Armenien 2017

Hallo aus Mainz,

„nach 12 Jahren habe ich es endlich geschafft, wieder nach Armenien zu reisen. War es im Jahr 2005 das pure Losglück im Europapokal, das mich in die Kaukasus-Region brachte, was sich übrigens mit Aserbaidschan im letzten Jahr nochmals wiederholte, bot sich dieses Mal recht spontan die Möglichkeit, endlich mal dieses wunderschöne Land länger zu bereisen, als für die Dauer eines Fußballspiels und einer Gratis-Übernachtung, die der FSV Mainz 05 im Sommer 2005 allen Auswärtsfahrern bezahlte. Schließlich „qualifizierte“ sich Mainz „nur“ über die Fairplay-Tabelle für den europäischen Wettbewerb – daher diese große Geste des Vereins.

Wurden wir damals mit als Teilnehmer im Fanflieger mit dem Bus vom Flughafen in die Hauptstadt Erevan gekarrt, stand jetzt, wie so oft, die erste „Prüfung“ nach Verlassen der Ankunftshalle auf dem Programm: mit dem Taxi zu einem realistischen Preis in die Stadt gelangen. Dummerweise spucken Geldautomaten an Flughäfen durchweg die größten Scheine aus, die ein Land zu bieten hat. Mit lauter 20.000 Dram-Noten (ca. 34 €) „bewaffnet“ ging es ans Verhandeln. 5.000 Dram galten als realistisch und 6.000 Dram wollte der Fahrer. Ich bot lediglich 5.000 Dram an, mit dem Verweis, dass ich aber nur 20.000 Dram-Scheine habe. 5.000 Dram waren nach freundlich bestimmtem Wortgefecht ok und los ging die Fahrt, da mir „no problem“ entgegnet wurde, was die Banknoten anbetraf. Am Hotel in einer dunklen Seitenstraße am späten Samstagabend angekommen, wartete ich auf die 15.000 Dram Wecheselgeld. Aber natürlich hatte der Fahrer in seiner Tasche nur 14.000 Dram dabei – entweder war das die Wahrheit, schließlich fischte er mit einem Griff das Bündel raus oder ich wurde mal wieder von diesem Berufsstand verarscht – sei’s drum: 1,70 € „verloren“ und dafür wieder ein Stück Reiseerfahrung gewonnen. Das nächste Mal kaufe ich dann doch wieder eine überteuerte Flasche Wasser am Airport, um Kleingeld griffbereit zu haben. Und 500 Dram „Trinkgeld“ hätte ich dem hilfsbereiten, freundlichen Fahrer ohnehin gegeben…

Am folgenden Tag wurden wir von unserem Guide zu einer herrlichen Wanderung in der Umgebung von Erevan abgeholt. Durch den Basalt-Canyon Simfoniya kamnya zu Deutsch „Sinfonie des Steins“ ging es zu einer Klosterruine hoch über dem Tal. Das Schöne am Internet ist für mich die Tatsache, dass man mit ein wenig Geduld kleine lokale Unternehmen findet, die z.B. diese Tagestour organisieren. So bleibt das zu entrichtende Geld im Land, statt z.B. zu einem Großteil bei einem ausländischen Reiseveranstalter zu landen. Und viele dieser kleinen Agenturen trainieren ihre Leute auch entsprechend der versprochenen Öko-Tourismus-Regeln. Das zeigte sich beispielsweise auf dieser Tour am Rastplatz zum Mittagessen. Während wir noch die herrliche Aussicht genossen, sammelte unser Guide Müll von anderen Wanderern ein. Die halbvolle Wodkaflasche nutzten wir allerdings noch zur Desinfizierung unserer Hände vor dem Essen als „Sanitizer“. Den Müll schleppten wir dann den Berg in den Tüten unserer Lunchpakete hinunter.

Diese Lunchpakete waren bereits eine perfekte Einstimmung auf das herrliche armenisch-vegetarische Essen, das wir die nächsten Tage genießen durften (so lange dieses im Magen blieb – doch dazu später mehr). „Vegetarier“ sind in der Kaukasusregion erstens keine Unbekannten (wie bspw. In großen Teilen Argentiniens) und sie kommen auch voll auf ihre Kosten. Dieses Mal gab es Rote-Beete-Salat mit Kartoffelbrei und hochdünne Fladen mit Spinat gefüllt. Dazu „Tan“, ein Milchgetränk, das Ayran sehr ähnlich ist.

Das Thema Müll ist ein Umstand, der einem ja praktisch auf allen Reisen weltweit begegnet. In der Vergangenheit waren die Guides diesbezüglich auch recht unsensibel. Teilweise trugen sie (und damit auch ich) noch dazu bei diese zu verschmutzen, doch vor zwei Jahren auf Lombok wurde ich erstmals positiv überrascht. Die lokale Agentur trug das Wort „Green“ nicht nur im Namen. Vielmehr sind ihre Guides und Träger am Vulkan Rinjani angewiesen, tatsächlich Müll am Berg einzusammeln und diesen runterzutragen, während gleichzeitig einige Backpacker weiterhin ihren Müll einfach so in die Gegend warfen, weil das ja angeblich die Locals auch so machten. Nach der Aufräumaktion am armenischen Havuts Tar ging es zurück in die Hauptstadt Erewan, denn am nächsten Tag sollte unser Armenien-Abenteur erst so richtig beginnen…mit dem eigenen Auto.

Mietwagenreisen sind ja populärer denn je und auch in etwas ungewöhnlicheren Mietwagenregionen wie auf Mauritius oder auf Bali waren wir schon selbst mit dem Wagen unterwegs. Daher war einer der wenigen hilfreichen Tipps der neuesten Kaukasus-Ausgabe des Lonely Planets der, möglichst mit Mietwagen das Land zu erkunden. So ging es mit einem etwas höher gelegten Toyota Corolla, der schon ziemlich viele Kratzer und sogar schon einen kleines Riss in der Windschutzscheibe hatte, auf Tour. Hochgelegt, Kratzer, Riss in der Scheibe – Armeniens Straßen ließen interessante Fahrten erahnen. Dabei sind es in Ländern wie Armenien, in denen weit mehr als ein Drittel der Bevölkerung in der Hauptstadt wohnt, meist der Anfang und das Ende der Mietwagenfahrt, die größte Bewährungsproben, da oftmals der Verkehr in der Stadt am dichtesten, am chaotischsten, am rücksichtslosesten ist. Kommt dann noch ein Gewitterregen dazu, der die Straßen in reißende Bäche und die Myriaden von Schlaglöchern in eine armenische Seenplatte verwandelt, dann wisst Ihr, dass ich gerade vom Start der Reise berichte.

Ein eigentlich verlässliches Hilfsmittel, das Navi auf dem Smartphone, das mit dem Straßenwirrwarr Erevans auch sichtlich überfordert war, und immer recht plötzlich seine Meinung zum geplanten Fahrtverlauf kommunizierte, tat sein Übriges, dass ich anfangs die Mietwagen-Idee allerdings verfluchte. Der Umstand, dass wir auf einem Feldweg-ähnlichen Sträßchen schließlich die Hauptstadt nach einigen Umwegen verließen, war mir auch etwas schleierhaft, da wir wenig später dann auf eine gut geteerte Autobahn bei Ashtarak stießen. Ashtarak – bei diesem Namen werden sicherlich die 05-Fans aufhorchen, denn gegen diesen Club ging es ja bekanntlich vor 12 Jahren im Europapokal. Die Statuten der UEFA ließen es damals nicht zu, dass Mika Ashtarak zu Hause gegen Mainz antreten durfte, sondern in einem Stadion der Hauptstadt spielen musste. Herrlich auf einer Hochebene gelegen, von zwei Seiten von Schneebergen begrenzt, sah Ashtarak sehr einladend aus. Ich war wirklich hocherfreut, das Städtchen nach so langer Zeit dann doch noch zu Gesicht zu bekommen, schafften wir es damals aufgrund der Kürze des Aufenthalts nur kurz raus in die unmittelbare Umgebung von Erevan.

