Das ehrlichere Konstrukt?

Was hast Du am 19.05.2009 gemacht? Wahrscheinlich immer noch den Sieg der Nullfünfer in Fürth zwei Tage vorher gefeiert. Schließlich ebnete dieser den Weg für den Verein zurück in die erste Liga, der wenige Tage später am Bruchweg tatsächlich gelang. An eben jenem 19. Mai wurde auch der eingetragene Verein RasenballSport Leipzig gegründet. Was in den folgenden Jahren passierte, ist den meisten von uns bekannt. Der Club stieg bis in die 1. Liga auf und spielt mittlerweile regelmäßig in der Champions League. Gleichzeitig schlägt ihm, spätestens seit dem Aufstieg in die 2. Liga 2014, eine Antipathie durch viele Menschen in ganz Deutschland entgegen.

In diesem Blogpost geht es nicht um das x-te Red Bull-Bashing, sondern schlicht um die Frage, ob der vom Red Bull-Konzern gewählte Ansatz, in Anbetracht der gegenwärtigen Entwicklung des Profi-Fußballs in Deutschland, nicht das ehrlichere Konstrukt im Vergleich zu den „traditionellen“ Ansätzen ist.

Zuschauer sind im Zentralstadion nur als Statisten Willkommen, die Teil der Marketingveranstaltung sind.

Natürlich muss auch ich bei dieser These erstmal ganz tief durchatmen. Die letzten Monate seit der pandemiebedingten Unterbrechung des Spielbetriebs haben mir aber gezeigt, um was es beim Profifußball geht. Diesen Weg verfolgt Red Bull seit der Gründung des Vereins im Jahr 2009 konsequent: die bestmögliche Vermarktung. Das zu vermarktende Produkt heißt bei den Roten in München „FC Bayern“, am Borsigplatz „BVB“ oder bei der DFL „Bundesliga“ – bei RasenBallsport heißt es „Red Bull“. Das Konstrukt aus Leipzig – bzw. wahlweise aus München (da sitzt die Red Bull Besitzergesellschaft) oder aus Fuschl am See (da sitzt der Konzern) – nutzt das Vehikel Profifußball in der Bundesliga, um seine Dosen zu vermarkten. Die Fußballmannschaft ist nur ein Mosaiksteinchen in der globalen Marketingstrategie des Weltunternehmens. Wenn es aus irgendeinem Grund irgendwann einmal lahmt, wird einfach umgesattelt bzw. eine andere Sportart verstärkt genutzt, um den Absatz der Brause zu fördern. Doch so weit ist es aktuell noch nicht. Vielmehr sahen und sehen insbesondere die Verbände, aber auch manche Vereine, im Konstrukt aus Leipzig eine Möglichkeit, ihr eigenes Produkt zu stärken und wurden so Unterstützer des Businessplans von RB Leipzig. Dass sie langfristig der Attraktivität ihres eigenen Produkts womöglich schaden, ist zweitrangig. Der kurz- und mittelfristige Erfolg wird dem langfristigen Weiterkommen untergeordnet. Das ist betriebswirtschaftlich nicht unbedingt sinnvoll, den handelnden Personen in den Vorständen jedoch egal, da diese womöglich nur bis zur nächsten eigenen Vertragsverlängerungen denken.

Anhand von sieben Beispielen möchte ich die Ehrlichkeit von RB Leipzig veranschaulichen:

  • Die Übernahme

Um die Vermarktung langfristig über das Schaufenster Bundesliga hinzubekommen, ist eine Gründung eines Vereins notwendig. Diese erfolgte bei Red Bull an diesem Dienstag im Mai vor elf Jahren und das Oberliga Nordost-Startrecht des Fünftligisten SSV Markrandstädt wurde wenig später übernommen. Von ganz unten zu starten war unnötiger Aufwand und weiter oben hätte der DFB nicht mitgespielt, denn eigentlich wollte Red Bull bei Sachsen Leipzig einsteigen. Da legte der DFB aber sein Veto ein: „Das Engagement beim damaligen Viertligisten, das von Fanprotesten begleitet war, scheiterte am Veto des DFB, der eine zu große Einflussnahme durch den Investor fürchtete. Unterhalb der vierten Liga müssen sich die Vereine jedoch nicht mehr dem DFB-Lizenzierungsverfahren unterziehen.“ so Christoph Ruf 2009 im Spiegel. Der Nordostdeutsche Fußballverband nahm das damals mit der Einflussnahme nicht so ernst und die erste Hürde im Business Plan war genommen. Ehrlich halt.

