Spätlese Hoffenheim 2021/22

Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!

01 Hin und weg:

Seit meinem ersten Besuch im Kraichgau im Herbst 2007 ging es immer motorisiert dorthin – entweder mit dem PKW gemeinsam mit Freund:innen oder wahlweise mit dem Bus des Vereins oder dem der Supporters. Zu den meisten anderen Bundesliga-Auswärtsspielen fahre ich seit Jahren meist mit der Bahn. Warum ich bisher nicht auf die Idee gekommen bin, dorthin mit dem Zug zu fahren? Es liegt wohl hauptsächlich an einer gewissen Bequemlichkeit – schließlich liegt die Rhein-Neckar-Arena direkt in einer Autobahnausfahrt und lässt sich vom Mainzer Ring allzu leicht in etwas mehr als einer Stunde erreichen. Dass man nachkicks mit dem PKW teilweise ebenfalls eine Stunde im Stau auf dem Parkplatz steht, bevor man die Autobahn wieder erreicht, habe ich irgendwie immer verdrängt, egal ob ich eine Niederlage („Fastnachtsspiel“), ein Unentschieden („Last Christmas“) oder einen Sieg („haddemerauchscho“) zuvor erlebt hatte.

Auf dem Weg nach Hoffenheim lohnt sich ein Zwischenstopp in Heidelberg

Da ich durch einen Umzug innerhalb unseres Städtchens mittlerweile eine S-Bahn-Station fast vor der Nase habe und umgekehrt der Busparkplatz des Wolfgang-Frank-Campus (danke für die Namensgebung lieber Verein) relativ weit weg liegt, wollte ich jetzt mal die Bahn ausprobieren.

02 (N)immer nuff:

Dass bei den meisten Eintrittskarten in der Bundesliga der ÖPNV außer beim klammen FC Bayern im Verkaufspreis eingeschlossen ist, hatte ich in mehr als 580 Tagen Bundesliga-Auswärtsabstinenz irgendwie vergessen. Daher kaufte ich mir eine Fahrkarte ab Mainz bis Sinsheim – bis Guntersblum hätte auch gereicht, denn dort beginnt der Verkehrsverbund Rhein-Neckar und auch die Gültigkeit der Eintrittskarte für den Zug. Geldverbrennung olé…

Der Vorteil an der Bahnfahrt an die Autobahnausfahrt ist die von mir sehr geschätzte Möglichkeit, die Fahrt an netten Orten zu unterbrechen, wie z.B. dieses Mal in Heidelberg. Auf knapp drei Kilometern Fußmarsch vom Hauptbahnhof bis zum Bahnhof „Heidelberg Altstadt“ lässt sich die Stadt ganz gut per Pedes entdecken und schöne Blicke auf das über der Stadt thronende Schloss erhaschen.

Willkommen im Schilderwald Sinsheims

Vom Bahnhof „Heidelberg Altstadt“ brachte mich ein Fußball-Sonderzug in knapp 30 Minuten via Hoffenheim nach Sinsheim Museum/Arena. Diese Möglichkeit nahmen insgesamt rund ein Dutzend Zuschauer in Anspruch. Die Leute im Kraichgau stehen wohl nicht so wirklich auf die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Vom Bahnhof aus lagen nur 10 Minuten Fußmarsch vor mir, an einem Schilderwald vorbei, an der Air France-Concorde entlang, unter der Autobahn hindurch, direkt zum Gästeblock – ohne lästiges Einmal-Rund-Ums-Stadion-Gegurke.

03 Kon-Trolle

Wie schon in Elversberg war es wunderschön, gleich auf dem Busparkplatz vor dem Gästeblock wieder die ersten mir bekannten Gesichter getroffen und gemeinsam noch ein Kaltgetränk geleert zu haben und dort tatsächlich einen der Kigges-Oldies zum ersten Mal live und in Farbe persönlich kenngelernt zu haben – nach fast zwei Jahrzehnten Online-Begegnungen in diesem legendären Forum.