Wir passierten Ashtarak auf der Autobahn und stellten fest, dass armenische Verkehrspolitiker den Autofahrern mehr zutrauen, als es bei uns in Deutschland der Fall ist. Dass eine Baustelle, das Wechseln der Fahrbahn auf die Gegenseite notwendig macht, ist klar. In Armenien wird das auch praktiziert, aber es wird überhaupt nicht abgesperrt. Man holpert zwischen den Enden der Mittelleitplanke auf die Gegenfahrbahn und fährt dann sozusagen als Geisterfahrer weiter gerade aus. Das fühlte sich wirklich extrem komisch an, da natürlich Autos entgegenrauschten und auf der eigenen Fahrbahn kein Fahrzeug in Sichtweite war – zum Glück aber auch kein entgegenkommendes Auto. Ein paar hundert Meter später erblickte ich dann zu meiner Beruhigung tatsächlich ein vorausfahrendes Auto auf meiner Spur, das in die gleiche Richtung fuhr – alles gut.

Das Navi peilte für die 178 km lange Strecke nach Haghpat in Nordarmenien ca. 2h40 an. Dass dieser Wert sich nicht halten ließ, wussten wir nicht nur aufgrund der Irrwege am Anfang in Erewan, sondern auch aufgrund der ständigen Veränderungen der Straße. Sie war meist akzeptabel, aber dann so steil dass man kaum auf die möglichen 90 km/h Höchstgeschwindigkeit kam, dann war sie relativ flach, wusste aber in regelmäßigen Abständen durch Schlaglöcher zu „begeistern“, so dass ich mich nicht traute, tatsächlich mal Gas zu geben. Alles in allem kamen wir aber mit rund 60 km pro Stunde die ersten zwei Stunden doch gut voran bis nach Wanadzor. Dort verfuhren wir uns erstmal wieder, da das Navi einfach nur „nehmen sie die Autobahn“ befahl, statt mal anzusagen, ob es nach links oder rechts auf der vierspurigen Straße – von Autobahn zu sprechen wäre lachhaft gewesen – weiterging. Dann erstmal der nächste Schreck, da wir ja irgendwie zurück auf die alte Route mussten: Kreisverkehr!

Eigentlich ja kein Problem, aber in Armenien herrschen ganz offiziell andere Verkehrsregeln für Kreisverkehre: Vorfahrt hat der einfahrende Verkehr! Darauf muss man erstmal kommen, wenn die Fahrbahnmarkierung aufgrund von Schlaglöchern fehlt. Das Reinfahren war natürlich kein Problem, schließlich hatten wir ja Vorfahrt, ohne es zu wissen, aber es kam halt auch gerade kein Auto. Das änderte sich natürlich an der nächsten Einfahrt und zum Glück war es einer dieser Megakreisel mit mehreren Spuren, die natürlich nicht zu sehen waren, und das Auto links vor mir hielt doch tatsächlich an. Nachmachen ist manchmal so richtig gut – ersparte es uns womöglich einen Unfall. Der Vorteil von Kreisverkehren besteht darin, dass man so recht schnell wieder auf die alte Strecke gelangt, wenn man sich zuvor verfahren hat. Aber das vermeintliche Glück wendete sich erneut in Pech, denn wir fuhren nun in einen Stau, etwas, was es außerhalb von Erewan sonst sicherlich nie gibt, denn das Verkehrsaufkommen auf Armeniens Straßen ähnelt dem einer Kreisstraße in Rheinhessen um Mitternacht.

Wir befanden uns ziemlich am Anfang des Staus und merkten recht schnell, dass es sich um eine weitere Baustelle handelte. Auf der Gegenfahrbahn kam uns kein Auto entgegen und man sah nur Baumaschinen, die die gesamte Fahrbahn einnahmen. Ich nahm an, dass die Bauarbeiter einfach mal kurz die Straße sperrten, um die Baumaschinen zu bewegen und war recht entspannt, im Gegensatz zu einem armenischen Fahrer, der uns alle links überholte, vor der ersten Baumaschine aus dem Wagen sprang und wild gestikulierend auf die Bauarbeiter einredete. Normalerweise bringt so etwas eigentlich ja so rein gar nichts, aber nach ein paar Minuten Gebrüll, wurden die Maschinen tatsächlich zur Seite gefahren und wir konnten in die Baustelle hineinfahren. Die Straße, die schon teilweise frisch geteert war, befand sich aber an den meisten Stellen der nächsten Kilometer in einem erbärmlichen Zustand, da der alte Belag abgefräst war, es immer noch regnete und somit alles verschlammt war, und teilweise die Straße als solche gar nicht mehr zu erkennen war.

Der Verkehr dünnte sich mehr und mehr aus – es kam uns praktisch kein Auto mehr entgegen. Vor einer Tankstelle befand sich schließlich ein großes Loch – zum Glück wurde die Straße einfach zwischen den Zapfsäulen umgeleitet. Wir dachten schon, die Straße sei gesperrt… Dass dies kein Irrglaube war, stellte sich dann einige Rumpelkilometer später heraus. Das runde Schild mit dem roten Ring auf weißem Grund wurde zum Glück noch durch einen weißen Pfeil auf blauem Grund ergänzt, der auf ein kleines Sträßchen nach rechts zeigte. Wir dachten erst, das sei eine kleine Umleitung, doch die Straße machte einen Bogen nach rechts aus dem Tal heraus, dem wir seit Wanadzor folgten in Richtung eines Seitentals.

Daher wendeten wir, denn auch das Navi quäkte permanent „wenn möglich bitte wenden“. Glücklicherweise trafen wir im strömenden Regen auf einen Fußgänger und konnten mit Handzeichen fragen, welches die Route nach Alaverdi, der nächst größeren Stadt, sei. Er machte ebenfalls Handbewegungen, die erahnen ließen, dass wir leider wieder wenden und tatsächlich dem kleinen Sträßchen folgen mussten. Das Angenehme an der Straße war ihr Zustand: klein aber fein. Die vorangegangenen 20 km waren wir ja auf dieser Mega-Baustelle unterwegs gewesen und jetzt ging es plötzlich auf glatter Fahrbahn entlang, immer weiter weg von unserem Tagesziel. Denn das war das Schlechte an der Situation: erst plärrte die Stimme des Navis immer noch „wenn möglich bitte wenden“. Dann sollten wir einige Kilometer geradeaus fahren, um dann doch schließlich zu wenden und das im Dauerregen bei einsetzender Dämmerung. Wir hatten die Wahl: zurück nach Wandazsor fahren und dort die Nacht zu verbringen oder die gute, kleine Straße aus dem Seitental bergan zu fahren. Wir entschieden uns für die zweite Möglichkeit. Die angepeilte Ankunftszeit verschob sich minütlich um Viertelstunden. Plötzlich krächzte es endlich „Folgen Sie der Route für 2 km“ und man konnte erkennen, dass in der Karte des Navis tatsächlich kein Wenden mehr eingeplant war. Es ging voran in ein Bergdorf, das total ausgestorben war. Straßenschilder gab es auch nicht und wir verließen das Dorf auf einer Piste, wie ich sie in zuletzt in Costa Rica gesehen habe. Die wenigen Autos, die wir in den letzten Stunden sahen, waren auch fast alles Lada Niva Geländewagen – kein Wunder bei diesen Pisten, und ja, in Costa Rica waren wir auch mit einem Geländewagen genau deshalb unterwegs.

Wo es hinauf geht, muss es auch irgendwann wieder herunter gehen – im Schritttempo, Serpentine für Serpentine in einem Gebirgsbach alias Straße. Die Teerstücke sahen aus, als ob sie von einem Riesen einfach so herausgebrochen wurden und es bestand permanent die Gefahr mit dem höhergelegten Auto trotzdem an irgendeiner dieser Abbruckkanten aufzusetzen. In einem weiteren Seitental angekommen, stand auf einem rostigen Kontainer etwas auf Russisch mit einer Spraydose gesprüht, was eventuell „Alaverdi“ heißen konnte. Der Pfeil führte glücklicherweise, genauso wie das Navi, und mein Orientierungssinn in die gleiche Richtung nach links. Die Straße wurde nicht wirklich besser, aber das bereitete mir wesentlich weniger Sorgen, als die Steine und Felsstücke, die ab und zu so auf der Straße herumlagen. Was passiert eigentlich, wenn so ein Ding gerade herunterbricht, wenn wir unter der Felswand entlangfahren? Zum Glück musste ich mich viel zu sehr auf die Schlaglochseen, Steine und einmal auch auf einen rostigen Nagel konzentrieren, der einfach so auf der Fahrbahndecke nach oben zeigte, als mir weiter darüber Gedanken zu machen.