  • Der Verein

Ein Verein hat laut Bürgerlichem Gesetzbuch aus mindestens sieben Personen zu bestehen. Er soll auf Dauer angelegt sein und ein gemeinsamer Zweck soll verwirklicht werden. Das klassische „Vereinsmeiertum“ ist juristisch nirgends vorgeschrieben. Somit besteht RasenBallsport Leipzig e.V. bis heute aus weniger als zwei Dutzend Mitgliedern. Es ist nicht möglich, einfach so Vereinsmitglied zu werden. Die Mitgliedschaft muss durch einen Ehrenrat genehmigt werden. Die geschlossene Gesellschaft par excellence! Schließlich hat RB Leipzig kein Interesse an einer Einflussnahme durch Mitglieder. Ehrlich halt.

  • Die Lizenzierung

Bei der erstmaligen Lizenzierung durch die DFL gab es 2014 zwar Auflagen in Bezug auf Logo, Besetzung der Führung durch das Brauseunternehmen und Senkung des Mitgliederbeitrags (damals 800 Euro p.a.). Diese waren aber butterweich und der Verein kam der DFL nur so weit entgegen, wie er es musste, um die Lizenz nach einigem Hin und Her zu erhalten. Schließlich sollen Marketingstrategien aus Fuschl am See möglichst effizient umgesetzt werden und das Vereinslogo soll noch einen Wiedererkennungswert besitzen. Geld nimmt man hingegen gerne. Daher wurde eine Fördermitgliedschaft eingeführt, um den Nachwuchsbereich zu pushen. Es gibt wie bei einem Bonusprogramm bei Airlines mehrere Level. Nur sind sie bei den Fluggesellschaften gratis. Bei Red Bull sind sie unterschiedlich teuer (70 bis 1000 Euro p.a.). Auf der RB-Webseite findet sich da keine wirkliche Gegenleistung. Ein Stimmrecht im Verein gibt es jedenfalls nicht. Ehrlich halt.

  • 50 + 1 Regel

    Die Wirtschaftswoche hat es prima dargelegt: „… Die 50+1 Regel bezieht sich aber nur auf ausgegliederte Kapitalgesellschaften. Die Stimmrechte in einer Kapitalgesellschaft sind dabei nicht mit den finanziellen Anteilen eines Investors zu verwechseln.“ Bei RB bleibt 1 Prozent beim Verein, 99 Prozent bei der GmbH – das ist legal und ehrlich halt.

  • Eigenkapitalerhöhung

Wenn die Umsetzung des Marketingplans am Geld zu scheitern droht, dann wird Geld aus Fuschl am See nachgeschossen. Während sich viele aktuell darüber beklagen, dass Konzerne in der Pandemie vom Staat gerettet werden, diese allerdings nur Darlehen bekommen und das Geld zurückzahlen müssen, hat RB Leipzig 2019 einfach mal 100 Mio. Euro aus Fuschl am See als zusätzliches Budget erhalten, das ins Eigenkapital geflossen ist. Man sieht dies bei RB Leipzig als marktüblichen Vorgang an. Ehrlich halt.

  • Politik und Marketing

In Konzernen ist es oft Usus, sich politisch nicht zu äußern. Daher ist es im Leipziger Zentralstadion unerwünscht, politische Statements abzugeben. Die Zuschauer sind Teil des Marketingkonzepts und fungieren als Statisten bei der 90-minütigen Produktpräsentation. Laut „Welt“ durften RB-Anhänger 2015 das Plakat „Ligaspiel und Legida – der Montag ist zum Kotzen da“ nicht aufhängen…laut RB lag das ausschließlich an der Fäkalsprache. Die konzernkritische RB Gruppierung „Red Aces“ löste sich mit der Bemerkung „9 Jahre Utopie, 9 Jahre im Wandel. Gegen Widerstände gekämpft, sie ausgehalten, manchmal gewonnen, noch häufiger verloren. Stets auf der Suche nach einem Platz für unsere Ideale. Dieser Weg nimmt nun ein Ende. Nach den Sternen gegriffen, sie gesehen, aber nie erreicht“ im März 2020 auf. Red Aces waren für ihre Statements gegen Rassismus, Sexismus etc. bekannt. Auf einer Marketingveranstaltung stört so etwas natürlich, da es vom eigentlichen Produkt zumindest ablenkt. Ehrlich halt.

