Indien 2011 letzter Teil

Julee,

aller Anfang ist schwer lautet ein bekanntes Sprichwort, das natuerlich fuer uns auf dieser Reise besonders galt. Denn selbst nach dem Trek auf fast 4.900 m Höhe hatten wir im Anschluss daran in Leh auf 3.600 Metern noch so manches Kopfweh und so manche Kurzatmigkeit auszuhalten – und das nach 10 Tagen Akklimatisierung!

Mit dem Jeep im Hochland von Changtang unterwegs
Mit dem Jeep im Hochland von Changtang unterwegs

Aber vielmehr gilt dieses Sprichwort fuer unseren 3-taegigen Jeep-Trip in das Hochland von Changtang, einer grenzuebergreifenden Region von Ost-Ladakh bis ins tiefste Tibet hinein: Nassir unser Fahrer wendete schon mal vor unserer Pension, in der wir in Leh uebernachteten, waehrend wir unseren Kram anschleppten. Dummerweise uebersah er das riesige Loch in der Strassendecke und ein ums andere Mal brachte auch der Vierradantrieb nichts mehr, wenn ein Rad in der Luft ueber dem Loch haengt. Hm, nun ja, ich hatte jetzt zwar kein ungutes Gefuehl was seine Fahrweise anbetrifft, aber so konnte ich wenigstens mal schauen, ob die Jungs in diesem Teil der Erde immer noch so kreativ bei Pannen sind, wie ich es spaetestens seit unserer Afrika-Durchquerung 1995 in Malawi erlebte, als ein verkohlter Motor mit dem Luftdruck des Ersatzreifens „gekaerchert“ wurde. Und in der Tat wurde ich nicht enttaeuscht: Mit dem Wagenheber bockten sie die Karre hoch, Steine wurden unter das freie Rad bugsiert und nach einer Viertelstunde sass der Wagen wieder auf allen Vieren.

Jetzt setzte sich eine Multi-Religions-Karawane in Bewegung: Nassir der Fahrer (Muslim), Jigmet unser Fuehrer, der mit uns bereits durch Ladakh gelaufen war (Buddhist), Sangea Shera unser Koch aus Nepal (entweder Buddhist oder Hindu) sowie wir die Touri-Christen. In Ladakh kann man die Glaubensrichtung des Fahrers uebrigens immer rasch erkennen: An einem Choerten (einem buddhistischen Heiligtum) auf der Strasse duest der Muslim einfach vorbei, der Buddhist umrundet diese hingegen im Uhrzeigersinn mit seinem Gefaehrt. Deswegen gibt es in Ladakh optionale Kreisverkehre, die sich natuerlich auch fuer Franzosen eignen, die auf Kreisverkehrentzug sind…

Fahrt durch das Tal des Indus
Fahrt durch das Tal des Indus

Mit unserem Jeep-Trupp ging es von Leh aus den Indus in sueostlicher Richtung flussaufwaerts. Da das Hochland von Changtang an Tibet grenzt, brauchten wir fuer diese Region ein so genanntes „Innerline Permit“, das uns die Juns von Dreamladakh (http://www.dreamladakh.com/) genauso arrangierten, wie die wunderbare Crew fuer das Trekking oder fuer diesen Jeep-Trip. Ein erster Kontrollpunkt an der Abzweigung der Hauptstrasse, die weiter ueber Manali nach Delhi fuehrt, war relativ schnell passiert. Wir mussten nur kurz unsere Paesse zeigen. Diese wurden mit dem Wisch Papier verglichen, den Nassir in 4-facher Ausfertigung als Kopie mit dabei hatte, und auf dem unsere Namen sowie Passnummern notiert waren, mit einem Stempel irgendeiner indischen Behoerde drauf, die uns autorisierte, diese Gegend zu bereisen.

Auf dem ersten Teil der Strecke passierten wir mehr Militaerlager als Doerfer, schliesslich ist die indische Armee der groesste Arbeitgeber von Ladakh. Dies ist der politischen Lage Pakistan mehr und China weniger zu verdanken. Dass das Verhaeltnis zu China trotzdem zumindest in der Vergangenheit nicht gut war, zeigten einige Sprueche am Strassenrand z. B. „Beijing, Lhasa (Hauptstadt von Tibet) we will be there“ und ein Kilometerstein „Beijing 3.444 km“. Schliesslich hat China  bei der Besetztung von Tibet auch noch  einen Teil von Ladakh in den 50ern des letzten Jahrhunderts okkupiert und  bisher nicht zurueckgegeben.