Obwohl mehr als 600 Gästefans erwartet wurden, bildeten sich vor den zweigeteilten Kontrollen keine ellenlangen Schlangen. Rechts von den Treppen hoch zum Gästeblock wurde mein digitaler Impfausweis gecheckt. Danach gab’s ein Bändchen und es wurde geprüft, ob ich mich mit der Luca App registriert habe. Leider führt die Pandemie zu ziemlich viel Müll – was ich ja bereits beim Leipzig-Heimspiel kritisiert habe. Viellicht bin ich da ein bisschen „übers Ziel“ hinaus geschossen und diese Bändchen machen „die Sau auch nicht mehr fett“ – aber es ist halt echt mega Mist, noch mehr Müll zu produzieren, statt mal mit der Müllvermeidung zu beginnen. Glücklicherweise findet am nächsten Samstag der „World Clean Up Day“ statt, an dem sich auch der Entsorgungsbetrieb der Stadt Mainz beteiligt und alle Mitmachenden mit Hilfsgerät unterstützt. Der Entsorgungsbetrieb möchte diesmal hauptsächlich auf die achtlos weggeworfenen Hygienemasken hinweisen.

b3G-Check bestanden und wieder ein bisschen mehr Müll produziert.

Mit dem Bändchen am Handgelenk ging es die Treppe um die Wellenbrecher hoch zur recht lässigen Kontrolle und ich war im Gästeblock angekommen. Interessanterweise sah ich an diesem Tag auch nirgends Polizeibeamte in Uniform, weder am Bahnhof, noch vor dem Stadion oder im Block – Deeskalation pur an diesem sonnigen Samstagnachmittag.

04 Kampf um den Mampf

Die Catering-Abteilung der TSG trug dazu bei, dass wieder 3 € #Saisonspende fließen, da die günstigste Speise, die angeboten wurde, vegetarisch war. Allerdings hat man im Kraichgau einen etwas bizarren Geschmack, denn das vegetarische Angebot bestand hauptsächlich aus Süßkram und Nüsschen. Aber ich möchte gar nicht meckern, denn vor Corona gab es auch immer eine leckere Pommes Spezial, also Pommes Frites mit Ketchup, Mayo und Röstzwiebeln – das bot die TSG bis dato als einziger Verein in der Liga an. Pommes Spezial haben den Vorteil der Müllvermeidung, da die Toppings bei der Zubereitung drauf geklatscht werden. Und die Pommes Spezial standen auch wieder der Speisekarte.

Es gab sie aber nicht. Ob der Wegfall der Pommes Spezial dem Hygniekonzept geschuldet oder die Röstzwiebellieferkette in den Kraichgau unterbrochen war – ich weiß es nicht. Dafür gab es Pommes mit Ketchup und Mayo in Plastiktütchen abgepackt. Daneben lagen Holzgäbelchen verstreut herum und jede:r konnte mit seinen Händen da hineinlangen. Dass die bargeldlose Zahlung an den entsprechenden Geräten im SAP-Land nicht funktionierte (Gerät kaputt), war ein weiteres interessantes Mosaiksteinchen im TSG-Hygienekonzept.

Pommes waren deutlich günstiger als die Currywurst – damit fließen 3 Euro in die Saisonspende

Aber sei’s drum. Es gab etwas zu futtern. Zu trinken gab es im Gästeblock, wie in Hoffenheim üblich, keinen Alkohol – das Verbot wurde diesmal aber wohl auf das gesamte Stadion ausgedehnt. Auch das ist für mich persönlich ziemlich zweitrangig. Ob es hilft, die Pandemie zu bekämpfen, müssen andere entscheiden.

