Guyanas 2002 Teil 3

Ich hoffe, Ihr habt weiterhin Lust auf kleine Geschichten, die man während einer Reise durch Südamerika tagein tagaus erlebt. Die letzte Mail endete am sagenhaften Kaieteur Wasserfall. Der Wasserfall alleine wäre den bereits geschilderten etwas turbulenten Flug vielleicht nicht Wert gewesen. Aber da Paul der indianisch-stämmige Ranger nun mal sicherlich seine Bestimmung gefunden hat, Stadtmenschen wie mir die Schönheit seiner Heimat  zu zeigen, sah ich dank seiner Hilfe einige leider selten gewordene Vögel, die im Dickicht des Dschungels nur mit geschulten Augen erkannt werden können. Auch die sog. Golden Frogs, kleine wie der Name schon sagt, golden leuchtende Frösche, die in Blatt-Trichtern leben, hätte ich sicherlich ohne seine Hilfe nicht entdeckt, denn wer guckt schon permanent in am Wegesrand stehende Blatt-Trichter hinein.

Die Tage an den Kaieteur Fällen, ohne Strom, fließend Wasser (es stammt aus der Regentonne, die natürlich immer voll ist), Autos, Strassen, Internet und anderen „Errungenschaften“ der Zivilisation gingen natürlich viel zu schnell vorbei. Mittlerweile hatte ich mich auch damit abgefunden, wieder in das Flugzeug zu steigen, das mich aus der „grünen Hölle“ abholen soll. Als Alternative zum Flug wäre mir nur eine dreitägige Wanderung in Richtung der nächsten Straße geblieben. Da zog ich dann doch letztendlich die Buschkiste vor. In Guyana ähneln diese „Linienflüge“ aber eher einer Busfahrt. Lediglich der Anfangsflughafen und der Endflughafen stehen fest. Die Stopps en Route bestimmen die mitfliegenden Passagiere. Im Office von Roraima Airways, die mich nun wieder abholen soll, schaute ich auch ganz genau, dass die Angestellte notierte, dass ich von den Wasserfällen 2 Tage später wieder abgeholt werden wollte, um dann weiter nach Süden in Richtung guayanisch-brasilianische Grenze zu fliegen. Denn der „Flughafen“ von Kaieteur Falls besteht lediglich aus einer Holzschutzhütte, einem WC und einer ca. 400 m langen Piste. Zum Glück existiert wegen der widrigen Wetterverhältnisse aber eine Wetterstation, die das aktuelle Wetter an die Piloten funken kann, und auch im Notfall mal anfragen kann, ob ein Flugzeug vorhat, hier zu landen. Denn leider herrscht  im tiefsten Regenwald, meist eher britisches Wetter: Mit anderen Worten: Nebel und Regen.  

Am Frankfurter Flughafen existiert daher für solche Wetterverhältnisse ein sog. Instrumentenlandesystem, mit dem der Pilot auch bei 0 m Sicht landen kann. Hier gibt es so was natürlich nicht. Daher hieß es am Tag meiner geplanten Abreise: Warten, denn die Sicht von vielleicht 300 m und eine Wolkendecke in Höhe von ca. 150 m machten eine Landung unmöglich. Aber der Ranger Paul und Susan von der Wetterstation machten mir Mut, und vertrösteten mich darauf, dass es schon irgendwann aufklaren wird. Der Pilot fragte auch den Wetterbericht über Funk ab, gab aber auf unserer Frage, ob er landen würde keine Antwort. Doch tatsächlich klarte es nach 2 bis 3 Stunden auf, und plötzlich meinten Paul und Susan sie hörten ein Motorengeräusch. Es konnte sich nur um meinen Flieger handeln. In der Tat bemerkte auch ich nach ein paar Minuten ein Brummen und kurz darauf war das kleine Flugzeug, das mich wieder in die Zivilisation bringen würde, auch schon gelandet. Wieder war ich der Einzige der diesmal einstieg und nach ca. 4 Minuten Bodenzeit, war der Flieger schon wieder in der Luft, um nach ca. 20 Minuten in irgendeinem Indianerdorf zu landen, da ein anderer Passagier abzusetzen war.  

