Argentinien 2010

Nach dem langen Winter in diesem Jahr und dem vor einem dreiviertel Jahr nie im Leben für möglich gehaltenen vorzeitigen Klassenerhalt der 05er stand für uns fest, dass es schnellstmöglich und unverzüglich uns mal wieder in exotische Gefilde ziehen musste! Komischerweise lief alles auf Südamerika hinaus und die Wahl fiel schließlich kurz nach Fastnacht auf Chile. Sobald wir allerdings ein Reiseziel ins Auge fassen bzw. dorthin aufbrechen, geschehen dort in schauerlicher Regelmäßigkeit merkwürdige Dinge: Stunden vor der Ankunft in Delhi 2008 explodierten dort ein paar Bomben, nachdem wir uns in den Norden des Subkontinents bequemt hatten, gab es damals die heftigsten Regenfälle seit 1946 und auch unser Spiekeroog-Camping-Aufenthalt 2009 war von extravaganten Naturphänomenen geprägt: Es donnerte und blitzte letzten Sommer auf der Nordseeinsel öfters früh morgendlich um unser Zelt herum, so dass uns Angst und Bange wurde. Kaum war also Chile ausgewählt rappelte dieses Mal die Erde und Chile war für uns passé. Vielmehr stand nun Argentinien auf unserer Agenda, zumal Maradonnas Fußballtruppe gerade im Testspiel 1:0 gegen Deutschland gewonnen hatte und somit vielleicht mit der Wahl des Reiseziels „Rache“ für diese Niederlage genommen werden könnte…

Unser Ziel in Argentinien: die Seenplatte in den Anden
Unser Ziel in Argentinien: die Seenplatte in den Anden

Bei vielen Argentinien-Experten stieß unsere Wahl auf Unverständnis, denn an der Seenplatte am Ostrand der Anden, rund 1.200 km südwestlich von Buenos Aires gelegen, sah es angeblich aus, wie bei uns: Wälder, Berge, Seen. Zugegebenermaßen kannte ich den westlichen Teil der Anden, der zu Chile gehört, von einer früheren Reise und konnte diese Vergleiche nicht vollkommen entkräften – wir hatten gleichzeitig allerdings trotzdem die große Neugierde, diesen Teil der Erde mal kennen zu lernen und sei’s drum, wenn es denn dann halt auch aussieht wie bei uns.
Ein Argument, was natürlich gegen eine solche Aktion à la „Sieht es da wirklich aus, wie bei uns?“ spricht, ist die Anreise und natürlich die Abreise, von der später noch zu berichten ist. Die Marathon-Anfahrt von Frankfurt via Paris nach Buenos Aires Ezeiza Flughafen, Bustransfer zum Aeroparque Flughafen in der Stadt und der Weiterflug nach Bariloche war schon etwas anstrengend – aber wenigstens blieb beim letzten Flug über die weiten Flächen der Pampa und der sich daran anschließenden Halbwüste im Schatten des Andenbogens nicht der Eindruck, man würde gerade von Frankfurt nach Berlin düsen: Canyon-artige braunfarbige Schluchten bis zum Horizont prägten das Bild bis ca. 3 Minuten vor der Landung als Nadelwälder und Felsmassive samt Schneeresten zum Vorschein kamen. Der erste Eindruck nach der Landung in Bariloche war eher der, nach Alaska gebeamt worden zu sein. Gelbe Mittelstreifen, gelbe Verkehrsschilder und breite Amischlitten aus den 1960ern und eine große Weite prägten das Bild – Rheinhessen, flurbereinigt, sieht da dann doch anders aus.

Ankunft mit LAN Argentinia in Bariloche

Ankunft mit LAN Argentinia in Bariloche

Gut, in Bariloche angekommen, erinnerten die Hotelnamen „Edelweis“ oder „Tirol“ dann doch ein wenig an unsere Alpenanrainer – aber die Country-Musik aus den Cafés und Kneipen und die donnernden Motoren, der röhrenden Acht- und Zwölfzylinder aus den Zeiten von JFK lassen Heidi-Gefühle doch nicht aufkommen – zumal die Verständigung natürlich auf Spanisch und nicht auf Schyzerdütsch oder Österreichisch abläuft und mit Englisch würde es wohl weniger „más“ denn „menos“ klappen. Beim Essen könnte es einem heimelig werden, wenn man auf der Speisekarte „Puree“ oder auch mal Fondue findet. Meist wird die Karte allerdings von drei Sachen geprägt: Steak, Milanesa (Schnitzel) und Nudelgerichten.  Viele Argentinier haben italienische Vorfahren und somit ist es wenig verwunderlich Pasta zu bekommen, dass es diese allerdings in allen besuchten Restaurants gibt, hat mich widerum überrascht. Und die Qualität überraschte noch mehr! Gut, uns asienverwöhnte Reisende, hat das Preisniveau natürlich besonders beim Essen gehen etwas geschockt – aber außerhalb von Indien oder Thailand ist es nun mal so, dass man für einen Euro kein Menu erhält – von daher gab es zu vernünftigen Preisen hier beste Essensqualität, so dass ich Argentinien gerade innerhalb Südamerikas zu den Essensparadiesen zählen würde. Die Teigwaren werden wohl durchgängig selbst gemacht und oft kann man diese „nackt“ bestellen und die Sauce separat dazu. Das hat für Vegetarier natürlich den Vorteil, Fleischsaucen einfach zu umgehen. Extravagante Nudelkreationen peppten die Karte immer wieder auf: Ravioli gefülllt mit Forelle oder Kürbis hat schon wirklich was! Manches Mal wurde die italienische Küche dann noch mit der spanischen kombiniert, in dem es zum Beispiel Tortilla als Vorspeise gab. Salate machen Vegetariern das Leben im Land leichter, die sonstigen eher fettigen vegetarischen Produkte wie Bratkartoffeln und Empanadas (Teigtaschen) oder Käsestücke zu umgehen.

Weinparadies Argentinien: Supermarkt in Bariloche
Weinparadies Argentinien: Supermarkt in Bariloche

Im Gebiet der Anden ist das Angeln äußerst populär und so gab es oftmals auch Forellenfilets zum Probieren. Hatte man dann die oft langen Speisekarten durchforstet wurde es kompliziert, denn nun ging es ans Wein aussuchen und die Weinkarte war in der Regel noch länger. Um es kurz zu machen: mit der Malbec- Traube kann man nichts falsch machen, wenn man trockenen Roten zu sehr fairen Preisen liebt. Angenehm war auch die Tatsache kleine Flaschen à 375 ml bestellen zu können, denn nicht jeder (Tourist) ist so trinkfest, als dass man zu zweit eine ganze Flasche kippen könnte. Der Nachtisch kommt oftmals etwas kompakt daher, wenn man sich für „dulce y queso“ (Süßes und Käse) entscheidet: eine streichholzschachteldicke Käsescheibe mit einer Scheibe etwas angedickter Marmelade liegt gerade abends bleiern im Magen, aber so ist’s halt. Schließlich fällt das Frühstück dann wieder sehr dürftig aus: Medialunas (deutsch Halbmonde bzw. Mini-Croissants) mit viel Café con Leche (Kaffee mit heißer Milch) ist der Klassiker und wird eigentlich automatisch bei jeder Übernachtung gratis dazu angeboten. Das Nationalgetränk Mate (-Tee) findet sich hingegen kaum auf einer Karte, dafür aber zuhauf bei allen Argentiniern in allen Lagen: beim Bus fahren, beim Schwätzchen halten, beim Stehen, beim Sitzen – einfach immer und überall.

