Sierra Leone 2017

Vorfreude ist sicherlich die schönste Freude und so durfte ich mich auf die Reise nach Westafrika in das kleine Land Sierra Leone seit dem Sommer 2017 freuen. Damals hatten wir „Somebody“ ein Schimpansenweibchen im Tacugama Chimpanzee Wildlife Sanctuary „adoptiert“ und fanden die Möglichkeit, unser „Kind“ nicht nur finanziell zu unterstützen sondern auch persönlich zu besuchen extrem spannend.


Schließlich stellt sich die Frage, was wir mit Sierra Leone verbinden: Ebola ist sicher jedem ein Begriff und an den Bürgerkrieg um Blutdiamanten, der mit Kindersoldaten ausgefochten wurde, kann sich vielleicht die eine oder der andere auch noch erinnern. Aber wie sieht es in diesem Land mittlerweile aus? Von Flüchtlingen aus Sierra Leone hört man in Deutschland gar nichts und im Weltspiegel habe ich seit dem Ende von Ebola auch keinen Bericht mehr gesehen. Das Auswärtige Amt stellt nüchtern fest „Für dieses Land besteht derzeit kein landesspezifischer Sicherheitshinweis.“ – daher wird wohl in den Medien auch nicht darüber berichtet. Schließlich existieren die meisten der 195 Länder, die Mitglied der Vereinten Nationen sind, medial schlicht nicht, wenn sich dort keine Naturkatastrophe ereignet, sich niemand in die Luft sprengt, dort eine Seuche ausbricht, die auch uns in der westlichen Welt gefährlich werden könnte, oder sonst etwas Schlimmes passiert.

Am Lumley Beach von Freetown
Am Lumley Beach von Freetown

Dass mal explizit über etwas Gutes berichtet wird oder über Länder, an denen wir uns in Deutschland ein Beispiel nehmen könnten, ist leider die Ausnahme. Es dreht sich die Berichterstattung mehr oder weniger immer wieder um dieselben ca. 20 bis 30 Länder: Die USA geht immer, egal wer da an der Macht ist, Mexiko als Beispiel für den Drogenkrieg nachdem diese Geschichte in Kolumbien nicht mehr so funktioniert, Kuba für Kommunismus-Romantiker, Brasilien als Beispiel für Korruptionssumpf und Südafrika als Beispiel, wie zu große Erwartungen zum Scheitern verurteilt sind. Der Nahe Osten als Drama geht immer, da dort seit Jahrzehnten die Hütte brennt, und Korea geht neuerdings wieder gut – dem kindischen Wer-hat-den-größeren-Knopf-Vergleich sei Dank. Und die Volksrepublik China als zukünftige beherrschende Weltmacht rückt genauso wie das Russland Putins immer mal wieder in den Fokus, aber die restlichen 165 Staaten unserer Welt? Die fallen irgendwie durchs Raster der Berichterstattung.


Also ab ins Impfzentrum, die notwendigen Spritzen setzen lassen, das Visum-Formular ausfüllen und den Pass nach Berlin zur Botschaft Sierra Leones schicken. Schließlich bin ich der Meinung, dass es noch genügend andere Länder auf diesem Planeten gibt, über die ich etwas erfahren möchte. Wenn man darüber nichts erfährt, heißt das ja nicht, dass es dort nichts zu sehen gibt. Als der Pass nach ein paar Tagen mit der Visum-Nummer 47 bzw. 48 ohne Zusatz der Jahreszahl zurückkam, schwante mir schon, dass es wohl nicht so viele Menschen nach Sierra Leone zieht. Dieser Umstand steigerte in mir weiter die Neugierde auf dieses Land. Schließlich war ich in dieser Region 1999 das letzte Mal unterwegs gewesen und hatte damals schon gehofft, es mal irgendwann wieder nach Westafrika zu schaffen.

Der Vorort Aberdeen bei Freetown
Der Vorort Aberdeen bei Freetown

Der Landeanflug im Licht der untergehenden Sonne war eine schöne Einstimmung auf Afrika. Minutenlang schwebten wir über unberührten Mangrovensümpfen der Landebahn entgegen. Während an anderen Flughäfen die Umgebung hell beleuchtet ist, war es hier stockfinster und ein weiteres Flugzeug vor dem kleinen Terminal des Lungi International Airport war gar nicht auszumachen. Die Treppe wurde herangerollt – Fluggastbrücken wären hier die pure Dekadenz – und raus ging es in die afrikanische Schwüle.


Hatte ich mich im Oktober 2017 in Armenien noch darüber echauffiert, dass Geldautomaten grundsätzlich immer nur die höchsten Scheine ausspucken, galt dies zwar auch hier für die Geldwechsler, aber der höchste Geldschein (10.000 Leones) entspricht leider nur 1,25 € und somit erhielt ich für meine 100 € mehrere Geldbündel mit 10.000er und 5.000er Leones-Noten, schön verpackt in einem Briefumschlag, der sich aber aufgrund des Volumens der Geldscheine gar nicht schließen lassen konnte. Wie in einem Mafiafilm stopfte ich die Kohle in die Tasche und weiter ging es zur Gepäckausgabe. Die Passagiere wühlten auf dem Gepäckband alle Koffer und Taschen umher und so flog mein Rucksack vom Band – leider auf die Innenseite, so dass ich in einem Spagat bei laufendem Band versuchen musste, mir das gute Stück zu angeln. Unter großem Gelächter der umstehenden Leute gelang dies mir schließlich, und es ging hinaus aus dem kleinen Flughafen.

Der Anleger am Lungi-Airport
Der Anleger am Lungi-Airport

Wie an vielen Flughäfen der Welt standen dort Abholer und Geschäftemacher herum, aber wir wurden nicht belagert und mit „Taxi, Taxi“-Geschrei konfrontiert. Nein, es war tatsächlich möglich, zu fragen, wo Lamin sei, der uns abholen sollte. Dieser sei gerade unterwegs, wir sollten uns einfach dort hinten hinstellen und warten. Ein paar Sekunden später kam Lamin tatsächlich und organisierte unsere Weiterfahrt. Der Lungi Airport steht vielleicht ein wenig stellvertretend für das ganze Land Sierra Leone: Es ist nicht so einfach hier herum zu kommen, doch es funktioniert am Ende alles und es macht alles einen guten Eindruck auf uns. Konkret hieß dies hier, Lamin besorgte uns die Tickets für den Sea Coach Express – ein Wassertaxi, das uns über die riesige Tagrin Bucht direkt nach Freetown bringen sollte. Das Gepäck wurde in Jeeps geladen und auf einem separaten Boot in die Stadt gebracht. Wir durften uns jetzt zwischen „Orange“ und „Africell“ entscheiden, denn Roaming mit T-Online, Vodafone und Co. gibt es nicht. Gleichzeitig läuft in Afrika vieles über Telefon, so dass ein funktionsfähiges Handy unabdingbar ist.


