Katar – Aserbaidschan 2016

„Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen“ – so der deutsche Dichter Matthias Claudius vor mehr als 200 Jahren. Das gilt heute eigentlich unverändert und lässt sich auch wunderbar auf jede noch so kurze Auswärtsfahrt, etwa in den Frankfurter Stadtwald, übertragen. Die bis dato längste Auswärtsfahrt mit unserem Fußball- und Sportverein von 1905 führte uns pünktlich zum 100-jährigen Vereinsjubiläum nach Armenien. Doch der Fußballgott wollte diese Fahrt natürlich zum runden 111-jährigen Vereinsgeburtstag nochmal ein wenig toppen: So wurde uns Ende August der FK Qäbälä aus Aserbaidschan zugelost. 

Bereits die ganze extrem lange Sommerpause fieberte ich diesem Termin der Auslosung entgegen und war mit dem Ergebnis eigentlich recht zufrieden. Natürlich hätte es auch Kasachstan sein dürfen, denn wenn schon weit weg, dann doch bitte gleich mal einen neuen Länderpunkt sammeln, aber eigentlich war Aserbaidschan schon ein sehr schickes Los, da dieses Land mich bereits bei meinem ersten Besuch 2009 sehr in seinen Bann gezogen hat. Dumm nur, dass es 2009 noch das Visum bei der Ankunft gab. Erst im Laufe des Tages der Auslosung wurde mir im Gespräch mit anderen 05ern bewusst, dass wir beim Los „Aserbaidschan“ um eine Beantragung eines Visums nicht herumkommen würden. Dann kam die Auslosung und bämm – wurde uns natürlich das Team aus dem Kaukasus zugelost. 

Am Tag der Auslosung wurde dann die Arbeit recht schnell beendet und sich mit den wirklich wesentlichen Dingen beschäftigt: Wie das Visum bekommen und wie hinkommen. Klar, die einfachste Variante wäre der Nonstop-Flug mit Lufthansa gewesen. Aber wenn man schon den Länderpunkt Aserbaidschan hat, dann sollte doch bitte auf der An- oder Abreise noch ein neuer Länderpunkt drin sein. Gut, so viele Airlines fliegen nicht dorthin und mit Aeroflot aus Russland, Turkish Airlines oder Ukraine Intl. hätte es auch keinen neuen Länderpunkt gegeben. Aber wieso nicht mal mit Qatar Airways? Das Ticket mit 21 Stunden Stopover war gleich freitags nachts gebucht und ebenfalls mitten in der Nacht ging es an die Beantragung des E-Visums, was sich als einfachste Variante herausgestellt hatte, da das Konsulat von Aserbaidschan in Frankfurt mittlerweile dicht gemacht hat. Und nach Stuttgart oder Berlin zu düsen, darauf hatte ich nun nicht wirklich Lust, da das Hertha-Spiel erst im November stattfindet und wir diese Saison erst gar nicht nach Stuckitown in der Liga fahren werden.

Die Beantragung des E-Visums setzte zwar einige Kenntnisse von Photoshop heraus, da man sämtliche Dokumente in ein JPG-Format konvertieren musste, das Passbild ein exakt vorgegebenes Format einhalten musste, seitenlange Anträge auszufüllen waren und ich dann noch gutgläubig meine Kreditkartendaten preis gab. Aber am Ende klappte alles wunderbar. Nach 5 Arbeitstagen (aserbaidschanisch gerechnet), was ca. 14 Tagen entsprach, stand das Visum zum Download bereit und bereitete uns keinerlei weitere Kopfschmerzen.