Irgendwann erreichten wir wieder das Haupttal und ein Lada kam uns entgegen und der Fahrer machte Zeichen, stehen zu bleiben. Während ich in Mittelamerika in so einer Situation lieber das Gaspedal bis zum Boden durchtrete, entschloss ich mich hier tatsächlich zu halten, gelten doch die Staaten des Kaukasus als sehr sicher. Überfälle auf Autos sind nahezu komplett unbekannt und man konnte unser Auto auch gar nicht als Mietwagen identifizieren. Das war dann wohl auch der Grund, warum wir angehalten wurden. Der Fahrer konnte natürlich kein Englisch, wollte wohl aber nach dem Weg zu einem mir unbekannten Ort fragen und erwähnte das international wohl wirklich einheitliche Wort „Tunnel“. Oh Gott, wenn jetzt auf der Strecke noch ein Tunnel zu passieren wäre, der vielleicht aufgrund eines Felsrutsches gesperrt war, dachte ich mir. Ich konnte dem armen Mann nicht weiterhelfen, versuchte zu gestikulieren, dass man, wenn man in einigen Kilometern links abbog über diese kleine Straße über den Berg wieder auf diese Hauptstraße gelangte. Keine Ahnung, ob ihm das weiterhalf. Wahrscheinlich war er genauso schlau wie zuvor, ich war aber tatsächlich beunruhigt, aufgrund des Worts „Tunnel“.

Im weiteren Verlauf der Straße kam uns tatsächlich kein Auto entgegen und ich machte mich schon darauf gefasst, dass hinter der nächsten Kurve tatsächlich die Straße an einem Tunnel endete. Stattdessen sahen wir irgendwann die ersten Lichter von Alaverdi und wenig später befanden wir uns auch schon auf dem kleinen Serpentinensträßchen in das Bergdorf Haghpat, in dem unser Navi, uns nochmals einen kleinen Streich spielte, in dem es irgendwie auf direktem Weg ein enges Gässchen zu unserer Unterkunft nehmen wollte. Diese befand sich zum Glück neben dem von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannten Kloster, so dass wir einfach auf der Hauptstraße blieben und dann auf einem Platz ankamen. Das Kloster war angetrahlt, der Rest des Kaffs war dunkel, inklusive unserer Unterkunft.

Es war erst halb acht Uhr abends, aber wirklich alles bis auf das Kloster stockfinster. Ich konnte aber zum Glück noch ein paar Gestalten ausmachen, stieg aus und fragte, ob es sich hier um das Haghpat Hotel handelte. „Yes“ war die erlösende Antwort. Der Begriff „Hotel“ ist ja recht schwammig. Wenn es aber nur einen Raum und fünf Zimmer gibt, die alte Dame und der zahnlose Herr, der mich an Louis de Funes erinnerte, die einzigen Mitarbeiter waren, dann würde der Name Homestay die Unterkunft schon besser beschreiben.

Weiter oben habe ich ja das Internet wegen der Möglichkeit gelobt, dass lokale Agenturen weltweit ihre Dienstleistungen anbieten können. Eine weitere Möglichkeit des Internets sind ja die beliebten Hotelbewertungen. Es soll bekanntlich Leute geben, die stundenlang Hotelbewertungen lesen oder abgeben. Früher nahm ich an, dass die Eigentümer sich teilweise ihre Bewertungen vielleicht selbst schreiben – natürlich nur die guten. Das stimmt wohl so nicht wirklich und bei unserem alten Pärchen bestimmt nicht, schließlich konnten sie kaum Englisch, geschweige denn Deutsch etc. Die Bewertungen waren eigentlich durchweg positiv und die Alten waren auch tatsächlich sehr herzlich und nett. Allerdings regnete es immer noch und es war ziemlich kalt. Das störte uns in der ersten Nacht noch nicht wirklich, aber die zwei folgenden Nächte waren einfach unangenehm und anstrengend. Die euphorischen Bewertungen das Bad betreffend konnte ich noch halbwegs nachvollziehen: es war sauber, groß und warmes Wasser gab es in der ersten Nacht auch noch. Dass die Klospülung nicht automatisch funktionierte und man immer den Wasserkasten öffnen musste, an dem Styropor-Ding herumspielen musste, damit das Wasser reinlief – geschenkt, dass man den Kasten irgendwann auch öffnen musste, damit das Wasser nicht einfach durchfloss – in vielen Teilen der Welt auch normal, also so what?! Dass aber einer schrieb, das Hotel könnte es mit einem Vier-Sterne-Ding in der Erewan aufnehmen, fand ich dann doch mit den größten Quatsch, den man in Bezug auf diese Location verfassen konnte. Spätestens dann, als es überhaupt kein Wasser mehr gab (das dann eine Stunde später wieder kam) und natürlich der Strom auch noch regelmäßig ausfiel. All das ist für mich Alltag in vielen Ländern der Welt. Aber die Kälte und die fehlende Möglichkeit, tatsächlich Abhilfe zu schaffen war einfach ätzend: Heizungen waren Fehlanzeige. Bei der mobilen Elektroheizug, die wir in der letzten Nacht erhielten, steckten wir den Stecker in die Steckdose mit dem Resultat, dass wenig später die Sicherung rausflog. Auch die Matraze, bei der man jede einzelne Feder am Morgen als temporäres Tatoo mit sich trug, war einfach schlecht. Da fragte ich mich schon, was solche Bewertungen eigentlich bringen. Klar, im Sommer braucht man keine Heizung, aber Matratzen sind ja das A und O einer Übernachtung. Schließlich verbringt man darauf ja dann doch oft ein Drittel seiner Reise. Wir hätten vielleicht mangels Alternative trotzdem in diesem Hotel übernachtet, aber dass dieses so enthusiastisch in den komplett wolkenverhangenen Himmel von Haghpat gelobt hat, zeigt mir dann doch, dass Bewertungen im Internet einfach mit Vorsicht zu genießen sind.

Ebenfalls gut bewertet wurden unsere Führer von Alaverdiguides. 25 zum Teil sehr gut englisch sprechende junge Armenierinnen und Armenier möchten Reisenden ihre Region zu Fuß vorstellen. Dazu bieten sie Halb- und Ganztageswanderungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade an. Obwohl das Wetter nicht so recht mitspielte war der Aufenthalt dank der Guides in Haghpat wirklich wunderbar. Auf alten Fußwegen ging es vom Kloster Sanahin zurück zu unserem Kloster in Haghpat. Theoretisch wären wir noch in ein weiteres Bergdorf gelaufen – aber es regnete dann doch zu stark und im Nachhinein bin ich froh, diese Tour abgebrochen zu haben, denn in der Nacht taten sich Magen und Darm zusammen, um mich auf Trab zu halten, indem ich des mehrmals den Wasserkasten herumschieben musste. Komplett platt stellte sich für mich am nächsten Morgen die Frage, Bett oder Basilika? Schließlich wollten wir von einer alten Basilika unterhalb einer Felskante mit unserem Guide durch einen Canyon wandern. Ich entschied mich darauf zu vertrauen, dass die drei Marmeladebrote im Magen blieben und mir genug Kraft gaben, den Walk durchzuhalten. Dies gelang schließlich mit Ach und Krach. Es war schon interessant zu sehen, wie der Körper innerhalb einer Nacht komplett abbauen und für mich eine relativ einfache 9 km Wanderung zur absoluten Herausforderung werden kann. Am Ende der Wanderung wurden wir von einer alten Frau angesprochen. Daviet, unser Guide, kannte sie nicht, konnte uns aber übersetzen, dass sie uns auf einen armenischen Kaffee einladen wollte. Das war bereits die zweite Kaffeeeinladung, nachdem wir beim Müllsammelsonntag schon diesen herrlich starken Kaffee, bei dem der Satz in der Tasse verbleibt, gratis genießen durften. Auf der heutigen Wanderung bekamen wir von einem Schafhirten Walnüsse geschenkt und die alte Dame toppte alles, denn natürlich blieb es nicht beim Kaffee. Baklava-Gebäck und eingelegte grüne Walnüsse wurden zum Nachmittagskaffee gereicht. Die Gastfreundschaft der armenischen Bevölkerung war tatsächlich umwerfend und natürlich hätten wir für den Kaffee auch etwas bezahlt, das wäre allerdings als unhöflich angesehen worden.