Dann ging es schon ab in den Shuttle-Bus, der uns zum Anleger brachte. Im Wassertaxi lief dann zu meinem Erstaunen im Fernsehen Championsleague. Später merkte ich, dass eigentlich immer Fußball im Fernsehen gezeigt wurde, sogar das Pokalspiel von Mainz 05 gegen Stuttgart und das in Sierra Leone. Die Nullfünfer (hier Zerofivers) kannten alle Fußballinteressierten selbstverständlich, obwohl die Präferenz immer in Richtung Premier League ging und wenn dann Deutschland dann natürlich immer der FC Bayern, nun ja. Leider ist der Spielbetrieb im eigenen Land seit 2014 ausgesetzt, wegen der verheerenden Ebola-Epidemie. Rein theoretisch wäre es längst wieder möglich zu spielen, meinte später einer unserer Fahrer, aber die Verbandspräsidentin und die sie umgebende Männerriege haben es bisher nicht hinbekommen. So bleibt den Fußballbegeisterten in Sierra Leone nur der Kick am Strand, der sonntags insbesondere an den Stränden von Freetown mit Begeisterung zelebriert wird.

Das Wassertaxi zwischen Lungi Airport und Aberdeen Bridge
Das Wassertaxi zwischen Lungi Airport und Aberdeen Bridge

Am Fähranleger stand schon unser Gepäck bereit und weiter ging es mit einem Taxi-Jeep ins Hotel. Für die 2,5 km lange Fahrt wurden umgerechnet 9 € fällig – hätten wir das im Voraus online gebucht, wären uns sogar 20 US$ oder über das Hotel 37 US$ berechnet worden. So bekamen wir schon eine Vorahnung, dass erstens diese Reise nicht gerade günstig werden würde und es einfach meist totaler Quatsch ist, jede Dienstleistung vorab zu buchen. Wie in jedem Reiseführer über die Tropen empfohlen, hielten wir uns tatsächlich mal dran, am nächsten Tag nichts großes zu machen, außer meiner „Lieblingsbeschäftigung“ für die nächsten Wochen nachzugehen: Dem Geld besorgen! Wir waren mit recht viel Bargeld ausgestattet, weil wir das Liquiditätsproblem bereits bei der Reisevorbereitung mitbekamen, aber dass es tatsächlich einem Glücksspiel glich, im Geldautomaten den Jackpot zu knacken und mal 30 oder 40 Scheine zu erhalten (was dann ca. 35 bis 45 € entsprach), das überraschte mich dann doch. Im Umfeld des Hotels gab es insgesamt 3 Geldautomaten und bei insgesamt ca. 20 Versuchen, gelang es uns tatsächlich zweimal Geld abzuheben! Mit der Kreditkarte zu bezahlen war außerhalb von Freetown auch nicht möglich, so dass dieser Trip auch buchhalterisch echt spannend werden würde.


Saidhu unser Fahrer des riesigen Nissan Patrol, wartete am nächsten Tag schon eine Stunde vor der mit seinem Boss vereinbarten Abfahrtszeit vor dem Hotel auf uns. Dafür hielt es sein Chef für nicht notwendig, Saidhu zu erzählen, dass wir die nächsten vier Tage „upcountry“ vorhatten zu fahren, und nicht abends wieder in Freetown zurück sein wollten. Unser Ziel, das Naturreservat Tiwai Island, kannte Saidhu auch nur vom Hörensagen. Mein Optimismus, leicht und locker die 350 km innerhalb von 4 bis 5 Stunden zurückzulegen verflüchtigte sich dementsprechend ganz schnell. Natürlich war es vollkommen ok, dass wir als Erstes zu Saidhu nach Hause fahren, damit dieser sich ein paar Klamotten holen konnte, bevor es auf die große Reise ging. Anscheinend wollte er auch noch ein paar Worte mit seinem Chef wechseln, denn als nächstes fuhren wir zu Cerra Automotive – unserem „Vermieter“. Mietwagen im klassischen Sinne gibt es in Sierra Leone noch nicht. Es werden ausschließlich große Geländewagen mit Fahrer feil geboten. Angeblich würden die Einheimischen so chaotisch fahren, dass es Ausländern nicht zugemutet werden kann, selbst zu fahren. Darüber kann man geteilter Meinung sein, denn hier wurde nicht anders gefahren als auf Mauritius, Indonesien oder in Argentinien – Ländern, in denen ich selbst schon hinterm Steuer saß. Aber natürlich generiert diese Vorgabe Jobs und mit Saidhu unterwegs zu sein, war sehr angenehm. Zwar war irgendwie nicht wirklich abgeklärt, wer für die Übernachtung des Fahrers und seine Verpflegung aufkommen sollte, da es zunächst hieß, wir sollten das übernehmen, später hieß es dann, die Mietwagenfirma übernimmt das. Diese Ungewissheit zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Reise in Sierra Leone – man wusste nicht immer über alles Bescheid. Wir gewöhnten uns notgedrungen an diese ständig neuen Situationen, in denen wir nicht wussten, wie es jetzt weitergeht. Daher sei einem Reisenden, mit Hang zum Kontrollwahn, eine Reise nach Sierra Leone vielleicht nicht unbedingt zu empfehlen.

Der Start der unbefestigten Straße nach Mapuma
Der Start der unbefestigten Straße nach Mapuma

Schließlich ging es dann endlich raus aus Freetown – auf gut ausgebauter Straße! Schon im Flugzeug sind mir die vielen asiatisch aussehenden Passagiere aufgefallen. Und Saidhu erklärte auf meine Frage, wer diese gute Straße gebaut hat, dass die Chinesen das ganze Land mit guten Straßen überziehen. Später bekamen wir diese Baumaßnahmen dann hautnah mit: In hellblauer Arbeitskleidung und einem überdimensionierten Sonnenhut gaben die Chinesen auf der Baustelle die Anweisungen, die von den Sierra-leonischen Arbeitern umsetzt wurden. Später wurden wir wieder überrascht: die Straßen konnten nicht umsonst genutzt werden. Die fällige Straßenbenutzungsgebühr wurde an drei Mautstationen im Abstand von 20 km eingezogen – mit modernster Technik: Kameras scannten das Nummernschild und wir erhielten ein Quittung – wie überall in Sierra Leone! Und auf dieser war sogar die Mehrwertsteuer ausgewiesen! Schon vor der Landung hatte mich Sierra Leone überrascht. Diese dämlichen Einreisekarten mussten wir nicht ausfüllen. Und am Einreiseschalter wurde ein Bild von uns gemacht, Fingerabdrücke genommen und die Fragen, die wir sonst auf den Einreisekarten zu beantworten hatten, wurden direkt in den Computer eingetippt. Ich bin zwar kein Freund von Datensammlungen aber was die Technik angeht, können sich da ein paar Länder eine Scheibe von Sierra Leone abschneiden.


