Skandinavien 2004

Nach 11 Monaten Reiseabstinenz bin ich nun seit Samstag wieder ‚on the road‘ und dies im wortwörtlichen Sinne. Um den angefutterten Chips- und Gerstensaft-Vorrat, den ich während der Fußball EM angesammelt habe wieder hinunter zu bekommen, rolle ich nun per Bike durch das Land der 188.788 Seen.

Ihr habt es erraten ich bin in Finnland unterwegs – ein Land das sich nicht zur EM qualifiziert hat, und deshalb muss ich mich für das deutsche Abschneiden hier auch nicht rechtfertigen – außerdem klebt auch nur ein 05er Aufkleber auf meinen Taschen und keine Deutschlandfahne.  

Da ja aller Anfang schwer ist, war der Beginn der Tour alles andere als schön. Im Landeanflug mit dem Finnair Airbus A320 konnte ich dank der Videokamera, die am Fahrwerk angebracht war, erst im letzten Moment die hell erleuchtete Landebahn erkennen, denn es regnete und es war neblig.

Willkommen in Finnland! Wenigstens hat den Flug mein Fahrrad gut überstanden, und schon stand ich aber vor dem nächsten Problem: Wie komme ich auf die rund 20 km entfernte Landstrasse, denn um den Flughafen gab es nur Autobahnen und Schnellstrassen. Das Fahren auf letzteren war ziemlich ätzend, denn diese waren z. T. 8-spurig ausgebaut, und ich wurde oftmals angehupt. Der Regen hörte wenigstens auf und plötzlich gab es endlich einen Fahrradweg neben der Strasse. Mittlerweile kann ich sagen, dass Finnland ein Radlerparadies ist, was Radwege anbetrifft. Diese sind meist in gutem Zustand und von der Strasse getrennt. Außerdem sind sie breit genug, um zu überholen. So hat jedes noch so kleine Kaff im Süden einen wunderbares Radwegenetz. Zum Überqueren der Strassen sind Unterführungen für Radler angelegt, so dass man auf den Wegen tatsächlich schneller als auf der Strasse vorankommt.  

Da ich erst um vier Uhr nachmittags in Helsinki loskam und noch fast 150 km Tagesdistanz vor mir hatte, war ich natürlich über die nördlich Lage meines Gastlands sehr angetan: Sogar im Süden ist es z. Zt. um Mitternacht noch hell und tatsächlich fuhr ich am ersten Tag bis 23 Uhr ohne Probleme ohne Licht durch die Gegend. Wer denkt Finnland ist ein plattes Land hat recht. Doch leider ist jeder der 188.788 Seen auf einem anderen Höhenniveau entstanden, so dass das Fahren von See zu See alles andere als easy going ist: Die kleinen Landstrassen erinnern eher an Achterbahnen, denn urplötzlich geht es einfach einmal für 150 m rund 15% steil berg an, ehe es dann sofort wieder 100 m 15% runter geht. Dieses Berg- und Tal-Fahren macht aber riesig Spaß, denn ich kann ja gleich immer Anlauf für den nächsten Hügel nehmen. Mit der Zeit erkenne ich auch die kleinen Fallen auf der Strasse wie Querrinnen oder Schlaglöcher, die es ab und zu gibt und so bereitet das Fahren bisher relativ wenig Probleme.   Wer Wald mag, wir Finnland lieben. Seit 6 Tagen fahre ich nun hauptsächlich durch Wald. Mal Birke, mal Kiefer mal beides mal anderes aber immer Wald. Die ersten 2 Tage war es wie eine Fahrt durch einen grünen Tunnel, dann kamen im Landschaftsbild alle 100 Meter ein See dazu und seit gestern dann auch die ersten richtig hohen Hügel, von denen sich herrliche Blicke auf die Seenplatte ergeben. Fuhr ich an den ersten beiden Tagen noch relativ viele Hauptstrassen, die sehr stark befahren waren, und hauptsächlich von russischen Lkws und finnischen Holzlastern bevölkert waren, die aber mit ihrem Sog mich immer superschnell werden ließen und mir eigentlich gar nicht unsympathisch waren, geht es seit dem 3. Tag fast nur noch auf kleineren Strassen entlang und ich habe die Natur für mich alleine. Die Käffer werden mit der Fahrt durch Karelien immer spärlicher.