Am nächsten Tag spielten sowohl das Wetter als auch der Magen und der Darm wieder mit, so dass es mit dem Auto wieder auf Abenteuer durch Armenien gehen konnte. Bis Wanadzor sollte es eigentlich die gleiche Strecke zurückgehen, aber natürlich informierten wir uns vorher und erfuhren so, dass die Straße eigentlich für zwei Jahre (!) gesperrt sei, da u.a. der Tunnel (aha!) erneuert wurde und eine großräumige Umleitung eingerichtet sei. Das war auch in der jetzt zu nehmenden Fahrtrichtung tatsächlich entsprechend mit einem Schild angegeben. Leider fehlte dieses auf der Hinfahrt. So aber verlief die Weiterfahrt nach Dilijan komplett ereignislos. Statt der avisierten 2 Stunden, fuhren wir zweieinhalb Stunden aber das ist ja kein Vergleich zu den sechs Stunden, die wir von Erevan statt der zweidreiviertel Stunden brauchten. Bevor wir losfuhren, bekamen wir von der alten Dame unseres Homestays noch Socken zum Abschied geschenkt – weil wir so viel gefroren haben. Versteht mich bitte nicht falsch: Ich mochte den Aufenthalt trotzdem, das Menschliche in dieser Herberge wurde wirklich groß geschrieben. Ich hatte vielmehr den Eindruck, dass die beiden alten Menschen so zunehmend ihre Schwierigkeiten hatten, das Hotel so zu leiten, dass es nicht verkommt. Auch wenn sie nur fünf Zimmer hatten – Madame hat abends für alle gekocht, morgens Frühstück gemacht und natürlich müssen die Zimmer in Stand gehalten werden. Mich haben halt nur die extrem positiven Bewertungen gewundert. Natürlich bat die Dame auch eindringlich darum, dass wir ihr Hotel positiv bewerten. Und diesem Wunsch sind wahrscheinlich die meisten Gäste nachgekommen – sicherlich auch ein bisschen aus Dankbarkeit.

In Dilijan angekommen, wurden wir von unserem nächsten Hoteleigentümer mit einer mächtigen Alkohohlfahne begrüßt. Dass er darauf bestand, sofort bei der Ankunft zu zahlen, wir aber nicht genug Cash dabei hatten und somit mit der Kreditkarte versuchten zu zahlen, ließen den ersten Eindruck etwas ins Negative abgleiten. Es blieb beim Versuch mit der Karte zu zahlen, denn erstens wollte er nur die Hälfte mit der Karte haben, dann war er so ungeduldig, da das Lesegerät „Please Wait“ anzeigte, er aber statt zu warten, dieses auf den Tisch schlug und dieses in alle Einzelteile zersprang. Es quälte aber noch einen Beleg raus auf dem „Approved“ stand. Er behauptete aber felsenfest, dass der Betrag nicht abgebucht wurde. Zum Glück ging es nicht um große Beträge (ca. 34 €), aber genervt war ich trotzdem. Und natürlich wurde mir der Betrag abgebucht. Aktuell versucht das Hotel mir den Betrag wieder zurückzutransferieren – Ausgang offen…und die Bank möchte den Betrag auch nicht erstatten, obwohl ich den Beleg nicht unterschrieben habe…

Wir fuhren zum nächsten Geldautomaten holten das Geld und konnten dann im Casanova Inn, erstmal entspannen. Jede Tür ziehrte eine venezianische Karnevalsmaske und der große Aufenthaltsraum war beheizt – juhu! Auftauen, aufwärmen und sich von der Kälte Haghpats erholen. Anders als viele Städte Armeniens, die aus hässlichen grauen heruntergekommenen Plattenbauten bestehen, gab es in Dilijan vereinzelt sehr hübsche Häuser. Der Ort war schon in der Sowjetunion als Touristen-Ziel und Kurort bekannt, vielleicht wurde daher ein bisschen mehr auf eine ansprechende Bausubstanz geachtet. Kulinarisch war Dilijan auch wieder ein Paradies, sogar für Vegetarier. Überall im Kaukasus erhalten diese Salate, viel Gemüse, Kartoffeln und leckeres frisches Brot. Sogar Urgetreide wie Emmer findet den Weg auf die Speisekarte. Während wir in Haghpat mangels Alternative drei Nächte Homecooking erlebten, was leider für Vegetarier etwas öde, aber wenigstens satt machend war, gibt es in Dilijan tatsächlich eine große Restaurantszene. Noch schöner war allerdings die umgebende Natur mit ihren Blumenwiesen, Nadelwäldern, Schneebergen und was in Armenien natürlich nicht fehlen darf: Klöstern.

Zurück in die Hauptstadt Erevan führte die Reise am tiefblauen Sevan-See auf ca. 2.000 Metern entlang. Hinter einer Biegung der Autobahn ragte dann plötzlich der Berg Ararat der über 5.000 Meter hoch ist, hinter der Millionenmetropole Erewan hervor. Ein erhebender Anblick und ein wunderbarer Abschluss dieser Reise durch ein faszinierendes Land mit herrlicher Natur, imposanten Klöstern und sehr sehr freundlichen Bewohnern. Ich hoffe nicht, dass es wieder zwölf Jahre dauert, um diesem wunderbaren Land, den nächsten Besuch abzustatten.

Katar – Aserbaidschan 2016

„Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen“ – so der deutsche Dichter Matthias Claudius vor mehr als 200 Jahren. Das gilt heute eigentlich unverändert und lässt sich auch wunderbar auf jede noch so kurze Auswärtsfahrt, etwa in den Frankfurter Stadtwald, übertragen. Die bis dato längste Auswärtsfahrt mit unserem Fußball- und Sportverein von 1905 führte uns pünktlich zum 100-jährigen Vereinsjubiläum nach Armenien. Doch der Fußballgott wollte diese Fahrt natürlich zum runden 111-jährigen Vereinsgeburtstag nochmal ein wenig toppen: So wurde uns Ende August der FK Qäbälä aus Aserbaidschan zugelost. 

Bereits die ganze extrem lange Sommerpause fieberte ich diesem Termin der Auslosung entgegen und war mit dem Ergebnis eigentlich recht zufrieden. Natürlich hätte es auch Kasachstan sein dürfen, denn wenn schon weit weg, dann doch bitte gleich mal einen neuen Länderpunkt sammeln, aber eigentlich war Aserbaidschan schon ein sehr schickes Los, da dieses Land mich bereits bei meinem ersten Besuch 2009 sehr in seinen Bann gezogen hat. Dumm nur, dass es 2009 noch das Visum bei der Ankunft gab. Erst im Laufe des Tages der Auslosung wurde mir im Gespräch mit anderen 05ern bewusst, dass wir beim Los „Aserbaidschan“ um eine Beantragung eines Visums nicht herumkommen würden. Dann kam die Auslosung und bämm – wurde uns natürlich das Team aus dem Kaukasus zugelost. 

Am Tag der Auslosung wurde dann die Arbeit recht schnell beendet und sich mit den wirklich wesentlichen Dingen beschäftigt: Wie das Visum bekommen und wie hinkommen. Klar, die einfachste Variante wäre der Nonstop-Flug mit Lufthansa gewesen. Aber wenn man schon den Länderpunkt Aserbaidschan hat, dann sollte doch bitte auf der An- oder Abreise noch ein neuer Länderpunkt drin sein. Gut, so viele Airlines fliegen nicht dorthin und mit Aeroflot aus Russland, Turkish Airlines oder Ukraine Intl. hätte es auch keinen neuen Länderpunkt gegeben. Aber wieso nicht mal mit Qatar Airways? Das Ticket mit 21 Stunden Stopover war gleich freitags nachts gebucht und ebenfalls mitten in der Nacht ging es an die Beantragung des E-Visums, was sich als einfachste Variante herausgestellt hatte, da das Konsulat von Aserbaidschan in Frankfurt mittlerweile dicht gemacht hat. Und nach Stuttgart oder Berlin zu düsen, darauf hatte ich nun nicht wirklich Lust, da das Hertha-Spiel erst im November stattfindet und wir diese Saison erst gar nicht nach Stuckitown in der Liga fahren werden.