Eine Stunde später, nach einem äußert ruhigen Flug, änderte sich die Landschaft abrupt. Der Regenwald wurde durch eine rot- braun gefärbte Ebene abgelöst. Bald darauf setzte die Maschine in Lethem, dem letzten Dorf vor der Grenze nach Brasilien, ca. 200 km nördlich des Äquators auf. Die Savanne, in der ich gelandet war, sieht genauso aus, wie die berühmte Serengeti in Ostafrika. Gemeinsam haben beide Landschaften einem großen Reichtum an Tieren, mit dem Unterschied, dass es hier keine Löwen o. ä. Artgenossen gibt, die mich hier von einer Radtour abhalten könnten. So ging es mit dem Rad (ohne Gangschaltung aber mit Placebo Bremsen) eines Einheimischen auf Safari! Am Pistenrand stehen Strohhütten, die mich wieder stark an den schwarzen Kontinent erinnern, doch aus den Hütten schauen mich hier erstaunte Indianeraugen an. Das Schöne an Guyana ist die Tatsache, dass die Amtssprache Englisch ist, und man daher leicht mit den Einheimischen, die hier zu 90% Indianisch-stämmig sind, in Kontakt treten kann. Auf die Frage, was ich hier so mache, entgegnete ich in einem Gespräch am Wegesrand, ich sei Tourist. Doch dieses Wort hatte mein Gesprächspartner, der ansonsten nicht gerade von einem anderen Stern stammt, noch nie gehört. Anscheinend ist die Spezies Touri hier wirklich noch eine seltene Erscheinung. Die Leute wunderten sich zwar warum ich hier mit einem Fahrrad durch die Gegend kurve, aber dies erweckte bei Ihnen kein Misstrauen, eher Neugierde, wie das Leben in Deutschland so sei.  

Am nächsten Tag begab ich mich nun in das vierte Land meiner Reise und musste mich nun mit der vierten Sprache auseinandersetzten. In Surinam kam ich mit Englisch relativ gut durch. In Französisch Guyana und Guyana gab es keinerlei Sprachbarrieren, doch mit der Einreise nach Brasilien änderte sich dies schlagartig. Der Grenzbeamte konnte noch einige Brocken „Ingles“. Doch seither komme ich mit meiner Frage „Vôce fala ingles?“ also „bitte bitte sprecht doch wenigstens einige Wörter Englisch“ nicht sehr weit. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf der Busfahrt nach Boa Vista, dem ersten Ziel in Brasilien, anzufangen Portugiesisch zu lernen, wollte ich nicht ständig mit der Gebärdensprache eine Art rhythmischer Sportgymnastik betreiben.  

Obwohl ich mich nun immer mehr dem Äquator nähere, blieb die Savanne beherrschend. Irgendwie hatten wir das doch im Erdkunde- Unterricht anders gelernt, oder? In Amazonien gibt es tropischen Regenwald (so weit er nicht schon zerstört ist). Aber von Savannen sprach meiner Meinung niemand.  

Mit Brasilien erreichte ich ein Land der krassen Gegensätze. Hier prallen erste und dritte Welt permanent aufeinander. Positiv für mich als Reisenden stellt sich die Tatsache dar, dass man wieder gute (Kredit)Karten hat. Sie werden glücklicherweise sogar im Supermarkt akzeptiert, nachdem diese Plastikkarten bisher eher als Ersatzlineal dienten, denn in den Guyanas war Cash das einzige Zahlungsmittel. Auch konnte ich mich nun mit äußerst komfortablen Bussen fortbewegen, die Strassen waren wieder geteert und Schlaglöcher hatten meist Seltenheitswert. Andererseits fuhr man oft an Papphüttensiedlungen, den bekannten Favelas vorbei, die die immer noch weit verbreitete Armut dieses Schwellenlandes zeigen.  

