Osteuropa 2007

Mittlerweile bin ich ein paar Tage im größten Land Europas mit dem Rad unterwegs und bin von diesem unbekannten Platz auf Erden wirklich fasziniert. Angefangen hatte mal wieder alles mit der Landung in einem mir fremden Land. Schon der Touchdown mit der Embraer 175 von LOT Polish Airlines ließ vermuten, dass Teer in der Ukraine eher ein rares Gut ist, denn ich wurde wie ein Caipi richtig durchgeschüttelt. Dann hielt der Flieger mitten in der Pampa – wo war eigentlich das Terminal? Dieses fand sich dann mit dem Bus recht schnell – erinnerte aber in seinem Aussehen von außen eher einer Oper, mit dem Kuppelgewölbe und den antiken Säulenarkaden. Von innen hatte dieses Gebäude anno dazumal eher den Anschein ein Wartesaal eines Kuhkaff-Bahnhofs zu sein. Dort auf den Bänken verteilte dann die Frau Offizieren, in Stöckelschuh und Militär-Mini-Rock-Uniform die Einreisekärtchen. Die Einreise verläuft für uns EU-Bürger seit 2005 visafrei, was einen Visa-Muffel wie mich erst dazu verleitet hat, hierher zu düsen. Nach dem ich meinen Einreisestempel bekommen hatte, wartete ich mit dem Dutzend Mitreisender auf das Gepäck. Wo war eigentlich das Gepäckband. 

Hm, da der ganze Airport vielleicht so groß war wie ein 16-Meter-Raum im Stadion, gab es dazu natürlich gar kein Platz. Eine Klappe ging auf und dann wurde die Koffer durch diese in das Gebäude gereicht. Mit zwei Packtaschen und Velo quetsche ich mich dann zum Ausgang. Doch halt, hatte ich eine Bescheinigung über Krankenversicherung dabei, wurde ich gefragt. Natürlich nicht – also musste ich 5 Euro zahlen, und werde dafür aber hier nun im Krankheitsfall kostenlos medizinisch versorgt. 

Auf dem Vorplatz setzte ich mein Velo dann zusammen und es hatte den Anschein, dass nichts kaputt gegangen war. So radelte ich Richtung Innenstadt los und musste sofort feststellen, dass es erstens kaum Hinweisschilder gibt und wenn, dann sind diese in Kyrillisch verfasst. Die Strasse mutierte mit dem Erreichen der Außenbezirke von L’viv (russisch Lwow, deutsch Lemberg) zum Schlimmsten was ich in meinem Leben als Strasse habe definieren dürfen. Da wäre zunächst das Kopfsteinpflaster zu nennen, was an sich bereits nicht gerade zum Dahingleiten führt, aber wenn die Quader unterschiedlich hoch, die Fugen breiter als der Reifen sind und dann noch kleine Sanddünen das Ganze garnieren, ist an einfaches daher radeln schon nicht mehr zu denken. Dummerweise liegt L’viv auch noch in einem Kessel, so dass das bergab bzw. bergauf fahren wirklich zur Qual wird. Dazu kommt noch die Tatsache, dass Verwerfungen, Bodenwellen und omnipräsente Straßenbahnschienen, sowie in Fahrtrichtung angelegte Kanaldeckelspalten das ganze Unternehme zu einer äußert delikaten Angelegenheit machen. Wenn es dann noch einen Gewitterplatzregen gibt und man die Untiefen der Pfützen nicht mehr schätzen kann, dann bin ich in der Hölle der Radler angekommen. 

Außerdem haben mich die Parkgewohnheiten der Einwohner bis zu meiner Abfahrt immer wieder irritiert. Da man wegen der Straßenbahn nicht am Rand sein Vehikel abstellen kann, lässt man es einfach in der Fahrbahnmitte stehen. Den immer sich auf der Hut befindenden Radler macht solcher stehender Verkehr natürlich nervös, denn wer rechnet schon damit, dass das Auto nicht im nächsten Moment davon braust und eventuell mir in die Quere kommt. 

