einem Indianerstamm, den Yuyannas abgeleitet sein. Andere Quellen besagen, dass Guyana „Land des reichlichen Wassers“ bedeutet. Dieser Interpretation stimme ich voll zu, da hier alle paar Kilometer riesige Ströme bei der Reise nach Westen zu überqueren sind. Außerdem regnet es hier regelmäßig auch in der Trockenzeit, und Guyanas Hauptstadt ist mit Kanälen (ähnlich wie in Freiburg)durchzogen. Und schließlich gibt es hier noch den höchsten frei fallenden Wasserfall (ohne Kaskaden) der Welt.  

Auch das dritte Guyana hat mit dem, was man sich unter dem Subkontinent Südamerika vorstellt absolut nichts gemein. Vielmehr ist das Land von karibischen Einflüssen geprägt, und ich fühle mich an meine Reise letztes Jahr durch die Inselwelt der kleinen Antillen stark erinnert. Auch die „No Problem People“ tauchten in Guyana wieder auf. Die erste dieser Personen war ein etwas makaberer Typ im Moslemgewand und sehr sehr langem Bart, der sich selbst ständig „Bin Ladin“ nannte, und es total cool fand, einen Ami (ich), der gar keiner war, mit seinem „Terror Ship“ (japanischer Minibus) vom Grenzfluss zu Surinam in die Hauptstadt Georgetown zu bringen. Zu seinem „Service“ gehörte Schwarztauschen von US-Dollar zu einem echt guten Kurs (wo im Busch soll man auch eine Bank finden), die gleich mit dem Fahrpreis verrechnet wurden. Danach besorgte er für alle Nasi Goreng hinter der Grenze zum Essen, und er drängelte so geschickt mit seinem „Terror Ship“, dass wir als erste wieder von der Fähre über einen weiteren Fluss herunterkamen, und dann in der Pole Position Richtung Georgetown düsen konnten. Natürlich setzte er mich auch noch genau an meinem Hotelschuppen ab, den ich mir vorher ausgesucht habe, da er das finanzielle Budget nicht sonderlich belastet.  

Genau dort traf ich dann zum erstem Mal auf dieser Tour so richtige Touris, die dann natürlich auch noch genau aus Mainz kommen müssen. Per Email hatten Steffen, Jochen und ich ganz sponti-mässig ausgemacht, uns in Georgetown, wenn irgendwie möglich zu treffen. Dass dies dann geklappt hat, war natürlich gut, für die Brauereiindustrie Guyanas und ein harter Job für einige Barkeeper…  

Nach einem Tag trennten sich dann wieder unsere Wege, da Jochen und Steffen unbedingt den Schildkröten beim Eierlegen zuschauen wollten, und ich nun langsam landeinwärts touren wollte, um irgendwann mal am Amazonas in Manaus herauszukommen.  

Bis es bei mir weiterging, versuchte ich den Lieblingssport Guyanas endlich mal zu verstehen. Um es vorwegzunehmen: Beim Cricket Game West Indies (alle Karibikstaaten) gegen Indien war ich zwar physisch anwesend, doch ich raffte nicht gerade viel. Außerdem kam ich mitten im Spiel erst an, da diese Verrückten doch tatsächlich von 9.30 bis 17.30 durchspielen. Wer gewonnen hat? Keine Ahnung! Obwohl zahlreiche Guyana-Fans mir versuchten, irgendeine Logik bei diesem Spiel zu zeigen. Vielleicht könnt Ihr mir ja weiterhelfen. Auf jeden Fall war das Spiel eh nur Nebensache, denn es gab einen extra DJ der das Publikum ständig mit guten Beats einheizte, und die Stimmung zum Kochen brachte. Doch die Stimmung artete nur in eine grenzenlose Party aus, ohne dass auch nur eine Person irgendwie aggressiv wurde. Tja, andere Länder andere Sitten. Hooligans gibt es hier einfach nicht, dazu sind die Leute einfach viel zu locker drauf…  

