Freiburg 2018

Es gibt Dinge im Leben, die braucht wirklich niemand: Eine 3:9 Niederlage am Samstag Nachmittag gehört bestimmt dazu und Montagsspiele sicherlich auch. Dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, liegt daran, dass vor dem Saisonstart 2017/2018 fünf Spiele in der ersten Liga mit der Begründung eingeführt wurden, den Europapokal-Teilnehmern einen zusätzlichen Tag Regeneration zukommen zu lassen.

Spielort Bruchweg - gibt es einen idealeren Ort zum kreativen Protest?
Spielort Bruchweg – gibt es einen idealeren Ort zum kreativen Protest?

Da kurz nach der Winterpause nur noch die Brausekicker aus Leipzig donnerstags spielten, war anzunehmen, dass der Montagskelch an Mainz und Freiburg vorbeigeht, schließlich hatte der SC seit seinem EuroLeague-Ausscheiden in Slowenien im Sommer 2017 genug Regenerationszeit erhalten. Interessanterweise spielt Leipzig schon heute, nachdem sie tatsächlich letzen Montag gegen Leverkusen ran mussten. Dumm nur, dass sie dann einen Tag weniger Pause hatten, um anschließend in Marseille 5 Tore eingeschenkt zu bekommen. Logisch wäre es gewesen, Leipzig nach der Europa-League-Woche den morgigen Montag zu geben und nicht zwischen den beiden internationalen Spieltagen – aber mit Logik kommt man heute wohl nicht mehr allzu weit.

Nachdem es Bremen und Köln bereits genauso traf, die ebenfalls nicht (mehr) international spielten, war ich gespannt, wie die Reaktion in Freiburg und Mainz auf die Ansetzung ausfallen würde. Positiv angetan war ich zunächst einmal von einem nett formulierten Brief unseres neuen kaufmännischen Vorstands, den er nach Frankfurt zur DFL sandte, und nachfragte, womit denn diese Ansetzung von Mainz gegen Freiburg an einem Montag zu begründen sei. Schließlich hatte es für mich den Anschein, dass mein Fußballsportverein in den letzten Jahren allzu oft den rot-weißen Schwanz einzog, wenn es um Haltung gegenüber der DFL, dem DFB oder der Zeitung mit den vier großen Buchstaben ging. Eine schlüssige Antwort erhielt Jan Lehmann aus dem 05-Vorstand zumindest öffentlich nicht, soweit ich mich entsinnen kann.

Wunderbare Stadionordnung und Werbeplakat mit den Logos der Fanvereinigungen aus beiden Städten
Wunderbare Stadionordnung und Werbeplakat mit den Logos der Fanvereinigungen aus beiden Städten

Denjenigen, die die Idee hatten, einfach trotzdem zu der Uhrzeit einen Kick anzusetzen, die wahrscheinlich den meisten Stadiongehern in den Kram passt, sprich samstags halb vier, gebührt ein großes Dankeschön. Denn damit bot sich die Gelegenheit, nicht nur gegen etwas zu sein, sprich gegen Spiele zur Unzeit am Montag, sondern auch für etwas zu sein: Für einen Kick samstags um halb vier, für kreativen Protest, für gemeinsames Aufstehen und Gegeneinanderspielen beider Fanlager, für Support, für ein Ausrufezeichen an gelebter Fankultur.

Überall wurde bereits Wochen vor dem Kick mit dem Slogan „Samstags halb vier – Fußball, Bratwurst, Bier!“ der Fankick zwischen den Teams aus dem Breisgau und Rheinhessen beworben. Mit Jürgen Girtler wurde ein kompetenter Pressesprecher  ernannt, der schon letztes Jahr souverän das CrowFANding fürs Fanhaus Mainz medial begleitete. Und mit Petr Ruman wurde auf Seiten des FSV ein kompetenter Trainer verpflichtet. In den letzten Tagen vor dem Spiel wurde mit Plakaten (sogar offiziell genehmigt von der Stadt Mainz) überall in der goldenen Stadt am Rhein dafür geworben – mit den Logos der Fangruppierungen aus Freiburg und Mainz!