Die scheinbar nur noch aus Spachtel bestehenden Straßenbahnen tun ihr übriges, nicht oder nur kaum vorwärts zu kommen. Diese elektrischen Dinosaurier sehen besonders eigenartig aus, da auf Ihnen nur für High-Tech-Produkte geworben wird: Digi-Cams, Intel inside (aber nicht in der Bahn) und fesche NIKE Klamotten. Man könnte meinen die Retro-Welle hätte dieses Land erreicht – doch hier ist vieles noch immer so, wie es lange Zeit gewesen ist. 

Lange Zeit war auch ich nicht mehr im Sattel und aufgrund der genannten kontraproduktiven Radler-Infrastruktur fühlte ich mich auf den Strassen von L’viv zum ersten Mal als Radler tatsächlich überfordert: Bangkok, Marseille, Ha Noi waren alles Städte, die sich recht einfach durchradeln ließen – vor allem im vergleich mit dieser west-ukrainischen Stadt. Bei der Hotelsuche stellte ich plötzlich fest, dass meine Pedale eierte – so wie vor einem halben Jahr in Laos. Aber dieses Mal war es nicht die Pedale, denn die laotische hatte ich schon im Januar gegen eine neue japanische Hightech getauscht – nein es war aus mir unerklärlichen Gründen die Kurbel, denn das Gewinde war völlig abgerieben. Wie passiert so etwas? Keine Ahnung, wirklich nicht. Nur nach 11 km Radeln so eine Panne und das in der Ukraine ist mehr als dämlich. 

Ich hatte bereits mein Hostel vergeblich eine Stunde lang gesucht und nahm erstmal das nächst beste Hotel – ein renovierter schöner Kasten aus der Sowjetzeit mit pompösen Treppenaufgang und drei Meter hohen Decken. Eine nette Sache ist hier im Tiefen Osten Europas der Job des Türstehers, der anscheinend 24 Stunden am Tag sich am Hoteleingang um alles kümmert. Der Rentner ließ gegen kleines Bakschisch meinen kaputten Drahtesel in einem Nebenraum verschwinden, besorgte mir eine gute Karte der Stadt und zeigte mir, wo mein gesuchtes Hostel sich befand. Reiseführer über die Ukraine haben gerade eine Halbwertszeit von einem Fußballspiel, denn die meisten darin aufgelisteten Hotels sind zu – und die Hostels noch nicht drin. 

Ich buchte im Hostel meine folgenden Nächte und das ukrainische, englisch sprechende Hotelpersonal nannte mir eine Adresse eines Radladens. Diesen suchte ich mit einem Taxi und dem Rad im Kofferraum (gegen gutes Bakschisch) am nächsten Morgen auf. Der Laden hätte auch in Deutschland als gut ausgestattet gegolten und nach zwei Stunden hatte ich eine neue Kurbel und die Radreise ging nun doch nicht nach den legendären 11 km zu Ende. Eigentlich hätte ich mir nun die schöne Stadt angeguckt, doch im Hostel trifft man ja immer interessante Leute und so endeten wir in einem Biergarten im Herzen der wunderschönen, japanerfreien Altstadt. Das Leute beobachten ist natürlich immer lustig und die Ukrainerinnen mit ihren High-Heels übers Kopfsteinpflaster daher stolzieren zu sehen war auf jeden Fall es war fürs Auge. Die Stadt ist eigentlich ein einziger Cat Walk für knappe Röcke, figurbetonte Blusen und 16:9-formatige Sonnenbrillen.

Abends führte uns unser Weg in die Clubs der Stadt, um mal zu schauen, wie die Kids hier rocken gehen. Nun ja es war eigentlich alles sehr gediegen und entspannt. Die Vortänzerinnen auf den Tischen erinnerten mich mit ihren Fetzenkostümen an die wohl zurzeit bekannteste Tochter der Stadt: Ruslana, die 2004 den Grand Prix gewann – ihr erinnert Euch? 