Wandern in Villa Traful
Wandern in Villa Traful

Wir haben allerdings nicht nur gut gegessen, getrunken und die Hotels getestet, sondern sind täglich in den drei Nationalparks im Gebiet von Bariloche und San Martín de los Andes gewandert oder Rad gefahren. Dies ist für die Reisenden sehr erholsam zum Reisebericht schreiben allerdings eher dürftiger Stoff – denn zu erzählen, dass man durch eine wunderschöne Seenlandschaft gepaart mit ein paar teilweise schneebedeckten Dreitausendern und einem alles dominierenden Vulkan Lanín gelaufen ist, beeindruckt den Leser nicht wirklich. Daher nahm ich nach mehreren Tagen an, dass dieser Bericht sehr kurz und knapp ausfallen wird – was ja gar nicht so mein Ding normalerweise ist.

Volcán Lanín - Junín de los Andes
Volcán Lanín – Junín de los Andes

Da wir in einem relativ kleinen Gebiet von zirka 300 km vom Ausgangspunkt Bariloche bis zum Endpunkt Junín de los Andes unterwegs waren, konnte ich noch nicht einmal viel über den öffentlichen Nahverkehr erzählen, allerdings wussten wir, dass am Ende der Reise noch eine 300 km Busfahrt in sechs Stunden in die Provinzhauptstadt Neuquén anstand. So lagen die Hoffnungen am Ende darauf, etwas berichtenswertes zu finden. Doch diese Fahrt verlief auch recht unspektakulär in einem Doppelstockbus durch die Weiten des Vorandenlandes auf ca. 1.000 m Höhe. Der Bus war wie in Südamerika üblich Tage vorab bereits buchbar, wir konnten uns die Plätze wie beim Fliegen anhand eines Sitzplans aussuchen und die relative Pünktlichkeit des Busses erinnerte mehr oder weniger wirklich ein wenig an unsere Deutsche Bahn. In Neuquén steuerte der Bus zunächst den Flughafen an, was für uns natürlich praktisch war, wollten wir doch Stunden später in ca. 90 Minuten Flugzeit nach Buenos Aires zurück fliegen. Es war Ostermontag, der in Argentinien kein Feiertag ist, und daher nahmen wir an, das mit dem Fliegen sei kein großes Problem, doch die Flüge waren voll. Also ging es mit dem Taxi unter Benutzung des Meters zur Busstation, um einen Nachtbus nach Buenos Aires zu buchen. Dies dachten sich allerdings vor uns schon genug andere, so dass wir fast in Neuquén hätten versauern müssen – die teuerste Version des Busfahrens war allerdings noch genau für zwei Plätze buchbar: die super-duber-Bett-mit-Privatsphäre-Klasse für knapp 55 Euro für 1.200 km. Dieses Luxusreisen waren wir überhaupt noch nicht gewohnt, wenn man bedenkt,  dass wir in vielen anderen Ländern meist eingepfercht wie in einer Sardinenbüchse auf Tour gegangen sind. Also rein in den Luxus, man gönnt sich ja sonst nix!

Panorama-Busfahrt durch Argentinien
Panorama-Busfahrt durch Argentinien

Kurz nach der Abfahrt wurden Tabletts gereicht, die ergonomisch den Beinen angepasst waren. Einem kalten Abendessen zu dem sogar Wein kredenzt wurde, folgte ein heißes Abendessen, das wir aber im Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde – es ging auf Mitternacht zu – nicht einnahmen. Der Sitz wurde ruckzuck in ein Bett verwandelt und selbst meine 193 Zentimeter lagen komplett in der entspannten Horizontale. Argentinien Du Luxus-Land! Der guten Straßen sei dank düsten wir entspannt der „Capital Federal“ besser bekannt unter Buenos Aires entgegen. Im Morgengrauen hatte ich auf einmal den Gestank von Zigarettenqualm in der Nase. Nein, es wurde nicht im Bus geraucht – sondern draußen. Komisch, sollte der Bus doch nahezu nonstop in die Hauptstadt düsen. Plötzlich erstarb auch noch das Surren des Motors, was mich dann doch etwas nervös machte. Diese Ruhe war nicht normal und unser Zeitplan, mit vier Stunden zwischen der angeblichen planmäßigen Ankunft, die sogar auf der Fahrkarte angegeben war und unserem Abflug gen Europa, durchkreuzt. Ein guter Indikator, ob etwas normal ist oder nicht, stellen allerdings immer die Einheimischen dar – doch diese schlummerten noch und von diesen gab es in diesem Bus gerade im unteren Hoch-Luxus-Trakt gerade mal noch vier andere…also warten.

Luxus-Bus mit Problem: Motorschaden
Luxus-Bus mit Problem: Motorschaden

Langsam aber sicher bemerkten auch die anderen, dass wir wohl ein Problem hatten. Und so schlürften die ersten nach draußen in die so genannte Pampa: am Kilometerstein 598 – also knapp 600 km vor unserem Ziel – hatte der Bus es vorgezogen den Geist aufzugeben genau vor der Fleischfabrik „Carnes Pampeanas“. In der Pampa gestrandet zu sein – fast schon zu klischeehaft um wahr zu sein. So konnten wir zunächst einmal den ersten Sonnenaufgang der Reise erleben – bisher hatten wir es immer geschafft diesen zu verschlafen, da Folterfrühabfahrten nicht auf unserem Programm standen und der Glutball bereits um 7.30 Uhr am nahezu immer blauen Himmel umherturnte. Während an Bord eines Flugzeuges dauernd Ansagen gemacht werden, auch die Deutsche Bahn, erzählt ja von Zeit zu Zeit von „Störungen im Betriebsablauf“, machte keiner der beiden Fahrer irgendwelche Anstalten dem lieben Luxusvolk mal in seiner Gänze etwas zu erzählen. Gut die Sachlage war klar, die Klappe zum Motor geöffnet – warum sollte da noch jemand anderes dieselbige zur Erklärung öffnen? Ich sah nur, dass einer von beiden mit einem Keilriemen durch die Pampa lief – einer Domina mit Peitsche ähnlich…und den Gesprächen entnahm ich, dass auf die Mechaniker gewartet wird. Wenigstens hatten wir Handy-Empfang, was in Argentinien abseits der Orte gar nicht selbstverständlich ist. Bei einer Größe von den Ausmaßen Indiens und nur halb so vielen Einwohnern wie Deutschland ist dies aber auch nicht weiter verwunderlich. So konnte wenigstens die Mechaniker verständigt werden und diese kamen nun auch so ca. nach drei Stunden mit einem Ford Pick-Up, Baujahr um den ersten deutschen Fußballweltmeistertitel 1954 rum.

Ein Ford rettet einen Mercedes: der Pick-up der Mechaniker
Ein Ford rettet einen Mercedes: der Pick-up der Mechaniker

