Polen 2004

Nach längerer Reiseabstinenz ging es nun endlich mal wieder für mich daran, ein neues Land zu entdecken, das zudem sogar noch unser Nachbarland ist! Polen…hm was stellen wir uns darunter eigentlich vor?

Media-Märkte, die einer Heuschreckenplage ähnelnden „Kundschaft“ verwüstet werden, Automafia oder sonstige Klischees, die wohl mit der Wirklichkeit glücklicherweise nicht so viel gemeinsam haben! Gut…Geduld ist sicherlich einerseits hier gut zu gebrauchen und andererseits einem Deutschen fast so fremd wie alkoholfreies Bier! Denn jenseits der Oder hat man(n) einfach ein wenig mehr Zeit für ein Schwätzchen auch wenn die Schlange an der Information des Warschauer Flughafens immer länger wird. Dass ich dann endlich auch an die Reihe komme und meine Frage nach dem Bus nach Lublin stellen kann, war dann wie ein Segen für mich Gestressten Lufthansa Passagier, der dank deutscher Unpünktlichkeit erst in den Stress geraten ist. Natürlich werde ich ins nächste Reisebüro verwiesen, wo natürlich erst einmal wieder mit dem festsitzenden Kunden vor mir ein Schwätzchen gehalten wird.

Nach Aussage der Homepage des Fahrplans des Polski Express Busses von 2002 (!) hatte ich noch sagenhafte 5 Minuten, um mein Ticket zu erstehen. Die Angestellte hatte wohl Mitleid mit mir und meinem gestressten Blicken und verkaufte nun doch etwas schneller die Zugfahrkarte an den Kunden. „To Lublin? You have 3 minutes! Bus only 10 meters! No ticket here!“ Nachdem ich die zehn längsten Meter meines Lebens in ca. 1 Minute zurückgelegt habe und nach meinem deutschen Empfinden dabei sicherlich 250 Meter gerannt bin, erreichte ich den Bus nach Lublin. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich auch eine Fahrkarte erstehen kann, denn die kostet 44 Zloty (sprich Zwotti)! Ach wie schön wäre es doch gewesen, wenn Polen auch gleich den Euro bekommen hätte – nein ich musste natürlich vorher Geld wechseln und dafür einen Beleg ausfüllen und eine Unterschrift leisten – um dann am Ende mehrere 100 Zloty-Scheine zu erhalten! Da ich der einzige Fahrgast war, hatte mein Fahrer gerade irgendwie in der Hosentasche und auf dem Armaturenbrett 11 Zloty Wechselgeld zur Verfügung! Kreditkarten? Njet! Außerdem war eine Verständigung nur per Zeichensprache möglich, da ich kein Polnisch, er kein Englisch sprach! In körperlichen Verrenkungen nach meiner letztjährigen Reise geübt, machte ich ihm klar, dass ich den Schein wechseln werde und dann wieder auftauche und er bitte nicht wegfahren möge. Kaum zu glauben…ich bekam den Schein im „10 Meter“ entfernten Airport gewechselt (Bänker sprechen Englisch) und ich dann letzten Endes auch meine Fahrkarte!

Vorbei ging’s dann an ultramodernen nicht gestürmten Media-Märkten, Tesco Supermärkten, Géant- und Leclerc-Kaufhäusern und Lidl-Discountern on the road to Lublin! Polen hat zwar keine eigentlichen Autobahnen, doch man ist zumindest auf der Straße pragmatisch – denn wozu gibt es Seitenstreifen? Diese werden einfach in weitere zwei Spuren verwandelt und fertig ist die „Autobahn“, die übrigens in sehr gutem Zustand war!