Am nächsten Tag hatte ich dann endlich die Muse, die Stadt – natürlich zu Fuß – zu entdecken. Anders als viele so genannte Städte mit toller Altstadt, existiert in L’viv nicht ein klitzekleiner renoviertes Quartier, das von hässlichen Gebäuden umgeben ist. Nein, die ganze Stadt ist ein Juwel mit alter Bausubstanz, hübschen italienisch anmutenden Innenhöfen und reich verzierten Fassaden. Stalin und die Plattenbau-Connection zogen ihren Baustil außerhalb des Kessels hoch und tatsächlich ist praktisch kein hässlicher Betonklotz in dieses Paradies gesetzt worden. So sah wohl auch mal Prag aus, bevor es von uns Touris nach der Wende erstürmt wurde…

Skandinavien 2004 letzter Teil

Goddag,  

oder hallo aus  71°10’21“N oder dem angeblich nördlichsten Punkt Europas – oder noch ehrlicher Guten Morgen aus Mainz! Nach 40stündiger Odyssee vom Nordkap – mit dem Widerøe Bus wegen geschlossenem Flughafen nach Hammerfest –  mit einer Propellerkiste nach Tromsø und dreimal „Stehen bleiben“ und Fahrrad-Fetzen nach – Oslo in den Flughafenwald zum Zelten – und mit „There’s no better way to fly“-Lufhansa nach Frankfurt bin ich wieder auf dem 50. Breitengrad gelandet und reif für die Insel.  

Wie harmonisch hatte dagegen diese Woche für mich in Sapmi, dem Land der Sami am finnischen Inari-See angefangen. Außer ein paar Mücken, die ich mit dem alles bezeichnenden finnischen „Hyttys“ Spray Marke „OFF!“ sehr schnell loswurde, hatte ich dort oben einen angenehmen Ruhetag und endlich mal wieder die Gelegenheit zum Schreiben vom Teil 2.  

Die anschließende Fahrt in Richtung Nordwesten zur norwegischen Grenze brachte eine Neuerung mit: Wind! Da ich bisher praktisch nur durch Wald fuhr, gab es keinen Gegen- oder Rückenwind, der meine Geschwindigkeit irgendwie beeinflusste. Nun auf der Hochlandfläche von Sapmi (Lappland) hatte ich zum 1. Mal mit Gegenwind und Böen zu kämpfen. Gerade Seitenwindböen sind nicht gerade die angenehmsten Naturphänomene, da ich durch sie oft zur Straßenmitte „geweht“ wurde. Wie angenehm war es dann in Finnland zu radeln, wo sich die Autofahrer im Großen und Ganzen sehr rücksichtsvoll Radlern gegenüber verhalten: Man wird als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen…und respektiert. Daher wird im großen Sicherheitsabstand überholt und ich wurde nie geschnitten.  

Die Fahrt über die Hochlandebene erweiterte mit einem Mal auch meinen Horizont, der in den letzten 13 Tagen lediglich 3 Meter nach links und rechts bis an den Straßen- bzw. Waldrand reichte. Statt Wald gab’s jetzt Sümpfe und Moore, die das Landschaftsbild bis an den kilometerweit entfernten Horizont prägten. Nun wurde der finnische Name für Finnland „Suomi“ endlich einmal Wahrheit, denn es bedeutet nichts anderes als Sumpf. Finnland selbst kommt wohl vom lateinischen „Fenia“, und bedeutet ebenfalls Sumpf.  