Am nächsten Tag ging es dann wieder on the road bzw. ON AIR, denn in Guyana kann man viele Gegenden weder mit dem Boot (zu viele Wasserfälle) noch mit dem Auto (keine Strassen, zu viel Wald) erreichen. Daher gibt es das gute alte Flugzeug. Doch hier läuft das Fliegen etwas anders ab, als wir es kennen. Die Maschine vom Typ Briten Norman Islander hatte lediglich 9 Sitze, wobei eigentlich 10 Passagiere mitkommen hätten können, da der Sitz des Co Piloten leer blieb –  drastischste Sparmaßnahme? – keine Ahnung. Die Maschine kann nur 65 Gallonen Treibstoff tanken, dies sind rund 250 Liter oder 200 kg. Daher werden schon mal ein paar Kerosinfässer hinten in den Gepäckraum verladen. Gefahrgutverordnungen gibt es hier wohl eher nicht. Übrigens verbraucht ein Airbus A320 schon 200 kg Kerosin, um überhaupt mal zur Startbahn zu rollen. Mit 90 Knoten etwa 160 km/h flogen wir dann über den Regenwald Guyanas. Vor dem Abflug aber mussten allerdings erstmal alle Passagiere gewogen werden. Die Resultate waren vor allem für die weiblichen Passagiere sehr schockierend gewesen. Handgepäck wurde auch gewogen und bei einer Freigepäckgrenze von 25 lbs. etwa 12 kg, musste ich doch für sage und schreibe 38 lbs. Übergepäck zahlen (20 US$). Die Tatsache, dass hier so exakt gearbeitet wurde, hatte in mir erst mal ein gutes Gefühl ausgelöst. Auch der Start war eigentlich echt lässig. Dumm nur, dass wir genau in eine Gewitterfront herein geflogen sind. Der Regen und die Wolken durchschüttelten das Flugzeug wie ein Mixer einen Wodka Martini, und als es begann, ins Flugzeug hereinzuregnen, fing ich langsam an, mir so meine Gedanken zu machen. Als es dann auch noch blitzte wollte ich nur noch heil wieder rauskommen. Für Leute mit Flugangst war dies eine richtige Schocktherapie gewesen.  

Ich machte mir zwischen Hoffen und Bangen, dann Gedanken, wie ich den Rück- bzw. Weiterflug irgendwie verhindern könnte, denn ich hatte keine große Lust mehr, falls ich denn überhaupt heil lande, noch mal mit dieser Kiste zu fliegen. Das Einzige was mich irgendwie beruhigte, waren die anderen Passagiere, die z. T. sogar schliefen! Der Pilot hinter dem ich unmittelbar saß, machte seine Aufzeichnungen während des Gewitters, als ob er einen Lottoschein ausfüllen würde, und zum Glück funktionierte wenigstens das GPS-Gerät, mit dem die Maschine ausgestattet war. Und plötzlich war alles vorbei. Flogen wir die ganze Zeit durch Wolken in einer Höhe von 6800 Fuß (ca. 2.200 m ) – mehr lässt die nicht vorhandene Druckkabine nicht zu – wurde es immer heller und dann war mein Ziel auch schon erkennbar: Die Kaieteur Wasserfälle, die wie gesagt, die höchsten der Welt ohne Kaskaden sind, wurden durch die Wolkendecke sichtbar.

Der Pilot flog auch noch extra eine Schleife, damit jeder dieses herrliche Naturschauspiel von oben genießen konnte. Rundherum nur Regenwald und ein mäandernder Fluss, der plötzlich in einer Stufe von 800 Fuß von einem Hochplateau in die Tiefe stürzt. Der Airstrip und 3 Häuser waren die einzigen Zeugen von Zivilisation in diesem Gebiet. Ich war natürlich der Einzige der hier ausstieg, die anderen Mitflieger hatten natürlich besseres zu tun, als sich mitten im Regenwald absetzen zu lassen. Doch so ganz alleine war ich nun auch nicht, denn schließlich gibt es Paul, den indianischen Ranger, der in einem „Guesthouse“ direkt an den Fällen für den Fall ausharrt, das so jemand wie ich, mal hier vorbeischaut.  

Wie die Story weitergeht… Schauen wir mal… Ich muss jetzt mal langsam was zu Essen fassen, denn meine Fingermuskulatur ist mittlerweile vom Tippen ganz schön beansprucht…