Danielle, die ich in Lublin besuchen wollte, teilte mir mit, dass aufgrund irgendwelcher polnischer Hochschulbestimmungen ich im Studentenwohnheim nicht wohnen dürfe…aber das ist in Polen kein Problem…denn man hat ja Kommilitonen, die noch bei den Eltern wohnen und um Mitternacht einen Deutschen bestimmt aufnehmen! Gesagt getan Walusz macht die Tür auf, begrüßte mich und schon wurde ich in „mein“ Zimmer geführt und ich knackte einfach bei einer polnischen Familie, die ich fünf Minuten vorher noch nicht kannte! Glücklicherweise habe ich ja immer mal ein Fläschchen Wein aus Rheinhessen dabei…und so konnte ich mich für diese echt klasse Gastfreundschaft wenigstens ein bisschen revanchieren! Na ja…dass zwischen Polen und Deutschen nicht immer alles so schön verlaufen ist, wissen wir ja alle! Dass man aber in den zu Museen umgewandelten Konzentrationslagern immer von „Nazis“ spricht und nie von „Deutschen“ hat mich wirklich beeindruckt! Es regnete und dabei war der Besuch des KZ Majdanek um so bedrückender. Aber ich denke als Deutscher sollte man um dieses Stück Polnisch-Deutscher Geschichte keinen Bogen machen! Die etwas bedrückte Stimmung am Frühstückstisch am nächsten Tag nach dem ich gefragt wurde, was ich mir so angeguckt habe, war relativ schnell verflogen „Chris…not your fault!“ und ich war ziemlich happy mit den Polen so einfach über unsere Vergangenheit zu babbeln.

Das alte Lublin hat sich den morbiden Charme des Ostblocks noch ein wenig erhalten. Neben renovierten Gebäuden gibt’s auch welche, bei denen man nicht so recht weiß, wie lange sie noch stehen bleiben. Auf den Speisekarten ist noch oft das leckere Essen wie Pirogi (eine Art Maultaschen) oder das süffige Bier in zahlreichen Variationen lediglich in polnischer Sprache angegeben. Ein Indikator, dass die Touristen sich aus Krakau oder Warschau noch selten in diesen Teil Ostpolens verirren. Dabei ist es wirklich wunderschön durch die gepflasterten Straßen der Altstadt zu marschieren, dem Geräusch der vielen Kirchturmglocken zu lauschen und den Blick auf die protzige Burg zu genießen, ehe man sich einen Latte Macchiato in einem der vielen Cafés im Freien hineinziehen kann und dank für unsere Verhältnisse sehr fairen Preisen sich diesen Luxus auch noch wahrlich gönnen kann!

Ich hoffe, Ihr habt ein bisschen Lust bekommen unseren östlichen Nachbarn mal einen Besuch abzustatten und das ’neue‘ Europa in der größer gewordenen EU zu entdecken! Na Razie!

Niederlande 2003

Auf meiner Stippvisite beim ersten EM Land, gegen das sich die deutsche Fußballnationalmannschaft nun im kommenden Juni durchwurschteln will, muss ich eingestehen, dass auch niederländische Fans von ihrer Mannschaft alles andere als begeistert sind. Dabei haben Fußballer in den Niederlanden die optimalen Trainingsbedingungen: Überall ist es flach, Wiesen gibt es im Überfluss, die Deiche sind natürliche Seiten- und Toraus-Linien, und die Kühe bleiben anders als in Indien auf der Weide und blockieren nicht das Mittelfeld.  

Apropos Indien…irgendwie fühlte ich mich ja schon ein wenig auf den chaotischen Subkontinent zurückversetzt: Fahrräder, Fahrräder und nochmals Fahrräder. Aber anders als bei uns wird hier die Spezies „Radler“ nicht getrunken, sondern Ernst genommen: Es gibt praktisch immer einen Radweg der den Namen auch verdient hat. Die Buckelpisten, in Deutschland oft als Radweg angepriesen und nur mit Mountain Bikes halbwegs befahrbar, fehlen hier komplett. Stattdessen findet der passionierte Radler ebene Pisten, bei denen sogar das Trampen à la Hollandaise, Pardon die Mitnahme auf dem Gepäckträger, beim Mitgenommenen keine bleibenden Schäden am Gesäß hinterlassen. Bei Baustellen auf dem Radweg gibt es eine beschilderte Umleitung, die tatsächlich wieder auf den eigentlichen Weg des Radelns zurückführt. So bleibt dem niederländischen Radler, das allseits beliebte Absteigen und Radweg-Suchen, das bei uns doch öfters vorkommt, erspart. Abgestellt wird das Rad in Radparkhäusern und die Wahrscheinlichkeit, sein Rad nach einer Kneipentour wieder zu finden liegt hier noch recht hoch, anders als in vielen anderen Zock- und Klau-Regionen.  