05 Käfighaltung

Die Speisen und Getränke durften nicht im Catering-Bereich zu sich genommen werden, da dort genauso wie auf dem Weg zum Platz im Gästeblock Maskenpflicht herrschte analog zu den Regeln im Stadion am Europakreisel. Warum es gefährlich ist, im ausgedehnten Catering-Bereich unter Einhaltung der Abstandsregeln Pommes und alkoholfreies Bier zu konsumieren und sich über den grandiosen Spielverlauf zu unterhalten, es aber vollkommen ungefährlich ist, dies im Block zu tun, weiß ich nicht. Schließlich sei daran erinnert, dass dieser Gästebereich mal für 3 000 Menschen konzipiert wurde und sich nun 600 Leute dort aufhielten. Abstandsregeln unter Genesenen, Getesteten und Geimpften einzuhalten wäre also kein Problem gewesen.

Aber auch hier: egal. Mit der Maske im Gesicht ging es in den Block und zwar in den Stehblock! Yes! Dort war es möglich, zu futtern, zu trinken und die Mannschaft lauthals zu unterstützen. Das hat wirklich Spaß gemacht und bei aller oben beschriebenen Kritik, war es einfach ein großartiges Gefühl, wieder in einem Block zu stehen und situativ auf das Spielgeschehen zu reagieren bzw. die Jungs in rot und weiß nach vorne zu peitschen.

Beste Stehplatz-Stimmung im Gästeblock

Der Großteil der mitgereisten Fans sah das wohl ähnlich, denn es wurde ziemlich laut im Block und das bereits vor dem Spiel. Der etwas ungeordnete Support hatte die Folge, dass meine Stimmbänder nach dieser langen Auswärtsabstinenz schon zur Halbzeit in Mitleidenschaft gezogen waren, denn vor der Pandemie war immer ein Leichtes, wenn der Gästeblock eh schon die Dezibelzahl hochgeschraubt hatte, mal der Stimme eine Pause zu gönnen. Diese Pausen gab es nicht und während unten auf dem Platz Vollgasfußball made in Meenz präsentiert wurde, ruinierte ich mir in Halbzeit zwei mir die Stimme endgültig.

Von der Heimseite kam relativ wenig verbale Unterstützung – aber auch die Zahl der Zuschauenden mit etwas über 8 000, was einer zirka sechzigprozentigen aktuell zulässigen Auslastung entsprach, lässt die Erkenntnis wachsen, dass im Kraichgau Bundesliga-Fußball nach 13 Jahren nicht mehr wirklich attraktiv ist – ob es an der Pandemie liegt oder daran, dass es halt doch ein bisschen ein Kunstprodukt ist, was da an der Autobahnauffahrt entstanden ist, kann ja mal die Marketingabteilung der TSG klären.

Fazit: Der Jahrgang 2021/2022 der Kraichgau-Edition bietet unterm Strich gute Bedingungen für Gästefans die Auswärtsfahrt zum Heimspiel zu machen!

Rot-weiße Grüße,

Christoph – Meenzer on Tour

Mehrweg meets mehr Müll

Kaum besucht man mal 20 Monate nicht das heimischen Wohnzimmer hat es schon wieder den Namen gewechselt. Bis auf Weiteres firmiert das Stadion am Europakreisel jetzt also als MEWA-Arena. Wofür diese vier Buchstaben stehen? Vielleicht für MEhrweg WAgen? So kann man sich zumindest den Namen ganz gut merken. Und tatsächlich wagt der Verein ja endlich wieder Mehrweg.

Schließlich konnte ich am Sonntagnachmittag meinen Augen kaum trauen…hauptsächlich natürlich aufgrund der Leistung der Jungs auf dem Platz, aber auch, weil bei den Verantwortlichen in der Zeit der Geisterspiele wohl die Einsicht kam, dass es doch besser ist, Becher nach deren Gebrauch zum Beispiel mit dem Bio-Frosch-Spülmittel vom legendären Sponsor Erdal  zu spülen, statt sie der Verantwortung der Stadionbesucher:innen zu überlassen, die diese im schlechtesten Fall auch mal in den Bretzenheimer Äckern deponieren. Selbst bei korrekter Entsorgung in den zahlreichen gelben Mülleimern im Stadion sind diese Dinger aus Mais bestenfalls der thermischen Verwertung zugefügt – also verbrannt worden, statt sie dem Recycling-Prozess zuzuführen, wie ursprünglich gedacht (warum das so ist, steht weiter unten).