Die 250 km nach Bo, in die zweitgrößte Stadt des Landes, verlief komplett ereignislos. Allerdings war es herrlich, durch Palmenhaine und Grasland zu cruisen, kaum menschliche Behausungen zu passieren und auch auf wenig Verkehr zu stoßen. Das erinnerte mich alles ein wenig an die Reise von Buenos Aires nach Iguazu durch den Norden Argentiniens vor ein paar Jahren. In Asien ist es leider kaum noch möglich, durch menschenleere Gebiete ohne Dauersmog zu reisen. In Bo angekommen, ging ich wieder meiner Lieblingsbeschäftigung nach, dem Geld Besorgen: Dieses mal beim Libanesen im Tante Emma Laden! Die Libanesen sind in Sierra Leone und weiten Teilen Westafrikas für den Handel zuständig. Und dazu gehört auch Geld tauschen…unter der Ladentheke – und das zu einem sagenhaft guten Kurs! Geldautomaten gab es in Bo natürlich aber nicht.

Überfahrt über den Moa-Fluss
Überfahrt über den Moa-Fluss

Im besten Hotel am Platz, das uns mit Müh‘ und Not Falafel machen konnte, erkundigte sich Saidhu nach der besten Route nach Tiwai Island. Ihm wurde die Strecke empfohlen, die auch unser Navi suggerierte, während der Lonely Planet, eine andere Strecke empfahl – allerdings für Leute, die mit Bus und Motorradtaxi unterwegs waren. Tiwai Island ist, wie es der Name schon sagt, eine Insel, abgeschieden gelegen im Süd-Osten Sierra Leones, kurz vor der Grenze zu Liberia. Abhängig von der gewählten Route, kommt man also westlich oder östlich der Insel an. Dass dieser Umstand noch sehr entscheidend für die spätere Abendgestaltung werden würde, hatten wir in Bo noch nicht auf dem Schirm. Zunächst waren wir wieder positiv überrascht, dass sich auch die Straße ins 70 km entfernte Kenema in einwandfreiem Zustand befand. Doch die letzten 47 km hatten es dann in sich.


Ich zweifelte schon daran, warum in Sierra Leone eigentlich alle Organisationen mit solch monströsen Geländewagen unterwegs waren, aber die Strecke bis Mapuma belehrte mich, dass hier doch alles Sinn und Zweck hat, zumal wir in der Trockenzeit unterwegs waren. Unbefestigte Straßen sind, wenn es nicht geregnet hat, im optimalen Zustand fast so angenehm zu befahren, wie Teerstraßen. Wenn die Regenzeit aber erst wenige Wochen zurückliegt und in Sierra Leone glücklicherweise, die Regenzeit ihrem Namen noch alle Ehre macht, dann bekommt man einen Eindruck, wie die Buckelpiste nach Mapuma erst im nassen Zustand nahezu als unpassierbar daher kommt. Für diese Marathondistanz haben wir dann praktisch genauso lange gebraucht, wie die afrikanischen Dauerläufer, etwas über 2 Stunden! Im Licht der untergehenden Sonne erreichten wir Mapuma und im Dorf wusste gleich jemand Bescheid, was Tiwai Island sei – das war die Kilometer davor nicht der Fall. Saidhu wollte sich anfangs mehr oder weniger in jedem Dorf vergewissern, auf der richtigen Route unterwegs zu sein und weniger auf das Navi vertrauen. Da die Kenntnisse der Passanten aber doch recht dürftig ausfielen, verließ er sich dann doch mit zunehmender Entfernung von der Teerstraße auf das Navi, was sich tatsächlich mal im afrikanischen Busch bewährte.

Kurz vor Sonneuntergang scheint das Ziel erreicht
Kurz vor Sonneuntergang scheint das Ziel erreicht

Ruck zuck standen zwei kräftige Männer bereit, die letzten paar Hundert Meter mit uns bis zum Fluss im Auto zurückzulegen. Unsere Rucksäcke wurden auf zwei Einbäume getragen und mit Saidhu machten wir eine Abholzeit aus, zu der er wieder in Mapuma vorbeischauen sollte – schließlich benötigten wir ihn die nächsten 3 Tage nicht und da seine Mutter in Kenema lebte, schlugen wir ihm vor, doch einfach mit dem Auto dorthin zu fahren, wenn er Lust auf Familienbesuch hätte. Wir stiegen in die Boote und ließen uns von den Jungs in den Sonnenuntergang paddeln. Dass diese Macheten dabei hatten, fiel mir erst auf, als sie unsere Rucksäcke schulterten und auf den Trampelpfad in den Dschungel einbogen. Mit Taschenlampen bewaffnet ging es über Stock und Stein an Lianen vorbei in die Dunkelheit. Ich wollte partout die Frage vermeiden, wie weit es eigentlich bis zum Visitors Centre sei, doch nach einer halben Stunde des Nachtwanderns überkamen mich dann doch erste Zweifel. Wir liefen gerade durch die finstere Nacht mitten in Westafrika, vor uns und hinter uns zwei kräftige junge Männer in Gummistiefeln mit Macheten „bewaffnet“. Plötzlich stoppten die beiden…es galt nur einen kleinen Flusslauf zu queren. Dafür wurden wir beide Huckepack genommen – damit wir keine nassen Füße bekamen.


Nach rund einer Stunde, kamen wir auf einer Lichtung an und sahen im Dunkel zwei Gebäude: die Research Station! Hier übernachteten zu anderen Zeiten mal Wissenschaftler, um die Besonderheiten von Tiwai Island zu erforschen: Zwerg-Flusspferde und insgesamt elf Primaten-Arten! Es gibt wenige Flecken auf unserer Erde, die durch so einen Artenreichtum an Affen bestechen, wie Tiwai Island. Dass wir jetzt in stockfinsterer Nacht vor den verschlossenen Gebäuden standen beunruhigte mich jetzt doch ein wenig, aber ich wusste, dass es noch ein paar Hundert Meter zum Visitors Center sind. Und irgendwann würde man sicherlich den ersten Lichtschein des Visitors Centers entdecken. Nach weiteren 15 Minuten die nächste Lichtung. „This is the Visistors Center!“ sprach einer unserer beiden Begleiter aus. „Was, hier ist doch keine Sau!“ dachte ich mir und sprach es wohl auch so aus. Diese Verzweiflung musste doch irgendwie raus. Wo sind eigentlich die ganzen Leute, die auf der Webseite so nett mir entgegen blickten und die wussten, dass wir heute hier ankommen sollten?

Überfahrt im Einbaum
Überfahrt im Einbaum

Unsere Begleiter bliesen natürlich alles andere als Trübsal und schalteten das Licht an. Eine große Schutzhütte mit Tisch und Stühlen kam zum Vorschein. Dann sprang schon einer der beiden in Richtung Büsche und knipste eine weiter Lampe an: Die Häuschen mit Klo und Dusche, schön getrennt nach Weiblein und Männlein! Im Lichtschein konnten wir nun auch weitere Gebäude erkennen und mehrere Unterstände, in denen Zelte aufgebaut waren. Einer unserer Begleiter sprintete direkt weiter. Er sollte die Leute aus dem Dorf Kambama holen, das westlich von Tiwai Island liegt. Jetzt ging mir endlich auch ein Licht auf. Hier wird tatsächlich nur das Touriprogramm hochgefahren, wenn es Touris gibt. Macht ja auch Sinn! Nur dass wir donnerstags abends in der Hauptsaison die einzigen Gäste sind, hatten wir nicht bedacht. Und dass man normalerweise in Kambama und nicht in Mapuma ankommt, wenn man hierher möchte, und dann die Einheimischen automatisch wissen, dass Gäste kommen, ist auch einleuchtend.