In der Zwischenzeit spielten unsere rot-weißen Jungs ihr Premierenspiel im Stadion am Europakreisel gegen St. Etienne und nur 20.000 Leute, wollten sich das Gekicke angucken. Ich kapiere es einfach nicht, warum auch schon 2011 gegen Medias und 2014 gegen Tripolis so wenige Leute Bock auf internationalen Fußball made in Meenz haben. Klar, die Liga hat Priorität, aber wie geil ist es eigentlich vor 25 Jahren noch regelmäßig in der Oberliga Südwest gegen Eintracht Trier gespielt und dann lange Jahre gegen Fürth verloren zu haben und jetzt plötzlich in der Europa League Gruppenphase mitzumischen. Die Hertha-Fans würden wohl gerne mit uns tauschen…

Knapp zwei Wochen nach der Heimpremiere ging es schließlich los, zur längsten Auswärtsfahrt ever. Die 6 Stunden nach Doha vergingen im wahrsten Sinne wie im Flug und es erwartete einen das Austragungsland der Fußball WM 2022: Katar. Kaum gelandet gab es das erste Problem! Wie einreisen? An jedem normalen Flughafen gibt es für ankommende Passagiere zwei Schilder (plus die fürs WC): Ankunft und Transfer, sprich einmal der Hinweis für die, die einen Weiterflug haben und einmal für die normalerweise sich in der Mehrheit befindenden Leute, die hier ankommen und bleiben möchten.

Anders in Doha: Hier gab es nur Transfer. Ja, wir wollten auch nach Baku, aber bitte erst in 21 Stunden. Wie können wir hier am ultramoderenen Super-Dupi-Mega-Airport einreisen? Das Personal war etwas überfragt. Wer will bitte schon nach Doha? Na ja, spätestens zur WM in 6 Jahren, kenne ich da ein paar Nasen, die sich das Land geben wollen. Nach mehrmaligen Durchfragen konnten wir dann die Sicherheitskontrolle in umgekehrter Richtung passieren und schafften es  tatsächlich zur „Immigration“. Anders als für Aserbaidschan bekommt man für Katar sein Visum tatsächlich am Flughafen (wenn man es denn zur Immigration schafft). Das einzige, was die freundliche Dame wirklich interessiert hat, war die Kreditkarte, zur Bezahlung der umgerechnet 25 € Gebühr für das Visum und schon waren wir drin.

Da es mittlerweile 2 Uhr morgens war, ging es ruckzuck mit dem Taxi ins Hotel und am nächsten Morgen staunten wir nicht schlecht, als wir die Vorhänge im Zimmer zurückzogen. Wir blickten auf eine riesige Baustelle und unfertige Gebäude auf denen Inder und Nepali sich Tee im Schatten kochten. Tatsächlich kam ich mir eher wie in Indien vor als wie im, nach Bruttosozialprodukt pro Kopf gerechnet, reichsten Land der Erde. Der Kaiser Franz sagte ja, er hätte keine Sklaven auf den WM-Baustellen gesehen. Vielleicht hätte er halt mal in der Innenstadt von Doha aus dem Fenster gucken sollen. Klar steht den Leuten nicht „Sklave“ auf der Stirn und die Leute sind ja tatsächlich aus freien Stücken in diesem Land. Aber es ist halt auch nicht zu leugnen, dass diese Menschen in ärmlichen Verhältnissen das Land Katar für die WM aufrüsten. 

Viele haben ja ein massives Problem damit, dass die WM dort bald stattfindet. Ich denke allerdings, dass jeder Mitgliedsstaat der FIFA das Recht hat, dieses Turnier zu veranstalten. Nur weil wir ein paar Mal Weltmeister wurden und anscheinend irgendjemand irgendwelche Entscheider gut bezahlt hat, sollten ausschließlich wir Europäer, Amerikaner, Südafrikaner oder Ost-Asiaten ein Recht haben, WM-Veranstalter zu werden? Es ist doch gut, dass Katar und die dortigen Arbeitsbedingungen jetzt mindestens noch sechs Jahre im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Und Katar muss über kurz oder lang diese Bedingungen verbessern, möchten sie nicht als die Buhmänner des Fußballs dastehen. Ich habe vor 3 Jahren in Nepal mit Leuten gesprochen, die Katar über den grünen Klee gelobt haben, da sie dort ein vielfaches von dem als Gastarbeiter verdienten als in Kathmandu. Von daher müssen wir wohl mal unsere Schwarz-Weiß-Malerei überdenken. 