  • #StayAwaySoWeCanPlay

    Zuschauer bekommen im Marketingplan von RB Leipzig die Rolle von Statisten zugewiesen, die helfen sollen, das Produkt zu vermarkten. Verhalten sich diese nicht wie gewünscht, werden sie als störend empfunden. Die Zwangspause des Spielbetriebs ging einher mit einer Zwangspause des Marketings und war tatsächlich schlecht für die Verkaufsförderung. Ob später nun Spiele vor Publikum stattfinden oder Geisterspiele durchgeführt werden, um sie zu stimulieren, ist zweitrangig. Daher ist der von RB Leipzig gewählte Hashtag während der Geisterspiele „Stay away so we can play“ so entwaffnend ehrlich.

Die genannten Punkte sind nicht abschließend. Sie zeigen aber deutlich, wie offen, ungestört und ohne wirklichen Gegenwind der Red Bull-Konzern seine Strategie durchsetzen kann. Dies kann man gut finden oder ablehnen. Allerdings schlagen viele Vereine eine ähnliche Richtung bei vielen der genannten Punkte ein.

Die (vermeintlich) großen Vereine machen das mittlerweile immer ungehemmter deutlich. Beim BVB liegen nur noch 7 Prozent der Anteile beim Verein. Die Nähe von VW und Wolfsburg und von Bayer und Leverkusen ist bekannt. Hertha öffnet sich einem Investor. Der FC Bayern liefert sich Scharmützel mit der aktiven Fanszene. Kleinere Vereine wie Mainz 05 machen den Mund gar nicht mehr auf und schlucken einfach, was von der DFL beschlossen wurde. Stattdessen forderte der Nullfünf-Vorstandsvorsitzende Stefan Hofmann bei der Versammlung der Fanabteilung neulich im Stadion am Europakreisel die Mitglieder auf, Fans zu generieren. Dabei wissen wir alle spätestens seit Nick Hornby, dass man sich seinen Verein nicht selbst aussucht. Sprich eigentlich geht es um eine Akquise von neuen Nullfünf-Sympathisanten. Man kann es auch zynischer ausdrücken: von Neukunden.

Die Akteure im Profifußball verhalten sich mehr und mehr wie Konzerne, die versuchen neue Zielgruppen zu erreichen. RB mit seinen 19 Mitgliedern macht dies auf eine offene und ehrliche Art und Weise. Andere Vereine versuchen es ihren Mitgliedner anders zu verkaufen. Manchem sind diese lästigen Mitglieder ein Dorn im Auge, aber letztlich nutzen sie ihre aktuell noch bestehende Fanbase zielgerichtet aus. Diese leistet viele Stunden ehrenamtlich für den Verein und erhält im Gegenzug dafür keinen Cent. Welcher Konzern hat eigentlich diese Möglichkeiten auf der Personalseite?

Daher stellt sich schon die Frage, welches Konstrukt am Ende ehrlicher ist, wenn es letztlich nur um die Vermarktung und das liebe Geld geht. Vielleicht sollte man sich bei den Vereinen, die andere Zielsetzungen bzw. Werte haben, überlegen, ob die Forderungen der Initiative „Unser Fußball“ zur „Zukunft Profifußball“ so abwegig sind. Denn gut bezahlten jungen Männern und weitaus weniger gut bezahlten jungen Frauen dabei zuzuschauen, wie sie ihren Job verrichten, ist per se eigentlich ziemlich unspektakulär und auf die Dauer langweilig. Das sollten die Entscheider an den entsprechenden Stellen meiner Meinung nach nicht vergessen.