Mit Spendenbüchsen wurde für die Fahrtkosten der Freiburger gesammelt
Mit Spendenbüchsen wurde für die Fahrtkosten der Freiburger gesammelt

Die Location, in der der Kick stattfinden sollte, war natürlich der absolute Knaller: das Stadion am Bruchweg, Spielort der Nullfünfer bis 2011 und weiterhin gefühlte Heimat des Fußballsportvereins von 1905. Keine Ahnung, wer das mit dem Verein hinbekommen hat, das Ding am Bruchweg steigen zu lassen, ob Supporters, Fanabteilung, Fanbeauftragte, Fanprojekt, (Fanvertreter im) Aufsichtsrat, oder vielleicht alle zusammen? Auf jeden Fall ein weiteres großes Dankeschön dafür! Somit war alles gerichtet, für unseren Kick am Samstag, um halb vier im Stadion am Bruchweg.

Für Fans wurde nur die Gegengerade geöffnet. Die Nordtribüne gibt’s nicht mehr, bis auf die Sitze, die Ihr Euch im Rahmen des CrowdFANdings letztes Jahr gesichert habt, die Südtribüne zierte ein großes Spruchband in rot-weiß „Samstag halb vier – Fußball, Bratwurst, Bier“ und auf der Haupttribüne nahmen auch ein paar Nasen platz – vielleicht die Handkäsmafia oder die Hautevolee aus der Stadt Gutenbergs… Am Eingang zur Gegengerade prankte eine eigens für diesen Tag geltende Stadionordnung, in der publiziert wurde, was hier nicht hin passt: Keine Homophobie, kein Faschismus, kein Sexismus, kein Rassismuss, kein Hass. Wäre schön, wenn diese Bestandteile in allen Stadionordnungen der Republik fest verankert und dementsprechend gelebt würden – und Clubs, die dafür einstehen, den entsprechenden Rückhalt, von den Verbänden erhielten!

Sehr leckere Verpflegung zu sehr moderaten Preisen
Sehr leckere Verpflegung zu sehr moderaten Preisen

Wenige Meter weiter waren Sammelbüchsen aufgestellt worden „Samstag halb vier“ prankte auf diesen und es bleibt zu hoffen, dass diese sich mit der Zeit füllten, galt es doch, die Anreise der Freiburger ein wenig mitzufinanzieren – schließlich werden viele innerhalb von zwei Tagen zweimal Gäste in unserer Stadt sein. Wenige Meter weiter wurde der edlen Spenderin und dem edlen Spender die gute Tat gleich vergolten, wenn diese einen Blick auf die Verpflegungsstellen warfen: Einerseits monetär mittels sehr fairer Preise, andererseit mit allerlei Leckereien wie Spundekäs‘ mit Brezeln oder Couscous-Salat oder der „Hellen Begeisterung“, dem Bier von Kuehn Kunz Rosen, der Mikrobrauerei, die gleichzeitig Nachbar im alten Rohrlager der neuen Heimat aller Nullfünfer ist: dem Fanhaus Mainz! Übrigens gibt es die „Helle Begeisterung“ exklusiv nur bei Veranstaltungen des Fanprojekts Mainz – da Kuehn Kunz Rosen den edlen Stoff nur fürs Fanhaus braute! Danke und Prost!!!

Die Stahlrohrtribünenstufen nuff und ein Blick nach rechts in den Gästeblock führte zu einem Rattern in meinem Gedächtnis. Wolfsburg mal mittwochs abends erste Liga, ca. 23 Fans, Paderborn dienstags spätnachmittags zweite Liga, ca. 20 Fans davon einer auf dem Platz, um die Aufstellung zu präsentieren – Freiburg samstags zum Fankick ca. 300 Fans! Soviel Hüte kann man gar nicht dafür ziehen! Emi Schömer, der Stadionsprecher, der es letztes Jahr in Mainz eingeführt hat, die Aufstellung endlich erst kurz vor dem Auflaufen der Mannschaften zu präsentieren, war wieder aktiv und durfte in den folgenden 90 Minuten über Langeweile beim Toreverkünden nicht klagen.

