Laos 2006

Sabaidi…ist laotisch und bedeutet soviel wie „Hallo“. Wie Ihr jetzt treffsicher bemerkt habt, bin ich also zurzeit in Laos unterwegs. Allerdings fing meine Radtour, nach einer 24-stündigen Flugodyssee via Paris und Bangkok, im thailändischen Udon Thani, ca. 450 km nord-östlich der Hauptstadt des Königreichs an. Am Gepäckband des Flughafens entscheidet sich bei jeder Fernradreise, die zunächst mit dem Flugzeug beginnt, ob das Reisen per Drahtesel überhaupt losgehen kann. Vorausgesetzt das Rad kommt an, wäre allerdings so beschädigt gewesen, wie anno 2004 bei der Rückreise in Oslo, als ich die beiden Laufräder in Mainz habe ersetzen lassen müssen, hätte ich das Stahlross gleich wieder nach Hause senden können. Aber Air France und Thai haben das Velo pfleglich behandelt – lediglich das Rücklicht war abgebrochen, ein Getränkehalter angebrochen und der Rahmen erhielt als Souvenir eine kleine Delle. Kurzum ich konnte das Gefährt zusammenbauen und mit Ducktape sogar das Licht wieder fixieren.

Nach der Arbeit, sprich dem Zusammensetzen der einzelnen Komponenten meines Rads, kommt bekanntlich das Vergnügen: Was viele von uns mögen, ist den Thais nicht fremd – den Biergarten! Eigentlich besteht das ganze Land nur aus Biergärten entlang der Ausfallstraßen. Das Bier alleine ist qualitativ schon nicht schlecht und die 0.66 Liter Flaschen sind trinkgerecht doch die Marketingstrategie, das kühle Blonde, von einer sehr attraktiven Hostess nach jedem Nippen gleich aus besagter Flasche ins Glas nachgeschenkt zu bekommen, ist natürlich sehr Erfolg versprechend. „One more o.k.?“ säuselt die thailändische Schankdame, sobald der Inhalt der Flasche im Magen des Gasts gelandet ist. Wer kann da schon „No, thank you!“ sagen. Aber irgendwie war mein Ehrgeiz doch irgendwann größer, als den Rest meiner Reise in einem Thai-Biergarten zu verbringen und ich wendete mich wieder meiner Begleitung aus Stahl und Reifen zu.

Am folgenden Tag fuhr ich auf dem Seitenstreifen des 4-spurigen Thaiways schnurstracks gen Norden durch die gerade noch einigermaßen auszuhaltende Hitze von etwas über dreißig Grad im Schatten. Mit meinem gelben Socceroo-Australien-Trikot lag ich in Thailand jederzeit besonders montags voll im Trend. Denn es hatte am Tag meiner Einreise, dem 4. Dezember, einem Montag, den Anschein, als würde praktisch das ganze Land gelbe Hemden, Blusen und T-Shirts tragen. Der Grund dafür lag mal wieder wie so vieles in diesem Land an König Bumiphol und seiner gelbfarbenen Königsfahne. Die Thais besitzen für jeden Wochentag eine andere Farbe. Der König, der in diesem Jahr sein 60-jähriges Thronjubliäum feierte, war am 5. Dezember, einem Montag vor 79 Jahren geboren worden, und für den Montag steht in Thailand die Farbe Gelb. Seit dem Jubiläum im Juni bis zum 80. Geburtstag des Königs im nächsten Jahr wollen viele Thais jeden Montag gelb tragen – zur Ehre ihres Königs. Hm, in Thailand ist die Verdrossenheit auf „die da oben“ noch nicht sehr weit ausgeprägt – zumal die „lästigen“ Politiker ja allenthalben weggeputscht werden, wie wir im September sehen konnten. Anders als die „Kommerz-Flughäfen“ Paris-Charles de Gaulle und Frankfurt, die ihre Fluggastbrücken zu Werbezwecken an Banken (HSBC bzw. Royal Bank of Scotland) verscherbelt haben, steht auf Bangkoks 2 Monate altem Flughafen auf jeder Brücke „Long live the king!“, genauso wie auf den gelben Gummiarmbändchen, die wir in Mainz doch lieber in roter Farbe mit „1. FSV Mainz 05“ tragen. Tja andere Länder andere Sitten.

