Unterwegs auf dem Main(z)Radweg

Die schönste Art eine Reise zu beginnen, ist für mich persönlich die, bei der ich mich quasi von der Haustür ab im Reisemodus befinde – ohne Anfahrt zu einem Startpunkt der Reise. Autofahrten zählen da für mich genauso wenig dazu wie Flüge, Bahn- oder Busfahrten. Bisher ist mir das erst einmal gelungen: Meine Weltreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu der ich 2002 aufbrach. Ich startete in einem Mainzer Vorort mit dem Bus, fuhr zum Hauptbahnhof und setzte mich in den Regionalexpress nach Saarbrücken und übernachtete die erste von 365 Nächten im französischen Reims. Aber sonst war es mir bisher nicht gelungen, mich von der Haustür ab auf eine Reise zu begeben – bis zum Sommer 2020.

Start des MainRadwegs in Mainz-Kastel

In diesem ersten Pandemiesommer kamen wir auf die Idee, über die Mainzer Theodor-Heuß-Brücke nach Mainz-Kastel zu radeln und von dort den MainRadweg flussaufwärts entlang zu fahren. Dieser Premiumradweg beginnt quasi direkt vor unserer Haustür und schlängelt sich durch die drei Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg und Bayern über mehr als 500 Kilometer quer durch die Mitte Deutschlands. Im ersten Pandemiesommer waren Tests und Impfungen noch unbekannt, die Inzidenzen niedrig und der Glaube groß, das Schlimmste hinter sich gelassen zu haben. So starteten wir auf unsere erste Etappe nach Frankfurt am Main. Damals nahmen wir alle an, dass die AHA-Regeln ausreichten, um sich nicht anzustecken. Mutationen gab es noch nicht und die Übernachtung im Hotel und das Essen in Innenräumen galten als nicht wirklich riskant.

Die Fahrt in Richtung Bankenstadt mal nördlich, mal südlich des Mains war abwechslungsreich und führte quasi immer über Radwege und immer gut markiert in Richtung Osten. Das Rhein-Main-Gebiet über Offenbach bis nach Aschaffenburg mit dem Rad zu durchqueren ist meiner Meinung nach eine Reise, die sich für alle Radelnde aus der Region sehr lohnt. Natürlich hat nicht jede:r die Zeit, sich mehrere Wochen auf den Drahtesel zu setzen. Aber der Abschnitt Mainz – Aschaffenburg lässt sich in zwei Tagen wunderbar bewältigen. Belohnt werden Radelnde mit flachen Wegen durch viel Natur und an recht wenig urbanen Tücken wie Ampeln, Stau, Menschenmengen und motorisierten Verkehrsteilnehmenden vorbei.

Ankunft in Frankfurt am Main

Gerade die Uferpromenaden in Frankfurt und Offenbach waren sehr beeindruckend. Danach ging es über Wiesen, Felder und durch Wäldchen direkt am Main entlang bis zum imposanten Schloss Aschaffenburg. Hinter der Stadt wurde das Maintal recht schnell enger und manchmal führte der MainRadweg neben der Bundesstraße auf der Spessart- oder Odenwaldseite entlang. Miltenberg war uns persönlich ein wenig zu überlaufen, unser dritter Übernachtungsstopp Wertheim hat uns hingegen sehr zugesagt. Hier mündet die Tauber in den Main und eine Burg wartet, erklommen zu werden.

Wir radelnden die vielen Mainschleifen nach Norden und Süden und kamen am vierten Tag in Lohr am Main an. Wie in Wertheim war es auch hier nicht so hektisch – das war Ende August 2020 aber auch dem Wetter geschuldet, denn es regnete den ganzen Nachmittag und Abend munter drauf los. Regen auf Fernradtouren in Deutschland ist eigentlich normal. Daher ist es wichtig, sich mit dem richtigen Gepäck aufs Rad zu schwingen. Waren früher auch Taschen aus Segeltuch bei Radlern sehr beliebt, bieten mittlerweile viele Hersteller Taschen aus einer Art „LKW-Plane“ an, die hundertprozentig wasserdicht und sehr robust ist. Allerdings ist das durch die Verwendung von PVC nicht unbedingt die umweltfreundlichste Variante. Aber mittlerweile bieten Hersteller auch PVC-freie Varianten an, die etwas teurer sind.

Schloss in Aschaffenburg

Am nächsten Tag war das Wetter wieder besser und wir radelten von Lohr über das schöne Gemünden, das zum Glück nicht so überlaufen war, weiter bis nach Würzburg. Die immer häufiger auftauchenden Weinberge erinnerten ein wenig an die Mosel und wir waren in Weinfranken angekommen. Im Nachhinein ist die Strecke von der Mündung bei Mainz bis nach Würzburg für uns eindeutig der schönste Teil des MainRadwegs. Die Route folgte fast permanent dem Fluss und die Blicke in den Odenwald und Spessart zwischen Aschaffenburg und Würzburg waren oft wunderschön.

Unterwegs durch die Streuobstwiesen in Mainfranken

In Würzburg unterbrachen wir die Tour und fuhren mit dem Zug nach Mainz zurück. Das Schöne an den relativ kurzen Etappen des MainRadwegs ist die Möglichkeit, Arbeit und Freizeit perfekt zu kombinieren. So war es mir möglich morgens zu arbeiten und nachmittags zu radeln. Alle Etappenorte boten 4G/LTE und so war das Arbeiten mit Laptop und Internet problemlos möglich zumal auch die meisten Hotels mittlerweile einigermaßen schnellen WLAN anbieten. Eigentlich wollten wir bereits ein paar Wochen später im Herbst 2020 von Würzburg aus den MainRadweg weiterradeln, doch das Wetter machte unserer Planung einen Strich durch die Rechnung. Der September war zu durchwachsen und der Oktober für uns schon ein wenig zu kühl zum Radeln. Daher vorschoben wir den zweiten Teil auf das Frühjahr 2021.