Neben Gauls Catering verpflegten auch die Ultras und andere Fans die Stadiongängerinnen und Stadiongänger
Neben Gauls Catering verpflegten auch die Ultras und andere Fans die Stadiongängerinnen und Stadiongänger

Die Stimmung in beiden Blöcken war hervorragend und plötzlich lag der Ball im Mainzer Tor. Die Freiburger im Gästeblock rasteten erwartungsgemäß komplett aus – bis der Schiri die mittlerweile berühmte Yogaübung für Arme durchführte und den Videobeweis anforderte: nach einer längeren Diskussion, die mal wieder dazu führte, dass es zu einer Zweiteilung der Fußballfans kam. Als Stadiongänger  wusste man nicht, wohin mit seinen Emotionen und als imaginärer Fernsehzuschauer tat sich ganz plötzlich die Möglichkeit auf, entspannt zum Klo zu gehen oder ein kühles Bier aus dem Kühlschrank zu holen, da das ja jetzt ohnehin wieder ein zwei Minuten dauern würde, ehe entschieden ist., Anscheinend war man sich letztlich einig – den Videobeweis in die Tonne zu kloppen!!!

Der Videobeweis wird am Bruchweg entsorgt - den braucht in der Form niemand, genausowenig wie Montagsspiele
Der Videobeweis wird am Bruchweg entsorgt – den braucht in der Form niemand, genausowenig wie Montagsspiele

In Halbzeit zwei dann der nächste Aufreger, als ein vermummter Flitzer den Bruchweg stürmte. Ein Leben lang…dieselbe Unterhose an…man konnte zumindest von der königsblauen Farbe der Unterhose des Flitzers Assoziationen mit einem Ruhrpottklub herstellen. A propos Ruhrpott: Unterstützung erfuhren die Nullfünfer an diesem Tag auch aus Duisburg – Respekt auch an die Zebrafans, die den Weg am Samstag hierher gefunden haben.

Tore sind schließlich auf beiden Seiten gefallen – auf der einen mehr, auf der anderen weniger. Dennoch wurde der Nullfünfer-Trainer Petr Ruman frenetisch gefeiert, zunächst am Spielfeldrand – danach als Elfmeterschütze, als er sich selbst einwechselte. Elfmeter und Ruman, da war doch was…ich sag nur Zandi, Torlinie, DFB-Pokal, Dezember 2005 😉

Ein Leben lang...dieselbe Unterhose an...Schwarz-gelb macht Jagd auf Königsblau

Ein Leben lang…dieselbe Unterhose an…Schwarz-gelb macht Jagd auf Königsblau

So um 17.18 Uhr war der Kick beendet, die Feierei in beiden Fanlagern aber noch lange nicht. Mit einer La-Ola wurden die Breisgau-Brasilianer Vol. 2 vom Mainzer Block verabschiedet und das Ergebnis war da schon längst wieder vergessen bzw. gar nicht auf dem Schirm (der lag ja in der Tonne).

Vielmehr ging ein wunderbarer, friedlicher, warmer Frühlingsnachmittag an einem historischen Ort zu Ende. So viele Menschen haben dafür teilweise wochenlang harte Vorarbeit geleistet. Ein letztes großes Dankeschön an alle Beteiligten. So macht Protest Spaß, Sinn und eine 3:9 Niederlage sogar noch Freude, nur Montagsspiele braucht wirklich niemand!

Ein gelungener Samstag-Nachmittag, der soviel besser als ein Montag-Abend ist
Ein gelungener Samstag-Nachmittag, der soviel besser als ein Montag-Abend ist

Hier geht es zu allen Bildern des Spiels.