Nach 56 Kilometern war mein Ausflug ins gelbe Thailand zunächst vorbei. Über die von den Socceroos gespendete Thai-Lao-Freundschaftsbrücke, die den Mekong überspannt, erreichte ich mein aktuelles Gastland, die Demokratische Volksrepublik Laos. Das hört sich schon arg linkslastig an und nach 2 Metern auf laotischem Boden begegnete ich bereits der ersten roten Fahne mit gelbem Hammer und gelber Sichel. Beim Überqueren der Brücke fand nicht nur ein politischer Systemwechsel von konstitutioneller Monarchie zu real existierendem Kommunismus-Buddhismus-Mischmasch statt – nein es musste auch von Links- auf Rechtsverkehr umgestellt werden. Da das auf einer Brücke relativ schwierig ist, einigte man sich darauf, die laotischen Meter der Brücke noch links zu fahren. Am Ende der Brücke stand schließlich eine Ampel, die den Kreuzungsverkehr von links nach rechts bzw. von rechts nach links regelte. Wer allerdings die Gleise der Eisenbahn, die auf thailändischem Boden bis zur Brückenmitte gesetzt sind, weiterführt, steht noch in den Sternen, denn hinter der Grenze gibt es keine Gleise mehr. Laos sucht wohl noch nach einem edlen Spender, der die Gleise in die Hauptstadt Vientiane verlegt.

Nachdem ich gegen eine Gebühr von 30 US$ und einem Photo mein Visum in der rekordverdächtigen Zeit von 2 Minuten erhielt und nochmals meine Passdaten auf das Einreiseformular gekritzelt hatte, um neben den Visa-Stempel den Einreisestempel gesetzt zu bekommen, musste ich nur noch 10 thailändische Baht (0,22 Euro) „Entrance Fee“ berappen und schon war ich in die Volksrepublik eingereist. Visa-Gebühren in Dollar, Eintrittsgebühr in Baht – die Kommunisten ziehen die Währungen der Kapitalisten ihren laotischen Kip vor. Für einen Euro gibt es mittlerweile nämlich sehr viel Kip – genauer gesagt fast 13.000! Und der 20.000 Kip-Schein ist die Banknote mit dem höchsten Betrag! Zum Glück habe ich nicht so viel Klamotten auf diese Reise mitgenommen. So bleibt genug Platz für die Kip-Scheine in meinen Taschen!

Ihr merkt, Reisen in Laos mit drei Währungen ist nicht ganz so einfach für uns Europäer. Während wir durch die Hälfte unsere Kontinents reisen können, ohne Geld wechseln zu müssen, ist der Einkauf und die Bezahlung hier immer eine Währungslotterie. Aber auch sonst gestaltet sich das Land anders als seine Nachbarländer. Straßenschilder, die als Wegweiser anzusehen sind, gibt es kaum. Ich war bereits 10 km ins Land hinein gefahren, und unwillkürlich hatte ich mich bereits verfahren, ehe das erste Schild auftauchte. Auf den 20 Kilometern von der Brücke in die Hauptstadt Vientiane traf ich nach 15 km zum allerersten Mal auf ein Hinweis, dass ich mich mittlerweile auf dem Weg in nach „La Capitale“ (frz. Hauptstadt) dieses Binnenlands befand.

Keine Hauptstadt der Welt habe ich in meinem Leben also so schläfrig, gemächlich, ruhig und vor sich hin dämmernd empfunden wie Vientiane, das Wieng Chang ausgesprochen und als „Stadt des Sandelholzes“ übersetzt wird. Die Franzosen, die hier früher mal saßen, haben wie in Indien die Engländer, den Stadtnamen ihrer Sprache angepasst. Anders als im hektischen Indien, kam man im gemächlichen Laos noch nicht auf die Idee, die koloniale Vergangenheit abzulegen und die Stadt wieder umzubennenen. Auch der Name „Laos“ ist eine Kreation der Kolonialisten der Grande Nation. Früher gab es keinen laotischen Staat in den heutigen Grenzen, sondern einzelne laotische Königtümer, die mal mehr mit Thailand, mal mehr mit Kambodscha, China, Myanmar oder Vietnam verbandelt waren. Es gab also nicht ein „Lao“ sondern die Mehrzahl davon und die wurde von den Kolonialherren als „Laos“ definiert.