Dass die WM nur noch eine große Marketingveranstaltung ist, weiß eh jeder, der sich mit dem Fußball ein wenig beschäftigt, und da ist es doch weitaus schöner, mit dem lokalen Fußballverein mal international zu fahren. In diesem Sinne sind wir dann nach 21 Stunden in diesem etwas bizarren Land, dessen Einwohner wir eigentlich gar nicht zu Gesicht bekamen, sondern nur dessen Gastarbeiter, dann mal weiter nach Baku geflogen. Bei all den Problemen, die es aktuell mit der Migration von Menschen gibt, war es interessant zu sehen, dass die Kataris wohl irgendwie überhaupt kein Problem haben, dass so viele Fremde in ihrem Land leben und arbeiten und somit den Wohlstand ihres kleinen Landes wohl eher vermehren, als diesen zu bedrohen.

3 Stunden später erreichten die Hauptstadt Aserbaidschans und wieder war es zwei Uhr nachts. Normalerweise verlasse ich die Gepäckausgabe und gehe an zahlreichen Menschen, die Pappschilder in die Höhe halten, ein wenig neidisch vorbei, da auf mich niemand wartet und ich mich stattdessen mit den lokalen Taxifahrern auf einen akzeptablen Preis einigen muss. Doch dieses Mal erblickte ich glücklicherweise gleich meinen Namen und war froh, dass das Hotel tatsächlich Sahin, unseren Fahrer schickte. Das Hotel erhielten wir mit dem E-Visum, da man dieses Papier nur bekommt, wenn man noch eine Zusatzleistung wie Hotel oder Altstadttour gemeinsam bucht. Das Hotel lag direkt in der Innenstadt und nachts um zwei war der Verkehr dann sehr spärlich, so dass es ruckzuck ins Hotel ging, denn schließlich war bereits seit mehr als zwei Stunden Spieltag.

Das Schöne an Baku, was viele ja als „Klein-Dubai“ bezeichnen, ist neben dem so viel angenehmeren Klima als in Dubai die Tatsache, dass diese Stadt einerseits ihren Zugang zum Meer in einen Nationalpark umgewandelt hat, an dem man auf einer Promenade kilometerweit flanieren kann und andererseits blieb die mittelalterliche Altstadt und die Neustadt mit ihren Häuserzeilen aus dem 19. Jahrhundert vom Bauwahn der 2000er Jahre verschont. Die monströsen Glaspaläste als Zeichen des Reichtums durch Öl und Gas wurden auf die Hügel und an den Stadtrand gebaut. Trotzdem wurden leider für manche Prachtbauten, z.B. für die Austragung des Grand Prix d’Eurovision 2012, dennoch zahlreiche Häuser einfacher Leute abgerissen. Auch hier ist wieder einmal Schwarz-Weiß-Malerei nicht wirklich angebracht. Klar ist der Abriss absolute Kacke, aber andererseits ist die Stadt abends voll mit Leuten, die in die Kaffees, Kneipen und Bars strömen – in einem muslimischen Land. Hier genießen die Menschen ihr Leben, die Sicherheit und den bescheidenen Wohlstand. Man geht zu Vapiano essen und zu Starbucks Kaffee trinken – egal ob mit Kopftuch (eher die Ausnahme) oder ohne Kopftuch (die große Mehrheit). Und die Regierung pumpt Millionen ihres Geldes, das sie durch Bodenschätze einnimmt, in die Infrastruktur des Landes. Andererseits legt sie auf die Meinung ihrer Bürger, insbesondere wenn diese von ihrer Meinung abweicht, nicht sonderlich viel Wert. Meinungsfreiheit geht wohl wirklich anders.