Der Meister noch wesentlich älter als sein Gefährt mit dicker Robert Lemke Hornbrille und sein Geselle mit hoch Fistelstimme machten sich gemächlich an die Arbeit. Auf der Ladefläche befanden sich die unterschiedlichen Schraubenschlüssel und oft linste der Alte durch seine glasbausteingroßen Gläser auf die Schrauben und dozierte bzw. dirigierte wie ein Arzt am OP-Tisch den Gesellen, der ihm daraufhin die richtigen Schlüssel reichte. Die Passagiere lugten über die Schulter des Mechanikers hinweg und schauten ihm bei der Arbeit zu. Uns bewegte die Kälte dazu, erst einmal dutzende von Runden um den Parkplatz der Fleischfabrik zu drehen, damit uns etwas warm wurde, denn noch war es in La Pampa bitterkalt.
Nachdem die ersten Sonnestrahlen uns wärmten, regte sich auch der Magen und wir bekamen so langsam Hunger. Unsere Bettplätze lagen direkt neben der Bordküche – aber irgendwie hatten wohl andere schon früher Hunger gehabt, denn die Frühstücke waren bereits verspeist. Glücklicherweise hatten wir wenigsten noch ein paar Futterutensilien bei uns und auch eine große Flasche Wasser. Denn wir wussten ja nicht wo wir waren – 598 km vor der Buenos Aires kann alles heißen. Ein Kaff war nicht zu sehen und der Fabrikverkauf der Fleischfabrik machte um 9.00 Uhr auf, aber die Auslagen sahen eher so aus, wie im Ostblock Ende der 1980er Jahre – leeres weißes Regel angelehnt an weiß getünchte Wand.
Argentinier sind anscheinend geduldig, denn es regte sich niemand auf…noch nicht. Einer der Fahrer orderte ein Taxi und fuhr davon, angeblich Essen besorgen. Der andere Fahrer machte sich mit dem Gesellen in Richtung Fabrik mit dem ausgebauten Motorteil davon. Der Bus war herrenlos und die Argentinier irgendwann ziemlich hemmungslos, denn plötzlich wurde die Küche geplündert. Waren wir anfangs alle noch sehr zurückhaltend und haben uns einfach mal einen ultrasüßen Kaffee gezapft, standen mit der Zeit unsere Mitreisenden eher auf Bier, Schnaps und Saft, das es alles in Hülle und Fülle gab. Stank die Küche bald wie eine Bar auf der Reeperbahn morgens um fünf, roch das Bord-WC bald Indian-style nach Kloake. Glücklicherweise schloss die Tür recht dicht und so blieb der Gestank dort wo er hingehörte.

Nach weiteren zwei Stunden kam der Fahrer tatsächlich mit Essenstabletts zurück. Diese sahen so aus, wie die Dinger, die man mittlerweile auf Europa-Flügen serviert bekommt: viel Verpackung und wenig Inhalt. Eine Medialuna und noch ein wenig Süßkram – aber wir wussten ja argentinisches Frühstück konvergiert gegen Null. Nur war es halt schon später Vormittag und die Aussicht auf ein Mittagessen war eher eine Fatahmorgana. Überhaupt wurde uns so langsam mulmig, denn den ersten Flug nach Europa hatten wir abgeschrieben, aber den Flug am Folgetag wollten wir ja schon doch mal bekommen – schließlich mussten wir auch mal wieder irgendwann in Mainz ankommen.

Es nah anfangs nicht gut aus - doch irgendwann ging es weiter!
Es nah anfangs nicht gut aus – doch irgendwann ging es weiter!

Der ältere Mechaniker war noch aus der Generation Offline und hatte in seinem Ford die Gelben Seiten von Santa Rosa La Pampa. Dort fand ich eine Telefonnummer einer Busgesellschaft und wenig später hatten wir die Info, dass es nachts um halb eins einen Bus nach Buenos Aires gäbe, der auch noch Platz hatte – also in genau 14 Stunden. Auf meine Frage hin, ob denn die Panne zu beheben sei, antwortete der Mechaniker, ja sicher – irgendwann!  Seinen Angaben zufolge sei die Busstation etwa vier Kilometer entfernt. So konnten wir schon mal den „Worst Case“ planen. Vier Kilometer laufen mit allem Gepäck – eine Stunde, Ticket buchen und etwas zusätzliche Zeit einplanen – eine Stunde. Also sollten wir spätestens um 22.30 Uhr, in zwölf Stunden entscheiden von hier abzuhauen.

Ein paar Spaziergänge um den Parkplatz herum später kamen dann auch der zweite Busfahrer und der Geselle mit dem Motorteil wieder. Das Puzzle in Form des einzusetzenden Teils in den riesigen Motor vervollständigte sich in den kommenden Stunden peu à peu. In der Zwischenzeit, dem Alkohol sei vielleicht Dank, hatte eine Reisende ein Beschwerdemanifest formuliert, dass sie jetzt jedem unter die Nase hielt und das jeder unterschreiben sollte unter Angabe der Pass- und Ticketnummer. Über vier bis fünf handgeschriebene Seiten warf dieses den Busfahrern und der Busgesellschaft grobes Fehlverhalten vor. In großem Kreis trug sie dies der Menge vor und es hatte irgendwie theatralische Züge – wäre die Situation nicht so anstrengend gewesen ich hätte jetzt gesagt „großes Kino!“.

Abschied von den Anden, La Pampa und Argentinien
Abschied von den Anden, La Pampa und Argentinien

Die Mechaniker und die Busfahrer ließen sich nicht aus der Ruhe bringen, obwohl diese mittlerweile auch von einigen angegangen wurden, da natürlich der Alkohol Hunger machte. Beim ersten Versuch sprang tatsächlich der Bus wieder an, der Motor surrte und die Polizei kam. Unsere große Referentin rannte davon, den Uniformierten entgegen. In großem Geschrei wurde den Cops jetzt erklärt, was hier vor sich ging – dabei wollten wir, die große Mehrheit doch einfach nur mal wieder los fahren. Irgendwann mussten die Busfahrer dann auch Stellung beziehen und diese hetzten die Fahrwilligen nun gegen die Streikenden auf, da wohl im Raum stand, dass jetzt erstmal zur nächsten Wache gefahren werden musste, um alles zu Protokoll zu geben. Na ja, irgendwie war dann doch die große Mehrheit dafür jetzt mal, nach 9 Stunden „Rast“, weiter zu fahren. Später gab es auf Kosten der Busgesellschaft einen Imbiss und mit ca. 9 Stunden Verspätung erreichten wir spätabends Buenos Aires und am nächsten Tag auch unseren Flieger nach Europa.
Wir waren um ein paar Gramm wegen des „Hungerns“ leichter – dafür aber um eine bizarre Reisegeschichte reicher, die es dann doch wert war, Euch zu erzählen. Und wie bei uns kam uns dann diese Reise doch nicht so ganz vor!

Aserbaidschan 2009

Servus aus Wien, 

Der Fußball-Weltmeisterschaftsqualifikation sei Dank hat es mich dieses Mal nach Baku, in die Hauptstadt Aserbaidschans verschlagen. Nach meinem Trip 2005 zum UEFA-Cup-Qualifikationsmatch Mika Ashtarak vs. Mainz 05 führte mich nun also wieder König Fußball in den Kaukasus.

Die Anreise gestaltete sich mit einem Direktflug von Frankfurt nach Baku und einer Reisezeit von 4 Stunden sehr einfach. Nur, so habe ich wieder einmal gelernt, endet ja die Reise nicht am Flughafen…vielmehr fängt sie dort erst richtig an; um exakt zu sein, bereits bei der Einreise nach Aserbaidschan.

Deutsche brauchen für das muslimisch geprägte Land am Kaspischen Meer ein Visum, das man aber für den gleichen Preis wie in der Botschaft in Berlin auch am Flughafen erhalten kann. Voraussetzung sind lediglich zwei Passbilder und 60 €. Um sinnloses doppelt Anstellen zu vermeiden, muss man wissen, dass man sich erst den Einreisestempel besorgt, und dann praktisch einen Schritt zurück vor die Einreiseschalter macht, um anschließend das Visum zu erhalten. Dann geht es nochmals zur Einreisebeamtin,die sich allerdings nur vergewissert, dass man sein Visum in den Pass geklebt bekommen hat.

Nachdem mein Gepäck und ich durch eine Sicherheitskontrolle gegangen waren, deren Existenz völliger Quatsch ist, da ich ja bereits in Frankfurt vor dem Einsteigen kontrolliert wurde, und ich einen vollkommen sinnlosen Zettel zu meinem Gesundheitszustand einem umhertingelden Flughafenmitarbeiter in die Hand gedrückt hatte, der trotzdem im 5-Minuten-Takt mich in der Einreiseschlange nochmals nach dem Zettel bat, stand ich nun in der Ankunftshalle. Ich hatte es endlich geschafft, in diese ehemalige Sowjet-Republik einzureisen.