Wir duschten und machten es uns gemütlich, soweit das eben auf Plastikstühlen bei 30° C in den Tropen geht. Nach einer weiteren Stunde hörten wir plötzlich Stimmen und insgesamt kamen 11 Dorfbewohner an, um uns zu versorgen. Sie entschuldigten sich zunächst, dass ihnen leider niemand Bescheid gegeben hatte – die Reservierung ist wohl in Freetown hängen geblieben. Uns wurde ein Zelt zugewiesen, nachdem dieses nochmal so richtig mit Mückenschutz voll gesprüht wurde. Auf unsere Frage hin, ob wir noch etwas zu essen bekommen könnten und möglichst vegetarisch, wurde uns tatsächlich noch Spaghetti mit Tomatensoße kredenzt. Und für 7 Uhr am nächsten Tag vereinbart, einen Waldspaziergang zu machen! Was für ein Tag!

Das Visitors Center von Tiwai Island bei Tag
Das Visitors Center von Tiwai Island bei Tag

Nach einer sehr angenehmen Nacht mit allerlei unbekannten Naturgeräuschen, stand morgens um 7 tatsächlich unser Guide am Visitors Center. Nach einem obligatorischen Kaffee ging es auf die Pirsch, um einige der elf Primatenarten in den Baumwipfeln von Tiwai Island zu entdecken. Die Umgebung des Visitors Centers wurde mit schachbrettartigen Pfaden angelegt, die es den Besuchern möglich machten, im Dickicht des Dschungels einigermaßen voranzukommen, um bspw. die Red Colubus Gruppe im ersten Licht der Sonne zu beobachten. In Kopfhöhe beeindruckten riesige Spinnen mit ihren Netzen und der Spaziergang war die reinste Erholung. Danach gab es im Visitors Center Pfannkuchen. Für Nachmittags wurde eine Fahrt auf dem Fluss vereinbart und die meisten Dorfbewohner verließen das Visitors Center wieder, bis auf einen alten Herrn, der an der langsam abkühlenden Feuerstelle verharrte. Gegen Mittag stellten wir uns die Frage, wann es eigentlich Mittagessen gäbe. Der alte Mann konnte nur sehr wenig Englisch und es war irgendwie überhaupt nicht aus ihm herauszubekommen, ob, wann und was es gäbe. So gegen halb zwei hatten wir unser Mahl schon aufgegeben, als plötzlich Stimmen zu hören waren und unser Mittagessen in Töpfen gebracht wurde. Es gab Vollkornreis mit herrlich scharfer Gemüsesoße: veganes Sierra-leonisches Homecooking! Wir waren wieder mit der Welt versöhnt.

Leckeres veganes sierra-leonisches Homecooking
Leckeres veganes sierra-leonisches Homecooking

Nachmittags ging es dann den Fluss aufwärts mit dem Ruderboot. Die herrlichen Naturgeräusche wurden plötzlich von Bässen und elektronischer Musik übertrumpft. Ein Dorffest stand in Kambama an. Ob wir sie begleiten wollten, fragte uns schon der Bootsführer. Die Musik war alles andere als Getrommel, was wir im allgemeinen unter afrikanischer Musik verstanden. Die Mucke war so la la – aber uns musste sie ja auch gar nicht gefallen. Allerdings hatten wir schon ein wenig Angst vor der kommenden Nacht. Denn die Lautsprecher taten ihr Bestes, um die gesamte Gegend in ohrenbetäubender Lautstärke zu beschallen. Wir haben ja mit ziemlich viel gerechnet, aber dass uns mitten in der Pampa Westafrikas womöglich der Schlaf aufgrund von Bässen geraubt werden würde, war dann doch eine skurrile Vorstellung. Doch damit nicht genug. Nachdem uns gegen halb sieben das wieder leckere Essen kredenzt wurde, verabschiedeten sich auch die letzten Dorfbewohner inklusive des älteren Herren, der den ganzen Tag hier ausgeharrt hatte. Sie würden später nach dem Fest wieder kommen, wurde uns noch mitgeteilt und ruck zuck war es mucksmäuschenstill. Wir waren von der Situation dermaßen überrumpelt, dass wir nur kurz Bye Bye sagen konnten und das Essen zunächst genossen. Mit der Zeit fing dann bei uns doch das Kopfkino an, seinen Film abzuspulen. Wir befanden uns alleine auf einer Insel in Sierra Leone, ohne Boot, ohne Brücke sprich ohne physische Verbindung zur Außenwelt. Auch das Mobiltelefon funktionierte hier nicht, trotz Africell-SIM-Karte. Folglich kamen wir hier ohne fremde Hilfe nicht mehr weg. Doch es galt ja jetzt fürs Erste die kommende Nacht zu überstehen…

Nepal 2013 letzter Teil

Namaste,

eigentlich bin ich auch davon ausgegangen, dass Indien und Nepal mehr oder weniger „gleiche Länder“ seien. Schließlich bewegt man sich im selben Kulturkreis, der von Hinduismus und Buddhismus geprägt wird, denn auch in Indien gibt es viele buddhistische Heiligtümer. Aber irgendwie hatte ich in Nepal immer das Gefühl, dass sich dieses kleine Volk bewusst von seinen beiden einzigen Nachbarn Tibet, sprich China und Indien abgrenzen möchte. OK, die Nepalesen waren dann doch nicht so krass drauf, wie die Burmesen, die nach dem Ende der englischen Besatzung mal schnell den Rechtsverkehr eingeführt haben, obwohl praktisch alle Nachbarn den Linksverkehr beibehielten. Nein in Nepal fährt man links, obwohl das Land nie unter einer Kolonialverwaltung der Engländer oder sonst einer Macht stand. Hier ist man erfinderischer und führt einfach mal seine eigene Zeitzone ein. Damit gibt es beim Grenzübertritt zwischen Indien und Nepal den kürzesten Jetlag weltweit: 15 Minuten!!! Auch Indien hat schon eine Zwischenzeitzone von 4:30 Stunden im Vergleich zur Mitteleuropäischen Zeit. Nach Nepal beträgt die Zeitverschiebung dann halt 4:45 Stunden. Was das bringen soll weiß ich nicht, aber im Binnenland Nepal befindet man sich so auf einer „Insel“ mit eigener Zeit. Und ja, die Uhren ticken in Nepal wirklich anders, wenn man bedenkt, dass hier auch noch spezieller Kalender namens „Vikram Sambat“ genutzt wird und ich Euch aus dem Jahr 2070 schreibe! Schließlich errang König Bikramaditya Samvat 57 v. Chr. einen entscheidenden Sieg über den König von Ujjayini und etablierte seine Herrschaft. Grund genug, da mal mit der Zeitrechnung anzufangen.