In Würzburg wurde die Tour unterbrochen…für 10 Monate

Allerdings machte uns die Pandemie zunächst einen Strich durch die Rechnung, da touristische Reisen von November 2020 bis in den Mai 2021 untersagt waren. Auch das Sicherheitsempfinden hatte sich geändert. Im Mai 2021 reisten wir daher zunächst durch Modellregionen Schleswig-Holsteins und empfanden es in jenen Regionen als angenehm, in denen wir das Frühstück im eigenen Zimmer zu uns nehmen durften.

Für mehr als 7 Monate waren touristische Übernachtungen verboten, geschäftliches Reisen war allerdings nie untersagt. Und plötzlich Mitte Mai ging alles ganz schnell. Die Hotels durften Tourist:innen wieder empfangen und auch die Innengastronomie durfte wieder öffnen. Es gab zwar Testverpflichtungen bzw. die Nachweispflicht für Geimpfte und Genesene, aber es ist auch klar, dass Tests keine hundertprozentige Sicherheit bieten, da es ja immer ein Zeitfenster gibt, zwischen Testung und Aufenthalt im Innenraum eines Restaurants. Und dass Geimpfte und Genesene das Virus womöglich weitertragen können, ist bisher auch nicht ausgeschlossen. Daher wollten wir die Innengastromie unbedingt meiden, gleichzeitig aber die Radtour fortsetzen.

Eine der unzähligen Mainüberquerungen hier bei Ochsenfurt

Daher waren für uns nun ganz andere Kriterien bei der Hotelauswahl entscheidend. War es möglich, draußen zu frühstücken? Dazu schauten wir uns die Bilder der Hotels im Netz an, waren aber manchmal auch nicht wirklich daraus schlau geworden. Leider schreiben Hotels grundsätzlich wenig bis gar nichts dazu, ob sie die Möglichkeit bieten, draußen zu frühstücken.

Wenn wir uns das Verhalten der anderen Reisenden anschauten, die sich einfach an die Regeln hielten, sich aber anscheinend ansonsten keinen Kopf um eine mögliche Ansteckung machten, kamen wir uns schon ein wenig übervorsichtig vor – hielten unserer Verhalten dennoch für angemessen.

Ende Juni 2021 machten wir uns schließlich daran, den zweiten Streckenabschnitt zu absolvieren. Mit den Rädern in der Bahn ging es mit dem Quer-durchs-Land-Ticket nach Würzburg. Hatten wir es im letzten Jahr mit der Bahn noch geschafft, ein oder zwei Tage vor der Rückfahrt eine Radreservierung für einen InterCity von Würzburg nach Mainz vorzunehmen, waren dieses Mal alle Verbindungen bereits Tage zuvor ausgebucht. Das Quer-durchs-Land-Ticket der Bahn ist für zwei Leute mit 49 Euro eine gute Alternative, da man am Reisetag am Wochenede alle Züge des Nahverkehrs nehmen kann und werktags ab 9 Uhr morgens. So waren wir flexibel und brauchten keine Angst vor Zugausfällen oder verpassten Anschlüssen zu haben. Dazu kauften wir noch eine Fahrrad-Karte Deutschland für 6 Euro pro Rad.

Ankunft in Kitzingen

Vom Hauptbahnhof in Würzburg aus sind es nur wenige Hundert Meter bis zum Mainufer und zum MainRadweg. An unzähligen Wiesen geht es flussaufwärts aus der Stadt hinaus nach Süden. Mit Ochsenfurt, Marktbreit und Kitzingen warteten die nächsten kleinen Städte mit schönem mittelalterlichen Stadtbild darauf, entdeckt zu werden.

Hinter Kitzingen zieht der Main wieder viele Schleifen, die Berümteste ist die Mainschleife bei Volkach. Diese lässt sich vom Rad auf dem MainRadweg nicht wirklich erkennen. Vor Jahren sind wir hier gewandert und tatsächlich laden viele Orte am MainRadweg zu einem Zwischenstopp ein, um die Region per Pedes zu entdecken. Die ersten Wallfahrtskirchen zeigen, dass wir längst in der weiß-blauen Idylle Bayerns angekommen sind. Gar nicht so idyllisch kommt dann die Industriestadt Schweinfurt daher. Sie bietet allerdings die Möglichkeit, auf einer Maininsel zu übernachten. Die ersten Kilometer hinter Schweinfurt verläuft der MainRadweg paradiesisch anmutend an zahlreichen Picknickplätzen vorbei. Manchmal ist allerdings die Wegführung des MainRadwegs etwas fraglich, insbesondere hinter Haßfurt. Dort führt der Weg nach Zeil am Main auf einem Radweg entlang einer vielbefahrenen Bundesstraße. Vom Main war hier überhaupt nichts zu sehen, obwohl es von Haßfurt einen Radweg zum Main gibt, der weiter nach Sand am Main am Fluss entlangführt. Denn auch von Zeil am Main führt der MainRadweg nach Sand am Main. Später geht es auf Radwegen zwischen den Orten neben einer Straße entlang an weiter flusaufwärts. In den Orten verschwindet der Radweg und Radfahrer werden dauernd daran erinnert, dass hier „rechts vor links“ gilt, während Autofahrer die Ortsumgehung nutzen können. Das war für uns eindeutig der unattraktivste Teil der Tour, schließlich gab es auch kaum nette Einkehrmöglichkeiten am Wegrand, die wir seit Aschaffenburg bis kurz vor Schweinfurt so genossen haben.