Der Grund meiner Reise: das Fußball-Spiel
Der Grund meiner Reise: das Fußball-Spiel

Aserbaidschan ist nicht Euro-Land und somit stand ich gleich vor dem nächsten Problem, da Geldtauschen angesagt war. Doch beide Geldautomaten weigerten sich, mir die lokale Währung Manat auszuhändigen. Der eine Automat hatte angeblich kein Papier mehr für Quittungsbelege, der andere nicht mehr genug Cash und der Bankschalter war natürlich sonntags abends um 22.30 Uhr geschlossen, obwohl gerade ein Flugzeug mit 200 nach Manat lechzenden Passagieren angekommen war. Gleichzeitig stürmten die Piranha-Taxifahrer auf mich zu und wollten natürlich abstruse Summen an Geld, um mich zu meinem Hostel zu bringen.

Der Fahrer mit dem betagtesten Fiat-Taxi war am schnellsten auf Touristen-Normalniveau von 20 US$ heruntergehandelt. Die Adresse, die ich ihm zeigte, schien ihn anfangs nicht zu interessieren. Erst in der Innenstadt, die bei 1,8 Millionen Einwohnern doch ein bisschen größer als Mainz ist, fing die Fragerei an, denn mein Hostel war eher ein unbekanntes International Youth House mit einer genauso unbekannten Adresse.

Zunächst fuhren wir im richtigen Viertel an der falschen Stelle im Kreis. Irgendwann hatte der Fahrer dann meine Handzeichen kapiert, die ihm besagten, dass im englischen Beschreibungstext zum Zugang zum Hostel von zwei Straßen, die eine Kreuzung bilden, die Rede war, die in der Nähe der Hostel-Straße lagen. Alsbald waren wir dann in der besagten Straße, nur die Hausnummer 72 war unauffindbar. Natürlich wollte mein Fahrer mittlerweile einen Zuschlag, zu dem ich zunächst gar nichts sagte. Als ich feststellen musste, dass wir mit dem Auto die Adresse eh nie finden würden,  wir zum Glück an einem nach aserbaidschanischen Niveau angeblichen 4-Sterne-Hotel mit Hausnummer 52 immer mal wieder vorbeibrausten und es auf Mitternacht zu ging, stieg ich entnervt aus. Vorher hatte ich natürlich noch einen kleinen Kampf wegen dem Fahrpreis auszufechten. Wir einigsten uns natürlich in der Mitte, also auf 5 US$ Zuschlag. Dann machte ich mich im dunklen Baku zu Fuß auf den Weg, um mein Hostel vielleicht doch noch zu finden – allerdings vergeblich – ich kam immerhin bis Hausnummer 62, die wir mit dem Taxi vorher nicht gefunden hatten. Die in der Reservierung angegebene Telefonnummer ließ nach dem Wählen nur ein aserbaidschanisches Gebrabbel folgen, das wohl etwas wie „kein Anschluss unter dieser Nummer“ bedeutete. Aber es gab ja noch das 4-Sterne-Hotel und somit hatte ich dann doch noch ruckzuck ein recht komfortables, wenn auch etwas hochpreisiges Dach über dem Kopf. Am Ende dieses stressigen Abends verstand ich auch erstmals den Sinn einer Minibar. Ohne Manats in der Tasche konnte ich dann doch noch meinen enormen Durst mit einer Sprudelflasche stillen.

Bakus Neustadt ist mit Parks übersäht
Bakus Neustadt ist mit Parks übersäht

Nachts um zwei schreckte mich eine SMS aus dem Schlaf, denn nun sorgte sich mein Hostel um mich. Ich schrieb kurz an diese mir unbekannte Nummer zurück, dass ich morgens anrufen würde, denn ich wollte jetzt einfach nur noch pennen. Nach dem leckeren Frühstück mit Pirogen (gefüllte Teigtaschen), Gurkensalat und Schafskäse sowie selbst zu süßendem Tee und fadem Nescafé ging es dann ans Bezahlen. Da ich ja immer noch keine Manat in der Tasche hatte, wollte ich mit Kreditkarte zahlen. Dies sollte dann 18% mehr kosten. Allerdings war der Preis, den ich zu berappen hatte, am Ende wohl mit Kreditkarte nur unwesentlich höher, da ich sonst in Euro zu einem Kurs von 1:1 hätte zahlen müssen. Eigentlich bekommt man für einen Euro aber 1,13 Manat. Der Grund, warum ich 18% Aufschlag zahlen sollte, stellte sich beim Erhalt der Rechnung heraus: ich musste die Mehrwertssteuer bezahlen! Ansonsten hätte ich wohl in diesem 4-Sterne-Hotel schwarz gepennt…

Mein eigentliches Hostel erreichte ich dann nach einem Rückruf auf der unbekannten Handynummer der letzten Nacht und einem vereinbarten Treffpunkt vor der pakistanischen Botschaft, nur einige hundert Meter und zwei Häuserblocks entfernt von meiner ersten Herberge in Baku. Am Treffpunkt wartete dann die Rezeptionistin, der die ganze Angelegenheit doch arg peinlich war und die mich durch ein kleines Wirrwarr von Gassen hinter der Botschaft ins Hostel brachte. An der Tür war weder ein Schild noch eine Hausnummer angebracht, so dass ich sowieso keine Chance gehabt hätte, diese Herberge in der Dunkelheit zu finden. Als ich ihr von der toten Telefonleitung erzählte, meinte sie, das kombinierte Fax- und Telefongerät sei wohl letzte Nacht ausgeschaltet gewesen. Nun gut, Stornogebühren muss ich wenigstens nicht auch noch bezahlen, da sie zugaben, dass der Fehler ja wirklich nicht bei mir lag. Spätestens hier merkte ich, dass Aserbaidschan und Tourismus noch wie zwei Fremdkörper wirken – und ich in diesem Land übrigens auch keinerlei Japaner vorfand, ansonsten ja ein guter Indikator, inwiefern ein Land touristisch erschlossen ist.

Vor lauter Hotelsucherei hatte ich für mein Gastland zunächst überhaupt keinen Blick gehabt. Ich denke, Baku ist eine Mischung aus heruntergekommener ex-Sowjet-Stadt und post-modernem-Öl-Boomtown à la Dubai. Eine Mittelklasse an Autos, Häusern, Kleidung scheint es nicht zu geben. Ladas an denen der Zahn der Zeit nagt oder Porsche Cayennes an denen sich der Staub der Halbwüste vor der Stadt zu schaffen macht, begegnen mir meist mit Affenzahn auf den mehrspurigen Boulevards, die entweder an schönen Pinienparks oder mit Müll übersähten heruntergekommenen Plattenbauten entlangziehen. Highheels oder ausgelatsche, kaputte Flipflops prägen das Schuhwerk, aber dass ich mich in einem muslimischen Land befinde, erkenne ich nur bei genauem Hinsehen. Islam und Alkohol gehen hier dank der klassenlosen (Sauf-)Gesellschaft eine interessante Symbiose ein. Der Anteil an Kopftuch-tragenden Frauen ist in Mainz deutlich höher und der Muezzin scheint von aserbaidschanischer Disko-Mucke in den vielen Handy-Läden verdrängt worden zu sein. Alle Marken dieser Erde sind in dieser Stadt, die die Finanzkrise wohl nur aus dem Fernsehen kennt, mit eigenen Dependancen vertreten. Überall wird gebaut, restauriert und Instand gesetzt:

Finanzkrise? In Baku wird immer (noch) gebaut
Finanzkrise? In Baku wird immer (noch) gebaut

In der Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen, Palästen und einer wunderschönen Moschee, umgeben teilweise von einer dicken Festungsmauer, sind nur noch minimale Baukorrekturen zu vollbringen. Sie steht als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. Um diesen kleinen Stadtteil, der vielleicht so groß ist, wie die Altstadt in Mainz ringt sich eine Art Neustadt, die beim ersten Ölboom Anfang des 20. Jahrhunderts entstand. Diese prunkvollen Villen und Bauten wurden und werden peu à peu restauriert. so dass teilweise ganze Straßenzüge mit Baugerüsten versperrt sind. In den bereits fertiggestellten Bereichen lässt es sich wunderbar flanieren und in den vielen Park mit ihren unzähligen Springbrunnen herrlich von der Sonne ausruhen. Um diesen Neustadt-Gürtel herum begegnen sich unmittelbar erste und fast dritte Welt. Moderne Wolkenkratzer werden neben Plattenbauten errichtet. Mit den unzähligen mehrspurigen Autobahnen erinnert dies eher an Los Angeles als an eine Metropole am Rande des Kaukasus.