Heute fuhr ich 75 km auf der Strasse ohne Kaff. Das ist zwar ganz nett, aber dafür schleppe ich auch kiloweise Pasta, A-Saft, Banänchen etc. durch die Gegend. Wenn ich von Karelien erzähle, dann vom heutigen finnischen Teil, denn die andere Hälfte gehört zu Russland und diese Situation ist bezeichnend für das ganze Land.  

Erst war Finnland eine schwedische Kolonie, dann wurde es russisch. Erst als Lenin die Oktoberrevolution durchzog, konnte sich Finnland 1917 selbständig machen und paktierte gleich mal wieder mit den Falschen: Den Nazis! Als die rote Armee Finnland besetzte, gab sie Ostfinnland, also Karelien nur zum Teil zurück und Finnland durfte nicht der NATO oder der EU beitreten. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion kam es doch noch zur  EU-Mitgliedschaft, und das Land ist nun sogar Gründungsmitglied der Euro-Zone, was natürlich ganz praktisch ist! Wer finnische Euro-Münzen möchte, schickt mir am besten ’ne SMS!  

SMSen ist hier wesentlich einfach als mailen. Alle 30 km haben die Finnen alias NOKIA-Land einen Mast errichtet, so dass ich sogar in der ostfinnischen Pampa an der russischen Grenze noch Empfang habe. Die Masten lohnen sich aber auch für die Finnen, denn 94% aller Hauhalte besitzen ein Handy und wenn’s in die Mökki (Ferienhaus) geht, dann hat man(n) immer noch Empfang – echt praktisch. Ein weiteres Klischee stimmt auch: Sauna…gibt’s auch überall und wird gerne gemacht – genauso wie Autofahren und Formel 1 gucken. Es war schon ein gesellschaftliches Erlebnis in der Shell-Tanke einen Regen abzuwarten und neben lauter kleinen Kimmis, Mikkas und Kekes Formel 1 zu gucken. Die Tanken sind sowieso für mich genial: Kavio (Kaffee) gibt’s immer frisch und stark und dazu gleich einen Supermarkt und ein Restaurant. Prima wenn ich mal wieder völlig durchnässt in der Tanke ankomme.  

Aber eigentlich ist das Wetter gar nicht so grauenhaft. Es wechselt halt sehr schnell. Gerade platzte der Regen hinunter und schon fängt die Sonne an zu strahlen – und umgekehrt… Finnland überrascht gut und gerne. Auch die manchmal grimmig dreinblickenden Menschen sind superfreundlich wenn man sie grüßt – allerdings ist nicht jeder des Englisch mächtig und so ist die Zeichensprache manchmal wirklich notwendig. Auch das Einkaufen ist so eine Sache: Alles ist auf finnisch und schwedisch angegeben. Trotz des hohen Verwandtschaftsgrades zwischen Schwedisch und Deutsch raffe ich nicht immer was ich so kaufe. Der „Frischkäse“ zumindest war keiner und schmeckte etwas komisch – war aber hoffentlich kein Tierfutter.  

So…jetzt ist meine Zeit in der Bücherei in Kuhmo um und ich fahre mal wieder zum Shoppen in den Abenteuersupermarkt – wenigstens das Wort für Bier (Olut) habe ich mir schon merken können!  

Polen 2004

Nach längerer Reiseabstinenz ging es nun endlich mal wieder für mich daran, ein neues Land zu entdecken, das zudem sogar noch unser Nachbarland ist! Polen…hm was stellen wir uns darunter eigentlich vor?

Media-Märkte, die einer Heuschreckenplage ähnelnden „Kundschaft“ verwüstet werden, Automafia oder sonstige Klischees, die wohl mit der Wirklichkeit glücklicherweise nicht so viel gemeinsam haben! Gut…Geduld ist sicherlich einerseits hier gut zu gebrauchen und andererseits einem Deutschen fast so fremd wie alkoholfreies Bier! Denn jenseits der Oder hat man(n) einfach ein wenig mehr Zeit für ein Schwätzchen auch wenn die Schlange an der Information des Warschauer Flughafens immer länger wird. Dass ich dann endlich auch an die Reihe komme und meine Frage nach dem Bus nach Lublin stellen kann, war dann wie ein Segen für mich Gestressten Lufthansa Passagier, der dank deutscher Unpünktlichkeit erst in den Stress geraten ist. Natürlich werde ich ins nächste Reisebüro verwiesen, wo natürlich erst einmal wieder mit dem festsitzenden Kunden vor mir ein Schwätzchen gehalten wird.