Quellen:

DER SPIEGEL: Rasen Ball Leipzig: Red Bull plant Liga-Einstieg

WirtschaftsWoche: Die Bundesliga GmbH: Die Anteile bestimmen nicht die Stimmrechte

Red Aces: Die Auflösung

kreuzer online: Marktüblich und Männer und Menschheit

„Fräulein Draußen“ von Kathrin Heckmann

„Back to the roots“ liegt gerade in der Pandemie voll im Trend. Das trifft auf das erste Werk der Autorin Kathrin Heckmann doppelt zu. Heckmann kennen bereits viele Internet-affine Outdoorliebende seit Jahren durch ihren gleichnamigen Wanderblog „Fräulein Draußen“. Als Bloggerin begab sie sich quasi zurück zu den Wurzeln des Schreibens also von der Webseite zurück zum gedruckten Werk. Inhaltlich dreht sich bei Heckmann ohnehin alles um Wurzeln, über die sie zwangsläufig marschiert, wenn sie irgendwo in der Welt ihre Schuhe schnürt und zur nächsten Wanderung aufbricht.

Jedes Projekt beginnt mit dem ersten Schritt und wenn es ums Draußen sein geht, eignet sich dafür auch der eigene Balkon.

Nun könnte man meinen, dass das Werk „Fräulein Draußen“ nur so wimmelt von gefährlichen, risikoreichen Anekdoten, schließlich berichtet sie unter anderem von ihren Wanderungen in Alaska und Australien – Regionen, in denen sie sicherlich genug Stoff gefunden hat, um spannende Abenteuergeschichten aufs Papier zu bringen. Wer so etwas in ihrem Werk sucht, wird sicherlich enttäuscht sein. Die Sucht nach Anerkennung als Frau alleine in der Wildnis unterwegs zu sein, findet sich an keiner Stelle in diesem Buch. Vielmehr verrät der Untertitel „Wie ich unterwegs das Große in den kleinen Dingen fand“, wohin diese wunderbare Reise geht.

Heckmann schreibt offen und ehrlich über ihre Anfänge des Wanderns in der Natur. Sei es über ihre Neugierde einen Vogellaut zu folgen, der sie dazu gebracht hat, sich aus dem wohligen Schlafsack herauszuschälen, sei es über die allererste Nacht alleine in einem Zelt in den Highlands von Schottland mit Blick auf den Mietwagen in Sichtweite. Sie schreibt so angenehm unaufgeregt über diese Anfänge und hat es nicht nötig, sich für diese kleinen ersten Schritte selbst abzufeiern.

Dafür feiert sie die kleinen Dinge, die ihr beim Wandern auffallen, groß ab. „Der Weg ist das Ziel“ könnte ein Lebensmotto sein, wenn sie denn überhaupt eines bräuchte. Ziele an sich sind für sie sekundär. Das glaube ich gerne, wenn man sich wie Heckmann beispielsweise vornimmt, einmal quer durch Großbritannien zu wandern. Schließlich ist es bei so einem Projekt alles andere als sicher, dass man tatsäch am Zielort ankommt. Viel wichtiger sind für Heckmann die Erlebnisse, die sie Tag für Tag auf ihren Wanderungen sammelt. Sie hat ein Talent dafür, die schönen Situationen so zu beschreiben, dass ich als Leser das Gefühl habe, mitzuwandern, obwohl ich gemütlich im Gartenstuhl meinen Corona-Sommer 2020 auf dem Balkon verbringe oder auf einer bequemen Holzliege auf dem Mainradweg eine Pause vom Radeln mit dem Buch einlege.

Statt die Lesenden mit unzähligen Details zu überfrachten, konzentriert sich Heckmann auf wenige Aspekte, die ihr auf der jeweiligen Wanderung groß vorkamen. Sie liefert darüber hinaus zahlreiche Zusatzinformationen und gibt uns Lesenden die Möglichkeit, mit Hilfe des mehrseitigen Quellen-Verzeichnises, selbst weiter zu recherchieren. Auch die Wanderungen lassen sich anhand ihrer Angaben im Anhang nachlaufen. Die Natur ist Heckmanns Fachgebiet. Da wirkt es umso sympathischer, dass sie sich bei zwei Angaben zu Städten vertan hat, schließlich ist Juneau und nicht  das bereiste Anchorage die Hauptstadt Alaskas und Ushuaia gilt statt dem passierten Punta Arenas als die südlichste Stadt der Welt. Das sind Nebensächlichkeiten, mit denen sich Heckmann zum Glück nicht weiter aufhält. Vielmehr gibt sie an den Stellen, die für die Handlung wichtig sind, sehr persönliche Einblicke, zum Beispiel zu ihrer Motivation, ihre gut bezahlte Festanstellung gegen den Status der wandernden Freiberuflerin einzutauschen.