Nach meiner zweiten Nacht „durfte“ ich wieder umziehen, da ich die folgenden beiden Übernachtungen bereits ein Jahr im voraus gebucht hatte, und in diesem zweiten Hostel für die beiden vorangegangen Übernachtungen dieses bereits belegt war, nutzte ich nun die Metro zum Umziehen. Diese erinnert noch extrem an die Zeit, als Aserbaidschan ein Teil der Sowjetunion war. Die Metro-Stationen werden mit teilweise klapprigen, steilen, ultraschnellen und -langen Rolltreppen erreicht, an deren Ende immer noch eine Babuschka sitzt und guckt, ob das Ding funktioniert. Die Wagen sind auf Volkstransport ausgelegt und bieten klassenlos allen wenig Platz zum Sitzen. Allerdings zog hier auch schon die Moderne ein. 2 Manat (1,75 Euro) Pfand kostet eine Metrokarte, die man dann mit mindestens 0,2 Manat laden muss. Eine Fahrt kostet unglaubliche 0,05 Manat, also 4 Cent! Ich hatte einen Manat draufgeladen und es natürlich nicht geschafft in 5 Tagen den Betrag von 0,85 Cent oder 20 Fahrten abzufahren. Die Quittung, die ich erhielt, war dann doch wieder soviet-style, denn sie war in russisch und kyrillischen Buchstaben verfasst. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 (!) ist aserbaidschanisch natürlich Landessprache und eigentlich alles damit abgefasst. Ähnlich wie die Türken haben die Aserbaidschaner 1918 die arabischen Schriftzeichen durch lateinische ersetzt. 1939 haben die Sowjets diese durch kyrillische Buchstaben ausgetauscht bis 1991 wieder auf Lateinisch umgeschwengt wurde. Aber in den tiefen U-Bahn-Schächten Bakus herrscht die alte Sowjetunion doch noch weiter!

In meinem neuen Hostel angekommen, musste ich feststellen, dass ich nur noch in Städten wie Baku, die bei den Übernachtungspreisen zu den teuersten der Welt gehören, gewillt bin, für ein solch mieses Hostel 20 US$ pro Nacht zu bezahlen. Das an sich schon enge, längliche Zimmer war mit drei Doppelstockbetten zugestellt. Das zweite Zimmer fasste nochmals zwei Doppelstockbetten. Es gab ein enges, aber wenigstens sauberes Bad und einen Raum, in dem sich das Sozialleben abspielte:eine Alibiküche, ein Kühlschrank für Bier, eine Couch auf der Emil, der Rezeptionist lag und immer nur „twenty Dollar“ brabbelte, wenn man fragte, was eine Übernachtung kostet. Lustigerweise habe ich folglich alle meine Übernachtungen in Aserbaidschan nicht in Manat bezahlt: die erste mit Kreditkarte, die zweite, weil immer noch ohne Manats, in Euro (im korrekten Umtauschverhältnis) und die nächsten also in US-Dollar.

Dieses Hostel war die günstigste Option in Baku zu nächtigen und dies wussten natürlich auch alle anderen Fußballfans und sonstigen Reisenden. Dementsprechende war das Hostel komplett überbucht, die Leute schliefen auf dem Boden und ich konnte mich glücklich schätzen eine dünne Matraze ohne Kissen in einem arg wackeligen Doppelstockbett mein Eigen zu nennen. Auf der Toilette war abwechselend Klobrillensurfen angesagt, da diese lose herumlag, oder es wurde meine Fingerfertigkeit geprüft, da sich das Schloss nur mittels eines Zahnstochers wieder öffnen ließ. Aber die Lage des Hostels, mitten in der Altstadt, ließ dann wenigstens etwas das ätzende Übernachten vergessen.

Bakus Altstadt in der Nacht
Bakus Altstadt in der Nacht

Um die Tage bis zum Spiel nicht nur mit Flanieren zwischen Dior-Boutique und Backgammon-spielenden teils Wasserpfeife rauchenden Alten zu verbringen, ging es raus aus der Stadt, zunächst einmal in einer Kombi aus U-Bahn (0,04 Euro) und Marshrutka (Mini-Bus) (0,16 Euro) zum ehemaligen indischen Ateschgah-Feuertempel. Ateschgah bedeutete soviel wie „Hort des Feuers“. Die Abseron-Halbinsel an derem südlichen Ende Baku liegt, ist mit Öl- und Gasvorkommen reichlich ausgestattet. Das Gas ströhmte daher schon seit mindestens dem Mittelalter an manchen Stellen einfach an die Oberfläche und fing natürlich Feuer. Auf dieses vollkommen nachhaltige Feuerwerk von Mutter Natur fuhren daher bereits vor 300 Jahren Sadhus aus Indien ab und bauten einen Feuertempel, an dem sie ihr Leben damit verbrachten, auf glühenden Kohlen zu sitzen. Der heutige Tempel ist aus dem 18. Jahrhundert und liegt mittlerweile in einem alten Erdölfördergebiet vollkommen deplatziert, daher wurde er mit Beginn der Erdölförderung 1883 aufgegeben. Das immer noch brennende Feuer stammt mittlerweile von den Gaswerken aus Baku, da das Gaslevel durch dessen Ausbeutung mittlerweile arg gesunken ist. Trotzdem ist dieser Ort noch heute etwas wirklich bizarres.

"Hort des Feuers": der Ateschgah-Feuertempel
„Hort des Feuers“: der Ateschgah-Feuertempel

Direkt hinter den Tempelmauern sieht es dann eher apokalyptisch und definitiv biologisch tot aus. Bis zum Horizont nicken die Ölpumplen in einer ehes gespenstischen gruseligen Athmosphäre. Beim Reisen merkt man allzuoft, wie schön wir doch zu Hause wohnen, denn in dieser Apokalypse nur rund 10 km vom Glamour-Leben entfernt leben auch Menschen, die den Öl-Boom zwar mitbekommen haben, aber nicht gerade in einem positiven Sinne.