Egal, was andere erzählen

Wann hattet Ihr gestern Euren emotionalen Tiefpunkt? Nach 5 Minuten, als das Glück der Diva vom Main mal wieder hold war? Nach dem zweiten oder dritten Treffer oder dem Führungstor in Hamburg? Bei mir war es irgendwo da in der genannten Phase. Ja, Abstiegskampf ist unangenehm, macht wenig Spaß und dann ist da jetzt auch noch die Fastenzeit, in der ich persönlich versuche, wenn ich nicht auf Reisen bin, auf Gerstensaft zu verzichten. Das Leben ist schön – nur aktuell nicht so wirklich, wenn man sich ausschließlich auf die gegenwärtige Lage unseres Vereins fokussiert.

05 bleibt mein Verein
05 bleibt mein Verein

Aber nach jedem Tiefpunkt geht es bekanntlich wieder aufwärts. Bei mir persönlich zunächst, als ich mich köstlich über das hochwertig hergestellte Plakat auf der Gegenseite amüsieren durfte. „05er sind die größten Flaschen!“ – you made my day, liebe Diva vom Main. Die Meenzer Metzger haben nüchtern auf Twitter festgestellt „1-Liter-Flaschen sind größer“. Und wenn die schwarz-weiße Kreativität nicht weiter entwickelt ist, dann ist „bunter Scheiß“ halt doch vielleicht der geilere „Scheiß“? Wenn man sich auf’s rein Sportliche beschränkt (hüstel), dann wurde der Tiefpunkt spätestens durchschritten, als weitere zwei Tore in Hamburg fielen und im Waldstadion nix mehr passierte. Dass dann die Truppe vom Don noch durch ein Eigentor gewinnt – nein es ist nicht alles schlecht gelaufen gestern. Und dass man sich für die Hertha und S04 freut – so what, das ist Abstiegskampf…und der ist unangenehm, macht wenig Spaß und Jever Fun bleibt Jever Fun.

„Egal was andere erzählen, 05 nur Du bist mein Verein“ wurde im Block sehr gut passend auf das Flaschenplakat intoniert. Und so lautete auch mein Post nachkicks in den sozialen Netzwerken. Denn da ging es mir tatsächlich irgendwie schon wieder besser. Die letzten Gegentore waren bereits mehr als eine Stunde her und wir haben, Stand Sonntag Morgen, nur in der Tordifferenz zwei Tore gegenüber Hamburg (und Wolfsburg) verloren. Dass die Saison hart wird, war doch irgendwie klar. Es gab kein Paderborn, Fürth, Darmstadt oder Tasmania Berlin in der Liga. Wer soll denn da in einer solchen Liga bitteschön eher in den Abstiegskampf gezogen werden? Freiburg – bewirbt sich gerade. Augsburg – geht erst jetzt die Luft aus. Dass es Köln (Europapokal), Wolfsburg (Deutscher Meister 2009) und der HSV (unabsteigbar) wurden, zeigt doch schon, wie die Liga aktuell besetzt ist. 

Da ich vom rein sportlichen Geschehen keine Ahnung habe, wundere ich mich immer wieder, wie in den sozialen Netzwerken so viele Leute, den handelnden Personen Unfähigkeit vorwerfen können. Bin ich wirklich der einzige, der keine Ahnung hat (außer Rouven und Sandro natürlich)? Den Trainer rauszuschmeißen hat in Hamburg ja nicht wirklich was gebracht. Und in Köln auch noch nicht komplett. Und auch in Wolfsburg hat die Demission von Martin bei denen noch nichts bewirkt. Und was haben Sandro und Kloppo gemein? Richtig, sind beide schon mal als Trainer mit 05 abgestiegen. Dass Sandro mit einer neu formierten Jugendmannschaft in einer so stark besetzen Profi-Liga mit Vereinen wie Jahn Regensburg und Holstein Kiel abgestiegen ist? Hat wohl noch keiner mitbekommen. Und dass einer dieser beiden Vereine jetzt womöglich eine Relegation zum Aufstieg in die Bundesliga (!) spielt? Zeigt hoffentlich allen virtuellen Rausschmeißern, in welcher Liga Sandros Team da letztes Jahr fast nicht abgestiegen wäre. 