Natürlich war es eine prima Sache mit den tatsächlich hier in tausendfacher Ausgabe herumrollenden Hollandrädern ins Restaurant oder in die Kneipe zu düsen. Berge sind hier ein Fremdwort, so dass tags wie nachts die Radwege von allen Bevölkerungsschichten genutzt werden, und sich so ein ganzes Volk fit hält und auch im platten Zustand wieder nach Hause findet, statt am nächsten Hügel in den Graben zu rollen.    

Einerseits muss man auch in den Niederlanden ein prallen Geldbeutel nach der Euro-Einführung haben, um überhaupt in die Nähe des Plattheits-Zustands zu geraten. Andererseits fällt die Auswahl wie man, finanzielle Mittel vorausgesetzt, in eben diesen Zustand fällt, nicht nur wegen der in ganz Holland verbreiteten „Coffie-Shops“, extrem leicht. Urige Kneipen mit unzähligen, zwar nicht nach dem Reinheitsgebot gebrauten, aber doch sehr trinkbaren Gerstensaft-Varianten, laden zum Verweilen und zum Diskutieren über Fußball ein. Und um eben diesen geht es zumindest am 15. Juni 2004, wenn Deutschland gegen die Niederlande spielen wird. Testet dies am besten mal alles selbst aus, hier in den sympathischen Niederlanden und freut Euch auf ein gutes Spiel zwischen zwei fußballverrückten Nationen – egal wie es auch ausgehen mag!  

Bis dahin wünsche ich Euch allen einen geruhsamen Advent. Genießt die Zeit mit Tee und Plätzchen oder dem einen oder anderen Glühwein oder spaced in einem Coffie-Shop mal so richtig ab!

Madeira 2002

Nein, nein ich bin nicht an der Meenzer Fassenacht in eine Flasche Madeira geplumpst, und gebe erst jetzt wieder ein Lebenszeichen von mir. Da aber diese fünf Tage in meiner geliebten Heimat doch äußerst anstrengend waren, und zudem mein Studium  nun hoffentlich der Vergangenheit angehört, musste es jetzt endlich wieder rausgehen, aus dem allseits geliebten deutschen Nebelregensturmwetter, auf eine kleine Insel im Atlantik, die dem berühmten Wein seinen Namen gab.  

Da das närrische Treiben natürlich auch meine grauen Zellen arg in Mitleidenschaft gezogen hat, war ich natürlich dankbar, an diesem Fleckchen Erde, rund 700 km südwestlich von Portugal gelegen, mit unserer neuen Währung zahlen zu dürfen, und damit jegliche Umrechnungsanstrengungen meinen Denkapparat zu ersparen. Die portugiesischen Euromünzen haben übrigens alle das selbe Motiv aus nicht näher identifizierbaren Zeichen.  

Beim Anflug auf diese, aus einem Unterwasservulkan entstandenen Insel, wird sofort klar, dass Ebenen hier ein Fremdwort sind. Dementsprechend ist der Flughafen auf Stelzen ins Meer gebaut worden, und die Berghänge sind mit Scheinwerfen und Blitzlichtern ausgestattet: Ein kleines Abweichen von der unmittelbar vor der Landung zu fliegenden Kurve hätte fatale Folgen. Da die Startbahn etwa halb so kurz ist, wie die in Frankfurt muss sofort nach „Touch Down“ die Schüssel eine Vollbremsung hinlegen, um nicht auf direkten Wege in die Brandung oder auf den schwarzen Lava-Strand zu rutschen. Das Anlegen von Sicherheitsgurten ist bei dieser Art von Landung ein äußerst nützlicher Ratschlag.  