Mehr als 10 000 dieser Plastik-Bändchen wurden für das Spiel am Sonntag ausgegeben.

Abgesehen davon, dass es schon bizarr anmutet, Ackerflächen dafür zu nutzen, Einwegprodukte herzustellen, die nach kurzem Gebrauch schon wieder entsorgt werden, sollte es unser aller Ziel sein, Müll zu vermeiden und eine Kreislaufwirtschaft zu fördern – das hat ja bereits viele Jahre am Bruchweg auch prima geklappt.

Diese Müllvermeidung habe ich am Sonntag vermisst. Viel wurde über die Corona Warn App geschimpft. Zu spät, zu teuer, zu wenig Daten, zu wenig Datenschutz, zu viel Datenschutz…aber die App bietet die Möglichkeit, Test- und Impfnachweise digital zu hinterlegen.

Diese werden in Fitnessstudios, am Flughafen, in Hotels und bald wieder in Restaurants ebenfalls mittels einer Lese-App gecheckt und wir könnnen anschließend trainieren, wegfliegen, übernachten oder futtern. Und was machte Mainz 05 am Sonntag? Mich erstmal fragen, wo die zweite Impfung sei…was natürlich bei Johnson & Johnson („Einmal hin, alles drin“) nicht so sinnig ist. Denn einen Scanner, der der 05-Mitarbeiterin diese Nachfrage hätte ersparen können, hatte sie leider nicht. Dafür aber ein wetterfestes Klebebändchen aus Plastik, das sie mir schließlich um das Handgelenk klebte. Willkommen im digitalen Zeitalter bei Mainz 05.

Im Fanshop von Mainz 05 gibt es Rucksäcke des Mainzer StartUps GotBag, die aus Meeresplastik hergestellt werden. Mit dieser Bändchen-Aktion liefert Mainz 05 indirekt Nachschub für die Produktion der nächsten Rucksäcke, denn sicherlich fliegen die mehr als 10.000 Bändchen vom Sonntag nicht immer in den Müll, sondern in die Äcker oder in den Rhein und von dort dann irgendwann in die Nordsee, wenn sie nicht vorher schon von irgendwelchen Tieren angeknabbert wurden. Warum errichtet der Verein keine Gassen mit Hilfe von Absperrgittern vor der eigentlichen Kontrolle, um die Nachweise mittels App zu kontrollieren? Das erspart Nachfragen und Müll.  

Papierticket statt digitaler Eintrittskarte oder Hinterlegung in der App

Aber die vermeidbare Müllproduktion fing eigentlich schon einen Schritt früher an, beim Ticketing. Während es die Kulturschaffenden der Stadt hinbekommen, selbst für die kostenlosen Konzerte auf der Zitadelle und im Schlossbiergarten Tickets zu generieren, die auf dem Smartphone hinterlegt werden können, besteht Mainz 05 explizit darauf, die „Print@Home“ Tickets auszudrucken, damit sie von den Scannern gelesen werden können. Ja ja die Digitalisierung…

Gut, viele von uns werden sich das Ticket als Souvenir an diesen denkwürden Nachmittag sicherlich an die Wand hängen, doch der nächste Gegner in der MEhrweg-WAgen-Arena heißt bekanntlich Greuther Fürth – und da besteht dann doch die Gefahr, dass man nachkicks keine Souvenirs mehr behalten möchte? Fürth halt!. Also was tun? Am besten im Papiermüll entsorgen und vorher vielleicht die Rückseite als Einkaufszettel verwenden…. Aber vielleicht investiert der Verein doch mal in die Digitalisierung oder bekommt die Scanner so eingestellt, dass der Code auch von Smartphone abgelesen werden kann. Welche Funktion hat eigentlich die Mainz 05-App? Außer, dass sie seit dem letzten Update ihre „Stabilität verbessert“ hat? Mainz 05 stabil – das ist aller Ehren wert – aber ein Ticket fürs Spiel abzuspeichern, wäre auch schon schön!