Was wohl seit dem Pokalspiel in Frankfurt gewirkt hat, und das finde ich wirklich gut, ist die Reaktion von Rouven. Bereits beim Schalke Heimspiel hat er sich gezeigt und entsprechende Zeichen Richtung Tribüne gegeben. Und auch gestern war seine Reaktion in Ordnung. Er musste sicher auch erstmal lernen, dass Sportdirektor mehr ist, als das Wirken im Hintergrund. Und sein Zitat in Richtung Per Mertesacker gilt auch für alle Protagonsten bei 05. Es sind hier immer noch Menschen am Werk. Und die haben Schwächen und  machenFehler. Auch das sollten wir alle bitte nicht vergessen.

Auch in Ordnung war  gestern die Tatsache, dass der Großteil der Leute im Block blieb, trotz angekündigter Blocksperre bis 18 Uhr durch die Ordnungshüter. Das ist die richtige Richtung: Den Verein unterstüzten, auch wenn man dazu eigentlich keine Lust mehr hat, einem das Zweikampfverhalten auf den Sack geht, die Spieler zu wenig laufen, der Torhüter einen Ball durchlässt. Oder will man nach dem Ende der Saison einfach nur Recht haben und sagen, „das habe ich doch schon am zweiten Spieltag gesagt“, „war eh klar“, „sag‘ ich doch“ etc. Wenn einem die Genugtuung tatsächlich wichtiger ist als der Verein, dann „habe ich fertig“ – ein Zitat, das auch noch nach 20 Jahren gilt. 

Aber wer jetzt immer noch weiterliest, bei dem ist wohl die 05-Liebe noch vorhanden. In diesem Sinne finde ich für uns alle den Termin am Mittwoch eine sehr gute Sache. Ich möchte mich bei denen bedanken, die dieses Treffen möglich gemacht haben – die immer noch die Energie haben, den Bock, zumindest außerhalb des Platzes, umzustoßen. Hoffentlich werden da die Themen angesprochen, die beide Seiten bewegen, und Lösungsansätze gefunden, damit wir danach emotional gestärkt in die entscheidenden Wochen gehen und wir alle sagen können „Egal, was andere erzählen, 05 nur Du bist mein Verein, mein Verein!“

Früher war alles…anders

„Vielleicht ist es nicht die schlechteste Idee, nach Fastnacht mal auf eine Insel zu fahren, den Kopf frei zu bekommen und aus der Ferne den Status Quo rund um unseren geliebten Fußballsportverein zu analysieren. Allerdings wird dies kein weiterer „Meilenstein“, der sich mit der sportlichen Situation im Fußball in Liga 1 auseinander setzt. Schließlich weiß ich ganz genau, wovon ich keine Ahnung habe. Und es gibt da Menschen im Verein, die das sicher besser beurteilen können.

Niki Zimling nach dem Spiel in Regensburg
Niki Zimling nach dem Spiel in Regensburg