Auch wenn ihr Buch sicherlich kein Ratgeber sein soll, nehme ich als Leser ein paar Tipps mit. Ich fühle mich auch in manchen meiner Wege, die ich eingeschlagen habe, bestätigt. Würden wir uns im Internet befinden, würde man von einer Echokammer sprechen. Das Gefühl zu bekommen, dass es noch andere Menschen gibt, die abseits der ausgetrampelten Pfade unterwegs durchs Leben ziehen, ist sicherlich nicht das schlechteste.

Teile des Buchs habe ich auf dem Mainradweg zwischen Mainz und Würzburg gelesen.

Gerade das Kapitel „Reisen und Naturschutz“, das sich ebenfalls im Anhang des Buchs befindet ist, ein tolles Statement Heckmanns. Ihre nachdenklichen Ausführungen zu den Themen Fliegen und Tourismus unterschreibe ich gerne und erinnern mich sehr an die Nachbetrachtung, die ich in meinem Werk „Mit Bedacht fliegen“ angestellt habe. Obwohl Heckmanns Blog und Social Media-Auftritt einer der beliebtesten in Deutschland im Bereich Outdoor ist, sieht sie die Welt von Instagram und Co. an vielen Stellen des Buchs sehr kritisch. Ich nehme es ihr ab, dass es ihr bei vielen Motiven und Erlebnissen, die sie einfängt und im Netz mit ihrer Gemeinde teilt, weniger um Klicks und Likes geht, sondern eher darum, zu zeigen in welch schöner Welt wir leben – gerade auch in Deutschland. Denn auch ein Trip nach Brandenburg kann eine Reise wert sein kann – und das nicht nur „notgedrungen mangels Alternativen“ in Zeiten der Pandemie.

Ich empfehle dieses Buch gerne weiter. Gleiches gilt auch für ihren Blog und ihre Social Media-Auftritte. Aber natürlich empfehle ich auch, jetzt den Computer, das Tablet oder das Smartphone auszuschalten und die Welt da draußen zu entdecken, am besten zu Fuß und mit offenen Augen für die kleinen Dinge am Wegrand, die ganz groß sein können.

Über das Buch:

  • Titel: Fräulein Draußen – Wie ich unterwegs das Große in den kleinen Dingen fand
  • Autorin: Kathrin Heckmann (https://fraeulein-draussen.de/)
  • Verlag: Ullstein Paperback
  • Softcover-Buch: 14,99 € bzw. e-book: 12,99 €
  • 256 Seiten
  • ISBN: 978-3864931055 (Print)
  • Erscheinungstermin: Juni 2020

Bestellbar überall wo es Bücher gibt und online zum Beispiel bei „buch7“, dem sozialen Buchhandel. Durch den Kauf bei „buch7″ spendet das Unternehmen zwischen 0,52 € und 0,97 € – abhängig von der aktuellen Geschäftsentwicklung – an soziale Projekte.

Transparenz:

Ich habe das Buch selbst bezahlt. Die Rezension erfolgt unbeauftragt.

Zutritt nur für „Besser-Fans“

Ein beliebter Zeitvertreib, besonders in Fan-Foren und auf den Social Media-Kanälen, ist schon immer die „Besser-Fan-Diskussion“ gewesen. Dabei ging es in der alten Normalität meist darum, wer der „wahre“ Fan seines Vereins sei. Ultra, Allesfahrer*in, Chronik-Nerd, Logen-Bucher*in, Vereinsmitglied etc. In den meisten Fällen wurde das nicht wirklich ernsthaft durchdiskutiert, aber wir Fußball-affinen Menschen regen uns ja gerne über alles und alle ein bisschen auf – besonders wenn man sonst keine wirklichen Probleme hat.