Stupa in Boudhanath
Stupa in Boudhanath

Daher gibt es in Nepal sehr bizarre Kalender, da die Monate, die an die Mondphasen angelehnt sind, im Vergleich zu unserem Kalender meist in der Mitte unserer Monate beginnen. Möchte man nun beide Kalender abbilden und rechnet im „Vikram Sambat“, dann lauten die Kalenderblätter im englischen Untertitel immer „September/October“, „October/November“ etc. Man braucht da eine Weile, bis man das aktuelle Datum im Kalender findet, zumal die Zahlen in „Devanagari“ geschrieben werden. Diese Kringelziffern finden sich auch manchmal auf Geschwindigkeitsbeschränkungen. Aber zum Glück ist Ausländern das Autofahren offiziell eh nicht gestattet. Um nun aus dem nepaleischen Flachland in die Berge zu gelangen, setzten wir unsere Fahrt nun erstmals mit Bussen fort, statt weiter Zementfabriken im Rahmen einer Taxi-Fahrt zu erkunden.

Glücklicherweise gibt es in Nepal auf den von Backpackern frequentierten Strecken Touristenbusse. Das sind keine Luxusliner sondern auch nur die gewöhnlichen indischen TATA-Exemplare, aber mit Klimaanlage und das heißt in Nepal sehr viel. Nein, es war nicht sonderlich heiß, aber Aircon bedeutet einfach, dass man seine Luftzufuhr nicht über offene Fenster regeln muss und das ist das A und O, was man hier bei einer Überlandfahrt bedenken muss. Denn es gibt wenige Länder auf der Welt, die ein größeres Abgasproblem haben als dieser Bergstaat Hier würde man sich wohl fast den Gestank von Zwei-Taktern à la Trabbi wünschen, denn was hier an schwarzem Ruß und Dreck aus den Auspuffen herausgeschleudert wird, ist einfach unvorstellbar. Das liegt natürlich auch an den Bergstraßen, auf denen viele Gefährte verrecken; aber auch an den altertümlichen Fahrzeugen, die hier noch immer auf der Gasse ihr Unwesen treiben. So waren wir froh mit dem Touri-Bus die Hauptstraße nach Kathmandu zu befahren. Anfangs war diese sogar in recht gutem Zustand, was sich allerdings auf dem Weg in die Hauptstadt mit zunehmender Höhe ruckzuck änderte. Normalerweise sind ja die Straßen im Umkreis einer Hauptstadt exzellent und mit zunehmender Entfernung verwandeln sich diese in Feldwege, hier ist es genau umgekehrt. Dies ist womöglich dem Umstand geschuldet, dass es von nahezu 0 Metern immerhin auf knapp 1.400 Meter geht und das Wetter gerade im Himalaya mittlerweile solch starke Eskapaden treibt, dass sogar die Startbahn am Flughafen Kathmandu in Mitleidenschaft gezogen wurde und man Airlines zwingen wollte statt Großraumfliegern kleines Fluggerät einzusetzen. Es fehlten eigentlich permanent Teile der Straße, so dass sich die Breite der Fahrbahn ständig änderte. Aber wenigstens fahren Nepalesen relativ anständig und lassen auch mal schnellere Genossen an einem vorbeiziehen. Über einen kleinen Pass kurz vor der Hauptstadt ging es dann ein paar Meter hinunter in das Kathmandu-Tal und in eine Dunstglocke aus Staub und Gestank.

Morgenstimmung in Chisapani

Morgenstimmung in Chisapani

Nein, das Zeit verbringen in der Innenstadt Kathmandu war nicht besonders toll und wir waren froh, dass wir uns bereits vor der Reise darauf festgelegt hatten, am Boudhanath-Stupa ein Hotel zu nehmen. In diesem Teil Kathamdus steht ein riesiges buddhistisches Pilger-Bauwerk und drum herum reihen sich alte Häuser und schirmen diese Oase relativer Ruhe gegen den Verkehrslärm der Hauptstadt ab, denn hier herrscht autofreie Zone. Somit fanden wir hier einen Platz zum Atmen und Entspannen. Morgens kurz vor Sonnenaufgang herrschte um den Stupa herum bereits ein reges Treiben. Hunderte Betende und Meditierende bevölkerten den Platz, aber es herrschte eine angenehme Ruhe, die höchstens einmal durch das Flattern der unzähligen Tauben oder durch das Gemurmel der Pilger unterbrochen wurde. Wir hatten auf dem Hoteldach fast eine Sicht aus der Vogelperspektive und wir versöhnten uns dann doch ein wenig mit dem dieser Stadt. Später zog es uns sogar aus diesem Paradies guter Luft hinaus, um einen Spaziergang von Weltkulturerbe zu Weltkulturerbe zu unternehmen. Schließlich haben nicht nur Buddhisten eines ihrer Pilgerzentren hier in Kathmandu sondern auch die Hindus. In einer halben Stunde Fußmarsch eine kleine zum Glück kaum befahrene Straße hinab standen wir schon am Tempelbezirk von Pashupatinath. Aber das hektische Treiben schreckte uns dann doch etwas ab, so dass wir recht schnell wieder den Rückzug zu den Buddhisten antraten, um noch ein wenig zu entspannen.

Schließlich holten uns am nächsten Tag Suda und Robbie ab, um endlich die Bergwelt Nepals kennenzulernen. Den 28-jährigen Bergführer und den 22-jährigen Träger haben wir bereits in Deutschland über eine Agentur vor Ort vermittelt bekommen. Glücklicherweise ist das Trekking in Nepal ja bereits seit Jahrzehnten en vogue, so dass es entsprechende Organisationen wie „KEEP“ (Kathmandu Environmental Edjucation Project) gibt. Diese NGO listet Trekkingbüros auf, die gewisse Sozialstandards wie eine Krankenversicherung für Führer und Träger garantieren. Nach ein paar Klicks landeten wir dann auf der Webseite einer Agentur in Kathmandu, für die die beiden Jungs arbeiten. So war unsere Mehrtageswanderung recht schnell organisiert. Anders als im indischen Ladakh wo wir zwei Jahre zuvor mit Pferden und Maultieren sowie Zelt und Kocher unterwegs waren, wird in vielen Teilen Nepals das „Teahouse-Trekking“ angeboten, sprich man übernachtet in einfachen Tee- bzw. Gasthäusern. Viele Treks, gerade im Großraum Kathmandu, sind sicherlich auch ohne Führer und Träger zu meistern, aber darauf kommt es uns letzten Endes gar nicht an. Schließlich möchten wir, dass von unserem Besuch in einem Land auch direkt Einheimische profitieren. Daher nehmen wir das Angebot dankend an, von Nepalesen durch ihre Heimat geführt zu werden. Und dass man nur mit Tagesgepäck durch die Gegend läuft, macht die Sache natürlich auch deutlich angenehmer.