Vielleicht sollten wir uns tatsächlich mal glücklich schätzen, mit dem was wir in Deutschland haben, sprich einigermaßen Wohlstand (im Vergleich zu 99% aller anderen Erdenbewohner) und Demokratie, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschließt. In Aserbaidschan geht es vielen Menschen wohl einigermaßen ok – was in dieser Weltregion schon mal viel Wert ist, wenn man an die aktuellen Verhältnisse in den Nachbarländern Syrien, Irak oder Türkei denkt. Aber natürlich fehlt das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf freie Wahlen. Aber einfach das Land arrogant als Diktatur abhandeln, ist halt auch zu einfach. Sahin unser Taxifahrer erzählte, er und seine Familei hätten kein Interesse ihr Land zu verlassen, um etwa nach Deutschland zu kommen. Sie möchten hier etwas aufbauen, so z.B. auch in Lahic, dem Bergdorf 200 km westlich von Baku, das wir mit Sahin am Wochenende besuchten. Rustam unser Guesthouse-Besitzer schaffte es einen luxuriösen Homestay zu schaffen – mitten in den Bergen ohne Teerstraße, dafür mit WLAN-Empfang. Die Verbindung war so gut, dass man sogar 05er TV gucken konnte – ohne ruckeln und das mitten in der Pampa des Kaukasus. Würde dies mal in Hotels in Deutschland so gut funktionieren… Und von wildfremden Menschen Äpfel auf der Straße geschenkt zu bekommen, habe ich bisher immer nur in muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei, Syrien oder Eritrea erlebt. 

Zurück in Baku wurden wir von unseren ständigen Begleitern, die streunenden Katzen wieder herzlich begrüßt, da wir seit unserer Ankunft mehr als ein Kilo Katzenfutter unters Katzenvolk gebracht haben. Die Tiere sahen durchweg gepflegt aus und waren auch relativ gut genährt. Trotzdem machten wir uns mit dem aserbaidschanischen Kitekat ständig neue Freunde und natürlich sollten auch diese Vierbeiner etwas davon haben, wenn Mainz 05 mal international spielt und wir fast eine Woche und mehr als 12.000 km für unseren Fußballverein bis in den Fernen Osten Europas unterwegs sein durften.

Augsburg 2016

Die noch recht junge Saison bietet für schon wieder ziemlich viel Gesprächsstoff. War es anfangs hauptsächlich noch das Reinkommen nach Aserbaidschan, erregten spätestens beim Heimspieldebüt am letzten Sonntag die Spruchbänder in Richtung Gästeblock auf der Rheinhessen-Tribüne die Gemüter.

Dass das beim anstehenden Auswärtsspiel noch getoppt wird, war bei der Abfahrt in Mainz-Hauptbahnhof noch nicht zu erahnen. Schließlich zeigte zunächst ein lieber Bekannter von Auswärtsfahrten wieder einmal, dass er immer für eine oder zwei oder drei Überraschungen gut ist: Die Deutsche Bahn AG!

Schon früh, sprich fast 2 Stunden vor der Abfahrt, kündigte diese eine Verspätung von 25 Minuten für den EC in Richtung Augsburg an. Dabei war der EC gerade dabei, das Ruhrgebiet pünktlich Richtung Mittelrheintal zu verlassen. Es gab Bauarbeiten an der Strecke kurz vor Mainz. Daher entschied ich mich, lieber am Hauptbahnhof zu warten, als einen Bus später zu nehmen. Ab in den Starbuck’s und einen Kaffee in der Tasse bestellt. Sollte ja bei der Verspätung möglich sein, mal auf den Pappbecher to go zu verzichten.

Der Vorteil der Lage des Starbuck’s in Mainz-Hauptbahnhof besteht darin, permanent einen Blick auf die Anzeigetafel der Deutschen Bahn zu haben und plötzlich war die angegebene Verspätung verschwunden. Es war 1 Minute vor der planmäßigen Abfahrt und nun galt es in einem kurzen Sprint mal am Bahnsteig die Lage zu checken. Und in der Tat kam da der EC um die Ecke gefahren!

Der Zug war gut besetzt und mitfahrende Passagiere fragten die Zugbegleiterin, ob es noch freie Plätze gäbe. Sie entgegnete, da wir jetzt planmäßig sind, sicherlich. Ferner erklärte Sie entwaffnend, dass der Lokführer es Quatsch fände schon pro forma eine Verspätung anzugeben, da man durch die Baustelle ja womöglich problemlos durchkäme.