Nach Aussage der Homepage des Fahrplans des Polski Express Busses von 2002 (!) hatte ich noch sagenhafte 5 Minuten, um mein Ticket zu erstehen. Die Angestellte hatte wohl Mitleid mit mir und meinem gestressten Blicken und verkaufte nun doch etwas schneller die Zugfahrkarte an den Kunden. „To Lublin? You have 3 minutes! Bus only 10 meters! No ticket here!“ Nachdem ich die zehn längsten Meter meines Lebens in ca. 1 Minute zurückgelegt habe und nach meinem deutschen Empfinden dabei sicherlich 250 Meter gerannt bin, erreichte ich den Bus nach Lublin. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich auch eine Fahrkarte erstehen kann, denn die kostet 44 Zloty (sprich Zwotti)! Ach wie schön wäre es doch gewesen, wenn Polen auch gleich den Euro bekommen hätte – nein ich musste natürlich vorher Geld wechseln und dafür einen Beleg ausfüllen und eine Unterschrift leisten – um dann am Ende mehrere 100 Zloty-Scheine zu erhalten! Da ich der einzige Fahrgast war, hatte mein Fahrer gerade irgendwie in der Hosentasche und auf dem Armaturenbrett 11 Zloty Wechselgeld zur Verfügung! Kreditkarten? Njet! Außerdem war eine Verständigung nur per Zeichensprache möglich, da ich kein Polnisch, er kein Englisch sprach! In körperlichen Verrenkungen nach meiner letztjährigen Reise geübt, machte ich ihm klar, dass ich den Schein wechseln werde und dann wieder auftauche und er bitte nicht wegfahren möge. Kaum zu glauben…ich bekam den Schein im „10 Meter“ entfernten Airport gewechselt (Bänker sprechen Englisch) und ich dann letzten Endes auch meine Fahrkarte!

Vorbei ging’s dann an ultramodernen nicht gestürmten Media-Märkten, Tesco Supermärkten, Géant- und Leclerc-Kaufhäusern und Lidl-Discountern on the road to Lublin! Polen hat zwar keine eigentlichen Autobahnen, doch man ist zumindest auf der Straße pragmatisch – denn wozu gibt es Seitenstreifen? Diese werden einfach in weitere zwei Spuren verwandelt und fertig ist die „Autobahn“, die übrigens in sehr gutem Zustand war!

Danielle, die ich in Lublin besuchen wollte, teilte mir mit, dass aufgrund irgendwelcher polnischer Hochschulbestimmungen ich im Studentenwohnheim nicht wohnen dürfe…aber das ist in Polen kein Problem…denn man hat ja Kommilitonen, die noch bei den Eltern wohnen und um Mitternacht einen Deutschen bestimmt aufnehmen! Gesagt getan Walusz macht die Tür auf, begrüßte mich und schon wurde ich in „mein“ Zimmer geführt und ich knackte einfach bei einer polnischen Familie, die ich fünf Minuten vorher noch nicht kannte! Glücklicherweise habe ich ja immer mal ein Fläschchen Wein aus Rheinhessen dabei…und so konnte ich mich für diese echt klasse Gastfreundschaft wenigstens ein bisschen revanchieren! Na ja…dass zwischen Polen und Deutschen nicht immer alles so schön verlaufen ist, wissen wir ja alle! Dass man aber in den zu Museen umgewandelten Konzentrationslagern immer von „Nazis“ spricht und nie von „Deutschen“ hat mich wirklich beeindruckt! Es regnete und dabei war der Besuch des KZ Majdanek um so bedrückender. Aber ich denke als Deutscher sollte man um dieses Stück Polnisch-Deutscher Geschichte keinen Bogen machen! Die etwas bedrückte Stimmung am Frühstückstisch am nächsten Tag nach dem ich gefragt wurde, was ich mir so angeguckt habe, war relativ schnell verflogen „Chris…not your fault!“ und ich war ziemlich happy mit den Polen so einfach über unsere Vergangenheit zu babbeln.