Hirse-Terrassen in der Helambu-Region
Hirse-Terrassen in der Helambu-Region

Allerdings hatte ich beim schmächtig drahtigen Robbie anfangs schon Bedenken, dass dieser den Rucksack tatsächlich schultern kann – dieser war fast genauso groß, wie er selbst. Anders als am Kilimanjaro tragen hier die Träger die Rucksäcke nicht auf dem Kopf. Er versuchte es anfangs sogar mit dem Tragesystem, was aber nur leidlich funktionierte. So wurde noch schnell im Ausgangsort der Tour ein Seil mit Polsterung gekauft und um den Rucksack herum gespannt. Danach legte Robbie dieses wie ein Stirnband um seinen Kopf und hievte den Rucksack auf den Rücken. Diese Methode funktionierte und wir setzten uns in Marsch. Der große Vorteil von Trekkingtouren in Nepal ist die Tatsache, dass diese auf einer für uns Flachland-Menschen geeigneten Höhe starten. In 1.400 Metern Höhe, also etwa Feldberg-Level, hat der Körper keine Höhenprobleme, anders als in Ladakh, wo bereits die Hauptstadt Leh auf 3.600 Metern liegt. Ziel unserer Tour war die Helambu-Region nördlich von Kathmandu in Richtung tibetischer Grenze.

Wir machten eine Halbrund-Tour, in dem wir einen riesigen Talkessel in mehreren Tagen hoch und wieder herunter wanderten. Obwohl Hauptreisezeit war, trafen wir in den folgenden Tagen auf extrem wenige Wanderer. Die meisten Trekker in Nepal zieht es anscheinend in die Everest- oder Anapurna-Region. Nun muss das natürlich jeder für sich entscheiden, aber ich ziehe es vor, auf Wegen unterwegs zu sein, wo man die Ruhe der Natur noch wunderbar genießen kann, ohne ständig auf Sprachfetzen aus Deutsch, Englisch, Spanisch oder Französisch zu treffen. Dafür läuft man in der Helambu-Region natürlich nicht direkt unterhalb einer Felswand eines Achttausenders entlang.Trotzdem bietet diese Region Nepals auch wunderbare Ausblicke auf die Siebentausender-Kette der Langtang-Region.

Die Langtang-Kette bildet die Grenze zu Tibet
Die Langtang-Kette bildet die Grenze zu Tibet

Die Tage in den Bergen verliefen immer nach dem gleichen entspannten Schema. Vor Sonnenaufgang aufstehen, möglichst im Teehaus bereits einen ersten heißen Tee oder Nescafé schlürfen und dann das immer gleiche wunderbare Naturschauspiel des Sonnenaufgangs genießen. Meist saßen wir oberhalb der Wolkendecke und kamen uns wirklich wie auf dem Dach der Welt vor. Das Frühstück hatten wir bereits am Abend vorher glücklicherweise bestellen können, denn eines braucht in Nepal immer Zeit – die Zubereitung von Speisen! Gut, morgens den Porridge oder das angebotene Müsli zusammenzustellen war nicht so der große Akt, aber das leckere tibetische Fladenbrot, das wir zusätzlich bestellten war natürlich nicht in ein, zwei Minuten fabriziert. Nach dem Frühstück hieß es dann den Tagesrucksack schultern und Robbie zu beladen. Danach zogen wir weiter in die Berge hinein, bis zum Stopp in der Mittagszeit an einem netten Gasthaus in einem kleinen Bergdorf. Dort orderten wir ab dem zweiten Tag immer das Gleiche, denn das Gleiche ist in Nepal trotzdem nie gleich. „Daal Bhat“ ist die Nationalspeise Nepals und immer irgendwo aufzutreiben. „Daal“ kennen Indien-Reisende zur Genüge, handelt es sich doch um die omnipräsente Linsensuppe, die allerdings in Indien eher an einen Eintopf erinnert. Das Süppchen in Nepal wird immer in einer Schale zum Rest des Gerichts gereicht. Reis ist das Rückgrat jedes „Daal Bhats“ und dazu gibt es dann weitere kleine Gemüsespeisen oder Fleischeinlagen. Da das Gemüse jedes Mal variierte und jede Köchen den „Daal“ immer anders zubereitete, wurde das Speisen niemals eintönig. Aber man musste immer und überall außerhalb von Kathmandu und dem Tiefland Nepals Zeit mit ins Restaurant bringen.

Auch in Mainz waren wir einmal beim Nepalesen zum Essen gewesen und nach rund 90 Minuten standen dann auch die Speisen auf dem Tisch. Damals wie heute hatten wir Zeit – nur in Mainz konnten wir die anderen Gäste beim Starren auf die Uhr beobachten und dieses Restaurant hielt sich tatsächlich auch nicht lange in unserer Stadt. In Nepal scheint das hingegen ganz normal zu sein, auf sein Essen stundenlang zu warten. Später bestellten wir einfach bereits am späten Vor- oder Nachmittag die Speisen für Mittag- und Abendessen. Auf dem Trek war das Warten bei herrlicher Bergsicht sowieso nicht unangenehm und so verbrachten wir eine schöne Zeit beim Wandern, Warten und Essen in den Bergen. Meist am frühen Nachmittag erreichten wir bereits unser Nachtlager. Das hatte den Vorteil sich noch bei Tageslicht duschen bzw. waschen zu können. Eine richtige Dusche bzw. heißes Wasser aus der Leitung gab es nicht immer, aber ein Eimer heißes Wasser wurde bis auf die höchstgelegene Übernachtungsstelle auf 3.500 Metern immer angeboten. Strom war hingegen so eine Sache. Solarzellen waren hier nicht unbekannt, der Strom wurde aber fast ausschließlich für elektrisches Licht genutzt – Steckdosen gab es nicht und auch oft noch nicht einmal ein Lichtschalter. Auf meine Frage, wie wir denn das Licht ein- und ausschalten sollten, wurde uns gezeigt, wie man halt die beiden Drähte miteinander verbindet (Licht an) oder halt wieder auseinanderwurschtelt (Licht aus). Praktisch oder?