Zurück in die Hauptstadt Vientiane: Das Radeln in dieser Stadt, wie in den von mir bereits vorher beradelten Hauptstädten der Region Bangkok und Ha Noi, war wieder einmal sehr gewöhnungsbedürftig. Waren es in Bangkok letztes Jahr die 10-spurigen Straßen, die mir das Abbiegen nicht gerade vereinfachten, oder in Ha Noi im Jahr 2004, die Myriaden von gleichgesinnten Zweiradlern, sind es hier vielmehr die Buckelpisten am Stadtrand mit Mini-Dünen in denen es sich schwer steuern lässt, bzw. die Maulwurfshügel-artigen Kanaldeckel oder die Ampeln – die schon mal in „weiß“ leuchten können. Nun gut – „grün“ heißt im Rest der Welt losfahren – „orange“ exisiert hier vor dem „grün“ gar nicht und „rot“ ist allgemein bekannt – aber „weiß“? Zumal sich die Farbe der Ampel gar nicht mehr änderte – zumindest nicht, bis der wenige existierende Verkehr nach dem Gesetz der Logik losfuhr. Anders als bei unseren Kreuzungen rollt der Fluss aus Auspuffgeknattere immer nur aus einer Richtung in die Kreuzungsmitte. Das macht das Linksabbiegen sehr sicher und unkompliziert und somit kann auch die weiße Ampel überlistet werden, da nach der dritten „fremden“ Welle, also nach links, rechts und von vorne wir wieder dran sein müssen. Daher fuhren wir einfach alle los und deshalb stehe ich nun nicht mehr auf die grüne Ampel wartend an dieser Kreuzung.

Die Straßen, wenn sie denn überhaupt einen Namen haben, heißen hier noch „Avenue“, „Quai“ oder „Rue“ , und haben teilweise tatsächlich Boulevard-Charakter, vor allem wenn man in Richtung des monströsen Triumphbogens radelt – der erst nachdem die Franzosen hier 1953 abgehauen sind, da sie in Vietnam genug Probleme hatten, 1964 mit US-Zement errichtet wurde, der eigentlich für den Flughafenbau bestimmt war. Ausländer, die in Vientiane leben, sprechen bei diesem Betonmonster, das von weitem wirklich wie der Arc de Triomphe in die Tropen versetzt aussieht, auch von einer „vertikalen Start- und Landebahn“ – womit sie gar nicht so falsch liegen. In der Stadt finden sich auch noch zahlreiche Villen aus der französischen Kolonialzeit. Hochhäuser sucht man hingegen vergebens – genauso wie Bettler. In welcher Stadt gibt es eigentlich keine Menschen, die auf die Gaben anderer hoffen? Die Stadt befindet sich meiner Meinung nach in einem Zustand zwischen Lethargie und Aufbruch. Es wird überall gebaut – ein 5-Sterne-Hotelkasten, der so gar nicht ins Stadtbild passt, ist auch schon fertig – aber sonst bleibt vieles in den Anfängen stecken. Ein Bürgersteig ist 50 m gepflastert, dann liegen die Pflastersteine wahllos zwischen Straßenrand und Mauer herum und ein paar Meter weiter ist dann nur noch Sand zu sehen. Es sieht auch nicht danach aus, als wolle hier jemand noch mal weiterpflastern.