Aber zwei Dinge scheint alle BrasilianerInnen zu einen: Als erstes sei Futbol genannt!   In Boa Vista bummelte ich durch die Gassen während des WM- Testspiels Portugal gegen Brasilien. Überall gab es kleine Kneipen am Straßenrand mit einem völlig überdimensionierten Riesenfernseher, der das Spiel übertrug. Um den Fernseher waren die Menschen versammelt, wie Bienen im Bienenstock um ihre Königin. Die Gassen hatte ich praktisch für mich alleine. Und plötzlich hörte ich aus allen Fernsehern nur noch das berühmte GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL! Und das obwohl die Portugiesen ein Tor schossen!!! Brasilien glich dann durch einen Elfmeter noch aus, der die etwas trübe Stimmung wieder aufhellte. Ich hatte keinen Moment dieses Spiel eigentlich verfolgt, war aber permanent unwillkürlich auf dem neuesten Stand der Dinge. Ich weiß ja nicht, was in dieser fußballverrückten Nation abgeht, wenn es wirklich um die WM geht, denn es war ja nur ein Testspiel. Das Testspiel der Deutschen Elf gegen Argentinien wurde übrigens danach gezeigt, aber ich halte es zur Zeit doch eher mit Mainz 05, deren Sieg gegen Bielefeld, sogar über Weltempfänger und mit Hilfe der Deutschen Welle bis zu den Kaieteur Wasserfällen mitzubekommen war. Am Sonntag wurde ich dann noch Zeuge einer Radioübertragung eines Fußballspiels in São Paulo. Der Kommentator erinnerte mich in seinem oralen Output von sicher 10 Wps (words per second) an eine Kette Knallkörper, wie wir sie an Sylvester immer loslassen. Nur mit dem Unterschied, dass bei einem Feuerwerk nach ein paar Sekunden wieder Ruhe herrscht und neu gezündet werden muss. Unser Kommentator hingegen schoss sein Feuerwerk aus aneinander gereiten Wörtern 45 ganze Minuten ohne Pause in den Äther. Lediglich alle paar Minuten hörte man ein gewisses Röcheln, da anscheinend beim Reden gleichzeitig ja irgendwie auch Luft in seine Lungen kommen musste, um wieder neue Wörter hinausposaunen zu können. Der Spielstand war übrigens die ganze Zeit 0:0!!!  

Als zweites Merkmal, das alle BrasilianerInnen zu einen scheint, sei der äußerst ausgeprägte Körperkult genannt. In diesem Land kann man, um im guten britischen Understatement zu sprechen, niemals „underdressed“ sein, denn wenn die Mädels schon im Bikini zum Einkaufen latschen, und die Jungs nur in knapper Badeshorts zum Kippchen Rauchen auf die Strasse gehen, dann kann man als Touri sich gar nicht mehr falsch anziehen. „Schönen“ Menschen in Brasilien, und das ist fast jede(r) hier, wird provokativ hinterher (oder auch hinein) geschaut, nachgepfiffen oder auch hinterher gehupt, je nach der logistischen Situation. Auch die Ärmsten der Armen versuchen durch nobel anzusehende Kleidung ihrem sozialen Umfeld zu entweichen, dabei zählt natürlich eher die Qualität als die Quantität der Kleidung.  

Allerdings gibt es in Brasilien auch äußerst viele Straßenkids, die schon äußerst früh von zu Hause ausgesetzt, oder verscheucht wurden, da die gesamte Familie nicht zu ernähren war. Als weißer Tourist in Brasilien ist man natürlich das direkt anzusteuernde Ziel eines jeden Straßenkids. Eine Regelung, mit dieser penetranten Bettelei der Straßenkinder von Brasilien zu unterbinden sei, zeigte mir auf der Busfahrt im „Terror Ship“ von „Bin Ladin“ nach Georgetown, „Papi“ ein Rastafarian aus einem Dorf im Nordosten Brasiliens: Bettelt Dich jemand an, da er anscheinend hungrig ist, biete ihm etwas zu Essen an. Hat diese Person nun wirklich Hunger, wird sie auf Dein Angebot eingehen. Möchte diese Person hingegen nur wieder ein paar Réais für einen nächsten Pitú (Caipirinha) erhaschen, beißt sie bei Dir auf Granit. Die Probe auf Exempel machte ich später in Manaus, wo ich von Straßenkids nur so umringt war: Ein kleiner Junge wurde zur permanenten Klette, da er um ein paar Centavos (Untereinheit von Réal) bettelte. Da ich gerade kein Futter parat hatte, schleppte ich meine „kleine Klette“ bis zur nächsten Garküche mit, bei der es für einen Réal (ca. 0,50 €) Fleischspießchen gab. Geduldig und anscheinend wirklich hungrig wartete meine „kleine Klette“ bis der Spieß fertig gebraten war, und es war vielleicht für ihn die einzige (warme) Mahlzeit am Tag. In diesem Falle war also Papis Strategie genau aufgegangen. Das Gegenteil hatte ich mit Papi auf der Fahrt nach Georgetown auch öfters erlebt.  

Was das Essen im Allgemeinen anbetrifft, ist Brasilien sowieso das Paradies für jeden Gourmet: Entweder kann man für umgerechnet 2,50 € „All U can Eat“ erleben oder man geht in die leckeren „Per Kilo Restaurants“, in denen man sich den Teller mit verschiedensten Spezialitäten volladen kann, und danach der Preis (meist 3-4€ pro Kg.) nach dem Gewicht bestimmt wird.  