Neben mir saß eine Frau, die den Fehler bei Starbuck’s nicht gemacht hatte und hier genüsslich ihren Kaffee im Pappbecher trank. Ich teilte ihr mein „Schicksal“ mit der halb vollen Kaffeetasse mit, was wiederum die Schaffnerin mitbekam. Zwei Minuten später hielt ich einen Getränkegutschein der Deutschen Bahn in der Hand und weitere drei Minuten später war dieser gegen einen Kaffee im Pappbecher schon eingetauscht. Bis Stuttgart verlief die Fahrt dann recht ereignislos, ehe dort ein Wagen der 1. Klasse seinen Dienst versagte und somit dann doch die 25 Minuten Verspätung auch noch ihre Gültigkeit erlangte.

Aber im Ländle kann man ja bekanntlich alles außer Hochdeutsch, so dass man Reisenden, „die es eilig hatten“, den gerade am Nachbargleis einfahrenden ICE Richtung München als Alternative anbot, so dass ich nur mit ca. 20 Minuten Verspätung in der Fuggerstadt ankam.

Das nächste Problem stand dann gleich bei der Ankunft an, da man laut Aussage des FC Augsburg (FCA) Gästefans keinerlei Möglichkeit zum Deponieren eines Rucksacks bot – Rucksäcke aber im Gästeblock untersagt sind. Daher begab ich mich mal wieder auf Schließfach-Lotterie. Zunächst hatte ich Pech, da gleich mal die ganze unterirdische Schließfach-Anlage außer Betrieb war. An Gleis 1 hatte ich nach einmal Probe beim Modell „durchfallende Münze“ dann doch noch Glück und fand das letzte Fach, in dem meine zwei Euro-Münze Platz fand.

Reiste ich bisher irgendwie in Augsburg immer vom Süden an und bekam vom „Schwabenstadion“ immer nur den direkten, kurzen Weg zum Gästeblock mit, nahm ich dieses Mal die „Tram“, wie sie hier so schön heißt. Dies bot mir die Gelegenheit, gleich mal mitzubekommen, wie für das Auswärtsspiel des FCA bei den Dosen „geworben“ wurde; „Keine Sau…fährt nach Leipzig“. Auch ein „Blumenbild“ gelang mir dieses Mal, denn bisher empfand ich das Schwabenstadion als recht tristen grauen Klotz. Natürlich darf man sich da als Mainzer nicht sehr weit aus dem Fenster lehnen, wird doch auch dem Stadion am Europakreisel ein „Bei der Geburt getrennt“ mit einem Möbelmarkt oft nahegelegt.

Am Gästeblock angekommen, die übliche doppelt gastunfreundliche Behandlung in Form von ausschließlich bargeldlosem Bezahlen für alkoholfreies Bier. Aber das ist man ja bereits gewohnt und anders als ganz früh in Leverkusen vor ca. 5 oder 6 Jahren sowie letztes Saison in Köln, wird einem im Bierland Bayern weiterhin die süßlich schmeckende 0,0%-Plörre serviert, die wir ja bereits vom Europapokal zu Hause kennen.

Dann ab in den steilen Gästeblock, der mir eigentlich immer gut gefällt. Kaum das erste Photo gemacht, zog ein Großteil der Szene in den Sitzplatzbereich des Gästeblocks um – Grund bis dato unbekannt. Dadurch dass dann der untere Teil des Stehblocks unbesetzt war, der obere Teil des Sitzplatzbereichs leer blieb und sich der Rest der Truppe im riesigen oberen Teil des Stehplatzbereichs verlor wurde dann mehr oder weniger über Kreuz supportet. Auswärtsfahrten bieten halt immer mal was neues – da muss man noch nicht mal Bahn fahren.

Das Spiel an sich ist schnell erzählt. Das 0:1 fällt schnell und es stellte sich nur die Frage, wieviele weitere Tore wir noch vorlegen, ehe Augsburg dann mit dem Toreschießen anfängt. Daher war ich fast „erleichtert“, dass wir nichts mehr vorlegten, sondern Stafylidis ausglich. Als dann unser Kopfballungeheuer Yunnus Malli nach einer Minute den alten Abstand wieder herstellte, schauten wir uns alle etwas verdutzt im Block an. Und dann staubte auch noch Muto ab.