Menschgemachte Apokalypse: alte Ölfelder vor den Toren Bakus
Menschgemachte Apokalypse: alte Ölfelder vor den Toren Bakus

Am nächsten Tag war ich mit Allan einem 66-jährigen US-Amerikaner und einem nicht englisch sprechenden Taxifahrer on tour. Auf Vermittlung der Couch-Potatoe Emil aus dem Horror-Hostel ging es in Richtung iranischer Grenze in die Halbwüste am Kaspischen Meer. Allan war ziemlich platt, als er seit Tiflis (Georgien) eigentlich nur noch deusche Fußballfans traf. Als Ami war klar, dass er keine Ahnung vom Fußballspiel an sich hat, aber als L.A. Dodgers (Baseball) und Lakers (Basketball) Supporter weiß er, was es heißt, Fan zu sein. Als Emils Leidensgenossen haben wir uns gemeinsam auf diesen Ausflug gemacht, der uns in Qobustan zunächst zu einzigartigen Felszeichnungen aus dem 12. Jhdt. v. Chr. in einer surrealistischen Steinlandschaft führte. Als wir dann unserem Taxifahrer, der schon nicht genau wusste, wo dieses Weltkulturerbe liegt, mitteilten, dass mit Emil ausgemacht sei, die Schlammvulkane südlich von Qobustan zu besuchen, wollte er einen Aufpreis. Glücklicherweise sprachen die Mitarbeiter in Qobustan „little english“ und gaben dem Fahrer zu verstehen, dass dieser Besuch bereits im Fahrpreis inbegriffen sei. Nach längerem hin und her, rief er schließlich Emil an und es entstand ein Dialog auf aserbaidschanisch, bei dem es wohl darum ging, die besten Schimpfwörter möglichst laut und schnell, einer Kalashnikow ähnlich, durchs Handy an den Kopf zu werfen. Es stellte sich heraus, dass der Fahrer lediglich 35 Manat erhielt, wir aber 80 Manat zahlten. Evil Emil!


"Moderne Kunst": Felszeichnungen von Qobustan
„Moderne Kunst“: Felszeichnungen von Qobustan

Der Fahrer machte sich schließlich auf den Weg und wusste natürlich gar nicht, wo die Vulkane liegen – aber das war ich ja schon von der Hotelsuche ein paar Tage vorher gewohnt. Dank des Lonely Planets wussten wir, dass wir nicht völlig falsch fuhren, als wir plötzlich auf einer Holperpiste entlanggurkten, da der gut geteerte Highway nur rund 500 m parallel davon verlief. Aber unser Fahrer, natürlich immer noch sauer auf Emil, wollte wohl eine Abkürzung nehmen und schaffte es auch immer wieder mitten in der Einöde der Halbwüste Leute nach dem Weg zu fragen. Tatsächlich fanden wir auf einmal ein anderes Taxi in der Pampa und wir hatten unser Ziel erreicht. Drei weitere Touristen hatten sich ebenfalls hierher verirrt. Ich war glücklich, dieses Mal doch mit einem aserbaischanischen Taxifahrer mein Ziel erreicht zu haben und es sah sehr lustig aus, diese zwei bis drei Meter hohen Mini-Vulkane bei ihrer Arbeit zu beobachten. Alle paar Minuten flog mal mehr mal weniger Schlamm aus ihrem Schlund. Dieser war eiskalt und das einzig gefährliche war in die Schlammlava zu treten und dann eventuell mehr oder weniger zu versinken. Allerdings trocknete der Schlamm bei Temperaturen in der Sonne von ca. 50° C doch arg schnell.

Terrestriche Blähungen: Schlammvulkane bei Qobustan
Terrestriche Blähungen: Schlammvulkane bei Qobustan

Genau diese Sonne machte mir auch zu schaffen und ich fing mir einen Sonnenstich und megamäßige Kopfschmerzen ein. Aber trotzdem überlebte ich die unspektakurläre Rückfahrt genauso wie das noch unspektakulärere Spiel, das Deutschland 2 zu 0 für sich entschied. Die Stimmung im Stadion war zumindest bis zum ersten deutschen Tor wirklich prima. Das gesamte Stadion machte eine Choreographie in den Landesfarben blau, rot, grün gesponsert von McDonald’s. Internationale Bestimmungen verbieten eigentlich das Ausschenken von Alkohol bei Fußballspielen, doch im muslimisch geprägten Aserbaidschan wurden die durstigen Germanen mit Bier bis zum Geht-nicht-mehr versorgt. Anfangs gab es noch Bierbecher, plötzlich kam ein Fan mit einer 2-Liter-Plastikflasche zurück in den Block. Trotz der arg angetrunkenen Fans blieb alles friedlich. Mit einem Sonnenstich im Kopf war ich froh, dass es neben Halal-Hot-Dog auch Coca-Cola und Wasser gab. So überlebte ich die 90 Minuten und die letzte Nacht bei Evil-Emil in seinem 1000 Camel Hostel, ehe mich der Flieger nach Wien brachte, von wo ich diese Zeilen schreibe.

Indien 2008 letzter Teil

Indien ist 24 Stunden am Tag einfach ein Film, in dem man als Darsteller permanent mitspielt. Selbst im Internetcafe beim Schreiben dieser Zeilen, erlebe ich immer wieder am Rande lustige Erlebnisse oder auch Situationen, die komplett vom Weiterschreiben abhalten. So auch wieder in Jaisalmer: Mein indischer Internet-Nutzer-Nachbar diskutierte bereits in ohrenbetäubender Lautstärke mit dem Besitzer des Internetcafes eine Viertelstunde herum, ehe beide plötzlich mich ansprachen ‚you help us, you five minutes?!‘. Hm, was blieb mir anderes übrig, als ‚yes‘ zu sagen? Denn ansonsten hätten die beiden eh nur weiter palavert und meine Konzentration auf das Verfassen dieser Mail war sowieso bereits flöten gegangen. In besagter Viertelstunde hatten die beiden versucht, einen Geschäftbrief zu verfassen, der in Grundzügen bereits auf Papier gebracht wurde. Aber das Abtippen bereitete größte Schwierigkeiten – was mir wohl genauso gehen würde, wenn ich auf einer Hindi-Tastatur einen Brief in Hindi-Buchstaben abtippen sollte. Also fang ich an, den Brief abzutippen, bzw. der Absender diktierte mir in seinem India English die Zeilen und kam ständig zum Ergebnis, dass man den Satz doch noch mal anders formulieren sollte. Irgendwann war mir der Inhalt bekannt, es ging um Aktien, die er seit Januar 2008 nicht bekam, trotz Bankabbuchung! So schrieb ich am Ende den Brief alleine, las ihn nochmals vor und schickte das Ding dann nach Kalkutta ab…und hatte endlich wieder Ruhe!

Aber auch im Nachbar-Internetcafe war alles ‚hammergeil‘! Der Cafe-Besitzer lernte dieses Lieblingswort wohl von irgendwelchen deutschsprachigen Touristen und warf dieses bon mot seither permanent ein, nachdem er merkte, dass wir Deutsche sind. Dann wurde noch in ohrenbetäubender Lautstärke Musik von „Wir sind Helden“ aufgelegt und auch in dieser Situation war das Schreiben dann nicht mehr möglich. In Delhi schließlich ist es mittlerweile ein großer bürokratischer Akt, überhaupt einmal erst in die Zeilen hauen zu dürfen: Um Terroristen vom Surfen abzuhalten, muss jeder Internet-Nutzer im Internet-Cafe zunächst seinen Pass abgeben. Dieser wird dann kopiert. Danach müssen zur „Sicherheit“ auch nochmals alle Passdaten in ein riesiges, großes Buch vom Nutzer eingetragen werden. Danach darf ich dann endlich ins Word Wide Web eintreten – wenn nicht gerade mal wieder die Verbindung gekappt war.

Um in Jaisalmer mobil zu sein, mieteten wir uns für ein paar Tage echte Indian „Hero Cycles“. Heldenhaft an diesen megaschweren Drahteseln ist eigentlich nur, sich mit diesen irgendwie fortbewegen zu können. Vor allem weil man nur einen Gang hat und der Sattel gerade für mich natürlich viel zu tief liegt. Aber trotzdem sitzt man auf den Dingern eigentlich ganz wunderbar, wenn man nicht zu viel Zeit auf ihnen verbringt – ansonsten schaut der Hintern irgendwann so aus, wie die rosaroten Popos der Affen von Shimla! Um das Fort von Jaisalmer herum erinnert die Stadt bereits an den Orient mit ihren engen, zum Teil gepflasterten Gassen, den Havelis (prunkvolle Paläste reicher Kaufleute auf dieser ehemaligen Händlerroute) und den Gewürzgerüchen aus Tausendundeiner Nacht. Indisch wird die Atmosphäre durch thronende wiederkäuende Ziegen, Lasten tragende Kamele, omnipräsente Sphinx-verkörpernde Kühe, Türvorleger-gebende Hunde, knatternde Mopeds, hupende dreirädrige Autorikschas und brabbelnde Basaris. Durch dieses Nadelöhr zu strampeln war manches Mal recht anstrengend und erinnerte mehr an Autoscooter fahren oder Playstation spielen aber auf freien Strecken oder weiter entfernten Plätzen kühlte uns der Fahrtwind in der ansonsten gnadenlos brennenden Sonne der Wüste Thar.