Blumenwiesen gibt es entlang des Mains zum Glück wieder häufiger.

Kurz vor Bamberg in Bischberg dreht der MainRadweg nach Norden ab, da Bamberg gar nicht am Main, sondern an der Regnitz liegt. Die Einfahrt in die schöne Stadt versöhnt ein wenig mit den vorherigen Kilometern. Durch viel Grün geht es quasi bis zum Rathaus, das auf eigener Miniinsel im Fluss liegt. Die Stadt entdeckten wir zu Fuß im strömenden Regen. Sie war trotz des schlechten Wetters recht gut besucht. Es ist anzunehmen, dass sie bei schönem Wetter besonders am Wochenende völlig überlaufen ist. Glücklicherweise warteten flussaufwärts weitere kleinere Städte darauf, von uns besucht zu werden. So gelingt es den Fernradfahrenden auf dem MainRadweg immer wieder den Massen zu entkommen.

Am nächsten Tag ging es für uns die 5 Kilometer wieder zurück nach Bischberg und über die Regnitz zurück zum Main, der hier ein Vogelparadies par excellence ist. Wenige Kilometer weiter nördlich sticht schon das Kloster Banz ins Auge, das westlich vom Main auf einem Berg thront. Auf der anderen Flussseite taucht wenig später die Basilika Vierzehnheiligen auf, die nur ein Kilometer vom MainRadweg entfernt bergan liegt. Ein paar Kilometer weiter erreichen wir die Korbstadt Lichtenfels. Anders als das rummelige Bamberg, konnten wir hier in aller Ruhe die kleine Altstadt durchstreifen.

Das Wetter war teilweise durchwachsen. Daher sind wasserdichte Taschen Pflicht.

Tags drauf wurde es etwas wilder, da der MainRadweg zum ersten Mal überhaupt mit Steigungen aufwartete. Bisher konnte die Tour eigentlich mit einem Rad ohne Gangschaltung zurückgelegt werden, oder wie in meinem Fall mit einer arg ausgeleierten Kette. Leider sind in Mainz Fahrradwerkstätten dauerausgelastet. Als meine Kette zwei Wochen vor der geplanten Tour anfing, Probleme zu bereiten, war mir klar, dass ich keinen Termin mehr bekommen würde. Ich kürzte die Kette um vier Glieder und konnte so die Tour wenigstens antreten. Zwischen Hochstadt und Burgkunstadt bekam ich allerdings die Quittung. Schon bei einer Umleitung, die anders als alle anderen nicht richtig ausgeschildert war, ging es steil bergauf und ich konnte auf den jeweils größten Ritzeln vorne und hinten nicht mehr hochfahren. So musste ich an diesem Tag mehrmals schieben.

Daher wuchs in mir der Entschluss, spätestens in Kulmbach eine Werkstatt aufzusuchen. Glücklicherweise werden auf der Webseite des MainRadwegs alle Fahrradläden mit Werkstatt aufgelistet. So begab ich mich am nächsten Morgen im strömenden Regen zur Öffnung des Ladens zu besagter Werkstatt. Das Team war extrem hilfsbereit und brachte mein Rad innerhalb von drei Stunden wieder auf Vordermann. Da es ohnehin den ganzen Morgen regnete und auch die Strecke nach Bayreuth mit 35 Kilometern ziemlich kurz war, passte dieser Reparaturstopp ideal.

Hinter Bischberg bei Bamberg ist der Main nicht mehr schiffbar. Dafür werden die Brücken um so schöner.

Die Bierstadt Kulmbach liegt bereits am Weißen Main. Der Main besteht aus zwei Quellflüssen, dem besagten Weißen Main und dem Roten Main. Mit frisch repariertem Drahtesel ging es wenige Kilometer wieder flussabwärts zum Mainzusammenfluss von Weißem und Roten Main. Die Farbgebung liegt an den unterschiedlichen Gesteinszusammensetzungen, die für eine hellere bzw. eine rötlichere Färbung sorgen. Am Zusammenfluss selbst ist davon allerdings wenig zu sehen.

Ist der Main bereits seit Bamberg nicht mehr schiffbar (die Schiffe fahren auf der Regnitz durch Bamberg und dem Main-Donau-Kanal weiter in Richtung Schwarzes Meer), wird er auf dem Weg nach Bayreuth tatsächlich zu einem Bach, der durch die berühmte Festspielstadt fließt. In Bayreuth gönnten wir uns zwei Hotelnächte, was nach den vorangegangenen fünf Nächten in fünf verschiedenen Unterkünften an sich schon eine Wohltat war. Allerdings läuft das Packen für Radreisen auch wesentlich einfacher ab, als für Wanderungen oder sonstige Touren, da die Radtaschen relativ klein und dadurch übersichtlich bleiben.

Der Mainzusammenfluss bei Kulmbach.

Ohne Gepäck ging es die letzten Kilometer hinauf zur Rotmainquelle. Der offizielle MainRadweg machte hinter Bayreuth einen riesigen Schlenker vom Main weg. Dafür führte der Pegnitz-Radweg in der Nähe des Mains bis ins Städtchen Creußen, der letzten Ortschaft vor der Quelle. Dort trafen wir wieder auf den MainRadweg, der von der Rotmainquelle kommend hier in dem Ort mit Bahnanschluss endet. Wie in Mainz-Kastel fehlt hier in Creußen ein Übersichtplan, den es unterwegs zu Hauf gibt. Eigentlich schade, wenn man fast zwei Wochen auf einem Premium-Radweg unterwegs war und dieser an einem Bahnhof so einfach endet.