Was ich hoffe, beurteilen zu können, ist die Situation neben dem Platz, in der wir uns aktuell befinden: Wir, das bedeutet für mich Vereinsverantwortliche, Spieler, Fans. Interessanterweise wird von Sandro oft die gute alte Zeit beschworen, in der bei Mainz 05 alle zusammenhielten. Doch damals gab es noch kein Internet aber bereits Leute, die alles besser wussten als Trainer und Manager. Diese Leute gibt’s wohl, seitdem Fußball als so attraktiv erscheint, dass dem Spiel passiv beigewohnt wird. Matthias Sammer hat natürlich Recht, wenn er behauptet, Fußball gab es vor den Fans. Allerdings sollte er überlegen, warum er soviel Kohle in seiner Karriere gescheffelt hat. Fußball um des Fußball willens funktioniert…in der Kreisliga. Ohne Zuschauer gibt’s letztlich kein Geld zu verdienen. Er sollte vielleicht mal bei den OlympionikInnen nachfragen, wie die sich zwischen den Spielen vier Jahre lang finanziell durchschlagen und nun wieder bis Beijing 2022 medial in der Versenkung verschwinden.
Aber zurück zur angeblich guten alten Zeit bei unserem Verein. Für Motzer und Meckerer war früher nur Platz am Stammtisch und für diese Leute ist das WWW wahrlich ein Geschenk des Himmels, wurde doch schließlich die ganz persönliche Meinung durch einen Mausklick nun für die gesamte Netzgemeinde weltweit lesbar – was vorher höchstens noch der Nachbartisch mitbekommen hat.
Auch heute glaube ich, dass wir wie anno dazumal alle ein Ziel haben: Den maximalen Erfolg unseres Vereins. Ich glaube nicht, dass es eine Gruppe im Umfeld des Vereins gibt, die bewusst quertreiben möchte. Das ist für mich schon ein starkes Pfund im Abstiegskampf. Hier trifft niemand kühne Entscheidungen im Alleingang. Auch muss einem Kind kein Spielzeug weggenommen werden. Aber es gibt seit den Tagen als die alten Helden Jürgen und Don das Schiff Mainz 05 verlassen haben einfach ein Vakuum, das bisher nicht gefüllt wurde. Es handelt sich dabei genau um das, was Sandro mit „früher“ bezeichnet. Früher wurde sich zusammengesetzt, disputiert und eine Lösung gefunden. Das funktionierte oft am Zaun von Lübeck, Kiel und Medias, gefühlt hundert Mal in Fürth und vielleicht auch in Velbert aber sicher hinter den Kulissen, weil sich die Protagonisten auch lange genug kannten, um tiefer liegende Ursachen für Missstimmungen anzugehen. Dieses Vakuum müsste halt jemand füllen, der auf der Trainerbank während der Spiele Platz nimmt und direkt „eingreifen“ kann, also Kuhni, Sandro oder Rouven. Das funktioniert aber natürlich nicht von jetzt auf gleich und wenn man sich dazu nicht in der Lage fühlt oder sieht, dann klappt das halt nicht so wie früher. Wäre zwar kacke, ist dann aber halt so. Aber das ist meiner Meinung nach die sooft beschworene 05-Identität.
Seit geraumer Zeit habe ich aber ohnehin schon ein ganz klein wenig das Gefühl, dass man als aktiver 05-Fan oft nur lästiges Beiwerk beim Geschäft Profifußball ist. Es kommt jetzt allerdings keine DFB-Schelte, denn die großen Probleme sind ohnehin bekannt.Es sind die kleinen Mainz-bezogenen Dinge, die mich da nachdenklich stimmen. Dass z.B. die Mannschaft in Hoffenheim nicht zum Zaun kam, ist für mich ein Déjà vu, fuhr ich doch in Liga 3 häufig auch mal auswärts – zuletzt im April 2017 nach Regensburg, dienstags abends zur U23. Insgesamt hatten sich rund 10 05er aufgemacht, die Jungs im Abstiegskampf zu unterstützen. Wir waren als Gästefans eindeutig erkennbar und die Jungs machten sich auch vor uns warm. Nach dem verlorenen Spiel kam genau eine Person zum Block: Niki Zimling – der Rest der jungen 05er machte sich frustriert mitsamt dem Trainer-Team ab in die Kabine. Nein, man muss nicht zu den Gästefans gehen, da hat Philipp Köster von „11 Freunde“ Recht (allerdings hat er von unserer Situation leider wenig Ahnung).