Die Beantragung des E-Visums setzte zwar einige Kenntnisse von Photoshop heraus, da man sämtliche Dokumente in ein JPG-Format konvertieren musste, das Passbild ein exakt vorgegebenes Format einhalten musste, seitenlange Anträge auszufüllen waren und ich dann noch gutgläubig meine Kreditkartendaten preis gab. Aber am Ende klappte alles wunderbar. Nach 5 Arbeitstagen (aserbaidschanisch gerechnet), was ca. 14 Tagen entsprach, stand das Visum zum Download bereit und bereitete uns keinerlei weitere Kopfschmerzen.

In der Zwischenzeit spielten unsere rot-weißen Jungs ihr Premierenspiel im Stadion am Europakreisel gegen St. Etienne und nur 20.000 Leute, wollten sich das Gekicke angucken. Ich kapiere es einfach nicht, warum auch schon 2011 gegen Medias und 2014 gegen Tripolis so wenige Leute Bock auf internationalen Fußball made in Meenz haben. Klar, die Liga hat Priorität, aber wie geil ist es eigentlich vor 25 Jahren noch regelmäßig in der Oberliga Südwest gegen Eintracht Trier gespielt und dann lange Jahre gegen Fürth verloren zu haben und jetzt plötzlich in der Europa League Gruppenphase mitzumischen. Die Hertha-Fans würden wohl gerne mit uns tauschen…

Knapp zwei Wochen nach der Heimpremiere ging es schließlich los, zur längsten Auswärtsfahrt ever. Die 6 Stunden nach Doha vergingen im wahrsten Sinne wie im Flug und es erwartete einen das Austragungsland der Fußball WM 2022: Katar. Kaum gelandet gab es das erste Problem! Wie einreisen? An jedem normalen Flughafen gibt es für ankommende Passagiere zwei Schilder (plus die fürs WC): Ankunft und Transfer, sprich einmal der Hinweis für die, die einen Weiterflug haben und einmal für die normalerweise sich in der Mehrheit befindenden Leute, die hier ankommen und bleiben möchten.

Anders in Doha: Hier gab es nur Transfer. Ja, wir wollten auch nach Baku, aber bitte erst in 21 Stunden. Wie können wir hier am ultramoderenen Super-Dupi-Mega-Airport einreisen? Das Personal war etwas überfragt. Wer will bitte schon nach Doha? Na ja, spätestens zur WM in 6 Jahren, kenne ich da ein paar Nasen, die sich das Land geben wollen. Nach mehrmaligen Durchfragen konnten wir dann die Sicherheitskontrolle in umgekehrter Richtung passieren und schafften es  tatsächlich zur „Immigration“. Anders als für Aserbaidschan bekommt man für Katar sein Visum tatsächlich am Flughafen (wenn man es denn zur Immigration schafft). Das einzige, was die freundliche Dame wirklich interessiert hat, war die Kreditkarte, zur Bezahlung der umgerechnet 25 € Gebühr für das Visum und schon waren wir drin.

Da es mittlerweile 2 Uhr morgens war, ging es ruckzuck mit dem Taxi ins Hotel und am nächsten Morgen staunten wir nicht schlecht, als wir die Vorhänge im Zimmer zurückzogen. Wir blickten auf eine riesige Baustelle und unfertige Gebäude auf denen Inder und Nepali sich Tee im Schatten kochten. Tatsächlich kam ich mir eher wie in Indien vor als wie im, nach Bruttosozialprodukt pro Kopf gerechnet, reichsten Land der Erde. Der Kaiser Franz sagte ja, er hätte keine Sklaven auf den WM-Baustellen gesehen. Vielleicht hätte er halt mal in der Innenstadt von Doha aus dem Fenster gucken sollen. Klar steht den Leuten nicht „Sklave“ auf der Stirn und die Leute sind ja tatsächlich aus freien Stücken in diesem Land. Aber es ist halt auch nicht zu leugnen, dass diese Menschen in ärmlichen Verhältnissen das Land Katar für die WM aufrüsten. 

Viele haben ja ein massives Problem damit, dass die WM dort bald stattfindet. Ich denke allerdings, dass jeder Mitgliedsstaat der FIFA das Recht hat, dieses Turnier zu veranstalten. Nur weil wir ein paar Mal Weltmeister wurden und anscheinend irgendjemand irgendwelche Entscheider gut bezahlt hat, sollten ausschließlich wir Europäer, Amerikaner, Südafrikaner oder Ost-Asiaten ein Recht haben, WM-Veranstalter zu werden? Es ist doch gut, dass Katar und die dortigen Arbeitsbedingungen jetzt mindestens noch sechs Jahre im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Und Katar muss über kurz oder lang diese Bedingungen verbessern, möchten sie nicht als die Buhmänner des Fußballs dastehen. Ich habe vor 3 Jahren in Nepal mit Leuten gesprochen, die Katar über den grünen Klee gelobt haben, da sie dort ein vielfaches von dem als Gastarbeiter verdienten als in Kathmandu. Von daher müssen wir wohl mal unsere Schwarz-Weiß-Malerei überdenken. 

Dass die WM nur noch eine große Marketingveranstaltung ist, weiß eh jeder, der sich mit dem Fußball ein wenig beschäftigt, und da ist es doch weitaus schöner, mit dem lokalen Fußballverein mal international zu fahren. In diesem Sinne sind wir dann nach 21 Stunden in diesem etwas bizarren Land, dessen Einwohner wir eigentlich gar nicht zu Gesicht bekamen, sondern nur dessen Gastarbeiter, dann mal weiter nach Baku geflogen. Bei all den Problemen, die es aktuell mit der Migration von Menschen gibt, war es interessant zu sehen, dass die Kataris wohl irgendwie überhaupt kein Problem haben, dass so viele Fremde in ihrem Land leben und arbeiten und somit den Wohlstand ihres kleinen Landes wohl eher vermehren, als diesen zu bedrohen.

3 Stunden später erreichten die Hauptstadt Aserbaidschans und wieder war es zwei Uhr nachts. Normalerweise verlasse ich die Gepäckausgabe und gehe an zahlreichen Menschen, die Pappschilder in die Höhe halten, ein wenig neidisch vorbei, da auf mich niemand wartet und ich mich stattdessen mit den lokalen Taxifahrern auf einen akzeptablen Preis einigen muss. Doch dieses Mal erblickte ich glücklicherweise gleich meinen Namen und war froh, dass das Hotel tatsächlich Sahin, unseren Fahrer schickte. Das Hotel erhielten wir mit dem E-Visum, da man dieses Papier nur bekommt, wenn man noch eine Zusatzleistung wie Hotel oder Altstadttour gemeinsam bucht. Das Hotel lag direkt in der Innenstadt und nachts um zwei war der Verkehr dann sehr spärlich, so dass es ruckzuck ins Hotel ging, denn schließlich war bereits seit mehr als zwei Stunden Spieltag.

Das Schöne an Baku, was viele ja als „Klein-Dubai“ bezeichnen, ist neben dem so viel angenehmeren Klima als in Dubai die Tatsache, dass diese Stadt einerseits ihren Zugang zum Meer in einen Nationalpark umgewandelt hat, an dem man auf einer Promenade kilometerweit flanieren kann und andererseits blieb die mittelalterliche Altstadt und die Neustadt mit ihren Häuserzeilen aus dem 19. Jahrhundert vom Bauwahn der 2000er Jahre verschont. Die monströsen Glaspaläste als Zeichen des Reichtums durch Öl und Gas wurden auf die Hügel und an den Stadtrand gebaut. Trotzdem wurden leider für manche Prachtbauten, z.B. für die Austragung des Grand Prix d’Eurovision 2012, dennoch zahlreiche Häuser einfacher Leute abgerissen. Auch hier ist wieder einmal Schwarz-Weiß-Malerei nicht wirklich angebracht. Klar ist der Abriss absolute Kacke, aber andererseits ist die Stadt abends voll mit Leuten, die in die Kaffees, Kneipen und Bars strömen – in einem muslimischen Land. Hier genießen die Menschen ihr Leben, die Sicherheit und den bescheidenen Wohlstand. Man geht zu Vapiano essen und zu Starbucks Kaffee trinken – egal ob mit Kopftuch (eher die Ausnahme) oder ohne Kopftuch (die große Mehrheit). Und die Regierung pumpt Millionen ihres Geldes, das sie durch Bodenschätze einnimmt, in die Infrastruktur des Landes. Andererseits legt sie auf die Meinung ihrer Bürger, insbesondere wenn diese von ihrer Meinung abweicht, nicht sonderlich viel Wert. Meinungsfreiheit geht wohl wirklich anders.