Waren wir nicht am Radeln oder am Essen genießen, hatten wir wieder besondere Erlebnisse in meinem Ashram, dieses mal in der Bahnhofshalle von Jaisalmer. Ihr kennt ja schon das Procedere zum Ticketkauf, richtig, Formular ausfüllen, anstellen, beten, bangen und hoffen, zahlen, Ticket kontrollieren etc. Ein Formular hatte ich noch in der Hosentasche vom Anstehen in Shimla – allerdings waren dort die Formulare weiß – in der Einöde der Wüste Thar waren diese hingegen rosa! Ich erkämpfte noch ein Formular, da wir wieder zwei Züge buchen wollten. Das Ausfüllen war schnell erledigt und hinein ging es ins Indian-Style-Anstellen. Die rein theoretisch existierende Schlange wurde immer durch links und rechts anpirschende Inder angereichert, die den Anstehenden weitere Formulare zusteckten. Wir standen bereits rund 30 Minuten an und fragten uns, warum es drei Schalter sowie fünf Beamte gab, jedoch nur einen real existierenden Ticketverkäufer, als plötzlich eine zweite Frau auftauchte, denn Valentina repräsentierte bis dato alleine das weibliche Geschlecht. Nun gibt es in Indien oft eine Schlange für Frauen, wie es auch Wartesäle für Frauen und zum Teil spezielle Sitzplätze für Frauen in den Bussen gibt. Aber hier war der Frauen-Schalter geschlossen. Also überholte die ferngesteuerte Frau uns links und kämpfte sich in die Nähe des Schalters. Ferngesteuert deshalb, da natürlich der Ehemann hinterher schlich und die Frau nur mitnahm, um möglichst zügig an die Zugfahrkarten zu gelangen, schließlich verbringen indische Frauen außerhalb der Großstädte die meiste Zeit im Haus und nicht in der Gasse.

Die vor dem Guckloch des Schalterbeamten Schlange stehenden Herren waren recht ‘emanzipiert’ und sorgten für Gleichberechtigung – sprich sie ließen die Dame nicht vor. Diese gab aber nicht auf, wurde aber von einer zweiten Dame dreisterweise in technisch einwandfreier Weise (Tackling) ausgekontert. Den Lohn holte sie sich in Form einer Fahrkarte ab, während wir langsam dachten, es wäre an der Zeit, sich Land und Leuten anzupassen. Diese ‘bösen’ Gedanken des dreisten Überholens wurden dann sofort von einer Taube bestraft, die über Schalter 2 saß, an dem Valentina gerade Aufwärmübungen zum Vordrängeln machte. Mit einem Schiss aufs T-Shirt war die kleine Sünde getilgt, mit einem Taschentuch der Kot beseitigt und nun lief Valentina zur Höchstform im Vordrängeln auf, um wenig später mit zwei Tickets und den gewünscht Plätzen von Dannen zu ziehen!

Nach ein paar sehr erholsamen Tagen fuhren wir dann etwas gesundheitlich angeschlagen wieder gen Osten durch Rajasthan in Richtung Delhi zurück. Wahrscheinlich war der Temperaturunterschied von dreißig bis vierzig Grad (im Schatten) doch für unseren Organismus etwas zu viel des Guten. So waren wir wirklich froh, dieses Mal den Luxus von 8er-Abteilen mit Air Condition zu nutzen. Die Klimaanlage hält nicht nur die Hitze fern, sondern wegen des ca. dreifachen Preises auch blökende Inder der unteren Schichten sowie schwarzfahrende Pendler. Wieder wählten wir zwei Oberbetten aus, doch dieses Mal war dies vielleicht nicht die beste Wahl, da der Raum zwischen Oberbett und Decke erschreckend gering ausfiel. Ich nehme mal an, dass die Klimaanlage mit ihren Rohren ja auch irgendwie in der Decke verankert werden muss. So war es insbesondere für mich ein großer akrobatischer Akt, überhaupt mit dem Rucksack irgendwie in diese Sphären zu gelangen und mich einigermaßen bequem niederzulassen. Natürlich stieß ich bei 1,93 Körpergröße überall vor allem mit dem Kopf an, der mittlerweile mit Beulen überzogen ist. Aber auch die Füße ragen deutlich über den Bettrand raus und dummerweise lag ich diese Nacht auch noch an der Abteiltür, so dass auch die Füße ihre Prellungen abbekamen. Insgesamt aber verlief die Fahrt über 600 km durch die Wüste Thar recht ruhig und so kamen wir mit lediglich 30 Minuten Verspätung in Jaipur an, wo wir eine Nacht unseren von der Hitze ermatteten Körpern Erholung gönnten.

Gleichzeitig hatten wir eine gewisse Busphobie uns in den Bergen Himachals zugezogen und da Indian Railways bisher recht zuverlässig war, entschieden wir uns, statt der fünfstündigen Busfahrt nach Bundi eine vierstündige Zugfahrt plus 45 Minuten Busfahrt zu machen. Diese Entscheidung schloss natürlich das Fahrkartenbestellen bei Indian Railways wieder mit ein. Aber die 2 Millionenmetropole Jaipur überraschte mit einer sauberen Bahnhofshalle, in der es in einem Büro zur Fahrkartenreservierung die berühmten Formulare en masse vor dem Schalter gab. Darüber hinaus existierte ein separater Schalter für ‚Freedom Fighters and Tourists‘ und so verlief die Fahrkartenorder dieses Mal völlig unkompliziert und einfach. Am darauf folgenden Tag erinnerte der Bahnhof Jaipur mich dann nicht so sehr an ein Ashram sondern vielmehr an das berühmte Hase-und-Igel-Märchen: Der Zug, der um 10.55 Uhr fahrplanmäßig abfahren sollte, war auf einer elektronischen Anzeigetafel für 11.07 Uhr avisiert. 12 Minuten Verspätung ist ja für Mainzer Verhältnisse absolutes S-Bahn-Niveau und wir machten es uns am Bahnsteig gemütlich. Dort wurden wir dann dergestalt dauerbeschallt, dass man fast in Trance fiel, da einerseits computergesteuerte Ansagen permanent über Züge in Hindi und Englisch informierten, gleichzeitig aus Flachbildschirmen Bollywood-Videos plärrten und darüber hinaus noch individuelle Ansagen die Kakophonie mal wieder ins Unermessliche trieb. Kurz bevor wir 11.07 Uhr hatten kam dann natürlich die Ansage, der Zug käme um 11.27 Uhr. Als wir ca. 11.25 Uhr hatten, wurde daraus dann 11.32 Uhr und wenig später schließlich 11.40 Uhr. Gut, wir hatten ja nur vier Stunden zu fahren aber auch dieses Mal schaffte es Indian Railways wieder, mich ein klitzekleines bisschen aus der Fassung zu bringen, ehe um 11.42 Uhr der Zug kam und dann auch ca. nur mit einer Stunde Verspätung abdampfte. Dass er auf der Fahrt dann weiter Verspätung sammelte und wir am Ende 90 Minuten zusammen hatten, nahmen wir mehr oder weniger gelassen zur Kenntnis, denn die Fahrt im Chair Car, das akklimatisiert und leer war, verlief recht angenehm und so gar nicht Indian Style!