Die Hauptstadt Funchal (von portugiesisch Wort für Fenchel) erinnert wegen der fehlenden Ebenen stark an ein riesiges Amphitheater, das von der Meereshöhe bis auf ca. 1.200 m empor ragt. Die anderen Dörfer der Insel sind wie mit Pattex irgendwie in die steilen Hängen geklebt. Jedes Dorf ist durch eine Straße mit der Außenwelt verbunden. Dadurch erinnern die Straßen, die sich kreuz und quer durch die Hänge mit Haarnadelkurven und nicht enden wollenden Serpentinen an Buchten und Schluchten entlang schlängeln, an einen Haufen Spaghetti.  

Die höchsten Berge dieser sogenannten Blumeninsel erreichen rund 1.800 m, aber die Gipfel liegen praktisch die ganze Zeit unter einer dichten Wolkendecke. Trotz der relativ südlichen Lage (selber Breitengrad wie Ägypten oder Marokko), wird es hier nie wärmer als 25°C, und mit Regen hauptsächlich auf der Nordwestseite ist ständig zu rechnen.

Dadurch sticht die Farbe grün überall hervor: Oben in den Bergen existiert ein Nebelwald, in dem die Bäume mit Flechten überzogen sind. Weiter unten blühen das ganze Jahr über Blumen auf Wiesen, die man hier nur als Einzelexemplare für ein paar Euro beim Floristen bekommt (Callas, Strelizien, Orchideen etc.). Aber auch Früchte, die selbst ich noch nie vorher gesehen habe (Englische Tomate, Chirimoya etc.), gedeihen  das ganze Jahr. Allerdings muss man als Landwirt auf Madeira doch relativ schwindelfrei sein. Die Äcker sind zwar alle in Terrassenform angelegt, doch meist im Steigungswinkel von mindestens 45°! Seil und Gurt wären sicherlich beim Bestellen mancher Äcker echt angebracht.

Obwohl die Insel nur 57 km lang ist, herrscht in den verschiedenen Teilen jeweils ein anderes Mikroklima. Im Nordwesten regnet es täglich, während hinter den Bergen im Süden es oft trocken ist. Da die Hauptorte mit den Feldern im Süden liegen, bauten die Bewohner Madeiras vor hunderten von Jahren sog. Levadas. Das sind Bewässerungskanäle, die um die ganze Insel herum angelegt wurden, um das Wasser aus dem Quellen- und Wasserfallreichen Nordwesten, in den trockenen Südosten zu leiten. Noch heute werden die Levadas von sog. Levadores von Gestrüpp gereinigt und repariert. Dazu wurde neben der eigentlichen Levada ein kleiner Trampelpfad angelegt, der für den Traveller aus Deutschland natürlich als perfekter Wanderweg umfunktioniert wird. An den Levadas lässt sich wunderbar und ohne große Mühe stundenlang auf gleicher Höhe um die Insel herumwandern, Schwindelfreiheit vorausgesetzt.

Oft kommt man hier zu Fuß eh schneller voran als mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Denn die Busse keuchen bergauf bergab von Dorf zu Dorf und erreichen Höchstgeschwindigkeiten von 30km/h. Dazu existieren alle 200 m Haltestellen und zwischendrin wird man natürlich auch aufgegabelt. Für die 60 km Fahrt in den äußersten Westen der Insel brauchte das alte Ungetüm dreieinhalb Stunden – von Frankfurt nach Lissabon brauchte die gute Lufthansa 2 Stunden und 40 Minuten. Aber das Bus fahren hat den Vorteil, dass man mal kurz Aussteigen kann, um ein Schwätzchen zu halten: Viele der Dörfer sind nur durch Stichstraßen zu erreichen. Dadurch zuckelt der Bus erstmal durch das ganze Kaff nach oben (oder unten), um dann am Straßen-Ende Wenden in 30 Zügen zu üben, ehe es dann in umgekehrter Richtung wieder zurück zur Hauptstraße geht. Die geschwätzigen Passagiere steigen einfach an der Hauptstraße vorher aus, halten ihren Plausch und nachdem die Neuigkeiten ausgetauscht wurden, steigen sie wieder in den Bus ein, um im nächsten Dorf diesen Vorgang zu wiederholen.  

Leider heißt es nun auch für mich: Adeus Madeira – Willkommen Mainz und der Alltag hat mich bald wieder. Doch die nächste Reise steht hoffentlich schon bald wieder vor der Tür!