Vielleicht sollten wir uns tatsächlich mal glücklich schätzen, mit dem was wir in Deutschland haben, sprich einigermaßen Wohlstand (im Vergleich zu 99% aller anderen Erdenbewohner) und Demokratie, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschließt. In Aserbaidschan geht es vielen Menschen wohl einigermaßen ok – was in dieser Weltregion schon mal viel Wert ist, wenn man an die aktuellen Verhältnisse in den Nachbarländern Syrien, Irak oder Türkei denkt. Aber natürlich fehlt das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf freie Wahlen. Aber einfach das Land arrogant als Diktatur abhandeln, ist halt auch zu einfach. Sahin unser Taxifahrer erzählte, er und seine Familei hätten kein Interesse ihr Land zu verlassen, um etwa nach Deutschland zu kommen. Sie möchten hier etwas aufbauen, so z.B. auch in Lahic, dem Bergdorf 200 km westlich von Baku, das wir mit Sahin am Wochenende besuchten. Rustam unser Guesthouse-Besitzer schaffte es einen luxuriösen Homestay zu schaffen – mitten in den Bergen ohne Teerstraße, dafür mit WLAN-Empfang. Die Verbindung war so gut, dass man sogar 05er TV gucken konnte – ohne ruckeln und das mitten in der Pampa des Kaukasus. Würde dies mal in Hotels in Deutschland so gut funktionieren… Und von wildfremden Menschen Äpfel auf der Straße geschenkt zu bekommen, habe ich bisher immer nur in muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei, Syrien oder Eritrea erlebt. 

Zurück in Baku wurden wir von unseren ständigen Begleitern, die streunenden Katzen wieder herzlich begrüßt, da wir seit unserer Ankunft mehr als ein Kilo Katzenfutter unters Katzenvolk gebracht haben. Die Tiere sahen durchweg gepflegt aus und waren auch relativ gut genährt. Trotzdem machten wir uns mit dem aserbaidschanischen Kitekat ständig neue Freunde und natürlich sollten auch diese Vierbeiner etwas davon haben, wenn Mainz 05 mal international spielt und wir fast eine Woche und mehr als 12.000 km für unseren Fußballverein bis in den Fernen Osten Europas unterwegs sein durften.

Mittelamerika 2014

Mittlerweile sind wir schon wieder in unserem Städtchen angekommen, aber in den letzten Tagen ging es über Ostern mal wieder nach Costa Rica…Wie? Schon wieder Costa Rica? Ja, es hat uns in der Tat wieder einmal zu den Ticos und Ticas nach Mittelamerika gezogen. Aber dieses Mal begann die Reise „wenigstens“ in Panama, dem ich erstmals seit meiner Weltreise 2002 wieder meine Aufwartung machte. Damals schon empfand ich Panama-Stadt als einzig wirklich besuchenswerte Hauptstadt von „Centroamerica“. Aufgrund der vielen Erdbeben in der Region ist von alter Bausubstanz überall anders kaum etwas aus der spanischen Kolonialzeit übrig geblieben. In Panama hingegen ist die Altstadt mit ihren kleine, verwinkelten Gassen auch heute noch ein Abstecher wert, obwohl man in der Zwischenzeit eine Autobahn über das Meer um die Altstadt herum gebaut hat. Anscheinend steht Panama mittlerweile wir so viele Metropolen dieser Welt kurz vor dem Verkehrsinfarkt und man sah sich gezwungen den schönen Blick von der Stadt auf den Eingang des Kanals zu verbauen, um der Verkehrslage Herr zu werden. Wir bekamen von all dem Verkehrschaos nichts mit, da Gründonnerstag bzw. Karfreitag war. In diesem Teil der Erde gelten Feiertage noch als solche und katholische der Karwoche zelebriert man hier noch richtig – Alkoholverbot von Gründonnerstag bis Ostersonntag inklusive. Fast alle Läden waren geschlossen, die Finanzmetropole Lateinamerikas wirkte wie eine Geisterstadt und es war schon nahezu eine Herausforderung etwas außerhalb des Hotels zu Essen zu finden.

Blick aus dem Hotelfenster auf die menschenleere Stadt
Blick aus dem Hotelfenster auf die menschenleere Stadt

Ähnlich leer war dann auch der Weiterflug innerhalb Panamas. Panama hat wie viele andere Großstädte zwei Flughäfen. Den internationalen Tocumen jenseits von Gut und Böse fernab in der Pampa und den Albrook Airport so eine Art Tempelhof in den Tropen. Beide Stadtflughäfen verbindet ihre amerikanische Vergangenheit. Schließlich war der Kanal bis 1999 US-Territorium und die vielen Hangars auf dem kleinen Flughafen erinnerten mich auch an die vielen ehemaligen US-Airports in Deutschland, nur dass es keine nervigen Ryanairs gibt. Das Spannendste am Fliegen mit Air Panama war dann eigentlich die Abfertigung am Boden, denn dieser Flughafen hat so gut wie keine Schilder. Lediglich am Check-in-Schalter stand ein Schild „Davíd“ – ohne Flugnummer natürlich. Einmal eingecheckt und durch die direkt daneben liegende Sicherheitskontrolle (kein Schild notwendig) gelangt, saß man in einem Warteraum – ohne Schilder, dafür mit mehreren Türen, die auf das Flugfeld führten. Zum Einsteigen wurde ein- oder zweimal durch das blecherne Mikro aufgerufen. Warum versteht man bei diesen Dingern eigentlich nie etwas? Wer auf dem Klos saß (diese waren beschildert), hat dann halt mal Pech gehabt und verpasst schlimmstenfalls den Abflug. Durch die permanente Wachsamkeit, während einer von uns auf dem stillen Örtchen verweilt, bekamen wir das Einsteigen dann zum Glück mit und es ging im Gänsemarsch über das Vorfeld, schön brav mit Hütchen einen imaginären Weg von Flugzeug zu Flugzeug entlang. Natürlich stand auf den Flugzeugen auch nicht, wohin sie flogen und der Weg mit den Hütchen führte bis zum Ende des Vorfelds. Der Vordermann war schon einige Meter weg, aber ich tippte dann doch auf die richtige Abzweigung zum Flieger nach Davíd. Zur Sicherheit fragte ich aber doch nochmals nach, ob die Fokker 100 tatsächlich in die zweitgrößte Stadt Panamas fliegen wollte.

