Wir fahr’n zu Mainz 05, weil wir alle einen an der Waffel haben

Der 1. FSV Mainz 05 steckt sportlich tief in der Krise. Für Felicitas Budde wird aber gerade in solchen Phasen deutlich, wo das Herz von Mainz 05 am lautesten schlägt.

Mainz 05 steht sportlich gesehen mit dem Rücken zur Wand. Tabellenletzter, acht Bundesligaspiele ohne Sieg, fünf Platzverweise in zwölf Partien, ein 0:4 in Freiburg ohne eigenen Torschuss bis zur 82. Minute. Und davor ein 0:1 in Craiova – gegen die Mannschaft mit den meisten Ballverlusten in der gesamten Conference League. Mainz 05 steht nicht nur unter Druck, der Verein blickt als Tabellenletzter auf den Scherbenhaufen der Leistungen aus der vergangenen Saison. Die sportliche Leitung hat bis Dienstagmittag nicht öffentlich reagiert, Signale sucht man vergebens. Bis jetzt ist unklar, wer am Freitag überhaupt an der Seitenlinie stehen wird.

Trotz der seit Wochen überschaubaren Leistungen sind die Fans am Donnerstag nach Craiova gefahren. Trotzdem war der Auswärtsblock in Freiburg gefüllt. Nicht, weil der Fußball sie gerade begeistert, sondern weil Mainz 05 mehr Gründe bietet, da zu sein als nur die Tabelle. Der Verein funktioniert auch dort, wo keine Kameras stehen. In den U-Mannschaften des NLZ, in der erfolgreichen Frauenmannschaft, als gelebter eingetragener Verein auf der Mitgliederversammlung. Der Fußball ist der Anlass, nicht die Ursache.

Wir fahren nicht nach Craiova, weil wir eine Topleistung erwarten. Wir fahren, weil wir uns treffen, weil diese Gemeinschaft existiert, weil dieser Verein ein Ort ist, den man nicht nur wegen Ergebnissen aufsucht. Auf Europas größtem Weihnachtsmarkt standen Mainzer zusammen mit Menschen aus Craiova, die 05-Fans als freundlich und offen wahrgenommen haben. Es war eine Auswärtsfahrt, auf der alles gestimmt hat – außer dem Fußball.

Natürlich ist man enttäuscht, sauer, ratlos. Sportlich läuft es katastrophal. Aber wenn Mainz 05 in dieser Zeit überhaupt noch etwas Stabilität hat, dann dort, wo die Menschen den Verein tragen. Nicht im Tabellenbild, sondern in der Art wie man zusammen unterwegs ist.

Am Donnerstag Craiova, am Sonntag Freiburg. Null Punkte, zwei Niederlagen, 0:5 Tore und trotzdem sind die Leute da. Nicht, weil alles gut ist, sondern weil Mainz 05 eben mehr ist als das, was gerade auf dem Platz schiefläuft. Wir gehen zu Mainz 05, weil wir alle einen an der Waffel haben.

Was bleibt von einem Stadionbesuch?

Die Digitalisierung des Stadionbesuchs schreitet immer weiter voran und wird mit Nachhaltigkeit begründet. Gleichzeitig schätzen viele Fans weiterhin Eintrittskarten aus Papier als Erinnerung an das besuchte Spiel. Einen möglichen Kompromiss stellt Christoph Kessel in seiner aktuellen Fan-Kolumne vor.   

Was bleibt von einem Stadionbesuch? Nach dem Spiel werden wir Fans auf unzähligen Kanälen in den sozialen Netzwerken mit Bildern, Videos und Berichten zum Spiel überschüttet. Dabei ist es allerdings unerheblich, ob wir im Stadion tatsächlich dabei gewesen sind. Blicken wir ein Jahrzehnt zurück, dann blieb uns damals immer eine mehr oder weniger schön gestaltete Eintrittskarte. „Der Fußball lebt durch seine Emotionen“ heißt es immer so schön. Das haptische Gefühl, eine Eintrittskarte in der Hand zu halten, ist für viele Stadionbesuchende durch nichts zu ersetzen. Daher besteht bei vielen Menschen, zumindest für besondere Spiele, der Wunsch nach Eintrittskarten aus Papier. Schließlich gibt es viele Leute, die ihre Eintrittskarten seit Jahrzehnten sammeln.