Der Profi-Fußball soll sich während der Pandemie ändern. Das forderten so ziemlich alle Leute, die an keinem der entsprechenden Hebel die dafür notwendig wären, sitzen. Diese Meinung war konsensfähig. Wie sich der Profi-Fußball gefälligst zu ändern hätte, da gingen die Meinungen allerdings weit auseinander. In den „Genuss“ dieser Veränderung kamen wir am Anfang tatsächlich aber erstmal alle gemeinsam: Zunächst gab es eine Unterbrechung des Spielbetriebs, gefolgt von Geisterspielen, bei denen alle im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre schauten, wenn sie überhaupt noch Interesse an den Spielen hatten.

Dem Föderalismus sei Dank, sickerte plötzlich Ende August/Anfang September durch, dass Zuschauer recht schnell wieder in die Stadien gelassen werden. Dass nur ein Bruchteil der Plätze belegt werden dürfe, ist eine vernünftige Entscheidung der Gesundheitsbehörden. Dass der Prozentsatz der Plätze variiert, ist ebenfalls nachvollziehbar. Gerade im Osten der Republik sind die Corona-Fallzahlen niedriger als in den südlichen Bundesländern.

In Hannover haben die Fans jenseits der Logen seit längerer Zeit bereits ein hartes Los erwischt.

Dass wieder Zuschauer*innen zugelassen werden, ist für die einen eine schöne Neuigkeit. Andere haben sich getreu dem Motto „Alle oder Keiner“ so positioniert, dass sie erst wieder ins Stadion gehen, wenn es keine Beschränkungen mehr gibt. Das ist in den meisten Fällen nicht als Kritik an den Behörden zu verstehen, dass diese lediglich Teilöffnungen zugestimmt haben. Es geht wohl den meisten Verfechtern von „Alle oder Keiner“ eher darum, dass sie ihre Fankultur unter den Beschränkungen so nicht ausleben können und es vorziehen, auf einen Stadionbesuch bis auf weiteres zu verzichten oder zumindest sich nicht als Fan-Gruppe auf die Sitzplätze zu begeben. Wer hat schon wirklich Lust auf einen Sitzplatzzwang, ein Jubeln oder Leiden mit physischem Abstand und einen trostlosen Blick auf einen leeren Gästeblock in einem riesigen Rund, wenn man sonst das gesamte Wochenende als Gruppe verbringt, Vor- und Nachbereitungen für Choreos, Spruchbänder etc. inklusive?

Die Clubs bringt diese Situation in eine einzigartige Lage. Sie können zeigen, wie sie ihre Prioritäten bei der Belegung der Sitzplätze setzen – schließlich ist anzunehmen, dass trotz „Alle oder Keiner“ die Nachfrage nach Karten höher ist als das arg reduzierte Angebot. Schließlich sind die Clubs zumindest auf dem Papier ja in ihrer Hülle ein Verein mit Mitglieder*innen.  Dabei zeigen manche Clubs ihr „wahres Ich“, wenn zum Beispiel Hannover 96 zum ersten Zweitligaspiel der neuen Saison im Niedersachsenstadion nur Sponsoren und Inhaber von Business Sitz-Dauerkarten für die zu vergebenden 500 Plätze zulässt. Es werden also nur Menschen akzeptiert, die einen gewissen „Return on Investment“ mitbringen. Wirtschaftlich gesehen sind das die „Besser-Fans“. Da bekommt der Claim von Hannover 96 „Niemals allein“ eine ganz bizarre Bedeutung. Diese geschlossene Gesellschaft ist ein weiteres Zeichen, worum es im Profi-Fußball geht: „Money talks“.  

Der VfL Bochum zeigt, dass man sich auch intern besprechen kann und zum Entschluss kommt, besonders treue Fans und Menschen mit eingeschränkter Mobilität mit Karten bedenken möchte.