Zwischen dem 0:1 und dem Ausgleich war das Spielgeschehen aber zur Nebensache degradiert worden. Zum einen, weil beide Fanszenen, die sich ja seit Jahren nicht gerade mit gegenseitigen Sympathie-Bekundungen hervor taten, den FCA-Ultrà Simon mit Wechselgesang und Spruchbändern eine weitere gute Genesung wünschten. Wer mehr zu den Hintergründen erfahren möchte, kann bspw. einen sehr lesenwerten Artikel der Augsburger Allgemeinen vom 29. Juni 2016 mal anklicken. Zum anderen nahmen beide Szenen ihren Support nach der Pause erst in der 60. Minute wieder auf, da zwischenzeitlich ein Fan im Gästeblock ärztlich versorgt werden musste. Diese „Waffengleichheit“ zeichnete die FCA-Fans bereits in der vergangenen Saison aus, in dem sie ggf. auf Fahnen und Trommeln verzichtet hätten, wenn die Mitnahme uns Mainzern wegen Vorfällen in der Vorsaison verwehrt worden wäre.

Hier könnte dann eigentlich der Spielbericht enden, aber ein Spiel dauert ja bekanntlich bis der Schiri abpfeift. Dass dann José Rodrígez in der 3. Minute der Nachspielzeit beim Stand von 1:3 an der Mittelfeldlinie ein Tackling versucht, klingt bei den genannten Fakten (Nachspielzeit, Mittelfeld, 1:3) erstmal total bescheuert. Aber es spielen halt immer noch keine Maschinen Playstation sondern Menschen, die Fehler machen, Fußball auf dem Platz. Sucht man im Internet nach „Augsburg Mainz“ ergänzt Google mittlerweile automatisch „Foul“, 364.000 Ergebnisse und die Zeitung mit den vier Großbuchstaben schreibt „Raten Sie mal, wer der Treter ist!“.

Hoffentlich wird Dominik Kohr schnell wieder gesund. Hoffentlich kommt er rasch wieder zu alter Stärke zurück. Hoffentlich hilft er dem FCA bald wieder weiter. Er ist das Opfer, Rodriguez der Täter.

Niemand, der sich halbwegs mit der Szene auseinander gesetzt hat, unterstellt Rodriguez Absicht. Er hat sein Tackling falsch gesetzt und damit einen Fehler gemacht. Für diesen wurde er vom Schiedsrichter mit Rot bestraft. Er hat sich dafür entschuldigt. Und Martin Schmidt meinte, dieser Vorfall wird auch noch intern besprochen. Auch hier hätte der Spielbericht enden können.

Dass man sich beim FCA über diese Aktion aufregt, ist vollkommen verständlich. Dass die „Sachwarmintelligenz“ ihr Urteil nach 0,3 Sekunden fällt, war absehbar. Aber warum man direkt, ohne eine Nacht darüber zu schlafen, den Spieler auch von unserer Seite so an den Pranger stellt, verstehe ich nicht. 

Warum kann man nicht einfach nur Genesungswünsche an Dominik Kohr richten, tatsächlich hoffen (oder wegen mir auch beten), dass es dem Spieler bald wieder besser geht und sich einfach mal vor Rodriguez stellen und sich vielleicht mal folgende Fragen stellen: War das Vorsatz? Nein. War das Revanche? Nein. War es eine Tätlichkeit? Nein. Ist er Wiederholungstäter? Nein. Dann bespricht man alles weitere mit dem Spieler, aber doch bitte nicht mit den Medien.

Warum muss man in aller Öffentlichkeit gleich verkünden, wenn man es eigentlich intern klären wollte, dass hier eine interne Strafe folgt? Nein, es geht hier nicht um die Hallen-Halma-Diskussion, sondern darum, seine Angestellten zu schützen – auch die, die Fehler begangen haben und Täter sind. Zu schützen vor einer Öffentlichkeit, die mittlerweile allzu gerne Online-Tribunale abhält, anprangert und aburteilt, jemanden zum Abschuss freigibt. Der Junge ist ein paar Wochen in Deutschland und ist jetzt (erst einmal) „verbrannt“. Das Wort „geMAINZam“ gilt in diesem Fall leider nicht (mehr).