Die weiße Tüte für Speisen kann noch als Abfalltüte für organische Abfälle genutzt werden

So sehr ich mich über die Mehrwegbecher gefreut habe, so sehr verwundert war ich wiederum, dass alle Speisen in Papierbeutel verpackt wurden. Ob das Hygienekonzept so stichhaltig ist, wenn das Cateringpersonal mit den Händen die Brezel oder das Wurstbrötchen in die Papiertüte packt oder nicht die bisherige Methode weiterhin anwendet, also eine Serviette nimmt und das Essen damit an die Kaufenden übergibt – sei dahingestellt, aber mehr Müll entsteht so in jedem Fall. Natürlich ist die Tüte aus Papier besser als die aus Plastik, aber auch deren Produktion ist recht energieintensiv. Wie wäre es da mit einem Beutel aus Bio-Baumwolle, fair gehandelt, mit Mainz 05-Logo drauf, den es für einen Euro zu erwerben gibt, um diesen öfters zu befüllen? Den Beutel könnte man auch beim Einkaufen in der Stadt zum Beispiel auf dem Markt nutzen, zum Erwerb von Obst und Gemüse, statt dort ebenfalls wieder Papiertüten zu verwenden.

Aber die Papiertüte kann in Mainz wenigstens noch einem guten Zweck zugeführt werden. Nutzen wir sie einfach für die organischen Abfälle, denn die dafür vorgesehenen Mülltonnen werden regelmäßig vom Wirtschaftsbetrieb der Stadt dahingehend geprüft, ob auch tatsächlich nur organische Abfälle darin entsorgt werden. Solche „Wunder“-Tüten, genauso wie die Einwegebecher aus Mais, die angeblich biologisch abbaubar sind (bestenfalls in ein paar Monaten), werden schließlich nicht akzeptiert. Und wie im Fußball gibt’s auch hier nach der gelben Karte (Aufkleber auf die Tonne und schriftliche Verwarnung) dann die rote Karte und die Abfalltonne wird eingezogen. Das ist natürlich mega Mist, aber verständlich, denn ansonsten kann das Kompostwerk in Essenheim den Kram nicht verwerten. Im Gegenzug muss gegebenenfalls eine größere Tonne Restmüll bereitgestellt werden, und die Entsorgungsgebühren pro Haushalt steigen – genauso wie der Puls der Leute, die es vorher nicht gebacken bekommen haben, die Tonne richtig zu befüllen.

Screenshot der Mainz 05-Umfrageseite zum Spiel gegen Leipzig

Also lasst uns die Tüten mitnehmen und hoffen, dass Mainz 05 bald mal in die Digitalisierung statt in mehr Müll investiert und neben Coke Zero auch Zero Waste im Angebot hat – das wäre wirklich N’Eis, das es tatsächlich seit Sonntag unter Block A gibt. Und lasst uns an der Umfrage zum Spiel vom Sonntag mitmachen, um dem Verein vielleicht den einen oder anderen der genannten Punkte mitzuteilen, um hier an dem einen oder anderen Rädchen zur Müllvermeidung mitzudrehen. Denn auch das wäre ein Stück des Mainzer Wegs – nachhaltiger aufzutreten als andere Konstrukte, deren Lebenselexir aus Einwegdosen besteht.  