Nach 13 meist wunderschönen und oft sonnigen Radel-Tagen hatte ich den 1.720 km langen „Sumpf“ durchquert und mit Norwegen wieder festen Boden unter den Füßen. Kaum im Land der Fjorde und Berge angekommen, ging es auch schon steil bergan auf eine karge Hochfläche. In kleinen Senken wuchsen die letzten Kiefern und Birken. Da es ca. 25° C im Schatten waren, die Sonne mittlerweile 24 Stunden am Tag schien, kam ich mir mehr wie am Mittelmeer vor, als in der Polarregion. Diese warmen Temperaturen sind im Landesinneren von Nordnorwegen im Sommer durchaus normal – allerdings wird’s im Winter auch normalerweise bis ca. – 45°C  kalt. Durch die klare Luft waren schon die Fjorde umgebenden kahlen Berge des Eismeeres, das noch fast 100 km entfernt war, zu sehen. Je weiter ich nach Norden fuhr, desto weniger verkrüppelte Bäumchen säumten den Weg.  

Neben Fjorden ist Norwegen sicherlich für Lachs bekannt und Lakselv (norwegisch Lachsfluss), der erste Ort nach 74 km des Radelns vom Grenzort Karasjok zum Eismeer machte seinem Namen gleich alle Ehre. Auf dem Dorffest räucherten die Fischer den frisch gefangenen Lachs direkt auf der Gasse und für 3,50 € gab es eine Riesenportion Filet auf den Teller. Endlich mal keine Pasta zum Futtern und mein kulinarisches Desaster, was ich wegen dem etwas arg hohen Preisniveau in Norwegen befürchtet hatte, wurde abgewendet.  

Bisher war diese Radtour problemlos verlaufen, doch kurz vor meinem Ziel, wurde ich vor ein besonderes Problem gestellt: Da Norweger straßenbautechnisch sicherlich die fortschrittlichsten Zeitgenossen auf unserem Planeten sind, bauen sie in diesem bergigen, mit Fjorden durchzogenen Land, Brücken, steile Straßen und leider auch Tunnels en masse. Ein paar hundert Meter durch einen stinkenden Tunnel zu radeln ist sicherlich o.k., aber wie sieht es mit einem fast 7 km langen Tunnel aus, der 212 Meter unter der Meeresoberfläche verläuft und extrem eng ist? Offiziell war die Durchfahrt durch den sog. Nordkapptunnellen für Radler verboten – doch das heißt in Norwegen nicht sonderlich viel. Da ich niemanden getroffen hatte, der dieses stinkende Abenteuer per Velo durchgestanden hatte, musste ich eine Alternative finden. Diese bestand letzten Endes darin, eine kleine Nebenstraße für ca. 100 km zu nehmen, und dann mit dem Postschiff auf die Nordkappinsel Magerøya zu fahren.

Dumm nur, dass das Schiff nur einmal täglich fährt, und dies morgens um 9:45 und mir diese Alternative erst am Abend zuvor um 19:00 einfiel. Da ich irgendwann einmal wieder nach Hause musste, blieb mir nicht viel anderes übrig, als nach 128 gefahrenen Kilometern noch schnell abends die 100 km zum Fährhafen zurückzulegen.  

Aber gibt es was schöneres als freitags nachts um Mitternacht bei Sonnenschein eine kurvenreiche kleine Straße von Fjord zu Fjord entlang zu radeln auf der kein einziges Auto fährt? 5 km vor dem Kaff – es gab auf den 100 km sonst keines – stellte ich mein Zelt neben der Straße auf, denn es störte ja eh niemanden, dank des Jedermansrechts in Skandinavien. Dies besagt, dass jeder auf öffentlichem Land sich zu jeder Zeit aufhalten darf – dies schließt das Zelten glücklicherweise ein. Mit 228 km in den Beinen und einem aus Finnland importierten Dosenbier im Kopf schlummerte ich sofort ein.  