Wir fuhren nun in umgekehrter Richtung den MainRadweg über die Rotmainquelle in Richtung Bayreuth zurück. Ging es zwischen Bayreuth und Creußen auf dem Pegnitz-Radweg schon mächtig berghoch, so wurde der Feldweg in Richtung Quelle richtig steil. Andere Radelnde waren überhaupt nicht zu sehen. War der MainRadweg im letzten Jahr insbesondere durch E-Bike-Radelnde manchmal richtig überlaufen, hatten wir dieses Mal den Weg fast immer für uns alleine. Das galt auch für die unscheinbare Rotmainquelle. Das Wasser läuft aus einem Rohr aus dem Fels und der wichtigste Nebenfluss des Rheins nimmt hier seinen Anfang, eher er gegenüber meiner Heimatstadt in den Rhein mündet.

Ankunft an der Rotmainquelle

Die Fahrt auf dem MainRadweg war fast durchweg ein Genuss. Autofahrende waren immer rücksichtsvoll, die Menschen, denen wir begegnet immer hilfsbereit und zuvorkommend. Der Internetauftritt des MainRadwegs ist tatsächlich sehr nützlich, sei es für die Streckenplanung, für die Hotelauswahl mit Bett & Bike Zertifizierung oder die Auflistung der Werkstätten am Wegrand. Es waren 12 wunderbare Tage auf diesem Radweg und eine schöne Möglichkeit, die Reise quasi vor der Haustür zu beginnen und das mitten in der Pandemie mitten in Deutschland.

Corona-Disclaimer:

Folgende aktuellen Erfahrungen haben wir im Sommer 2021 auf dieser Reise gesammelt:

Übernachtungen

Gemäß den lokalen Verordnungen, mussten wir bei jeder Unterkunft einen Antigen-Schnelltest beim Einchecken vorweisen, der frühestens 24 Stunden vorher durchgeführt wurde bzw. einen Genesenen- bzw. Impfnachweis präsentieren. Leider wurde dies nicht bei allen Unterkünften tatsächlich geprüft. Umso mehr achteten wir darauf, dass wir die AHA+L-Regeln einhalten konnten, sprich, wir haben abends ausschließlich draußen gegessen und beim Frühstück darauf geachtet, entweder draußen zu frühstücken oder direkt am offenen Fenster bzw. der offenen Terrassentür. Das hat in fünf von sieben Übernachtungen im Sommer 2021 geklappt. Die zwei Mal, bei denen es nicht geklappt hat, erklärte uns das Hotel, sie hätten keine Konzession für Außengastro. Nach Rückfrage bei der Stadt Mainz ist eine Konzession nur notwendig, wenn auch Alkoholausschank stattfindet. Daher ist diese „Ausrede“ des Hotels also nicht ganz stimmig. Wahr ist allerdings, dass das mit der Stadt abgesprochen werden muss. Ob das überhaupt angefragt wurde, sei dahingestellt. Ich finde es wichtig, Unterkünfte zu sensibilisieren, dass es sehr wohl Gäste gibt, die gerne draußen frühstücken, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, auch wenn es behördlich genehmigt ist, Innengastro anzubieten. Denn nur weil etwas erlaubt ist, heißt es nicht, dass es auch gesundheitlich unbedenklich ist.

Zugfahrt

Auf der Zugfahrt von Mainz nach Würzburg bzw. von Bayreuth nach Mainz waren die Züge nicht überfüllt. Praktisch alle Fahrgäste haben Maske getragen. Maskenvereigernde wurden vom Personal darauf hingewiesen, eine Maske zu tragen. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, saßen wir mit unseren Rädern in der Nähe der Türen. Gegessen und getrunken haben wir nur am Bahnsteig.

Solidarität reicht nur bis zum nächsten Witz

Eine Nachricht traf diese Woche mitten in der Pandemie auf ziemliche Schadenfreude in den sozialen Netzwerken: Der Covid-19-Impfstoff des Tübinger Herstellers Curevac kommt laut aktuellen Studien auf lediglich 47% Wirksamkeit. Um mehr oder weniger genau um jene 47% ist der Aktienkurs des Unternehmens, an dem Dietmar Hopp über seine Kapitalgesellschaft Dievini Hopp BioTech Holding knapp 43 Prozent hält, abgestürzt und FUMS, das selbst ernannte Magazin für Fußball & Humor – twitterte „Selbst Hopps Impfstoff schafft keine 50+1“. Dieser Tweet traf auf sehr viel Gegenliebe mit mehr als 1200 Likes und 69 Retweets. Gerade im Vergleich mit anderen FUMS-Tweets war das ein voller Erfolg für den Account. Selbst Tweets zum gestrigen Deutschland-Spiel brachten nur rund gut die Hälfte an Likes. Auch andere Accounts wie „Titanic“ und zahlreiche mehr oder weniger prominente Einzelpersonen schossen beim Curevac-Debakel in Richtung Hopp. Kritik an diesen Tweets? Fehlanzeige.

Der Tweet von FUMS gefiel mehr als 1200 User:innen

Das Verhältnis zwischen vielen Fußballfans und dem 81-jährigen Investor und Mäzen der TSG Hoffenheim ist seit Jahren angespannt und fand wohl seinen Tiefpunkt kurz vor der Pandemie beim Spiel der Bayern in Sinsheim im Frühjahr 2020 – allerdings eher wegen des abgekarterten Spiels der Vereinsgranden beider Vereine, wie das ZDF inzwischen recherchierte. Auch Hopps teilweise etwas abgehobene Kommunikation in Bezug auf das Tübinger Unternehmen und seinen Impfstoff hat sicherlich dazu geführt, dass er sich damit keine neuen Freunde gemacht hat. Wie wohltuend ist da beispielsweise im Gegensatz das Auftreten von Uğur Şahin und Özlem Türeci von Biontech.