Weiterfahrt auf der Jeep-Piste
Weiterfahrt auf der Jeep-Piste

Durch die Armeelager, war die Strasse in relativ gutem Zustand und wir kamen fuer indische Verhaeltnisse sehr schnell voran (ca. 60 km/h). An einer Bruecke, die den Indus ueberquerte, mussten wir den zweiten Check Point passieren. Dieses mal hiess es in der Einoede warten, denn die Herren Militaer assen gerade zu Mittag und natuerlich geht Essen vor Kontrolle. Irgendwann war der Lunch Break zu Ende und wir durften die extrem enge, mit Gebetsfahnen uebersaehte, Indus-Bruecke passieren – allerdings gab es eh keine Schranke, die die Passage verhindert haette.

Yaks bei der Bachdurchquerung
Yaks bei der Bachdurchquerung

Langsam stieg die Strasse vom Talgrund auf ca. 3.600 m Hoehe an und ploetzlich war aus der Teerstrasse eine Schotterpiste geworden, denn die Trasse fuehrte von der chinesischen Grenze weg und war somit militaerisch unbedeutend aber bedeutend schoener: Wir passierten mehrere Yak Herden. Yaks sind eigentlich die Kuehe des Himalayas. Aus der Milch laesst sich leckerer Kaese herstellen, den wir auf Yak Cheese Sandwichs genossen, wenn wir in Leh auf eine Tagestour gegangen sind. Spaeter rumpelten wir an Nomaden Zelten vorbei, denen diese Yak Herden gehoerten. An einem kleinen See trafen wir dann auf eine extrem surreale Szene, die wir zunaechst daran erkannten, dass neben den grossen Nomaden-Zelten kleine moderne Wanderzelte standen. Nassir erklaerte uns den Grund: In dieser herrlichen Bergkulisse wurde ein Bollywood-Film gedreht! Meine 3. Indienreise, mein dritter Bollywood-Drehort (der erste in der Naehe vom Taj Mahal war ebenfalls im Nirgendwo, fuer den zweiten in Shimla in den Bergen des Vorhimalayas wurden wir sogar als Komparsen einer Hochzeitsszene angesprochen). Nun ritt eine Schar Reiter am Seeufer in Hoechstgeschwindigkeit an der Kamera vorbei und wir erreichten wenig spaeter unser Tagesziel den Tsomiriri-See auf einer Hoehe von 4.500 m.  

Der Tsomoriri-See
Der Tsomoriri-See

Der tiefblaue See ist fast vollstaendig von Schneebergen von bis zu 7.000 Metern Hoehe umgeben und es gibt nur ein kleines Dorf namens Korzok. Der Rest des riesigen Seeufers ist unbewohnt und die kahlbraunen Ebenen, der weiss leuchtende Schnee und das saubere Seewasser boten eine sagenhafte Szenerie. Es war wirklich wunderbar dort EINE Nacht zu verbringen, nur hier am Ende der Welt zu wohnen, waere der blanke Horror fuer mich. Leh, ebenfalls eigentlich am Ende der Welt, liegt 8 Fahrstunden entfernt. Ein paar Satelitenschuesseln dienten wohl als Empfaenger fuer das Geschehen der Aussenwelt. Nie habe ich mich wohl wohler gefuehlt in Mainz zu wohnen als an diesem Abend mit dieser grandiosen Naturkulisse.

Blick auf Korzok und den Tsomoriri-See
Blick auf Korzok und den Tsomoriri-See

Am naechsten Morgen unternahmen wir eine Wanderung am Seeufer, denn das Bergangehen fiel uns dermassen schwer. Die Nacht bei Temeperaturen um den Gefrierpunkt, war dank unserer guten Schlafsaecke ertraeglich, doch das Fortbewegen auf dieser Hoehe war bereits im Flachen recht beschwerlich. So liefen wir am Ufer entlang und hatten ein wenig den Eindruck an die Nordsee gebeamt worden zu sein: Die Uferbepflanzung sah so aus wie am Wattenmeer und als dann noch ein paar Moewen vorbeiflogen war die Impression der indischen Nordsee perfekt. Natuerlich durfte am Dorfrand ein Militaerlager nicht fehlen. Doch die Uniformierten hatten wohl nichts anderes zu tun, als eine Cafeteria zu betreiben, in der wir Chai tranken und verdutzt auf die feilgebotenen kitschigen Souvenirs, wie Teller mit der Beschriftung des Sees Tsomiriri glotzten. Soldaten als Souvenirhändler und Teeverkäufer im Himalaya – Incredible India!