Die Fahrt mit dem Postschiff, das zwischen Bergen im Südwesten Norwegens und Kirkenes an der Grenze zu Russland im Nordosten des Landes pendelt war äußerst angenehm. Das Rad wurde im Frachtraum deponiert und ich hielt mich im Café am Kaffee fest, während die Felskulisse der Eismeerküste an mir vorüber zog. Nach 2 Stunden Fahrt war ich in Honningsvåg, dem Hauptort der Nordkappinsel angekommen. Nach weiteren 34 km extrem bergiger Straße hatte ich dann das Ziel meiner Reise erreicht: Vom Nordkappfelsen aus blickte ich bei strahlendem Sonnenschein auf das ruhig daliegende Eismeer hinaus. Ich hatte jetzt den nördlichsten mit dem Rad anfahrbaren Punkt Europas erreicht – aber Europa endet nicht am Nordkap, wenn man Spitzbergen, das 1.200 km weiter nördlich liegt, zum Kontinent der griechischen Fußballhelden zählt. 2.016 km lagen seit meiner Abfahrt vor exakt 2 Wochen hinter mir und ich dachte mir, das ganze war ja eigentlich bis auf den einen Regentag in Mittelfinnland ganz easy…doch man soll ja nie den Tag vor dem Abend loben!  

Eigentlich wollte ich vom Nordkap aus via Tromsø und Oslo nach Frankfurt fliegen. Per Zufall erfuhr ich, dass das Radar am Flughafen Nordkap kaputt sei und dies seit einer Woche. Das Ersatzteil kommt aus Oslo – irgendwann und bis dahin bleibt der Flughafen geschlossen. Nun setzte die Fluggesellschaft Widerøe, die hier oben mit kleinen Propellerkisten (Dash 8) herumschwirrt, zweimal täglich einen Bus ins dreieinhalb Stunden entfernte Hammerfest ein, wie ich im Internet herausbekam, denn der Flughafen war bis auf ein verirrtes japanisches Ehepaar ausgestorben. Ich wollte ja eigentlich erst am Folgetag fliegen, aber ruckzuck fuhr ich zum Campingplatz, packte meine Sachen  und fuhr zum Flughafen zurück. Irgendwann kam ein Angestellter in Jeans und T-Shirt und meinte der Bus käme gleich. Gesagt getan, der Bus kam und statt zu fliegen rollten wir los. Weit kamen wir nicht, da es so heiß war und Rentiere schlaue Viecher sind. Um sich vor der Sonne zu schützen, lungerten Dutzende Tiere am Tunneleingang herum und blockierten diesen. Auf Hupen reagieren diese Wesen nur mit vollkommener Ignoranz, so dass der Busfahrer aussteigen musste und wie von der Tarantel gestochen laut brüllend in die Herde rannte. Aha…so sah wohl einmal ein Wikingerüberfall aus!!! Na ja, das Gebrülle und Herumlaufen verfehlte seine Wirkung schließlich nicht und weiter ging’s zum Flughafen Hammerfest, wo wir direkt ohne jegliche Sicherheitskontrolle ins Flugzeug nach Tromsø verfrachtet wurden.

Nach einer nicht geplanten Übernachtung im hübschen Tromsø sollte es dann am nächsten Morgen weitergehen, doch nichts ging, da die nächsten drei Maschinen alle voll waren. Nach jedem vollen Flug, auf dem ich nicht mitkam, musste ich erneut einchecken und meine Gepäcketiketts wurden jedes Mal gewechselt, so dass ich die gesamte Belegschaft (mit Schichtwechsel) von Scandinavian Airlines in Tromsø  kennen lernte. Beim vierten Versuch (siehe Mainz 05) klappte mein „Aufstieg“ in die Boeing 737 von Braathens Airlines und ich kam schließlich statt am Mittag halt am Abend in Oslo an. Dumm nur, dass mein Rad diesen Flug nicht so heil überstanden hat. Das gesamte Hinterrad ist völlig verzogen, so als wäre eine ganze Meute Wikinger mit ihren Booten drübergerudert, und ich konnte das Rad nicht mehr bewegen. Shit happens… denn auch der letzt Flug nach Frankfurt war schon weg.  