Das alte Lublin hat sich den morbiden Charme des Ostblocks noch ein wenig erhalten. Neben renovierten Gebäuden gibt’s auch welche, bei denen man nicht so recht weiß, wie lange sie noch stehen bleiben. Auf den Speisekarten ist noch oft das leckere Essen wie Pirogi (eine Art Maultaschen) oder das süffige Bier in zahlreichen Variationen lediglich in polnischer Sprache angegeben. Ein Indikator, dass die Touristen sich aus Krakau oder Warschau noch selten in diesen Teil Ostpolens verirren. Dabei ist es wirklich wunderschön durch die gepflasterten Straßen der Altstadt zu marschieren, dem Geräusch der vielen Kirchturmglocken zu lauschen und den Blick auf die protzige Burg zu genießen, ehe man sich einen Latte Macchiato in einem der vielen Cafés im Freien hineinziehen kann und dank für unsere Verhältnisse sehr fairen Preisen sich diesen Luxus auch noch wahrlich gönnen kann!

Ich hoffe, Ihr habt ein bisschen Lust bekommen unseren östlichen Nachbarn mal einen Besuch abzustatten und das ’neue‘ Europa in der größer gewordenen EU zu entdecken! Na Razie!

Niederlande 2003

Auf meiner Stippvisite beim ersten EM Land, gegen das sich die deutsche Fußballnationalmannschaft nun im kommenden Juni durchwurschteln will, muss ich eingestehen, dass auch niederländische Fans von ihrer Mannschaft alles andere als begeistert sind. Dabei haben Fußballer in den Niederlanden die optimalen Trainingsbedingungen: Überall ist es flach, Wiesen gibt es im Überfluss, die Deiche sind natürliche Seiten- und Toraus-Linien, und die Kühe bleiben anders als in Indien auf der Weide und blockieren nicht das Mittelfeld.  

Apropos Indien…irgendwie fühlte ich mich ja schon ein wenig auf den chaotischen Subkontinent zurückversetzt: Fahrräder, Fahrräder und nochmals Fahrräder. Aber anders als bei uns wird hier die Spezies „Radler“ nicht getrunken, sondern Ernst genommen: Es gibt praktisch immer einen Radweg der den Namen auch verdient hat. Die Buckelpisten, in Deutschland oft als Radweg angepriesen und nur mit Mountain Bikes halbwegs befahrbar, fehlen hier komplett. Stattdessen findet der passionierte Radler ebene Pisten, bei denen sogar das Trampen à la Hollandaise, Pardon die Mitnahme auf dem Gepäckträger, beim Mitgenommenen keine bleibenden Schäden am Gesäß hinterlassen. Bei Baustellen auf dem Radweg gibt es eine beschilderte Umleitung, die tatsächlich wieder auf den eigentlichen Weg des Radelns zurückführt. So bleibt dem niederländischen Radler, das allseits beliebte Absteigen und Radweg-Suchen, das bei uns doch öfters vorkommt, erspart. Abgestellt wird das Rad in Radparkhäusern und die Wahrscheinlichkeit, sein Rad nach einer Kneipentour wieder zu finden liegt hier noch recht hoch, anders als in vielen anderen Zock- und Klau-Regionen.  

Natürlich war es eine prima Sache mit den tatsächlich hier in tausendfacher Ausgabe herumrollenden Hollandrädern ins Restaurant oder in die Kneipe zu düsen. Berge sind hier ein Fremdwort, so dass tags wie nachts die Radwege von allen Bevölkerungsschichten genutzt werden, und sich so ein ganzes Volk fit hält und auch im platten Zustand wieder nach Hause findet, statt am nächsten Hügel in den Graben zu rollen.    

Einerseits muss man auch in den Niederlanden ein prallen Geldbeutel nach der Euro-Einführung haben, um überhaupt in die Nähe des Plattheits-Zustands zu geraten. Andererseits fällt die Auswahl wie man, finanzielle Mittel vorausgesetzt, in eben diesen Zustand fällt, nicht nur wegen der in ganz Holland verbreiteten „Coffie-Shops“, extrem leicht. Urige Kneipen mit unzähligen, zwar nicht nach dem Reinheitsgebot gebrauten, aber doch sehr trinkbaren Gerstensaft-Varianten, laden zum Verweilen und zum Diskutieren über Fußball ein. Und um eben diesen geht es zumindest am 15. Juni 2004, wenn Deutschland gegen die Niederlande spielen wird. Testet dies am besten mal alles selbst aus, hier in den sympathischen Niederlanden und freut Euch auf ein gutes Spiel zwischen zwei fußballverrückten Nationen – egal wie es auch ausgehen mag!  

Bis dahin wünsche ich Euch allen einen geruhsamen Advent. Genießt die Zeit mit Tee und Plätzchen oder dem einen oder anderen Glühwein oder spaced in einem Coffie-Shop mal so richtig ab!