Aber es geht halt auch anders, wie der VfL Bochum zeigt, der ebenfalls die Möglichkeit erhalten hat, 300 Leute zu seinem ersten Ligaspiel in der neuen Runde im Ruhrstadion begrüßen zu dürfen. Nach einer vereinsinternen Absprache verständigte man sich darauf, Allesfahrer*innen, zu ehrenden Vereinsmitgliedern und Menschen mit eingeschränkter Mobilität Karten anzubieten. Der Verein zeigt das, wofür sich der Profi-Fußball ständig selbst auf die Schulter klopft: Auf seine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Der VfL Bochum lebt das vor, was die Initiative „Unser Fußball“ mit ihren Ideen zur „Zukunft Profifußball“ fordert. In insgesamt vier Konzepten werden konkrete Vorschläge gemacht. Das erste Konzept „Fußball als Publikumssport“ ist bereits publiziert worden. Es folgen in den nächsten Wochen drei weitere Konzepte zum Wettbewerb, zum Prinzip von Vereinen und zur gesellschaftlichen Verantwortung. Sie empfehlen unter anderem „eine Neu- und Weiterentwicklung von Formaten zur Berücksichtigung der Interessen aller Teilgruppen von Fans und Zuschauer*innen entsprechend ihrer Interessen und Bedürfnisse.“ Dies soll in der Linzenzierungsordnung entsprechend verankert werden. Denn bisher sind Fanabteilungen, wie sie zum Beispiel Mainz 05 hat, nicht verpflichtend für Profi-Clubs vorgeschrieben.

Apropos Mainz 05. Wie sieht da die Lage aus? Dass nach dem getauschten Heimrecht in der 1. Runde des DFB-Pokals Zuschauer zugelassen wurden, konnte man vielleicht nicht wirklich ahnen. Daher ist es zunächst einmal nachvollziehbar, dass für die 1000 Plätze im Stadion das First-Come-First-Served-Prinzip unter Inhaber*innen einer Dauerkarte zur Anwendung kam. Aber wie sieht es bei uns mit der Verteilung der Karten für die nächsten Heimpspiele in der neuen Saison aus? Es bleibt zu hoffen, dass, ähnlich wie in Bochum, mit der Fanabteilung besprochen wird, wie die Tickets zu verteilen sind. Denn so eine Frage sollte im Grunde genommen von einer Fanabteilung beantwortet werden, wenn diese vom Verein ernst genommen wird und nicht als reines Feigenblatt fungieren soll. Wie umgekehrt die Fanabteilung manche Kröte schlucken muss, wie es der Vorstandsvorsitzende Stefan Hofmann letzte Woche bei der Versammlung der Fanabteilung anmahnte, müssen in diesem Fall auch mal andere Interessen zurückstehen und es sollte der Fanabteilung eine gewisse Entscheidungsfreiheit eingeräumt werden.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, was eigentlich aus den Heldentickets geworden ist? „Fans stellen Eintrittskarten für Helden des Alltags zur Verfügung“, heißt es noch immer auf der Webseite von Mainz 05. „Sobald wieder Spiele mit Fans im Stadion möglich sind, werden diese Helden dann zu einem Heimspiel in die OPEL ARENA eingeladen.“ heißt es weiter. Davon war zumindest jetzt im DFB-Pokal nichts zu hören. Es wäre ein tolles Zeichen gewesen, dass zumindest schon mal ein Teil dieser Heldinnen und Helden die Möglichkeit erhalten hätte, das DFB-Pokalspiel anzuschauen. Vielleicht klappt es ja beim nächsten Heimspiel, bei dem Zuschauer wieder zugelassen werden. Bis dahin sind es ja noch ein paar Tage, die hoffentlich dazu genutzt werden, als Verein entsprechende Prioritäten zu setzen und nicht nur Dauerkartenbesitzer*innen, die vielleicht noch nicht mal Vereinsmitglieder sind, zu berücksichtigen. Denn der schlichte Besitz einer Dauerkarte rechtfertigt noch lange nicht den Status als „Besser-Fan“ in einem eingetragenen Verein, wie ich finde.   

Quellen:

Hannover 96: Nicht mehr als ein erster Schritt: Nur 500 Zuschauer zum Saisonstart

300 Zuschauer gegen Pauli zugelassen – VfL Bochum 1848

Fußball als Publikumssport – Zukunft Profifussball