Per Bus ging es dann durchs relativ grüne und flache Rajasthan an kleinen Kamel- und Ziegenherden, sowie badenden Wasserbüffeln auf einer Alleenstrasse nach Bundi, einer Kleinstadt mitten in der indischen Pampa. Hier zeigte sich, dass Indien nicht nur in Kastengesellschaften sondern auch in Kasten touristischer Entwicklungsstadien zu unterscheiden ist. Während Shimla hauptsächlich durch den einheimischen Touristenboom sauber, relativ aufgeräumt, rausgeputzt und Jaisalmer trotz Wüstensand einigermaßen rein daherkommt ist Bundi einfach ein Dreckloch. Die Gossen stinken nach Fäkalien, die Einheimischen machen einfach in die Strasse, die Gebäude verfallen, die ausschließlich ausländischen Touristen sehen ebenfalls zum Grossteil sehr mitgenommen aus, sei es durch Drogenkonsum oder durch einen etwas zu langen Indienaufenthalt oder durch die immerwährende Hitze. In Bundi steckt der Tourismus noch in seinen Anfängen: richtige Hotels und Restaurants gibt es in dieser 80.000 Einwohner zählenden Stadt nicht. Übernachtet wird bei Familien in den alten, einst sicherlich ehrwürdig aussehenden Havelis (Häuser reicher Einwohner). Das Essen wird von der Familie zubereitet und schmeckt teilweise sehr gut, manchmal ist es allerdings etwas arg versalzen. Andere Annehmlichkeiten den der Backpackerboom in die Orte Asiens bringt, wie Reinigung und Internetcafes sind latent vorhanden. Man muss allerdings erstmal die Person finden, die dann ihren Laden aufschließt. Dabei ist das Kaff gar nicht mal so schläfrig, denn gehupt wird mit einer Intension als gäbe es kein Morgen. Und Touris zu verarschen, darauf ist man auch schon in Bundi gekommen, in dem man den Preis für die Einheimischen (und Leute die Hindi lesen können) in Hindi auf die Wand kritzelt und bei sporadisch auftauchenden Touris, dann ein ‘english speaking Menu’ mit arg gesalzenen Preisen präsentieren kann, also meist so das zwei- bis dreifache des normalen Preises.

Dabei könnte Bundi tatsächlich etwas aus sich machen. Die Altstadt wird von künstlichen Bassins durchzogen, die aber zurzeit eher an eine Riesenkloake erinnern. Die Häusersubstanz wäre wirklich erhaltenswert, aber es renoviert kaum jemand seine vier Wände, so dass man befürchten muss, dass die alten Bauten irgendwann vollkommen einkrachen. Oberhalb der Stadt, deren Gebäude aus der Ferne bei Sonnenuntergang in herrlichem Himmelblau erstrahlen, ist ein riesiger Palast in den über der Stadt thronenden Hügel gesetzt worden. Dieser wurde erst vor kurzem wieder als Kulturgut entdeckt und ist nun auch wieder für Menschen zugänglich, nachdem er vorher im Besitz von Affen und Fledermäusen war. Auf dem Hügel befindet sich ein Fort zu dem es mich natürlich zog, um einen netten Ausblick auf die Umgebung zu erhalten. Auf einer riesigen gepflasterten Auffahrt ging es bergan, zunächst am Kassenhäuschen für den Palast vorbei. Es war natürlich leer und niemand interessierte sich so richtig für mich. Gut, ich wollte eh nicht in den Palast besichtigen und setzte meinen Weg ungestört bergan fort. Im Reiseführer wurde vor den Affen im Fort gewarnt, denn auch dieses war natürlich unbewohnt und dem Verfall überlassen. Aus meiner Shimla-Affen-Erfahrung habe ich natürlich gelernt, und so nahm ich einen dornigen Stock zur eventuellen Selbstverteidigung mit hoch. Beim Aufstieg begegnete ich allerdings gerade mal drei Affen, die sich nicht sonderlich für mich interessierten, da wir jeweils weit entfernt voneinander durch die Gegend marschierten.

Im Fort angekommen, konnte ich es einfach nicht fassen, wie man einen Marmorboden und so herrliche Räume, mit Ornamenten verziert, einfach dem Verfall überlassen kann. Aus einem Pavillon konnte ich Affen auf der Mauer in sicherer Entfernung beim Sonnenunterganggenießen beobachten. Plötzlich lief aber wie aus dem Nicht ein Affe quer durch den Pavillon. Allerdings erschreckten wir beide wohl gleich stark und er trollte sich sofort von Dannen. Traf ich im Fort anfangs noch auf eine Handvoll Einheimischer war ich plötzlich alleine und kam mir halb wie Indiana Jones halb wie eine Memme vor, die sich etwas unbehaglich in der einsetzenden Dämmerung vorkam. Ich trat den Rückzug an und hinter einer Wegbiegung blieb ich entsetzt stehen: Eine ganze Affenherde von vielleicht dreißig bis vierzig Tieren blickte mich neugierig an. Die Tiere mussten sich den ganzen Tag im Unterholz aufgehalten haben und erst bei der einsetzenden Dunkelheit kamen sie für mich zum Vorschein. Mir blieb nichts anderes übrig, als vorsichtshalber meine Brille einzustecken und mit dem Stock ein wenig vor meinen Füssen herumzuwedeln und gleichzeitig sehr langsam voran zu marschieren sowie ein wenig Lärm in Form von Singen von Mainz 05 Liedern zu machen, damit ich die Tiere nicht überraschte, obwohl ich sie wohl mit meiner Sangeskostprobe ziemlich nervte. Aber sie machten keine Anstalten mich anzugreifen und so schaffte ich den ersten Teil der Strecke zurück ins Kaff problemlos. Weiter unten traf ich wieder hinter einer Biegung auf eine andere Herde von Affen mit schwarzem Kopf und Theo-Waigel-Augenbrauen, die mir wesentlich sympathischer erschienen als die rosarotgesichtigen Geschöpfe aus Shimla und vom Hügelgipfel. Allerdings saßen die Schwarzköpfe in den Bäumen und unter ihnen musste ich nun hindurch. Von einem Affen angekackt zu werden wäre noch recht angenehm gewesen, dachte ich mir, aber von einem angesprungen zu werden, stellte ich mir extrem ätzend vor. Aber nichts geschah. Die Schwarzköpfe waren gut drauf und guckten mich mit ihren großen Augen nur neugierig an. Plötzlich knackte und krachte es im Unterholz und ich nahm meinen Dornenstock noch fester in die Hand. Um so erleichterter war ich dann, als nur eine rabenschwarze Kuh kauend den Weg entlang trottete und wenig später war meine Expedition in Tierreich zu Ende.

Und so langsam neigte sich auch unsere Reise durchs Indien im Jahre 2008 zu Ende. Wir konnten in Bundi völlig unspektakulär einen Zug von Kota nach Delhi buchen und dieser hatte dann lediglich 30 Minuten Verspätung und diese Nachtfahrt verlief recht ereignislos, sprich sehr angenehm. Abschließend kann ich von meinem zweiten Indienaufenthalt fast durchweg nur positives berichten, vor allem was die Menschen angeht. Anscheinend war ich vor der Reise auf das Ärgste gefasst, wie die mangelnde Hygiene, wie das an manchen (Touri)orten üblich Dauerangelabere oder die grenzenlose Neugierde und das Fehlen jeglicher Intimsphäre zum Beispiel beim Bahn fahren. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir dieses Mal zu zweit unterwegs waren und dadurch die manches Mal anstrengenden Menschen uns “aufteilen” konnten und somit mehr Energie zur Verfügung hatten. Wer weiß?