Wo Franzosen waren, wird auch gut gegessen. Das bewahrheitet sich in allen frankophonen Ländern dieser Erde – so auch in Laos. So beginnt hier der Tag auch mit gutem Kaffe – hergestellt aus laotischen Kaffeebohnen aus dem Hochland und mit zäher süßer Kondensmilch versetzt. Dazu gibt es natürlich Croissants oder Baguette wahlweise belegt mit Eiern oder laotischer Pastete, Frühlingszwiebel und diversen Kräutern – einfach köstlich. Aber auch das wirklich einheimische Laarp ist sehr lecker. Es besteht aus Hackfleisch (Rind, Schwein, Fisch, Hühnchen) und vielen Gewürzen. Dazu werden riesige Salatblätter und in Bambusschachteln verpackter Klebreis serviert. Es wird entweder kein Besteck oder nur Löffel und Gabel gereicht. Hm, wie isst man das ganze jetzt eigentlich ohne als totaler Laarp-Novize dazustehen? Also den Klebreis, der auch als Feuerlöscher wegen der scharfen Gerichte dient, kugelt man zusammen und befördert ihn in den Mund, was bei der Konsistenz, wie der Name schon sagt, kein Problem ist. Man könnte diesen sicherlich auch als Spachtelersatz in der Auto-Werkstatt einsetzen. Die Salatblätter füllt man mit dem wunderbar gewürzten Fleisch und führt dies direkt zum Mund. Falls man nicht mit den Händen essen möchte, hat die Gabel die Funktion, das Essen auf den Löffel zu hieven und mit diesem das ganze in den Mund zu befördern. Auch das Bier hat seinen Namen hier verdient. Die Fass-Variante wird wahlweise in der 1-Liter-Version oder im Glas gereicht und das Preisniveau von ca. 0,75 Euro pro Liter in der Kneipe ist als sehr kundenorientiert zu bezeichnen.

Die Restaurant, die für Touristen eröffnet wurden, sehen sehr gemütlich und einladend aus. Allerdings sind diese meist leer, da zurzeit noch nicht viele von uns hier sind. Die laotischen Restaurant, wo auch die Einheimischen hingehen, sind vom Dekor her eher als nüchtern zu bezeichnen bei denen das Flair eher an eine Turnhalle erinnert. Die kleinen Plastikhocker erinnern mich dann auch noch eher an Nachttöpfe wenn man meine Statur kennt. Aber dafür ist das Essen super und darauf kommt es ja schließlich auch an.

Nachdem ich mich genug gestärkt hat, habe ich es nun mit meinem Velo rund 200 km nach Norden verschlagen und ich bin im Backpacker-Hauptquartier Vang Vieng angekommen. Was ich auf meiner Reise hierher und hoffentlich auch weiter erlebt werden habe, erzähle ich Euch dann das nächste Mal.

Beijing 2006

Ni hao, bedeutet „Hallo“ und ist Pinyin, die chinesische Schriftsprache in lateinischen Buchstaben, die es dem Otto-Normal-Nicht-Chinesen rein theoretisch erlaubt, die Chance zu besitzen in China wenigstens etwas zu lesen – von Verstehen oder Kommunikation mit den Einheimischen kann nicht die Rede sein.

Da uns die VR China zurzeit 6 Stunden voraus ist, hat der Jet Lag bei der Ankunft in Mainz den Vorteil, hier abends totmüde ins Bett zu fallen und mitten in der Nacht wieder fit wie ein Turnschuh zu sein. Das wiederum bietet die Gelegenheit, Euch zum Montag Morgen ein paar Impressionen aus Beijing zu schildern.

Der erste Eindruck beim Marsch aus dem Hotel in Richtung Himmelstempel war sehr ernüchternd. Die Hutongs, die kleinen, engen, verwinkelten Gässchen der Hauptstadt haben zum Teil nach der Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 in diese Stadt ihre Daseinsberechtigung im Auge der Olympia-Planer verloren, so dass große Brachflächen mitten in der Stadt an riesigen 8-spurigen leeren Boulevards entstanden. Das Ganze war ein Mischung aus Plattenbausiedlung und plattgemachtem Nichts und erinnerte ein bisschen an den Bauwahn in Dubai, wo aus dem Nichts irgendwann etwas Großes enstehen soll.

Glücklicherweise war dieser Eindruck nur eine Momentaufnahme, denn wer auf breite Straßen, staubigen Himmel und Kräne steht, kann sich eigentlich den Weg nach Fernost sparen und einfach auf der halben Wegstrecke bei den Scheichs am Golf bleiben. Die verbliebenen Hutongs, die auf der Außenseite Richtung Boulevards immer mit einer Mauer versehen waren, werden nun auch für Olympia fittgemacht und bekommen alle paar Meter öffentliche Toiletten. Beijing wäre sicherlich der ideale Ort für einen Rosenmontagszug. Breite Straßen, öffentliche Toiletten en masse und Hort des dosenpfandfreien Biergenusses zu sehr moderaten Preisen. Diese Toiletten-für-Hutongs-Aktion ist nur ein kleines Beispiel für die große Hygiene, die mittlerweile in dieser Stadt herrscht. Herumgespuckt wird im Gegensatz zu anderen asiatischen Ländern praktisch gar nicht mehr, permanent sind Fege-Kommandos per Pedes oder mit dem Velo im Einsatz, um die Gassen rein zu halten.