Die Häme, die Hopp und Curevac entgegenschlägt, war leider zu erwarten. Interessanterweise kommt diese Häme aber aus einer Fußballecke, die sonst bei vielen gesellschaftlichen Themen sofort aufschreit, etwa wenn es um rassistische, frauen- oder schwulenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Äußerungen geht. Das ist auch gut so und lobenswert. Schließlich erreichen die Konten der Fußballkultur-Influencer:innen viele Menschen im Land und tragen dazu bei, dass manche Dinge nicht unkommentiert stehen gelassen werden.

Der FCBlogin sah die Häme recht schnell kommen.

Beim Thema Curevac und Wirksamkeitswitzen ist das allerdings anders. Wenn sich nicht am Curevac-Bashing beteiligt wurde, herrschte auf diversen Twitter-Accounts Schweigen im Walde. Es gab keine Empörung, und die gibt es bei Twitter eigentlich dauernd – gerade letzte Nacht wieder nach den „Sieg!“-Geschrei in vielen Teilen der Republik. Nein, es gab keine wirkliche Empörung, sonst hätte die twitternde Fußballwitzgemeinde längst zurückgerudert, was sie in regelmäßigen Abständen immer mal wieder machen muss, schließlich machen wir alle Fehler. Ich denke nur an den FUMS-#Arbeitsnachweis „Mehr Kongolosen bei den Mainzern als Rheinland-Pfälzer“ vom September 2018, den ich in meinem Blogartikel „Say no to Dummgebabbel“ damals thematisiert hatte. Die Tweets zu Curevac sind immer noch abrufbar. Aber warum ist diese Schadenfreude überhaupt so kritisch zu hinterfragen?

Wir können uns alle glücklich schätzen, dass es so viele Forschende im letzten Jahr gab, die sich daran gemacht haben, einen Covid-19-Impfstoff zu entwickeln. Dass bereits Ende 2020  vier Impfstoffe aus der westlichen Welt, plus Impfstoffe aus Russland und China zur Verfügung standen, die mehr oder weniger weltweit zugelassen wurden, grenzt an ein medizinisches Wunder. Ob man nun ein paar Wochen früher oder später geimpft wird, spielt für den Einzelnen eine große Rolle und führt zu Frust und Ängsten. Das ist nachvollziehbar. Wenn man keine Aussicht auf eine Impfung hat, überkommt einen das Gefühl der Ohnmacht. Und nicht wenige Menschen, auch in Deutschland, beschlich dieses Gefühl im Verlauf der Pandemie – vielleicht just in den Momenten, in denen wieder ein Bild von einem Impfpass oder einem Pflaster auf Twitter hochgeladen wurde. Wie sieht es aber bei Menschen aus,  die in Ländern leben, bei denen es auf absehbare Zeit keine Möglichkeit auf eine Impfung gibt? Und die das auch mitbekommen, dass bei uns immer mehr Menschen geimpft werden?

VIP-Tribüne in Hoffenbeim anno 2013 beim Spiel gegen den 1. FSV Mainz 05

Und da sind wir bei Curevac angelangt. Der Impfstoff spielte für die aktuelle Impfkampagne in Deutschland längst keine Rolle mehr, da sich seine Zulassung immer wieder verzögerte. Curevac wollte einen perfekten mRNA-Impfstoff entwickeln, der zum Beispiel bei Kühlschranktemperaturen gelagert werden kann. Nicht jedes Land hat die logistischen Möglichkeiten, eine Kühlkette mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt aufzubauen, wie es für die anderen mRNA-Impfstoffe notwendig ist. Daher wäre der Impfstoff aus Tübingen ein Hoffnungsschimmer für diese Länder gewesen, um eine Impfkampagne zu starten. Dass diese auch uns zu Gute gekommen wäre, da dadurch das Risiko weiterer Mutationen reduziert worden wäre, wäre ein weiterer Punkt gewesen, diese „Vorlage“ im Kalauer-Wettbewerb nicht zu versenken.

Stattdessen überbietet sich das Netz mit Gehässigkeiten gegenüber Hopp und dem Unternehmen. Es ist anzunehmen, dass Hopp, anders als vielleicht in Hoffenheim, sich bei Curevac aus dem operativen Geschehen heraushält, sprich nicht aktiv an der Forschung beteiligt ist. Damit trifft der Spott und die Häme wegen der geringen Wirksamkeit weniger Hopp selbst als die Mitarbeitenden, die sich die letzten Monate den Hintern aufgerissen haben, um einen Impfstoff zu entwicklen. Wie das bei den Mitarbeitenden ankommt, kann sich jeder Mensch mit ein paar Krümeln Empathie sicherlich vorstellen.

Ferner führen die ach so witzig gemeinten Kommentare dazu, dass Leute, die mit Fußball an sich und mit Fans noch viel weniger am Hut haben, sich über das niveaulose Verhalten der Fans wieder echauffieren können – befeuert durch die Gralshüter der moralisch einwandfreien Fußballkultur. Dass die Witze letztlich auf Kosten von Millionen von Menschen gemacht werden, die jetzt weiter vergeblich auf eine Impfung warten, und viele Fans das auch noch lustig finden, ist an sich schon traurig. Aber da wird wieder ein Bild vom plumpen Fan manifestiert, das mit der Wirklichkeit wenig gemein hat. Schließlich sind es die Faninitiativen, die Veränderungen im Fußball angestoßen haben, und sich für die Beibehaltung der 50+1-Regel einsetzen. Dazu engagieren sich zahlreiche Kurven seit Jahren sozial und ehrenamtlich in ihrer Region. Diese Auftritte von Fans werden nicht wirklich gesehen, der Zuspruch zu solchen plumpen Tweets allerdings schon.