Hier geht es zu allen Bildern des Spiels.

Info-Veranstaltung von Mainz 05 – Von Fan(vertretern), Mitgliedern und Mitbestimmung

So, hab‘ mir mal ein paar Gedanken zu den beiden Infoveranstaltungen zur Umstrukturierung gemacht – unabhängig von Personen, Posten und Presseschwerpunkten:

Da soll noch einer sagen, dass die Länderspielpause immer Mist sei. Statt wie demnächst jeden zweiten Sonntag um elf auf Reisen zum Auswärtsspiel zu sein, durften wir heute Morgen dem Referat eines Fachanwalts lauschen, warum es aktuell vollkommen unnötig sei, die Profiabteilung aus dem eingetragenen Verein Mainz 05 auszulagern.

Als Fan eines der 14 Erstligavereine (außer S04, SC Freibug, den Lilien und uns), die in den letzten Jahren die Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt haben, muss sich dieses Referat wie Hohn in den eigenen Ohren anhören: Mit einer Auslagerung einhergehend entfernt sich die Abteilung Profifußball vom eigentlichen Verein. Da würde ich mich als Fan fragen, wen ich denn da eigentlich mit meinem Einsatz unterstütze – meinen Verein ja wohl nicht mehr wirklich, eher eine GmbH, eine AG oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien.

Was schätze ich mich glücklich, Fan des 1. FSV Mainz 05 zu sein. Natürlich gilt dieses Gutachten nur für heute und nicht unbedingt in alle Ewigkeit. Keine Ahnung, was sich im Vereinsrecht in den nächsten Jahren ändert oder an was die DFL irgendwann herumbastelt. Aber für die nächste Zeit gilt wohl wirklich: Unser Verein bleibt komplett ein Verein. Natürlich war es richtig, in der ersten Infoveranstaltung zu fordern, die Vor- und Nachteile einer Ausgliederung darzulegen. Dies hat der Fachanwalt anschaulich auch für Nicht-Juristen dargelegt. Und da muss man auch einfach mal Danke sagen, dass dies im Juni erstens Fans und/oder Mitglieder gefordert haben, und dass dies der Verein aufgenommen und umgesetzt hat. Um so schöner war es natürlich zu erfahren, dass manchmal im Leben emotionale und rationale Argumente sich nicht gegenseitig im Weg stehen.

Dass unser Verein innerhalb seines Konstrukts als Verein umstrukturiert werden soll – geschenkt. Wie umstrukturiert werden soll, war dann Thema des zweiten Referats. Letztlich geht es bei der Umstrukturierung auch darum, wie die aktive Fanszene beteiligt werden soll. Unabhängig davon, wie dies am Ende geschieht, denke ich, ist es größte Zeit für uns Fans sich nicht nur innerhalb der Fanszene zu engagieren sondern auch als Mitglied unseres Vereins.

Wenn wir als Fans gleichzeitig Mitglieder sind, dann wächst unsere Mitbestimmung automatisch. Und was gibt es eigentlich schöneres, als sich für seinen Verein einzusetzen, in dem man als Mitglied auch noch mitbestimmen kann und das in einem Verein, der aktuell sportlich sehr erfolgreich ist? Sich als Mitglied in einem der 14 Erstligavereinen zu engagieren, die nur noch eine bloße Hülle sind, macht wahrscheinlich wirklich keinen Sinn mehr. Und dass da einzelne Teile der Fanszene nur noch ihr Ding drehen, ist ja dann in der Konsequenz auch irgendwie nachvollziehbar.

Nutzen wir daher unser Privileg, das wir nur noch mit wenigen anderen Vereinen teilen, etwas, was uns am Herzen liegt, aktiv mitbestimmen zu können, als Fan und als Mitglied des 1. FSV Mainz 05.