Der schier unbegrenzte Vorrat an Arbeitskraft äußert sich auch in anderen Bereichen des Dienstleistungssektors. Den Inhalt aus einer chinesischen Heinz-Tomaten-Ketchup- Flasche auf den Teller zu bekommen, ist für mich der schwierigste Teil meines Aufenthaltes gewesen, aber ruckzuck war natürlich die Bedienung da, um die rote Sauce in quantitativ optimaler Menge auf meine Pommes gleiten zu lassen. Pommes in Peking? Nun ja, da ich u.a. mit meiner Schwester unterwegs war, schloss ich natürlich Kompromisse und dazu gehört auch ein Abendessen im Hard Rock Café zu Beginn der Reise. Danach wurde es kulinarisch landestypischer und Besteck war fortan ein Fremdwort. Stäbchen war nun hip, genauso wie Reis in Peking praktisch out ist. Im Nordosten Chinas sind eher Nudeln das Gericht der Straße. Was wir in Deutschland im China-Restaurant vorgesetzt bekommen, ist eher die kantonesische Küche Südchinas. Peking-Ente wird beispielsweise mit hauchdünnen Pfandkuchen in Taco-Größe und einer dicken Soya-Sauce, die in ihrer Konsistenz an Nutella erinnert, serviert. Man nimmt den Pfannkuchen und ein Stück Ente sowie Frühlingszwiebeln und Sauce, wickelt das Ganze zusammen und versucht dieses Gebilde dann mit den Stäbchen in den Mund zu hieven oder banal mit den Händen in Richtung Rachenraum zu befödern.

Sightseeing in Beijing bedeutet sich auf ein Loveparade-Erlebnis einzustellen. Die verbotene Stadt, war allen Massen zugänglich und dementsprechend war auf den Hauptwegen Stau angesagt. Störe ich mich oft an Touristenmassen, hatte ich hier eher das Gefühl, das gehöre dazu. Schließlich leben in diesem Land ja mehr als eine Milliarde Menschen – und die müssen ja irgendwo sein. 99 Prozent der Touristen waren sowieso Einheimische, so dass ich trotz der Massen mir hier wohler vorkam als an manch anderer Touristenattraktion, wo wir Europäer uns in Horden die Füße gegenseitig platt trampeln. Wollten wir entspannen, konnten wir in einen der vielen Parks der Stadt flüchten und den Menschen bei einer ihrer Freizeitbeschäftigungen, dem Drachensteigenlassen zuschauen. Natürlich praktizierten auch viele Menschen Tai Chi, aber meist morgens kurz nach Sonnenaufgang, so dass ich davon nicht viel mitbekam. In den vielen Tempeln hingegen fand ich niemanden mehr, der seinem Glauben dort nachging. Das war neben der stalinistischen Architektur auf dem Platz des himmlischen Friedens das einzige Zeichen, dass ich mich in einem kommunistischen Land befand.

Stattdessen huldigen viele Chinesen dem Konsum und von der Güterknappheit aus den ehemaligen Ostblockstaaten bekam ich nichts mit. Stattdessen gab es Waren im Überfluss in riesigen Shopping-Malls, in denen die Waren wohl meist Originale waren. Allerdings wurde im Kappa-Laden eine „Dentschland-Tasche“ verkauft. Hm – vielleicht hat sich da ein Fake in den Laden verirrt? Auf jeden Fall gab es auch riesige Ramschhalden-Kaufhäuser bei denen nicht so ganz ersichtlich war, ob das Produkt nun original oder kopiert war. Ich hatte den Eindruck, dass die westlichen Touristen eher in den Fake-Läden einkauften und die Chinese in den Markengeschäften – verkehrte Welt oder die Zukunft der Welt? Bei all den wohlhabenden Chinesen, die es sicherlich mittlerweile gibt, frage ich mich, wie die 900 Millionen Bauern, die es in diesem Land gibt und die vielen Wanderarbeiter mit diesem Wandel klarkommen. Rentner bekommen ca. 60 Euro im Monat und die Lebenshaltungskosten sind nicht wesentlich niedriger als bei uns. Außerdem hat China eindeutig ein Problem mit der freien Meinungsäußerung. Internet Cafés gibt es in Beijing etwa so oft, wie bei uns chinesische Tempel. Die E-Mails werden in der Regel mitgelesen und dass die Menschen vor der Polizei mehr als Respekt haben, zeigte sich bei den Straßenhändlern, die bei der geringsten Chance, dass ein Ordnungshüter sich zeigen könnte, ihre sieben Sachen packten und abhauten.