Also das Rad in die Gepäckaufbewahrung und ich in die Büsche vom Oslo Airport. Denn der Flughafen ist 50 km von der norwegischen Hauptstadt entfernt und in Norwegen herrscht ja das Jedermannsrecht und Wald gibt’s am Oslo Airport genug. Mit meinen Radtaschen beladen, schlug ich mich hinter dem Frachtgebäude in die Büsche und verbrachte ein mehr oder weniger ruhige Nacht neben der Start- und Landebahn, denn leider herrscht hier kein Nachtflugverbot.  

Der Lufthansa sei Dank bin ich nun wieder heil und munter in Meenz am Rhein angekommen und freue mich von Euch zu hören.  

Skandinavien 2004 2. Teil

Buore beaivi…  

bedeutet Hallo und ist Sami, die Sprache der Sami hier in Sapmi, ganz weit im Norden unseres Kontinents. Sapmi ist Euch sicherlich unter dem Namen „Lappland“ besser bekannt. Mittlerweile bin ich mit dem Rad in den äußersten Norden Europas vorgedrungen, doch angefangen hatte die 2. Mailetappe in Kuhmo, Mittelfinnland.   Nachdem ich Euch Teil 1 in der Bücherei geschrieben hatte, fing es an zu regnen. Leider hörte es nicht mehr so schnell auf, so dass ich zu meiner absoluten Lieblingsbeschäftigung am nächsten Morgen übergehen durfte: Nasses Zelt einpacken! Hm, toll…denn es regnete einfach weiter, so dass ich „endlich“ mal richtig durchgewaschen wurde. Von unten durch die Strasse, von oben durch Petrus Werk und von der Seite von den finnischen Holzlastern.  

Dazu wurde es recht kühl und ich hatte 132 km vor mir, die ich unbedingt irgendwie durchstehen musste, da ich fernab der Hauptverkehrsstrassen unterwegs war. Auf diesen Hauptstrassen besteht Busverkehr und ich hätte dort einfach den Bus nehmen können. Doch ich wählte diese entlegene Strecke, um dem relativ dichten Verkehr Süd- und Mittelfinnlands zu entgehen. Nach 42 km erreichte ich das 1. Kaff und gleich ein Tante Emma Laden. Dort gab es karelische Teigtaschen  à la Quiche Lorraine. Das baute mich wieder auf. Aber der Regen wurde stärker und es waren noch 90 km bis zur Hauptstrasse. Mittlerweile überholten mich nur noch Holzlaster und russische Autos, denn Russland war nur noch ein paar km entfernt.  

Nach weiteren 50 km im Dauerregen überraschte mich Finnland mal wieder. Mitten in der Pampa gab es wieder einen Laden, und was für einen: Neben den üblichen Lebensmitteln lagen Kühlschränke, Mikrowellen, Lautsprecherboxen herum. Die Dorfjugend probierte die Boxen aus und ich konnte es kaum  fassen, dass es sogar Kreppel und Kaffee gab – dazu potthässliche gelbe und blaue Plastikstühle und eine Spiegelwand mit Tisch, an denen ich den bizarrsten Kreppelkaffee meines Lebens genoss. Außerdem besaß ich einen finnischen Schatten, der ständig hinter mir herlief und wischte, da ich klitschnass war und meine eigene finnische Seenplatte produzierte.  

So gestärkt ging es auf die letzten 35 km und dann war mal wieder Glückszeit angesagt: Ich hatte keinen Bock auf Schlafen im nassen Zelt und Finnen überraschen ja gerne und so wurde mir ein alter Ford Transit mit Heizung angeboten. Dieses erwärmende Angebot nahm ich dankend an. Dass ich dann noch am Abend meine  Lebensmittelvorräte gegen einen besonderen Eindringling verteidigen musste, hätte ich nicht gedacht: Plötzlich kam ein Esel um die Ecke und fraß ruckzuck alle Pfefferminzteebeutel samt Packung auf. Wenigstens hatte er jetzt einen guten Atem, denn er leistete mir den gesamten Abend Gesellschaft.  

