Mainz vs. Florenz – zwischen Baustelle und Zerfall

Für Mainz 05 und die Fiorentina ist die Conference League der Lichtblick in einer bisher tristen Saison. Felicitas Budde zeigt, warum Florenz als mahnendes Beispiel taugt und Mainz besser auf Zusammenhalt, statt öffentliche Bloßstellung setzt.

Wenn Mainz 05 am Donnerstag in der Conference League auf die AC Florenz trifft, begegnen sich zwei Vereine, die zwar in ihren Ligen taumeln, für die Europa aber noch ein Happy Place ist. Für beide ist der internationale Wettbewerb derzeit das einzige Feld, auf dem es gut läuft. Die Fiorentina ist deshalb ein mahnendes Beispiel, wie schmal der Grat zwischen Stabilität und Zerfall ist.

Denn Florenz versinkt im Chaos: Der Sportchef ist zurückgetreten, Trainer Pioli wurde zwei Tage vor dem nächsten internationalen Spiel gefeuert, der Besitzer ist abgetaucht. Vier Punkte nach zehn Spielen, kein Sieg, die schlechteste Serie-A-Bilanz der Vereinsgeschichte. Der Klub wirkt wie seine Baustelle im Artemio-Franchi-Stadion – eingerüstet, laut, unfertig. Der Bauhelm gehört gefühlt schon zum Trikotsatz.

In Mainz ist es ruhiger, aber nicht weniger heikel. Platz 17, fünf Punkte, neun Heimspiele ohne Sieg, das Pokalaus zuhause gegen Stuttgart. Trainer Bo Henriksen betont immer wieder, dass die sportliche Situation vor allem Kopfsache sei.

Umso erstaunlicher, dass er zuletzt gleich zwei Spieler öffentlich bloßstellte. Erst William Bøving, dann Maxim Leitsch – beide ließ er auf PK-Nachfrage nach ihrer Nichtnominierung wissen, sie seien schlicht „zu schlecht“.

Davon abgesehen, dass weder der späte Neuzugang noch der Langzeitreservist für die momentane Lage verantwortlich zeichnen, sind solche Aussagen nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich. In einer Phase, in der es wichtig ist, als Mannschaft zusammenzustehen, kann öffentliche und überzogene Kritik schnell Baustellen öffnen, wo vorher noch der ruhige 05er-Verkehr floss. Warum den Vorschlaghammer schwingen, wenn die Nagelpistole auch reicht?

Die Entscheidung wäre auch anders begründbar – etwa, dass andere Spieler im Training auf sich aufmerksam gemacht haben. Doch Henriksen wählte den direkten Weg, der in dieser Lage eher spaltet als stärkt. Statt Menschenführung drauf auf die Schwächsten im Kader – diesen Sportsgeist sollte man nicht aus der Flasche lassen, denn Florenz zeigt, wohin es führt, wenn ein Klub auseinanderbricht.

Mainz hat die Chance, es besser zu machen – durch Geschlossenheit sowie Kommunikation mit Maß und Mut. Am Donnerstag treffen zwei Krisenklubs aufeinander, für die Europa gerade der Himmel auf Erden ist. Jetzt heißt es, sich ein gutes Gefühl für die heimische Baustelle holen.

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass

In der von Mainz 05 ausgerufenen „Klimaverteidiger-Woche“ wurde der CO2-Fußabdruck der im Stadion angebotenen Speisen angegeben. Eine begleitende Kommunikation fehlte. Diese ist bei so einem emotionalen Thema wie Essen allerdings dringend notwendig, findet Christoph Kessel in seiner aktuellen Fan-Kolumne.  

Die Feuerwurst rot, die Bratwurst gelb, die vegane Wurst grün – diese „Wurst-Ampel“ wurde beim Heimspiel gegen Leverkusen auf den Displays oberhalb der Catering-Kioske im Mainz-05-Stadion eingeblendet. Auch für alle anderen Speisen wurden Ampel-Farben vergeben. Rechts unten in der Ecke gab es die Erklärung: „Welchen CO2-Fußbabdruck haben unsere Gerichte?“ und die Antwort in Form einer Ampel ergänzt um  „0,1-0,6 kg Co2e“ – grün, „0,7-0,9 kg Co2e“ – gelb und „1,0 + Co2e“ – rot. Es ist anzunehmen, dass diese Hinweise auf den Displays erschienen, da Mitte Oktober die „05ER-Klimaverteidiger-Woche“ stattfand. Der Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf „nachhaltiger Ernährung“.

Den Leuten, die sich im Stadion etwas zu essen kaufen, diese Information zur Verfügung zu stellen, ist im Kontext dieser Aktionswoche eine tolle Idee. Allerdings sollte diese CO2-Transparenz nicht nur mit kryptischen Abkürzungen auf den Displays, sondern auch über die Kommunikationskanäle des Vereins frühzeitig erklärt werden – am besten vorab in den Spieltag-Infos, die der Verein ohnehin verbreitet. Eine Erläuterung regt die Bewusstseinsbildung bei den Fans an und die Ampel kann dazu motivieren, klimafreundlichere Speisen zu wählen. Der Verein kann sich glaubhaft als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit positionieren und erhält entsprechend positive Aufmerksamkeit außerhalb der Fußball-Blase – zum Beispiel auch, um mögliche neue Sponsoren und Partner*innen zu gewinnen.