Digitalisierung ist für den Verein Mainz 05 laut gerade publiziertem Nachhaltigkeitsbericht besonders relevant. Folglich ist es aus Vereinssicht ein logischer Schritt, das Ticket auf digitale Lösungen umzustellen. Werden Tickets aus Recyclingpapier hergestellt, werden durchschnittlich 78 % Wasser, 68 % Energie und 15 % CO2-Emissionen im Vergleich zu Frischfaserpapier eingespart. Der weltweite Anteil des Internets an den globalen CO₂-Äquivalenten wird auf ungefähr 4 % geschätzt, was grob der Menge des internationalen Flugverkehrs entspricht. Daher zieht das Argument, dass die Digitalisierung des Stadionerlebnisses besonders nachhaltig ist, nicht wirklich. Trotzdem wird Nachhaltigkeit als Totschlagargument genutzt, um auf Papier zu verzichten. Würde der Verein Nachhaltigkeit beim Stadionerlebnis an anderen Stellen konsequent als ausschlaggebendes Kriterium einsetzen, dürfte es keine Einwegkartons für Wasser geben und das Catering wäre vegan. Gerade beim letzten Punkt pocht der Verein zu Recht darauf, Menschen beim Thema Nachhaltigkeit mitnehmen zu wollen. Daher wäre ein Blick nach Dortmund sinnvoll. In der BVB-Fanwelt gibt es die Möglichkeit, an einem Automaten ein Erinnerungsticket für 2 Euro erstellen zu lassen. Das wäre doch ein Kompromiss. Bis dieser gegebenenfalls realisiert wird, gilt ein großer Dank den aktiven Fans, die für die Europapokal-Heimspiele solche Tickets gratis anbieten. Oder man besucht zum Beispiel Spiele  der Mainz-05-Frauen, bei denen es am Bruchweg und auswärts immer noch „wirkliche“ Eintrittskarten gibt.

Dem Populismus die rote Karte zeigen

Die Debatte der Innenminister:innen zur Sicherheit in deutschen Fußballstadien ist an Populismus kaum zu überbieten und zeichnet ein Bild fernab der Realität, findet Sebastian Schneider.

Liest man die jüngsten Nachrichten rund um die Anfang Dezember anstehende Innenministerkonferenz, könnte man sofort glauben, der deutsche Profifußball sei zurück in den 80iger Jahren. Zahlreiche Innenminister:innen treten in die Öffentlichkeit und reden über die Verhältnisse in und um deutsche Fußballstadien, als geschehe dort Woche für Woche die nächste Apokalypse. Warum eine komplett unnötige Sicherheitsdebatte in Gang gesetzt wird, bleibt unklar. Vermutlich lässt sich dieses Thema besser durch den deutschen Boulevard jagen, als die eigentlichen Probleme in den Bundesländern.

Als regelmäßige Stadionbesucher:innen fragt man sich, welche Auswirkungen die Inhalte dieser Debatte haben werden und welche Spiele sich die Innenminister:innen ansehen, um zu einer solch weltfremden Einschätzung zu gelangen. Besonders spannend ist dabei der Blick auf die Statistiken. Vor allem die eigens von der “Zentrale Informationsstelle Sport” (ZIS) vorgelegten Jahresberichte unterstreichen, dass die Anzahl an Straftaten und Verletzten im Kontext des Profifußballs seit Jahren rückläufig ist.

Daher wirken die von den Innenminister:innen in der “Bund-Länder-offene-Arbeitsgruppe” (BLAG) geplanten weitreichenden Sicherheitsmaßnahmen grotesk. Eine zentralisierte Vergabe von Stadionverboten, personalisierte Tickets, KI-Gesichtsscanner an den Eingängen usw. sind Maßnahmen, die Stadionbesucher pauschal kriminalisieren, gängeln und ein Problem lösen wollen, das es nicht gibt. Dass diese bisher an die Öffentlichkeit gelangten Vorhaben allein auf das Thema Stadion abzielen, entlarvt den Populismus dieser Debatte. Risiken auf der An- oder Abreise werden offensichtlich ignoriert. Bei vielen Fans sorgten daher auch die Äußerungen von Innenminister Michael Ebling für Unverständnis. Stadionverbotsverfahren in Mainz laufen professionell und akribisch ab, keinesfalls zu harmlos.

Selbstverständlich ist nichts zu beschönigen, wenn sich Vorfälle ereignen, wie jüngst im Vorfeld des Auswärtsspiels gegen Eintracht Frankfurt am Mainzer Hauptbahnhof. Klar ist aber auch, dass rund um Großveranstaltungen dieser Art nicht alles harmonisch verläuft. Es ist aber niemandem geholfen, wenn mit solchen, singulären Ereignissen bundesweit pauschale Maßnahmen begründet werden, die für Millionen von Fußballfans massive Einschränkungen bedeuten. Da sollte es auch niemanden wundern, dass sich die Fans bundesweit solidarisieren und Demonstrationen wie am vergangenen Wochenende in Leipzig stattfinden.

Statt hinter verschlossenen Türen über Fußballfans zu reden und sich unter dem Vorwand der Sicherheit neue Einschränkungen der Fankultur auszudenken, sind alle Politiker:innen dazu aufgerufen, den Dialog mit den Betroffenen zu suchen. Auch die Proficlubs sollten versuchen, auf die Politiker:innen einzuwirken. Denn nur in einem offenen Dialog auf Augenhöhe können sinnvolle Ergebnisse erzielt werden, nur so kann die einmalige Fankultur bewahrt werden.