Von der ersten größeren Stadt in Brasilien (Boa Vista) ging es über 640 km per Bus  in Richtung Manaus. Das Bild der Steppe wich in der Nähe des Äquators doch allmählich dem des Regenwaldes bzw. der Rinderweide, die nach dem Abholzen des tropischen Regenwaldes hier entstanden sind. Und plötzlich verriet ein Schild „Bemvindo ao Equator“. Wir haben mit unserem Bus soeben den Äquator überquert. Genau an diesem Flecken Erde herrscht zumindest für mich immer ein grässliches Wetter. Schon 1995 herrschte auf diesem berühmten Breitengrad am Mt. Kenya Nebel und Temperaturen Nahe am Gefrierpunkt. Und nun in Südamerika? Es spielte sich genau die gleiche Situation hier nochmals ab: Schmuddelwetter am Äquator, allerdings bei 32°C!  

Nach 13 Studen Busfahrt erreicht ich nun meinen ersten Endpunkt dieser Reise: Manaus, die berühmte Stadt am Amazonas. Dabei liegt das 1,4 Mio. Einwohner zählende Manaus – an Einwohner mehr als die 3 Guyanas zusammengenommen – gar nicht am Amazonas nach brasilianischer Definition.  

Am sog. „Encontro des Aguas“ (Zusammenfließen des Wassers) ca. 12 km östlich von Manaus fließen der durch die Stadt ziehende Rio Negro (schwarzer Fluss) und der Rio Solimões aus Peru kommend zusammen. Lediglich die „letzten“ 1.500 km Flusslänge bis zu seiner Mündung in den Atlantik nennen die Brasilianer den Fluss nun Rio Amazonas. An dieser Stelle des Flusses ist der Rio Solimões schon seit 5.000 km auf seiner Reise Richtung Osten. Am Encontro des Aguas fließt das schwarze, also wirklich dunkler wirkende Wasser kilometerlang neben eher hellbraunen des Rio Solimões entlang, ehe sie sich dann doch irgendwann vermischen.    

Mit dem Erreichen von Manaus hieß es nun für mich wieder Abschied nehmen von Amazonien, zu dem die drei Guyanas ebenfalls gehören. Ein besseres Abschiedsbild als die riesigen Flussdampfer, die von Manaus entweder flussaufwärts bis nach Tabatinga an das Dreiländereck Kolumbien, Brasilien, Peru in ca.10 Tagen fahren, oder flussabwärts nach Belém in ca. 5 bis 6 Tagen konnte es für mich nicht geben. Gerne wäre ich mit einem dieser Schiffe weiter gezogen. Doch stattdessen „durfte“ ich wieder einmal den „Luxus“ eines Flugzeuges genießen. Dieser „Luxus“ bestand darin, um 3h10 morgens von Manaus nach São Paulo fliegen zu dürfen und dadurch die harten Bänke der Wartehalle des Flughafens in Manaus auf Schlafmöglichkeiten zu testen. Erwartungsgemäß fiel der Test negativ aus.  

Der Anflug auf die 20 Mio. Einwohner Metropole São Paulo war äußerst beängstigend: Wir flogen über ein bis an den Horizont reichendes Häusermeer. Von einer Landschaft war hier definitiv nichts mehr zu erkennen. Daher hatte ich nicht gerade sonderlich große Lust auf diesen „Moloch“, nachdem ich für fast 3 Wochen keine Hochhäuser, ja noch nicht einmal mehr 2- bis 3-stöckige Gebäude gesehen hatte. Aber nicht die „Reize“ dieser Stadt brachten mich hierher, sondern vielmehr die Tatsache mal wieder jemanden der weltweit verstreuten Schnickschnack-Gemeinde zu besuchen.  

Maria betreut in einem Vorort von São Paolo Kinder in einer Art Kindertagesstätte für ein Jahr. Dadurch dass Maria nicht im Zentrum sondern ca. 30 km davon entfernt lebt, war es gar nicht so einfach sich mal kurz so in dieser Metropole zu treffen. Denn ich spreche nun mal erst äußerst gebrochen portugiesisch und Marias Gastgeber „não ingles“ (kein Englisch). So kam es dass das erste Telefongespräch etwas im Sande verlaufen ist, da Maria nicht zu Hause war, und ich irgendwie vermitteln wollte, dass ich sie am nächsten Tag besuchen wollte. Glücklicherweise haben Marias Gastgeber ihr aber von diesem komischen Anrufer berichtet, und letztendlich konnten wir uns dann doch noch treffen. Nach dem Besuch bei Maria heißt es nun endgültig Adeus Brasil und es geht nun wieder der Heimat entgegen.