Blick auf den Panama-Kanal
Blick auf den Panama-Kanal

Nach einem unspektakulären, gänzlich leeren Flug brachte uns der Flieger in 35 Minuten dorthin. Auf meiner Weltreise war ich 2002 in umgekehrter Richtung mehr als 8 Stunden unterwegs und die Weisheit, dass man entweder Zeit oder Geld hat, bewahrheitete sich natürlich mal wieder. Der Bus kostet ca. 25 US$, der Flieger 100 US$ – damals hatte ich 1 Jahr Zeit, dieses Mal knapp 20 Tage – die Entscheidung war natürlich klar, wie man von A nach B kommt – und jünger werde ich natürlich auch nicht 😉 Aber während wir bei den letzten beiden Fahrten durch Costa Rica unseren Hintern jedes Mal am Flughafen in den Geländewagen eines Suzuki Jimnys schwangen, stand dieses Mal endlich mal wieder das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Programm. Der Busbahnhof von Davíd ist immer noch sehr gut organisiert. Die Minibusse haben feste Abfahrtsstellen, die sogar nummeriert sind. Und die Frequenzen sind traumhaft. Panama hat Taktverkehr, zur costa ricanischen Grenze so ca. alle 15 Minuten, so dass es unmittelbar weiterging. Der Bus wurde nicht überfüllt, nahm natürlich noch auf der Straße Fahrgäste auf, aber trotzdem legten wir die 50 km zur Grenze in ca. 90 Minuten zurück – was für Mittelamerika absolut ok ist, denn was will man für ca. 1,50 USD schon an Schnelligkeit erwarten? Schnell ging es aber wirklich an der Grenze weiter. Der Panama-Lonely-Planet beschrieb dies auch so, ganz im Gegensatz zum Costa Rica-Lonely-Planet, der riet, zwei bis drei Stunden zum Passieren einzuplanen, wobei beide Bücher vom Übertritt von Panama nach Costa Rica sprachen – und beide Bücher gleich neu waren. Beide Länder sind allerdings etwas zickig, was die Weiterreise angeht, was Rückflugtickets angeht. Dies war sogar am Einreiseschalter vermerkt. Ohne Rückreiseticket aus dem eigenen Land kein Eintritt in das Land – aber wie so oft war das die Theorie und niemand hat sich tatsächlich dann dafür interessiert. Uns interessierte nur das erste Essen auf costa ricanischer Seite, das das kulinarische Angebot in Panama bei den vielen Exil-Griechen noch das beste neben Fast Food war. Gut, es war Karwoche, alles hatte (fast) zu, aber in Costa Rica beschränkt sich das Essen auf wenige Speisen, die immer aus Bohnen und Reis bestehen, aber das wäre uns in Panama schon lieb gewesen – stattdessen gibt es da oftmals Pommes und mit Pizza mit monströsem Käsebelag. Der „Casado“ das traditionelle costa ricanische Essen besteht daneben dann noch aus Fleisch (Rind), Hühnchen oder Fisch. Wenn man dann eine vegetarische Variante nachfragt, die meist nicht auf der Karte steht, kommt der Kellner kurz ins Grübeln, aber meist zaubern die Köche dann etwas mit Salat, Kochbanane, Eiern und/oder Käse auf den Teller, das sich mit der traditionellen Lisano-Soße, die auf keinem Restaurant-Tisch Costa Ricas fehlen darf, perfekt verfeinern lässt. Vegetarier sind in diesem Teil der Erde noch eine besondere Spezies, aber unter uns Touris gibt es dann doch genug, dass die Ticos und Ticas, sich darauf einstellen können.

Ankunft am Golfo Dulce
Ankunft am Golfo Dulce

Gestärkt mit einem Casado „sin carne“ (ohne Fleisch) und „sin pollo“ (ohne Huhn) – das muss man hier immer doppelt erwähnen – ging es mit dem Bus weiter durch das südliche Costa Rica nach Golfito. Zwischendurch wurde der Bus dann doch mal so richtig ausgelastet und ich war schon froh, einen Sitzplatz ergattert zu haben. Eingequetscht bei 30° C im Schatten und bei nahezu 90 % Luftfeuchtigkeit über das Land zu rollen ist dann doch nicht mehr so mein Ding. Und ich liebe Costa Ricas Busse – ja es sind Busse – keine ausgedienten US-Schulbusse mit an 0 cm grenzende Beinfreiheit, wie in den nördlicheren Ländern Mittelamerikas üblich. Nach einem Übernachtungsstopp in Golfito ging es am nächsten Morgen mit dem Boot über den Golfo Dulce einen von nur zwei Fjords in den Tropen weltweit auf die wunderbare Osa-Halbinsel nach Puerto Jiménez. Dieser Ort liegt fast 400 Straßenkilometer von der Hauptstadt San José entfernt und somit praktisch eine ganze Tagesreise weit weg. Und so gottverlassen kam man sich in dem Kaff dann auch vor. Eine Teerstraße ansonsten nur Pisten, Hitze, Schwüle und das permanente Gefühl in einem Wild-West-Film mitzuspielen. Aber das Kaff hat wirklich seinen Charme. Obwohl Dreh- und Angelpunkt des Tourismus auf der Osa-Halbinsel spürte man davon recht wenig. Es gibt ja Ort auf dieser Welt, da hat die „Krake“ des Fremdenverkehrs das Stadtbild komplett verändert – ich denke da hauptsächlich an Süd-Ost-Asien. In Costa Rica gibt es auch ein paar wenige dieser Plätze, aber Puerto Jiménez gehört definitiv nicht dazu. Alles läuft sehr gemächlich ohne Stress ab. Niemand springt einem vor die Füße und möchte irgendwelche Hotels, Restaurants oder Touren anbieten. Und es gibt tatsächlich die Möglichkeit, als Touri selbst zu wählen, wie man die Osa-Halbinsel entdecken möchte, wenn man den Aspekt der Nachhaltigkeit einfließen lassen will. Bereits von Deutschland aus nahmen wir Kontakt mit OSA WILD auf, einer Agentur, die versucht nachhaltigen Tourismus in der Gegend zu fördern. Die schönsten Plätze der Erde sind für uns Touris natürlich meist nur so wunderbar, weil sie naturbelassen sind. Den Einheimischen bringt diese natürlich auf den ersten Blick erst mal gar nichts. Wenn wir uns zu Hause umschauen sehen wir Industrie und Infrastruktur, die wir dort gerne hinter uns lassen. Die Frage, wie die Einheimischen dann von etwas leben sollen, stellen wir uns womöglich zunächst mal überhaupt nicht. Hier setzt dann der nachhaltige Tourismus an, um im besten Fall eine „Win Win“ Situation zu schaffen. OSA WILD vermittelt ruralen Tourismus und setzt auf gut ausgebildetete Führer, damit die Einheimischen dirket vom Fremdenverkehr profitieren – und nicht irgendwelche zwischengeschalteten Vermittler, die womöglich noch aus dem Ausland oder zumindest aus der Hauptstadt stammen.

Am Hafen von Puerto Jiménez
Am Hafen von Puerto Jiménez

Unseren 3-Tagestrip durch den wunderschönen Nationalpark Corcovado organisierte die Agentur vorab, da nur täglich 40 Leute in der dortigen Forschungsstation Sirena übernachten dürfen. Es war zwar alles ein wenig bürokratisch, da das Geld für den Eintritt, das Essen und die Übernachtung über einen Geldtransfer zunächst von Mainz nach Puerto Jiménez geschickt werden musste und dann vor Ort auf das Bankkonto der Nationalparkverwaltung eingezahlt werden musste, aber es klappte alles reibungslos, so dass wir unser Permit in der Hand hielten. Die 45 km von Puerto Jiménez zum Endpunkt der „Piste“ in der Hüttensiedlung mit dem bezeichnenden Namen „Carate“ legten wir mit einem Collectivo zurück. Das war einfach ein LKW, bei dem auf der Ladefläche zwei gepolsterte Planken einsetzt wurden. Wichtig waren auch die Haltestangen, denn die Schlaglochpiste hatte es in sich. Zwei, drei Flüsse mussten durchfahren werden und die Auf- bzw. Abfahrten zu den Flussläufen waren alles andere als flach. Im Geographie-Unterricht haben wir eigentlich gelernt, dass es in den Tropen eine Trocken- und eine Regenzeit gibt. Dies gilt aber nicht für diesen Teil der Tropen, in dem es eher eine Regenzeit und eine Zeit mit weniger viel Regen gibt. Jetzt an der Grenze zwischen diesen beiden Saisons – die Nebensaison wird hier bezeichnenderweise als „Green Season“ ausgewiesen – kann es plötzlich zu Platzregen kommen und das passierte natürlich nach zwei Drittel der Distanz auf dem Collectivo. War die Fahrt bisher recht unspektakulär verlaufen, bis auf die Äste und Zweige, die ab und zu am Dach des LKW abbrachen und auf die Ladefläche fielen, wurde es jetzt trotz vorhandener LKW Plane recht ungemütlich, da durch den Fahrtwind der Regen trotzdem hineinkam und bald sämtlich Insassen und ihr Gepäck gewaschen waren. Gut, dass es Rucksackregenüberzüge gibt, die im günstigsten Fall dann auch noch griffbereit im Rucksack bereit liegen…