Ein Video mit Spieler*innen, die die Initiative vorstellen, hätte die Fans mitgenommen – am besten ergänzt um Infotafeln im Stadionrund inklusive QR-Code zu Online-FAQs und einer Umfrage. In dieser hätten sich auch Kritiker*innen zu Wort melden können, denn sicherlich trifft diese Aktion auch auf Akzeptanzprobleme. Mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, ist bei einem emotionalen Thema wie Essen essenziell. All diese Maßnahmen hat der Verein leider verpasst umzusetzen. Letzten Donnerstag, beim Spiel gegen Mostar, waren die Ampeln auch schon wieder verschwunden. Dieses „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ des Vereins in Bezug auf die CO2-Transparenz beim Catering, ist problematisch. Sich zum selbsternannten Klimaverteidiger küren, aber nicht bereit zu sein, die Anstrengungen zu unternehmen, die Menschen mitzunehmen, ist gerade in diesen Zeiten der Polarisierung und Spaltung mehr als eine verpasste Chance, um Brücken zu bauen.

Fansozialarbeit: Spannendes Urteil am Landgericht Karlsruhe

Das Verfahren gegen Mitarbeitende des Fanprojekts Karlsruhe sorgte für viel Aufregung in der Fanlandschaft. Sebastian Schneider zeigt auf, warum auch aus Fansicht Handlungsbedarf beim Thema Zeugnisverweigerungsrecht in der sozialen Arbeit besteht.

In den vergangenen Wochen waren sie bundesweit in zahlreichen Fankurven zu sehen: Die Solidarisierungsplakate mit den vom Amtsgericht Karlsruhe verurteilten (in Teilen ehemaligen) Mitarbeitenden des Fanprojekts Karlsruhe. Der Vorgang beschäftigt die aktiven Fanszenen seit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Das eigentliche Problem, welches der Vorgang beinhaltet, ist jedoch äußerst komplex und wirkt weit über die Fansozialarbeit hinaus.

Den drei Angestellten des Karlsruher Fanprojekts war Strafvereitelung vorgeworfen worden, denn sie hatten im Rahmen der Ermittlungen zu den Pyro-Vorfällen beim KSC im November 2022 die Aussage verweigert, mit Verweis auf die unabdingbare Notwendigkeit des uneingeschränkten Vertrauensverhältnisses zu den Klienten, also vor allem den jungen Fußballfans. Auch wenn es nun für die drei Sozialarbeiter:innen am Ende heißt: Verfahren (unter Auflagen) eingestellt, scheint der Kern der Problematik längst nicht gelöst. Ein Urteil mit Signalwirkung, das keinesfalls in irgendeiner Form als Schuldeingeständnis zu werten ist.

Dass sozialpädagogische Fanprojekte im Kontext Profifußball nicht mehr wegzudenken sind, ist absolut unstrittig. Ihre Arbeit ist bewährt, es gibt klare, qualitätssichernde Handlungsempfehlungen und der Erfolg ist vielerorts sichtbar, wenn auch nur schwer in Zahlen zu messen. Auch bei uns in Mainz wird erstklassige Fansozialarbeit geleistet und wir Fans erleben täglich, wie wichtig diese Arbeit ist und welches außergewöhnliche Vertrauensverhältnis bei vielen Fans zu den Sozialarbeitern des Fanprojekt Mainz e.V. besteht.

Wie bereits erwähnt, bildet dieses Vertrauen das zentrale Element im Bereich der Fan- aber auch der Jugendsozialarbeit im Allgemeinen. Deshalb ist es ein erstes, leicht positives Zeichen, dass das Verfahren in Karlsruhe nun eingestellt ist. Jedoch könnte der grundsätzliche Druck, der hier auf die Sozialarbeiter:innen ausgewirkt wurde, noch lange nachhallen. Außerdem besteht weiterhin eine unbefriedigende Rechtslage, die bedingt, dass an einer wichtigen Stelle der Fansozialarbeit weiterhin kein Schutz für die Sozialarbeiter:innen besteht, der gewährleistet, dass Vertrauliches vertraulich bleibt. Das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht für diese besondere Arbeit muss unbedingt auf den Prüfstand und die veraltete Rechtsprechung muss überdacht werden.

Der Richterspruch am Landgericht Karlsruhe darf vorsichtig als erster Fingerzeig in Richtung Politik gedeutet werden, hier tätig zu werden. Durch Vorladung und Vernehmung von Vertrauenspersonen wie Fansozialarbeiter:innen, wird deren Arbeit massiv gefährdet. Zugleich stellt sich die Problematik nicht ausschließlich im Fußballkontext, weshalb eine breitere Aufmerksamkeit in der Gesellschaft für dieses Thema wünschenswert ist.

In Mainz blicken wir bereits auf über 30 Jahre erfolgreiche Fansozialarbeit zurück. Für viele, vor allem junge Mainz 05 Fans, bildet das Fanprojekt Mainz e.V. eine wichtige Anlaufstelle und die dort angestellten Personen genießen ein besonderes Vertrauen auf allen Ebenen (Fans, Verein, Polizeien). Deshalb besteht bei vielen Fans der Wunsch, die soziale Arbeit in den Fanprojekten besser zu schützen und das Thema Zeugnisverweigerungsrecht in der sozialen Arbeit zu reformieren.