Fremden gegenüber traten die Staatsvertreter sehr verständnisvoll auf und es durfte alles photographiert werden. Außerdem war Pragmatismus angesagt. Wer schon mal auf die Mauer klettert, der soll doch bitte auch seinen Spaß haben. Anders als die Amis, die ja nicht gerade sehr viel Kulturschätze (mehr) haben und daher Vergnügungsparks en masse einfach so errichten, wird hier halt dem Mauerbeschauer die Möglichkeit geboten auf einer Sommerrodelbahn wieder ins Tal zu düsen – was natürlich ein Riesenspaß war und den geschäftstüchtigen Chinesen noch ein paar Yuan mehr einbrachte.

Wer China im Wandel erleben will, sollte es sich nicht entgehen, dieses Land zu bereisen. Es gibt kein Gut und kein Schlecht – nur ein großes Staunen und manchmal auch ein großes Verwundern, wenn die Frau den Mann, der gerade Seifenblasen in die Luft lässt vor irgendeinem Motiv hundertmal mit der Digitalkamera ablichtet. Andere Länder andere Sitten und Euch eine schöne Woche!

Kambodscha 2005 2. Teil

Der letzte Eintrag endete an der thailändisch-kambodschanischen Grenze in Aranya Prathet. Am folgenden Tag reiste ich nach Kambodscha ein. Thailand ist alles in allem eigentlich das vielleicht am stärksten amerikanisierte Land Süd-Ost-Asiens. Ich denke nur an die breiten Highways, die 7-Eleven-24-Stunden-Shops an jeder Ecke, die vielen McDonald’s und KFCs, aber eines gab es dann doch nicht in Thailand: Casinos, denn die sind dort verboten. Dafür müssen die spielwütigen Thais beispielsweise nach in den kambodschanischen Grenzort Poipet. Kaum den Fluss, der beide Länder voneinander trennt, überquert, standen dort riesige Hotelpaläste, die auch noch so bezeichnende Namen wie „Las Vegas“ trugen. Die US-Spielhöllen-Metropole nach Kambodscha verlegt, versetzte mich fast in einen Schock. Doch dem nicht genug, auch wurde bei der Einreise, wie in den USA von mir ein Photo gemacht, dass jeden Schwerverbrecher alias Tourist bildlich festhält. Dafür können die Amis etwas, was die Kambodscha bei aller Bauwut schlicht vergessen haben: Strassen anlegen!

Während ich die Zeilen der vorangegangenen Mail verfasste, regnete es in Strömen, so dass ich nach 5 Metern Kambodscha mir die sagenhaft guten Strassen Thailands zurückgewünscht habe, denn als ich aus dem Immigration Office mit dem Rad heraustrat, befand ich mich fortan in einem Schlammacker sondergleichen, der in einen Kreisel mündete. Dieser erinnerte mich an eine Zentrifuge mit Restaurants, Marktständen und auf Kundschaft wartenden Mofa-Taxifahrern am äußeren Rand und hunderten Radlern, Mofafahrern, hupenden Autos, röhrenden LKWs und zum Bersten mit menschlichem Frachtgut gefüllte Pick-ups, die hier die Busse ersetzten in der Mitte der Schlammzentrifuge alias Kambodscha-Kreisel.