Das alles im Pride Month Juni abzulassen ist die Ironie des Schicksals, da man sich selbst natürlich zu den Guten zählt und gegen Diskriminierung, Rassismus aufsteht, wie heute bei der Debatte um die Kapitänsbinde in Regenbogenfarben. Die Solidarität mit Menschen in ärmeren Ländern reicht halt oft nur bis zum nächsten Witz. Pandemie hin oder her.

Prio 05 in der Homeoffice-Saison

Die Fußballbundesliga-Saison 2020/21 ist für Fans des 1. FSV Mainz 05 Geschichte und die herovrragende sportliche Leistung der Mannschaft in der Rückrunde ist kaum in Worte zu fassen. Bundesweit findet dieses Wunder jedoch wie immer keine richtige Würdigung. Um es positiv zu sehen: Es gibt doch einen Punkt, der sich in der Pandemie nicht verändert hat. Mainz 05 fliegt weiterhin unter dem Radar der meisten überregionalen Beobachter*innen. Da ich vom Fußball selbst wenig Ahnung habe, möchte ich mein Fazit der Saison aus meiner persönlichen Gefühlslage während der vergangenen 34 Spieltage und 2 Pokalrunden herleiten. Schließlich verbinde ich Fußball eher mit emotionalen Kettenreaktionen als mit stabiler Viererkette.

Ich bin der Meinung, dass es die ganze Saison über schwierig war, mit der Gesamtlage in Deutschland und darüber hinaus umzugehen. Pandemie und Stadionbesuche passen nicht zusammen. Jede*r von uns war unweigerlich gezwungen, sich die persönliche rot-weiße Fußballwelt neu aufzubauen. Es war ein notwendiger Umzug aus der geliebten Umgebung, dem Stadion mit Fangesängen, mehr oder weniger guten Gesprächen – manchmal abhängig vom Promillegrad, Bierduschen, Ketchupflecken, Kippenduft, Kloschlangen und Pfandbecherdiskussionen hinüber in eine Zone, die aus Radio, Fernseher, Smartphone und/oder Computer bestand . Wir begaben uns ins „Fan-Homeoffice“.

Farbe zu bekennen ist weiterhin möglich – auch ohne physische Präsenz im Stadion (Archiv-Bild vom Februar 2019)

Manche haben diesen Umzug vielleicht schon vor Jahren begonnen, etwa in dem sie zunächst nicht mehr oder nie auswärts gefahren sind, irgendwann die Dauerkarte abgegeben haben und auch keine Lust mehr hatten, überhaupt mal den Weg in die Bretzenheimer Felder auf sich zu nehmen. Je nach „Umzugs-Fortschritt“ war die Veränderung vielleicht für die eine oder den anderen im Laufe der Saison gar nicht so gravierend.

Auch ich hatte Anfang 2020 nicht die Energie, nach Wolfsburg und zur Hertha zu fahren. Solche Motivationsdellen hatte ich, seitdem ich 2005 regelmäßig auswärts fahre, immer mal wieder. Trotzdem hatte ich mich nach jedem Tiefpunkt wieder aufgerafft, auswärts zu fahren und wurde immer wieder belohnt – nicht immer mit sportlichen Ergebnissen, sondern vielmehr mit Erinnerungen an einen Tag voller meist positiver Erfahrungen, die man im durchstrukturierten Alltag eher weniger sammelt. So aber war mein letztes besuchtes Auswärtsspiel Ende Januar 2020 das in Gladbach. Ich kann mich noch an den überfüllten Shuttle-Bus zum Hauptbahnhof und an die nervige Weiterfahrt nach Neuss erinnern, da es die angezeigten Züge nicht gab und es Stunden dauerte, um in der Nachbarstadt anzukommen, wo ich den Abend mit Verwandten verbringen wollte. Damals war Corona noch weit weg und natürlich hätte ich nie gedacht, dass das bis dato meine letzte Auswärtsfahrt sein sollte (und der letzte Verandtenbesuch). Die kurze Pause des Spielbetriebs im letzten Frühjahr während der ersten Welle und die anschließenden Geisterspiele waren noch zu ertragen. Sie korrelierten auch ein wenig mit meinem temporären Auswärtsfahrten-Loch. Eine kleine Pause vom Fußball hatte mir auch auf meinen Reisen immer wieder gut getan.

Es gibt Aussagen, die haben auch in der Pandemie Bestand.

#AlleoderKeiner lautete zu Beginn der neuen Saison 2020/21 das Motto vieler Stadiongänger*innen. Schließlich öffneten sich die Tore der verwaisten Arenen für ein paar Zuschauer. Gästefans waren ausgeschlossen. Alkoholverbote die Praxis und Stehplätze tabu. Das waren Zustände, wie ich sie in einem Stadion nicht erleben möchte. Natürlich kann ich auf das schale Stadionbier aus dem Plastikbecher verzichten. Das war ja bereits in Hoffenheim, Wolfsburg oder Augsburg schon vor der Pandemie der Fall.  Aber Gästefans und Stehplätze sind für mich das Salz in der Suppe jedes Spiels mit Zuschauern. Was mich jedoch positiv stimmte: Es gab keine Spaltung der Fanszenen. Es hatte den Anschein, dass jede*r die Haltung des anderen respektierte.