Am nächsten Morgen sah die Welt schon wieder ganz anders aus: strahlend blauer Himmel und Sonnenschein. So konnte ich gemütlich auf der Europasstrasse nach Norden weiterfahren. Es gab zwar wieder kaum Käffer, aber alle 20 km Mini-Straßencafés, in denen es bspw. Pfannkuchen auf Holzfeuer gebacken mit selbst gepflücktem Beerenkompott gab. Über solch einfachen Dinge freue ich mich auf dieser Tour ganz besonders. Denn das ist das wunderbare an solchen Reisen: Das gesamte Leben dreht sich lediglich um 3 Fragen: Halte ich die Reise körperlich durch, hält das Rad durch und halten wir gemeinsam das Wetter aus – banal, oder? Darum gibt es eigentlich auch nur 3 Zustände während der Fahrt: Radfahren, Essen und Trinken, Schlafen! Das macht das Leben endlich mal einfach. Denn unser Alltag ist doch oft kompliziert: Zu früh Aufstehen, Hetze zur Arbeit, wann aufhören zu arbeiten, damit man noch Zeit zum Einkaufen hat, was heute Abend machen, was am Wochenende etc. etc. Da habe ich es gerade sehr einfach!!!   Nach 1.248 km Radfahren habe ich am Sonntag morgen den Polarkreis erreicht. Ab diesem Punkt bewege ich mich nordwärts geographisch gesehen in der Arktis. Aber so arktische Temperaturen habe ich noch nicht: 30 Grad und Sonnenschein! Am Polarkreis geht am 21. Juni die Sonne nicht unter und am 21. Dezember nicht auf. Nördlicher Gefilde haben diese Extreme noch wesentlich länger als einen Tag und hier am Inari-See geht die Sonne ca. um 0:45 unter und um 1:15 wieder auf. Diesen kurzen Nächten tragen die Kneipen Rechnung: Selbst im kleinsten Kaff sind die sie bis mindestens 3 Uhr auf und veranstalten KARAOKE! Die Finnen fahren dabei fast drauf ab wie Koreaner! Ob es an der ähnlichen Grammatik beider Sprachen liegt?  

Mittlerweile bin ich öfters im Stau! Aber nicht wegen Autos sondern wegen Rentieren. Diese halb-wilden Viecher, grasen in ganz Nordfinnland,  nehmen auf den hupenden Autofahrer keine Rücksicht und blockieren einfach mal die Strasse, so lange sie Lust haben. Lediglich vor mir als Radler haben sie Angst, da ich keinen Krach mache (oder bestialisch stinke?). Später landete dann ein Stück Rentier sogar auf der „Polar Pizz“a gemeinsam mit Annanas und Zwiebeln. Das Fleisch schmeckt eigenartig, aber gut!  

Die meiste Zeit geht es landschaftlich immer noch durch Wald. Lediglich seit gestern Nachmittag, kurz vor dem riesigen Inari-See lichtet sich der Wald und Moore prägen die Landschaft, ähnlich den schottischen Highlands.  

Die Region nördlich des Polarkreises ist der Lebensraum der Sami, die früher Lappen genannt wurden. Sie sind die eigentlichen Ureinwohner Finnlands. Sie zogen, nachdem die Finnen kamen vor, ihr Nomadenleben im Norden weiterzuführen. Sie wurden lange Zeit wie so viele Minderheiten unterdrückt. Im 17. Jhdt. wurden sie zwangschristianisiert. Ihre Naturreligion mit Schamanentum wurde verboten. Im 2. Weltkrieg mussten 1944 die Deutschen nach der Niederlage gegen die Sowjets das Land verlassen und brannten alles nieder, so dass es heute kaum noch ein Gebäude in Lappland gibt, das aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg stammt. Dank der EU und dem finnischen Staat haben die Sami jetzt ein relativ gutes Leben mit Rentierzucht. Ihre Sprache ist anerkannt, alles ist 2-sprachig beschildert und sie haben ein eigenes Parlament.  

So…jetzt mache ich mich mal auf, wieder das Land zu entdecken, um bald mal wieder etwas zu berichten!