Der Schlammfluss, der definitiv nicht als National Highway 5 (NH5) zu bezeichnen war, zog sich bis zum Ortsende hin. Dort wurde diesem Cocktail aus Erde, Wasser und Schlaglöchern noch ein wenig Asphalt hinzugefügt, der aber anteilsmäßig am Straßenbelag gemessen eher ein Schattendasein führte. Ab sofort war das schnelle Radeln auf Thailands Highways vorbei und es hieß ab sofort Schlangenlinien-Radeln um Hunde, die hier ganz und gar nicht aggressiv sind, Rinder, Kinder, Hühner und Pfützen, die den so genannten Highway in eine rot-braun gefärbte finnische Seenplatte verwandelt hatten. Wenigstens musste ich nicht mehr auf kreuzende 2-Meter-Schlangen achten, wie im zuvor bereisten Thailand, die so mir nichts dir nichts aus dem Gebüsch am Straßenrand auftauchten und weder nach links noch nach rechts guckten – und ja eh nix hörten.

Das Radeln in Kambodscha war trotz ebener Strecke doch relativ anstrengend, im Gegensatz zu den 300 zurückgelegten Kilometern im Radler-Schlaraffenland Thailand. Permanent musste ich jetzt abwechselnd in die Pedale treten, um vom Schlamm auf den Asphalt hinaufzukommen, um dann ein paar Meter später wieder abzubremsen um in die nächste Schlaglochpfütze abzutauchen, deren Tiefe ich nie im Vorhinein abschätzen konnte. Während insbesondere in Bangkok niemand sonderlich von mir als Radler Notiz nahm, trat hinter der Grenzstadt Poipet das genaue Gegenteil ein. Auf den endlos bis zum Horizont reichenden Reisfeldern ruhte immer für einen Moment die Sichel, als ich vorbeifuhr.

Aus den Hütten und Büschen am Wegesrand kam immer ein „Hello“ „Bye bye“ „Thank You“ o. ä., ohne dass ich meist die Grüßenden überhaupt sah. Das ganze kam mir wie die Kappenfahrt am Fastnachtsdienstag vor, da ich oft mit der linken Hand den Lenker festhielt und mit der rechten in alle Himmelsrichtungen winken „musste“.  Bei dieser Doppelbelastung von Radeln und Grüßen wurde ich natürlich schnell hungrig. Da kamen die unendlich vielen Essensstände, die es in Kambodscha am Wegesrand gibt wie gerufen.

Schnell ein paar Bananen futtern und bezahlen mit ja mit was eigentlich? Während Kambodschas Steinzeit im 20. Jahrhundert, unter der Herrschaft der sog. Roten Khmer, die das Land gänzlich von der Außenwelt isolierten, gab es gar keine Währung. Jetzt gibt es gleich drei: Kambodschanische Riel, thailändische Baht und der Evergreen(back) US-Dollar. So bezahlte ich meine Bananen in Baht und bekam Riel als Wechselgeld zurück. Ein Essen zahlte ich in Dollar und bekam Baht als Wechselgeld. Manchmal bekomme ich auch Dollar und Riel, da es keine US-Cents in Münzen gibt. Dieses System hat den Vorteil, dass man nie zur Bank gehen muss, da 1 US-Dollar 40 Baht oder 4000 Riel entsprechen.

Eigentlich ganz einfach, oder?

Nach 49 km Schlammpiste, die in der Karte als gute Teerstrasse ausgewiesen war, erreichte ich Sisophon, wo ich notgedrungen übernachtete, da auf meiner Karte die nächsten 103 km zu meinem großen Ziel Siem Reap als Piste eingezeichnet waren und es bereits Mittag war. Sisophon ist ein verschlafenes Nest im Westen Kambodscha, das die zweifelhafte Ehre hat, anscheinend noch nicht an das World Wide Web angeschlossen zu sein, da meine kambodschanischen Gesprächpartner sehr wohl mit dem Begriff Internet etwas anfangen konnten aber meinten, dass es diese Neuerung bei ihnen noch nicht gäbe. Dafür war der zentrale Platz der Stadt ein geschotterter Fußballplatz, auf dem ich sogar ein wenig mitkicken konnte.

Am nächsten Morgen nahm ich dann die angeblichen 103 km Piste nach Siem Reap in Angriff. Die ersten 50 km waren eine wahre Wohltat. Es gab tatsächlich keinen Asphalt, der die Strasse in Puzzelteile verwandeln konnte, so dass es sich recht einfach fahren ließ, zumal die Straße abgetrocknet war. Dies hatte allerdings den entscheidenden Nachteil, dass ich auf einer Wüstenpiste fuhr, die in die feuchten Reisfelder verlegt wurde. Noch nie war ich über starken Seitenwind so froh wie an diese Tag: Jedes Auto wirbelte so viel Staub auf, dass ich immer kurz bevor mich das Auto passierte die Luft anhielt, die Augen schloss und hoffte, durch die Wolke ohne Staublunge durchzukommen.