Für mich persönlich kam der Stadionbesuch unter diesen Bedingungen nicht in Frage – zumal ich auch im Sommer 2020 ein wenig Unbehagen vor dem Virus hatte und eigentlich immer darauf achtete, die AHA-Regeln einzuhalten. Das Pokalspiel, das freitagsabends stattfand, schaute ich im Hof des Fanhauses an der frischen Luft immer mit genügend Abstand zu den anderen. Ich empfand es so komisch, das eigene Team nur auf dem Bildschirm verfolgen zu können – da ich es jahrelang gewohnt war, die rot-weißen Jungs auch in den letzten Winkeln des Kontinents in Armenien, Aserbaidschan oder auch im Erzgebirge zu unterstützen. Ich gab mir dennoch den Ligaauftakt eine Woche später erneut auf dem Hof des Fanhauses. Das war der Ort, an dem ich mir versprach, am ehesten die Saison emotional halbwegs stabil durchzustehen. Schließlich traf ich dort auch auf viele Nasen, die ich monatelang nicht gesehen hatte.

Das Spielgeschehen verfolgte ich mehr schlecht als recht und die Gegentore lösten bei mir keine wirklichen Gefühle aus. Gerade in Leipzig hatte mich vor ein paar Jahren auch noch das sechste, siebte oder achte Gegentor weit mehr runtergezogen, als die paar Gegentore, die es an diesem warmen Sonntagnachmittag gab. Auch über den Treffer der Nullfünfer konnte ich mich nicht wirklich freuen – ich bilde mir zumindest ein, dass es einen gab. Das war wirklich kein Vergleich zum kollektiven Jubel in einem dicht gedrängten Gästeblock. Ich kam mir wie sediert vor und schaute während des Spiels öfter auf mein Smartphone – für mich eigentlich im Stadion ein No Go wenn der Ball rollte. Wir hatten verloren, aber es fühlte sich nicht allzu schlimm an. Ich bezahlte meine Getränke, verabschiedete mich von den anderen Nullfünf-Bekannten und radelte nach Hause. Das Spiel war da schon nicht mehr präsent – ich musste es noch nicht mal mehr verdrängen. Es war einfach nicht mehr wichtig. Früher wühlte mich jedes Spiel mindestens für Stunden auf. Der Adrenalinspiegel senkte sich erst mit der Zeit. Diesmal hatte ich nach dem Spiel keine Lust mehr, mir auf Twitter oder Facebook, die Kommentare anzuschauen, geschweige denn, etwas dazu zu formulieren.

Die Tage wurden kürzer, die Nachmittage kühler, der Herbst kündigte sich an. Fußball in einem geschlossenen Raum mit anderen Menschen zu schauen kam für mich aus Angst vor Ansteckung nicht in Frage. Das erste Ligaspiel der Nullfünfer war damit gleichzeitig das letzte Mal in dieser Saison, dass ich ein Spiel von Mainz 05 wirklich komplett live verfolgte.

Gemeinsam mit der Mannschaft Siege zu feiern – aktuell nicht möglich.

Der Rest der Hinrunde ist bekannt. Spielerstreik, der erste Trainerwechsel von Beierlorzer zu Lichte, ein verlorenes Spiel nach dem anderen. Ich nahm es zur Kenntnis. Oft schaute ich nach Spielschluss kurz im Netz das Ergebnis nach. Es löste bei mir keine wirklichen Emotionen aus. Gleichzeitig war ich erstaunt, dass in den sozialen Netzwerken praktisch alle, die auch vorher schon dort aktiv waren, sich über die Spiele genauso austauschten, wie vor der Pandemie. Es kamen sogar neue User*innen dazu oder wurden im Verlauf der Pandemiesaison erst so richtig aktiv. Natürlich muss das jede*r für sich entscheiden – für mich fühlte sich das irgendwie falsch an, spätestens als sich ab Oktober die zweite Welle abzeichnete und es klar war, dass es so schnell nichts mehr wird mit einem Stadionbesuch. Auch einen fertigen Impfstoff gab es noch nicht – Medikamente gegen Covid-19 fehlen sogar bis heute. Klar, der Spielbetrieb musste erneut aus kommerziellen Gründen durchgezogen werden – keine Frage. Es wurden ja auch die Arbeitgeber damals nicht wirklich verpflichtet, Homeoffice möglich zu machen. Daher war es natürlich logisch, dass der Ball rollte – mitten in einer Pandemie, der jeden Tag auch in Deutschland viele hundert Menschen zum Opfer fielen. Und ich sollte mich über eine weitere Niederlage meines Vereins aufregen? Bizarr!

Für mich fand ein Spiel immer im Stadion statt. Ich knipste ein paar Bilder, aber Social Media hatte für mich während des Spiels nie eine Bedeutung. Die Aufarbeitung des Spiels in den sozialen Netzwerken liebte ich früher dennoch sehr. Der Austausch mit Gleichgesinnten (und manchmal auch Fans der anderen Mannschaft) war meist sehr spannend, manchmal tröstend und oft mitreißend. Er fand für mich später statt, auf den langen Fahrten zurück nach Mainz oder bei Heimspielen auf der Couch zu Hause – Stunden nach dem Schlusspfiff, denn die Gespräche nachkicks am Fantreff waren für mich eine wunderbare „3. Halbzeit“. Für mich gab es plötzlich den ersten Schritt, das kollektive Stadion-Erlebnis, nicht mehr, daher konnte ich den zweiten Schritt das individuelle Aufarbeiten in den sozialen Netzwerken auch nicht mehr gehen – zumal da draußen ja ein Virus am Werk war. Das war spätestens dann abstrus, als mit dem „Lockdown light“ im November fast alles dicht gemacht wurde – um Weihnachten zu retten.  Nullfünf war hingegen kaum noch zu retten, verlor weitere Spiele und mich berührte es irgendwie nicht wirklich.