Weg zur La Leona Ecolodge
Weg zur La Leona Ecolodge

In Carate angekommen, wartete schon ein Pferdefuhrwerk auf unser Gepäck, um es zur La Leona Eco Lodge zu bringen. Öko ist in diesem Zusammenhang bei dieser Unterkunft recht selbstverständlich, denn die Zelthütten stehen ca. 2 km vom Endpunkt der Straße entfernt und hier gibt es einfach gar keinen Strom, so dass man darauf angewiesen ist, mit Kerzenlaternen die Weg nachts auszuleuchten und den benötigten Strom über Sonnenkollektoren zu erzeugen. Das Pferdefuhrwerk statt eines Strandbuggys einzusetzen ist allerdings dann wirklich umweltbewusst, genauso wie uns Touris per Pedes antanzen zu lassen. Diese Abgeschiedenheit am Ende des Endes der Welt hatte schon etwas wirklich sehr sehr schönes. Noch schöner wurde es dann am nächsten Tag, als Elí, unser Führer für die nächsten drei Tage uns abholte. Das Wort „Guide“, wird weltweit ja sehr unterschiedlich ausgelegt. Es gibt Gegenden, bei denen das höchste der Gefühle die Tatsache ist, dass der Guide halbwegs den Weg kennt. Alles abseits des Wegs kennt er nicht und die Verständigung klappt auch eher mit den Händen und Füßen – auch wenn man bereit ist, mehr Geld für besser ausgebildetes Personal auszugeben. Elí überraschte uns in den drei Tagen zunächst durch sehr gutes Englisch, was auch nicht selbstverständlich ist, später dann neben seinem Enthusiasmus für die Natur mit viel Wissen um Fauna, Flora und Geologie der Region. Das Laufen durch den Nationalpark hatte wirklich etwas von einem Bildungsurlaub an sich. Die 16 km lange Strecke von La Leona, dem Eingang in den Nationalpark, bis zur Sirena Forschungsstation hatten es in sich, so dass man manches Mal den Bildungseinheiten kaum noch folgen konnte bzw. wollte, da es mit dem recht schweren Rucksack und alleine 7 Litern, also 7 kg, Wasser nicht so einfach war, einen Fuß vor den anderen zu setzten. Leider konnten wir nicht alle Mahlzeiten in der Forschungsstation in deren Kantine zu uns nehmen, so dass auch viele KG an Essen von uns geschleppt werden mussten, aber die physische Herausforderung und das Meistern derselben hatten es auch irgendwie etwas von innerem Schweinehund überwinden. Zumal die Aussicht, hinter jedem Baum ein neues Tier zu entdecken dauerhaft motivierend wirkte.

Abends in der La Leona Ecolodge
Abends in der La Leona Ecolodge

Technisch war die Strecke recht anspruchslos, wenn man davon absieht, dass etwas ein Drittel am Strand zurückgelegt werden muss und das Einsinken mit dem schweren Rucksack im Sand an Sisyphus-Arbeit erinnerte. Später kam mir die Länge von Elí gerade recht, der fast so groß war wie ich und somit ähnlich große Schritte machte. So stapfte ich in seinen Spuren über den schwarzen Sand des Pazifik-Strands. Im Regenwald ging es hingegen recht schnell voran, wenn Elí nicht gerade wieder auf die Idee kam kurz mal querfeldein zu einem komisch gefalteten Riesenblatt zu stapfen, unter dem sich eine Fledermaus zum Schlafen verschanzt oder ein Giftpfeilfrosch sich im Laub verkrochen hatte. Ohne Guide wären wir geradeaus an den schönsten und faszinierendsten Lebewesen vielleicht einen Meter entfernt ahnungslos vorbei gestapft. Abends kamen wir dann an der Sirena Forschungsstation an. Während uns auf dem Weg dorthin niemand auf dem 8 Stunden-Trip entgegenkam, saßen auf der Veranda ein Dutzend Leute und noch mehr Besucher fanden sich auf dem Holzboden, auf dem bereits viele Innenzelt unter einem großen Dach aufgestellt waren. Sind diese Leute allesamt zu Fuß hierhergekommen – leider nein. Sirena hat auch einen Feldweg zum Meer, der gleichzeitig als Urwaldpiste dient. Somit kann der zahlungskräftige Fußfaule auch einfliegen oder mit dem Boot hierher kommen. Natürlich ist das am Ende nicht so wunderbar, wenn man den ganzen Tag in der Natur alleine ist und abends dann auf engstem Raum praktisch keinerlei Privatsphäre mehr genießen kann, aber die vielen Eindrücke, die man in der Natur den Tag über gesammelt hat, wiegen das mehr als auf – auch wenn Hardcore-Schnarcher einem die Urwaldnacht zur Hölle machen können und die sonstigen Naturgeräusche komplett überlagern.

Piste und Forschungsstation Sirena
Piste und Forschungsstation Sirena

Das Essen in der Kantine von Leona war erstaunlich gut, dafür dass man komplett abseits der Zivilisation sich aufhält. Auf Vegetarier ist man hier allerdings etwas unzureichend eingestellt. Sagt man, dass man kein Fleisch (und kein Hühnchen und keinen Fisch) isst, wird der gefüllte Teller vom Fleisch befreit und man erhält als Kompensation drei Salatblätter zusätzlich. Gut, dass wir noch Erdnüsse und Trockenobst den weiten Weg hierher geschleppt haben, ansonsten hätten wir zusätzliche Schlafprobleme wegen großem Hungergefühls gehabt. Man muss sein Zelt übrigens nicht auf diesen Planken mit Dach aufstellen und wir dachten schon daran, das Zelt auf die davor liegende Wiese zu schleppen, um dem Mega-Schnarchern zu entgehen, aber ein Mega-Platzregen in der Nacht lehrte uns, dass es dann doch vielleicht vernünftiger ist, ein trockenen Schlafplatz mit Schnarchgeräuschen zu haben, als einen See im Innenzelt. Nach zwei Nächten vor Ort machten wir uns auf den Rückmarsch in die Zivilisation. Das Schöne am Rucksackwandern ist die Tatsache, dass man sich an die schweren Gewichte relativ schnell gewöhnt und dass die Kilos an Nahrung im Rucksack mit der Zeit abnahmen. Somit hielten sich die Strapazen zunächst in Grenzen. Diese wurden dann aber durch die einsetzende Flut kompensiert. Sind wir auf dem Hinweg recht einfach über den Strand vorangekommen, war es jetzt bei der einsetzenden Flut nicht mehr so einfach einen trockenen Fuß vor den anderen zu setzen. Nasse Füsse sind hier weniger das Problem, als die Steilheit des Strands und die heftigen Wellen, die einen ins Meer ziehen können. Elí beobachtete jedes Mal für ein paar Minuten die Bewegung der Brandung ehe er Zeichen für kurze Sprints durch den Sand gab. Mit dem Rucksack auf dem Rücken kam ich mir wie bei der Grundausbildung bei der Bundeswehr vor und das als ehemaliger Zivi…

Schlange im Gebüsch am Wegrand
Schlange im Gebüsch am Wegrand

Costa Rica gilt ja allgemein als Schlangenland und ohne Führer haben wir bei jedem Aufenthalt in disem Land bisher die sich entlang schlängelnden Gartenschläuche „gefunden“. 90 Prozent der gesamten 3-Tages-Wanderung waren bereits zurückgelegt, eher wir das erste Reptil entdeckten, bzw. Elí es entdeckte, denn die Schlange kroch im Gebüsch lautlos von Ast zu Ast. „Non poisonous“ war gleich die Bemerkung von Elí, die mich entspannen ließ. Schlangen beißen ja „nur“ wenn sie sich bedroht fühlen, wenn man aber die Schlange gar nicht bemerkt, kann so eine Bedrohung schneller entstehen, als einem lieb ist. Gut zu wissen, dass Costa Rica reichlich mit Antiseren ausgestattet ist, um gegebenenfalls auf einen Schlangenbiss zu reagieren – nur bei 200 Schlangenarten, wir die Gabe des richtigen Mittels dann schon wieder zu einem Glücksspiel, auf das ich gerne verzichten kann.

Abflug von Puerto Jiménez nach San José
Abflug von Puerto Jiménez nach San José

Nach dem Ende der Tour waren wir dann auf der Osa-Halbinsel noch einige Tage alleine auf Wanderschaft gewesen, ehe es mit einer einstrahligen Cessna 208 in die Hauptstadt San José ging. Auch hier läuft das Procedere am Flughafen noch anders ab als gewohnt. Zum zweiten Mal überhaupt (nach Guyana 2002) wurde ich mit meinem Handgepäck gewogen! Die Maschine hatte auch nur wenige Minuten Aufenthalt, Sicherheitskontrollen gab es gar nicht und die Bordkarten waren wiederverwertbare Plastikkarten. Ach so, und Schilder gab es natürlich auch keine!