Das einzige etwas größere Kaff auf diesen 103 km war nach 48 km erreicht und lud zum Essens- und Toiletten-Stopp ein. Denn anders als bei uns ist es in Kambodscha nicht ratsam sich bei akutem Harndrang mal schnell in die Büsche zu schlagen. Schuld daran sind die Roten Khmer und die Vietnamesen, die in den 80ern des letzten Jahrhunderts das gesamte Land verminten. Diese sind bis heute nicht vollständig beseitigt worden und die Gefahr beim Pinkeln in die Luft zu fliegen, ist in Kambodscha leider durchaus realistisch. Für die Einheimischen ist dies natürlich der blanke Horror – wie so vieles in der oft traurigen Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert.

Im Restaurant nach Essen gefragt, bekam ich die Antwort „No food, only omelette and baguette!“ – Jawohl Baguette, denn die Franzosen haben ja hier auch einmal das Land besetzt und für mich glücklicherweise den Rechtsverkehr eingeführt und eben Baguettes bis in die tiefe Provinz gebracht. Warum Baguette und Omelette kein Essen sein sollen, weiß ich nicht, aber so gestärkt nahm ich die zweite Hälfte der Tagesetappe in Angriff, im Gefühl, dass das Vorankommen doch an diesem Tag gar nicht so schlimm war. Aber Kambodschas so genannte National Highways überraschen doch immer wieder gerne: So luden die nächsten Kilometer zum Schunkeln ein. Die permanenten Bodenwellen ließen mich abwechselnd vom Sattel nach vorne kippen oder nach hinten rutschen. Dazu kamen Sandpassagen, die mich einmal nach links und danach nach rechts schlingern ließen. Wer braucht da noch die Hofsänger um in Fastnachtslaune zu kommen – und das bei 0 Promille im Blut aber bei Außentemperaturen von ca. 40 Grad! Später irgendwo in den Reisfeldern Kambodschas herumdümpelnd, dachte ich, dass es sich beim Anblick der Teerstrasse am Horizont um eine Fata Morgana handelte, doch die angebliche Luftspiegelung stellte sich als real existierende Strasse heraus – die erste seit meiner Ankunft in diesem Land und nach sage und schreibe 125 km! Warum um Himmels Willen auf einmal eine Teerstrasse aus der Schunkelpiste wurde, weiß ich nicht,  aber fortan wurde das Radeln ja fast eintönig, denn der mittlerweile erreichte NH6, erinnerte stark an eine Kreisstrasse im Hunsrück – bis auf die Tatsache, dass natürlich ab und zu ein paar Schlaglöcher von bis zu 50 cm Tiefe, dafür sorgten, dass mir auch ja nicht zu langweilig wurde. Nach 7 Stunden Radeln war ich rotbraun einpaniert, hatte mein Tagesziel Siem Reap erreicht und sparte durch die Panade mindestens 100 ml Sonnencreme, denn durch diese Dreckschicht schafft es noch nicht einmal die brennenden Sonnenstrahlen Kambodschas.

Die Ankunft in Siem Reap schockierte mich fast so wie die Ankunft in Kambodscha. War ich nun ca. 150 km durchs kambodschanische Ländle geradelt und sah meist nur Strohhütten auf Stelzen, flankierten plötzlich 5-Sterne-Hotels die Einfahrt in die Stadt. Der Grund liegt zwar auf der Hand, denn die weltberühmten Tempel von Angkor liegen nur ein paar Kilometer nördlich. Doch dass hier pure Luxusherbergen, Rockkneipen mit Happy Hour und Myriaden von japanischen Touristen existieren, hätte ich nicht gedacht.

Über meine Eindrücke aus Angkor berichte ich das nächste Mal. Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende und drücke natürlich morgen die Daumen, dass die Punkte aus der Veltins-Arena ins goldische Meenz mitgenommen werden.