Aber es ist halt schon ein Statement, das man abgibt: Uns sind die mitgereisten Fans egal. Oder wird man als Fan erst wahrgenommen, wenn man in der großen Masse auftritt? Denn hier zählt das Argument des Schmähgesangs nicht. Natürlich kann man mit 10 Leuten keinen Mega-Support leisten, aber angeblich bekommen das die Spieler ja eh während des Spiels nicht mit. Also frage ich mich schon, warum die höchste Ausbildungsmannschaft der 05er einfach nach dem Spiel abhaut. Den Jungs wird doch neben dem Fußball so viel vermittelt. Das wäre für mich ein Ansatzpunkt für die 05-Identität: Geht nicht nur zusammen in der Halbzeitpause vom Platz, sondern nachkicks im wahrsten Sinne des Wortes auf die Fans zu – egal ob es 5, 50, 500 oder 5.000 sind. Wollen die euch nur beleidigen, dreht einfach ab – das habe ich im Stadion am Europakreisel in sportlich besseren Zeiten öfters beim Gästeteam beobachtet – denn Beleidigungen braucht wirklich niemand und sie motivieren Spieler bestimmt nicht. Aber partout keinen Schritt in Richtung eigener Fans zu machen, ist und bleibt eine nicht hilfreiche Aktion, wenn es eh an allen Ecken und Enden brennt. Das wirkt dann wie ein Brandbeschleuniger.
Zurück zu Niki Zimling. Der alte Leader wusste was sich in Regensburg gehört, dabei war er es, der schon vor weit mehr als 10 Fans auswärts gespielt hat – anders als seine jungen Mitspieler. Und da sind wir beim nächsten Punkt, den Spielern selbst. Früher bei Sandro war die Verweildauer der Spieler bei Mainz 05 wesentlich länger als heute. Junge, talentierte Spieler zu holen, aufzubauen und teuer zu verkaufen, ist für unseren Verein eine gute Idee für das Haifischbecken Bundesliga mit dem Kollateralschaden, dass diese Jungs keine Bindung zum Verein und keinen Bezug zur Stadt aufbauen. Auch hier ist der Verein gefordert, die Jungs in die lokale Kultur einzuführen. Selbst die großen Bayern zwängen Weltstars zum Oktoberfest in die Lederhose. Da sollte es doch möglich sein, den Spielern etwas über die politisch, literarische Fastnacht beizubringen, die eine gewisse Selbstironie mit einschließt. Dann hätten die verantwortlichen 05er in Hoffenheim vielleicht verstanden, dass der Block, der halt einen an der Waffel hat, das nicht bierernst gemeint hat. Oder definiert man im Verein Fastnacht nur mit einem verkleideten Bajazz?
Und wir Fans? Was haben wir verbockt? In Hoffenheim sicherlich nach dem zweiten Tor von Emil nicht nochmal richtig Gas zu geben. Aber Fans sind halt auch nur Menschen, die nicht auf Knopfdruck supporten. Und jeder hat das Recht, zu supporten oder es sein zu lassen oder auch so zu supporten, wie es einem gefällt, so lange es keine Beschimpfungen sind. Ich habe natürlich leicht reden, hocke ich ja gerade fernab auf einer Insel, aber dennoch hoffe ich für Samstag auf eine große Unterstützung der Mannschaft in Hamburg und hoffe ferner, dass diejenigen, die sich seit geraumer Zeit missverstanden oder nicht ernst genommen fühlen, differenzieren zwischen der aktuellen sportlichen Lage unseres Vereins und der von ihnen so wahrgenommenen Situation, die es mittelfristig mit den Vereinsvertretern zu lösen gilt.
Denn wir alle sind gerade in der glücklichen Lage, einen neuen, unverbrauchten Präsidenten, einen allseits anerkannten, gewählten Fanvertreter im Aufsichtsrat, eine handlungsfähige Fanabteilung, einen kompletten Vorstand und rührige Supporters zu haben, die sich hoffentlich alle auf Augenhöhe begegnen und die Gräben zuschütten, die mit der Zeit entstanden sind.