Bustransport in Nepal
Bustransport in Nepal

Nach fünf Tagen in den Bergen und einem Zwischenstopp in Kathmandu ohne sonderlich groß Luft zu holen, verbrachten wir noch ein paar erholsame Tage in Nagarkot, einem kleinen Dörfchen oberhalb der nepalesischen Hauptstadt. Auf der Webseite unserer Hotels fanden wir eine sehr bizarre Telefonnummer, die mit 06131 anfing sowie der deutschen Ländervorwahl. Beim Eintreffen im Hotel hatten wir diese Mainzer Telefonnummer aber schon wieder vergessen. Erst als wir das Passwort für das WLAN des Hotels vom Hotelpersonal mitgeteilt bekamen und das den Namen „Mainz“ enthielt, fiel uns die Telefonnummer wieder ein. Das „Eco Home“ in Nagarkot ist ein Gemeinschaftsprojekt von Nepalesen und dem Mainzer Verein „Helfende Hände für Nepal“. Der Nepalesische Inhaber war auch bereits vier Mal in Mainz gewesen – auf Einladung des Vereins. Es war schon lustig, von einem Nepalesen die Eindrücke, die er in meiner Heimatstadt gewonnen hat, erzählt zu bekommen. Vom Moselwein und vom Marktfrühstück wurde da geschwärmt – vielleicht sollte man ihm mal einen guten Rheinhessen-Wein kredenzen, denn Moselwein in Mainz zu trinken ist ja dann doch etwas Fehl am Platz. Aber das markanteste Ding für ihn, das uns vielleicht so selbstverständlich ist, war die Sauberkeit von Deutschland. Und das für ihn eindrucksvollste Gerät war die Kehrmaschine. Am Ende erklärte er im Scherz noch, dass er den Leuten hier in Nepal allerdings nie erzählen dürfe, was es kostet eine öffentlich Toilette an einer Autobahnraststätte zu benutzen! Mit diesen 70 Cent muss in Nepal ein Mensch den ganzen Tag lang auskommen!


Bergpanorama in Nagarkot
Bergpanorama in Nagarkot

Nach solchen Gesprächen und mit solchen Eindrücken kommt man dann mit dem Gefühl nach Deutschland zurück in einer Art Schlaraffenland zu leben. Natürlich ist bei uns auch nicht alles super, aber manche unserer Alltagsprobleme relativieren sich nach dem Aufenthalt am Dach der Welt doch erheblich.

Indien 2011 letzter Teil

Julee,

aller Anfang ist schwer lautet ein bekanntes Sprichwort, das natuerlich fuer uns auf dieser Reise besonders galt. Denn selbst nach dem Trek auf fast 4.900 m Höhe hatten wir im Anschluss daran in Leh auf 3.600 Metern noch so manches Kopfweh und so manche Kurzatmigkeit auszuhalten – und das nach 10 Tagen Akklimatisierung!

Mit dem Jeep im Hochland von Changtang unterwegs
Mit dem Jeep im Hochland von Changtang unterwegs

Aber vielmehr gilt dieses Sprichwort fuer unseren 3-taegigen Jeep-Trip in das Hochland von Changtang, einer grenzuebergreifenden Region von Ost-Ladakh bis ins tiefste Tibet hinein: Nassir unser Fahrer wendete schon mal vor unserer Pension, in der wir in Leh uebernachteten, waehrend wir unseren Kram anschleppten. Dummerweise uebersah er das riesige Loch in der Strassendecke und ein ums andere Mal brachte auch der Vierradantrieb nichts mehr, wenn ein Rad in der Luft ueber dem Loch haengt. Hm, nun ja, ich hatte jetzt zwar kein ungutes Gefuehl was seine Fahrweise anbetrifft, aber so konnte ich wenigstens mal schauen, ob die Jungs in diesem Teil der Erde immer noch so kreativ bei Pannen sind, wie ich es spaetestens seit unserer Afrika-Durchquerung 1995 in Malawi erlebte, als ein verkohlter Motor mit dem Luftdruck des Ersatzreifens „gekaerchert“ wurde. Und in der Tat wurde ich nicht enttaeuscht: Mit dem Wagenheber bockten sie die Karre hoch, Steine wurden unter das freie Rad bugsiert und nach einer Viertelstunde sass der Wagen wieder auf allen Vieren.

Jetzt setzte sich eine Multi-Religions-Karawane in Bewegung: Nassir der Fahrer (Muslim), Jigmet unser Fuehrer, der mit uns bereits durch Ladakh gelaufen war (Buddhist), Sangea Shera unser Koch aus Nepal (entweder Buddhist oder Hindu) sowie wir die Touri-Christen. In Ladakh kann man die Glaubensrichtung des Fahrers uebrigens immer rasch erkennen: An einem Choerten (einem buddhistischen Heiligtum) auf der Strasse duest der Muslim einfach vorbei, der Buddhist umrundet diese hingegen im Uhrzeigersinn mit seinem Gefaehrt. Deswegen gibt es in Ladakh optionale Kreisverkehre, die sich natuerlich auch fuer Franzosen eignen, die auf Kreisverkehrentzug sind…

Fahrt durch das Tal des Indus
Fahrt durch das Tal des Indus

Mit unserem Jeep-Trupp ging es von Leh aus den Indus in sueostlicher Richtung flussaufwaerts. Da das Hochland von Changtang an Tibet grenzt, brauchten wir fuer diese Region ein so genanntes „Innerline Permit“, das uns die Juns von Dreamladakh (http://www.dreamladakh.com/) genauso arrangierten, wie die wunderbare Crew fuer das Trekking oder fuer diesen Jeep-Trip. Ein erster Kontrollpunkt an der Abzweigung der Hauptstrasse, die weiter ueber Manali nach Delhi fuehrt, war relativ schnell passiert. Wir mussten nur kurz unsere Paesse zeigen. Diese wurden mit dem Wisch Papier verglichen, den Nassir in 4-facher Ausfertigung als Kopie mit dabei hatte, und auf dem unsere Namen sowie Passnummern notiert waren, mit einem Stempel irgendeiner indischen Behoerde drauf, die uns autorisierte, diese Gegend zu bereisen.

Auf dem ersten Teil der Strecke passierten wir mehr Militaerlager als Doerfer, schliesslich ist die indische Armee der groesste Arbeitgeber von Ladakh. Dies ist der politischen Lage Pakistan mehr und China weniger zu verdanken. Dass das Verhaeltnis zu China trotzdem zumindest in der Vergangenheit nicht gut war, zeigten einige Sprueche am Strassenrand z. B. „Beijing, Lhasa (Hauptstadt von Tibet) we will be there“ und ein Kilometerstein „Beijing 3.444 km“. Schliesslich hat China  bei der Besetztung von Tibet auch noch  einen Teil von Ladakh in den 50ern des letzten Jahrhunderts okkupiert und  bisher nicht zurueckgegeben.

Weiterfahrt auf der Jeep-Piste
Weiterfahrt auf der Jeep-Piste

Durch die Armeelager, war die Strasse in relativ gutem Zustand und wir kamen fuer indische Verhaeltnisse sehr schnell voran (ca. 60 km/h). An einer Bruecke, die den Indus ueberquerte, mussten wir den zweiten Check Point passieren. Dieses mal hiess es in der Einoede warten, denn die Herren Militaer assen gerade zu Mittag und natuerlich geht Essen vor Kontrolle. Irgendwann war der Lunch Break zu Ende und wir durften die extrem enge, mit Gebetsfahnen uebersaehte, Indus-Bruecke passieren – allerdings gab es eh keine Schranke, die die Passage verhindert haette.