Solidarität reicht nur bis zum nächsten Witz

Eine Nachricht traf diese Woche mitten in der Pandemie auf ziemliche Schadenfreude in den sozialen Netzwerken: Der Covid-19-Impfstoff des Tübinger Herstellers Curevac kommt laut aktuellen Studien auf lediglich 47% Wirksamkeit. Um mehr oder weniger genau um jene 47% ist der Aktienkurs des Unternehmens, an dem Dietmar Hopp über seine Kapitalgesellschaft Dievini Hopp BioTech Holding knapp 43 Prozent hält, abgestürzt und FUMS, das selbst ernannte Magazin für Fußball & Humor – twitterte „Selbst Hopps Impfstoff schafft keine 50+1“. Dieser Tweet traf auf sehr viel Gegenliebe mit mehr als 1200 Likes und 69 Retweets. Gerade im Vergleich mit anderen FUMS-Tweets war das ein voller Erfolg für den Account. Selbst Tweets zum gestrigen Deutschland-Spiel brachten nur rund gut die Hälfte an Likes. Auch andere Accounts wie „Titanic“ und zahlreiche mehr oder weniger prominente Einzelpersonen schossen beim Curevac-Debakel in Richtung Hopp. Kritik an diesen Tweets? Fehlanzeige.

Der Tweet von FUMS gefiel mehr als 1200 User:innen

Das Verhältnis zwischen vielen Fußballfans und dem 81-jährigen Investor und Mäzen der TSG Hoffenheim ist seit Jahren angespannt und fand wohl seinen Tiefpunkt kurz vor der Pandemie beim Spiel der Bayern in Sinsheim im Frühjahr 2020 – allerdings eher wegen des abgekarterten Spiels der Vereinsgranden beider Vereine, wie das ZDF inzwischen recherchierte. Auch Hopps teilweise etwas abgehobene Kommunikation in Bezug auf das Tübinger Unternehmen und seinen Impfstoff hat sicherlich dazu geführt, dass er sich damit keine neuen Freunde gemacht hat. Wie wohltuend ist da beispielsweise im Gegensatz das Auftreten von Uğur Şahin und Özlem Türeci von Biontech.

Die Häme, die Hopp und Curevac entgegenschlägt, war leider zu erwarten. Interessanterweise kommt diese Häme aber aus einer Fußballecke, die sonst bei vielen gesellschaftlichen Themen sofort aufschreit, etwa wenn es um rassistische, frauen- oder schwulenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Äußerungen geht. Das ist auch gut so und lobenswert. Schließlich erreichen die Konten der Fußballkultur-Influencer:innen viele Menschen im Land und tragen dazu bei, dass manche Dinge nicht unkommentiert stehen gelassen werden.

Der FCBlogin sah die Häme recht schnell kommen.

Beim Thema Curevac und Wirksamkeitswitzen ist das allerdings anders. Wenn sich nicht am Curevac-Bashing beteiligt wurde, herrschte auf diversen Twitter-Accounts Schweigen im Walde. Es gab keine Empörung, und die gibt es bei Twitter eigentlich dauernd – gerade letzte Nacht wieder nach den „Sieg!“-Geschrei in vielen Teilen der Republik. Nein, es gab keine wirkliche Empörung, sonst hätte die twitternde Fußballwitzgemeinde längst zurückgerudert, was sie in regelmäßigen Abständen immer mal wieder machen muss, schließlich machen wir alle Fehler. Ich denke nur an den FUMS-#Arbeitsnachweis „Mehr Kongolosen bei den Mainzern als Rheinland-Pfälzer“ vom September 2018, den ich in meinem Blogartikel „Say no to Dummgebabbel“ damals thematisiert hatte. Die Tweets zu Curevac sind immer noch abrufbar. Aber warum ist diese Schadenfreude überhaupt so kritisch zu hinterfragen?