Der direkte Austausch nach einem Spiel mit der Manschaft ist aktuell unmöglich.

Als dann kurz vor dem nicht mehr zu rettenden Weihnachtsfest Rouven hinschmiss, mit Jan-Moritz der nächste Trainer beurlaubt wurde und nach Neujahr die heiligen drei Könige (C+M+B) einzogen, packte mich auch keine große Euphorie. Ich wünschte meinem Verein alles, nur nichts Schlechtes und vorallem nicht den Abstieg. Und natürlich freute mich der Sieg gegen die Dosen. Auch bei mir keimte mit der Zeit die Hoffnung auf, dass es was werden könnte mit dem Klassenerhalt. So ging es den Rest der Saison weiter. Ja, ich fieberte sogar am Smartphone in der Kicker-App die letzten Minuten des Bayern-Spiels mit. Ich ärgerte mich über den späten Treffer der Eintracht.

Mit jedem der 17 anderen Clubs der aktuellen Spielzeit verbinde ich Geschichten meist von Auswärtsspielen, die teilweise 15 Jahre her sind, wie beispielsweise in Bielefeld 2005. Da habe ich immer noch Szenen vor Augen, wie alle aufgebracht und stinksauer auf den Zaun kletterten – weil es zwei Elfmeter gegen uns gab, die das Spiel entschieden – nachdem ich zwei Tage vorher aus Island vom Europapokal kommend, gerade die Sachen ausgepackt hatte, um quasi direkt weiter auf die Alm zu düsen. An die Geisterspiele der letzten Saison habe ich schon jetzt überhaupt keine Erinnerung mehr. Kenne ich die Ergebnisse von den meisten Gastspielen in den verschiedenen Stadien der vergangenen Jahre fast noch alle auswendig oder zumindest die Punkte, die wir da eingesackt hatten, weiß ich gar nicht mehr, gegen welche Teams wir in der Hinrunde vier Unentschieden geholt haben.

Kollektives Stadionerlebnis – September 2018

Während mich aufwühlende Auswärtsfahrten früher mindestens Tage emotional auf Trab hielten, hielt das beim Bayern-Sieg in dieser Saison einen halben Abend, beim Tor der SGE ein paar Minuten. In dieser Saison stand für mich dann recht schnell wieder die triviale Frage im Raum, was ich wohl kochen würde. Statt Belgischer Pommes am Düsseldorfer Hauptbahnhof auf dem Rückweg vom Spiel im Ruhrpott zu futtern, fing ich bereits nach ein paar Tagen Lockdown an, die Speisen zu kochen, die ich auf vielen Reisen durch Asien oder Mexiko sonst vor Ort auskoste. Seit Fastnacht herum frage ich wann wir alle wohl geimpft werden können? Dieses Gefühl verstärkte sich immer wieder, wenn bei Twitter im Sekundentakt Bilder von Impfausweisen oder Pflastern in die Welt hochgeladen wurden oder ich an der Bushaltestelle Plakate sehe, auf denen Menschen verkünden „Na klar lass‘ ich mich impfen“ – dabei hat noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung kein Impfangebot erhalten. Und wie ergeht es wohl anderen Menschen in der Pandemie? Kindern und Eltern beim Homeschooling, medizinischem Personal, Künster*innen, Leute, die gar nicht auf ihr Schicksal aufmerksam machen können, weil sie dazu keine Möglichkeiten haben, Menschen in ärmeren Ländern, die überhaupt keine mittelfristige Impfperspketive haben? Sich gleichzeitig über den nächten Sieg der Mannschaft freuen, im Internet positiv eskalieren? Ich konnte es irgendwie nicht.

Natürlich fragte ich mich auch früher schon in nüchternen Momenten, was ich eigentlich davon habe, wenn mein Verein gewinnt – spätestens beim nächsten Tor für uns, das ich im Stadion miterleben durfte, kam mir diese Frage wieder vollkommen absurd vor. Das gegenwärtige rationale Auseindersetzen mit dem Fandasein in der Pandemie zersetzt die verbliebenen Emotionen – aber an den Sympathien für meinen Verein ändert das nichts – wenigstens etwas. Ich bin nicht Prio 1, 2 oder 3 – meine lautet Nullfünf.

Ich freue mich, dass wieder Ruhe in den Verein eingekehrt ist. Ich freue mich über den Klassenerhalt. Ich freue mich für alle, denen diese Saison besonders ab Januar so viel Freude bereitet hat. Ich freue mich für alle, bei denen durch die Spiele die versprochene Ablenkung von der Pandemie tatsächlich eingetreten ist. Ich freue mich für alle, die dank der Durchführung des Spielbetriebs ihren Job nicht verloren haben und vielleicht sogar um längere Kurzarbeit und daraus resultierende Steuernachzahlungen herumgekommen sind. Ich freue mich für alle, die es geschafft haben, in Bezug auf den Fußball einfach so weiter zu machen, dummzubabbeln, zu motzen, zu kommentieren und Content zu erstellen, so als würde die Pandemie in einer Parallelwelt stattfinden. Ich freue mich auch für alle, die bereits geimpft sind und das Gefühl der Angst, sich womöglich anzustecken, ad acta legen können. Und ich freue mich drauf, dass es irgendwann für Geimpfte, Genesene und Getestete wieder möglich sein wird, ins Stadion zu gehen und den Fußball endlich wieder zu fühlen. Dann „darf“ es sportlich auch gerne so wie seit Januar weiterlaufen 😉