Yaks bei der Bachdurchquerung
Yaks bei der Bachdurchquerung

Langsam stieg die Strasse vom Talgrund auf ca. 3.600 m Hoehe an und ploetzlich war aus der Teerstrasse eine Schotterpiste geworden, denn die Trasse fuehrte von der chinesischen Grenze weg und war somit militaerisch unbedeutend aber bedeutend schoener: Wir passierten mehrere Yak Herden. Yaks sind eigentlich die Kuehe des Himalayas. Aus der Milch laesst sich leckerer Kaese herstellen, den wir auf Yak Cheese Sandwichs genossen, wenn wir in Leh auf eine Tagestour gegangen sind. Spaeter rumpelten wir an Nomaden Zelten vorbei, denen diese Yak Herden gehoerten. An einem kleinen See trafen wir dann auf eine extrem surreale Szene, die wir zunaechst daran erkannten, dass neben den grossen Nomaden-Zelten kleine moderne Wanderzelte standen. Nassir erklaerte uns den Grund: In dieser herrlichen Bergkulisse wurde ein Bollywood-Film gedreht! Meine 3. Indienreise, mein dritter Bollywood-Drehort (der erste in der Naehe vom Taj Mahal war ebenfalls im Nirgendwo, fuer den zweiten in Shimla in den Bergen des Vorhimalayas wurden wir sogar als Komparsen einer Hochzeitsszene angesprochen). Nun ritt eine Schar Reiter am Seeufer in Hoechstgeschwindigkeit an der Kamera vorbei und wir erreichten wenig spaeter unser Tagesziel den Tsomiriri-See auf einer Hoehe von 4.500 m.  

Der Tsomoriri-See
Der Tsomoriri-See

Der tiefblaue See ist fast vollstaendig von Schneebergen von bis zu 7.000 Metern Hoehe umgeben und es gibt nur ein kleines Dorf namens Korzok. Der Rest des riesigen Seeufers ist unbewohnt und die kahlbraunen Ebenen, der weiss leuchtende Schnee und das saubere Seewasser boten eine sagenhafte Szenerie. Es war wirklich wunderbar dort EINE Nacht zu verbringen, nur hier am Ende der Welt zu wohnen, waere der blanke Horror fuer mich. Leh, ebenfalls eigentlich am Ende der Welt, liegt 8 Fahrstunden entfernt. Ein paar Satelitenschuesseln dienten wohl als Empfaenger fuer das Geschehen der Aussenwelt. Nie habe ich mich wohl wohler gefuehlt in Mainz zu wohnen als an diesem Abend mit dieser grandiosen Naturkulisse.

Blick auf Korzok und den Tsomoriri-See
Blick auf Korzok und den Tsomoriri-See

Am naechsten Morgen unternahmen wir eine Wanderung am Seeufer, denn das Bergangehen fiel uns dermassen schwer. Die Nacht bei Temeperaturen um den Gefrierpunkt, war dank unserer guten Schlafsaecke ertraeglich, doch das Fortbewegen auf dieser Hoehe war bereits im Flachen recht beschwerlich. So liefen wir am Ufer entlang und hatten ein wenig den Eindruck an die Nordsee gebeamt worden zu sein: Die Uferbepflanzung sah so aus wie am Wattenmeer und als dann noch ein paar Moewen vorbeiflogen war die Impression der indischen Nordsee perfekt. Natuerlich durfte am Dorfrand ein Militaerlager nicht fehlen. Doch die Uniformierten hatten wohl nichts anderes zu tun, als eine Cafeteria zu betreiben, in der wir Chai tranken und verdutzt auf die feilgebotenen kitschigen Souvenirs, wie Teller mit der Beschriftung des Sees Tsomiriri glotzten. Soldaten als Souvenirhändler und Teeverkäufer im Himalaya – Incredible India!

Gegen Mittag wurde es unertraeglich heiss. Die LSF 50 Sonnencreme bewahrte uns vor Sonnenbrand aber ein Wandern war wegen des fehlenden Schattens unmoeglich und wir rumpelten mit unserem Jeep weiter durch das Hochland an weiteren Yak-Herden und relativ zahmen hellbraunen Murmeltieren vorbei. Die Mittagspause auf einem kleinen Pass auf 4.900 Metern Hoehe haben wir gut vertragen und dann ging es hinuntern an den Salzsee Tsokar und in ein weiteres Kaff am Ende der Welt. Die Bewohner horten auf ihren Daechern den Yak-Mist, denn dieser gilt als bestes Brennmaterial im kalten Winter mit Temperaturen von unter -40 Grand Celsius im Extremfall bei fehlender Heizung im Lehmhaus. Und wieder beschlich mich das komische Gefuehl im „Geburtslotto“ einen 6-er mit der Heimat der 05er gezogen zu haben.

Yak-Mist auf dem Dach
Yak-Mist auf dem Dach

Nach einer weiteren kalten Nacht in grandioser leeren Landschaft, die sehr zu Meditation anregte, fuhren wir auf einer Rumpelpiste zu Hauptstrasse Manali-Leh zurueck. Diese war in extrem erbaermlichlichen Zustand, aufgrund der Regenfaelle, die ich in #2 bereits beschrieb. Irgendwann waren wir am Scheitelpunkt des Passes angekommen: Wir ueberquerten den Zentralhimalaya auf mehr als 5.300 Metern Hoehe! Auf dem angeblich zweit höchsten befahrbaren Pass der Welt, dem Tanglang La, ging es uns allerdings gar nicht gut. Ein kurzer Sprintansatz und schon stellte sich ein extremes Schwindelgefühl ein. Also nichts wie runter von dem Pass! Nassir meinte es besonders gut mit uns und nahm dem „Short Cut“, eine Buckelpiste praktisch senkrecht hinunter ins Tal. Ich kam mir vor wie in einer Seilbahn, so steil war diese Abkürzung aber so gut ging es uns auch nach ein paar Minuten und vielen verlorenen Höhenmetern.

Passhöhe des Tanglang La
Passhöhe des Tanglang La

Nach ein paar Stunden Fahrt erreichten wir wieder unser Basislager Leh, das wir nun gestern verlassen haben, um mal wieder irgendwann in Deutschland aufzutauchen. Auch nach der dritten Reise auf den Subkontinent bin ich von Indien und seinen manches Mal etwas bizarren Bewohnern fasziniert. Nach dem 1. Mal stellte sich bei mir eine Art Hassliebe ein, die beim 2. und erst Recht beim 3. Mal jetzt deutlich in Richtung großer Zuneigung umgeschwungen ist. Indien hat große Probleme, aber die einfachen Menschen für die Politik verantwortlich zu machen, geht meiner Meinung nach zu weit. Die größte Demokratie der Welt ist sicherlich auf dem richtigen Weg – nur braucht halt alles in Indien sehr viel Zeit – auch die Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards. In einem ZEIT-Artikel ging es letzte Woche darum, ob man in „Schurkenstaaten“ wie es z.B. Tunesien oder Ägypten bisher waren, Urlaub machen darf – die Meinungen gehen natürlich auseinander. Gleiches gilt auch für Indien mit seinen großen sozialen Gegensätzen – aber wer einmal von einem Land so richtig ergriffen werden möchte (positiv oder negativ) sollte sich auf den Weg auf den Subkontinent machen!