Wir können uns alle glücklich schätzen, dass es so viele Forschende im letzten Jahr gab, die sich daran gemacht haben, einen Covid-19-Impfstoff zu entwickeln. Dass bereits Ende 2020  vier Impfstoffe aus der westlichen Welt, plus Impfstoffe aus Russland und China zur Verfügung standen, die mehr oder weniger weltweit zugelassen wurden, grenzt an ein medizinisches Wunder. Ob man nun ein paar Wochen früher oder später geimpft wird, spielt für den Einzelnen eine große Rolle und führt zu Frust und Ängsten. Das ist nachvollziehbar. Wenn man keine Aussicht auf eine Impfung hat, überkommt einen das Gefühl der Ohnmacht. Und nicht wenige Menschen, auch in Deutschland, beschlich dieses Gefühl im Verlauf der Pandemie – vielleicht just in den Momenten, in denen wieder ein Bild von einem Impfpass oder einem Pflaster auf Twitter hochgeladen wurde. Wie sieht es aber bei Menschen aus,  die in Ländern leben, bei denen es auf absehbare Zeit keine Möglichkeit auf eine Impfung gibt? Und die das auch mitbekommen, dass bei uns immer mehr Menschen geimpft werden?

VIP-Tribüne in Hoffenbeim anno 2013 beim Spiel gegen den 1. FSV Mainz 05

Und da sind wir bei Curevac angelangt. Der Impfstoff spielte für die aktuelle Impfkampagne in Deutschland längst keine Rolle mehr, da sich seine Zulassung immer wieder verzögerte. Curevac wollte einen perfekten mRNA-Impfstoff entwickeln, der zum Beispiel bei Kühlschranktemperaturen gelagert werden kann. Nicht jedes Land hat die logistischen Möglichkeiten, eine Kühlkette mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt aufzubauen, wie es für die anderen mRNA-Impfstoffe notwendig ist. Daher wäre der Impfstoff aus Tübingen ein Hoffnungsschimmer für diese Länder gewesen, um eine Impfkampagne zu starten. Dass diese auch uns zu Gute gekommen wäre, da dadurch das Risiko weiterer Mutationen reduziert worden wäre, wäre ein weiterer Punkt gewesen, diese „Vorlage“ im Kalauer-Wettbewerb nicht zu versenken.

Stattdessen überbietet sich das Netz mit Gehässigkeiten gegenüber Hopp und dem Unternehmen. Es ist anzunehmen, dass Hopp, anders als vielleicht in Hoffenheim, sich bei Curevac aus dem operativen Geschehen heraushält, sprich nicht aktiv an der Forschung beteiligt ist. Damit trifft der Spott und die Häme wegen der geringen Wirksamkeit weniger Hopp selbst als die Mitarbeitenden, die sich die letzten Monate den Hintern aufgerissen haben, um einen Impfstoff zu entwicklen. Wie das bei den Mitarbeitenden ankommt, kann sich jeder Mensch mit ein paar Krümeln Empathie sicherlich vorstellen.

Ferner führen die ach so witzig gemeinten Kommentare dazu, dass Leute, die mit Fußball an sich und mit Fans noch viel weniger am Hut haben, sich über das niveaulose Verhalten der Fans wieder echauffieren können – befeuert durch die Gralshüter der moralisch einwandfreien Fußballkultur. Dass die Witze letztlich auf Kosten von Millionen von Menschen gemacht werden, die jetzt weiter vergeblich auf eine Impfung warten, und viele Fans das auch noch lustig finden, ist an sich schon traurig. Aber da wird wieder ein Bild vom plumpen Fan manifestiert, das mit der Wirklichkeit wenig gemein hat. Schließlich sind es die Faninitiativen, die Veränderungen im Fußball angestoßen haben, und sich für die Beibehaltung der 50+1-Regel einsetzen. Dazu engagieren sich zahlreiche Kurven seit Jahren sozial und ehrenamtlich in ihrer Region. Diese Auftritte von Fans werden nicht wirklich gesehen, der Zuspruch zu solchen plumpen Tweets allerdings schon.

Das alles im Pride Month Juni abzulassen ist die Ironie des Schicksals, da man sich selbst natürlich zu den Guten zählt und gegen Diskriminierung, Rassismus aufsteht, wie heute bei der Debatte um die Kapitänsbinde in Regenbogenfarben. Die Solidarität mit Menschen in ärmeren Ländern reicht halt oft nur bis zum nächsten Witz. Pandemie hin oder her.