Gegen Mittag wurde es unertraeglich heiss. Die LSF 50 Sonnencreme bewahrte uns vor Sonnenbrand aber ein Wandern war wegen des fehlenden Schattens unmoeglich und wir rumpelten mit unserem Jeep weiter durch das Hochland an weiteren Yak-Herden und relativ zahmen hellbraunen Murmeltieren vorbei. Die Mittagspause auf einem kleinen Pass auf 4.900 Metern Hoehe haben wir gut vertragen und dann ging es hinuntern an den Salzsee Tsokar und in ein weiteres Kaff am Ende der Welt. Die Bewohner horten auf ihren Daechern den Yak-Mist, denn dieser gilt als bestes Brennmaterial im kalten Winter mit Temperaturen von unter -40 Grand Celsius im Extremfall bei fehlender Heizung im Lehmhaus. Und wieder beschlich mich das komische Gefuehl im „Geburtslotto“ einen 6-er mit der Heimat der 05er gezogen zu haben.

Yak-Mist auf dem Dach
Yak-Mist auf dem Dach

Nach einer weiteren kalten Nacht in grandioser leeren Landschaft, die sehr zu Meditation anregte, fuhren wir auf einer Rumpelpiste zu Hauptstrasse Manali-Leh zurueck. Diese war in extrem erbaermlichlichen Zustand, aufgrund der Regenfaelle, die ich in #2 bereits beschrieb. Irgendwann waren wir am Scheitelpunkt des Passes angekommen: Wir ueberquerten den Zentralhimalaya auf mehr als 5.300 Metern Hoehe! Auf dem angeblich zweit höchsten befahrbaren Pass der Welt, dem Tanglang La, ging es uns allerdings gar nicht gut. Ein kurzer Sprintansatz und schon stellte sich ein extremes Schwindelgefühl ein. Also nichts wie runter von dem Pass! Nassir meinte es besonders gut mit uns und nahm dem „Short Cut“, eine Buckelpiste praktisch senkrecht hinunter ins Tal. Ich kam mir vor wie in einer Seilbahn, so steil war diese Abkürzung aber so gut ging es uns auch nach ein paar Minuten und vielen verlorenen Höhenmetern.

Passhöhe des Tanglang La
Passhöhe des Tanglang La

Nach ein paar Stunden Fahrt erreichten wir wieder unser Basislager Leh, das wir nun gestern verlassen haben, um mal wieder irgendwann in Deutschland aufzutauchen. Auch nach der dritten Reise auf den Subkontinent bin ich von Indien und seinen manches Mal etwas bizarren Bewohnern fasziniert. Nach dem 1. Mal stellte sich bei mir eine Art Hassliebe ein, die beim 2. und erst Recht beim 3. Mal jetzt deutlich in Richtung großer Zuneigung umgeschwungen ist. Indien hat große Probleme, aber die einfachen Menschen für die Politik verantwortlich zu machen, geht meiner Meinung nach zu weit. Die größte Demokratie der Welt ist sicherlich auf dem richtigen Weg – nur braucht halt alles in Indien sehr viel Zeit – auch die Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards. In einem ZEIT-Artikel ging es letzte Woche darum, ob man in „Schurkenstaaten“ wie es z.B. Tunesien oder Ägypten bisher waren, Urlaub machen darf – die Meinungen gehen natürlich auseinander. Gleiches gilt auch für Indien mit seinen großen sozialen Gegensätzen – aber wer einmal von einem Land so richtig ergriffen werden möchte (positiv oder negativ) sollte sich auf den Weg auf den Subkontinent machen!

Indien 2011 2. Teil

Julee…

…mal wieder aus Leh, da dies der einzige Ort in Ladakh ist, der innerhalb von 24 Stunden mal wenigstens ein paar Stunden Strom und dann wenn alles glatt läuft auch Internet hat. Mein Handy hat hingegen die Höhenkrankheit und empfängt rein gar nichts.

Auch sonst ist der Alltag fuer den mitteleuropäischen Touri manches Mal sehr anstrengend. An Bargeld über einen Bankautomaten zu kommen will z. B. gut geplant sein. Vor der State Bank of India, der einzigen Bank, die eventuell nicht indische Karten akzeptiert, war die Schlange am Montag Morgen „den Umstaenden entsprechend“ relativ kurz – im Vergleich zum vorausgegangenen Wochenende. Daher hiess es die Situation beim Schopf zu packen und sich anzustellen. Nach ein paar Minuten in der prallen Sonne an einer Hauswand merkte ich, dass sich nur Inder anstellten. Die Damen des Subkontinents bildeten eine unsichtbare „Priority Lane“ und rauschten an der Maennerschar direkt vor die Tuer des Geldautomaten. So wurde die Schlange vor mir kaum kuerzer hinter mir jedoch noch wesentlich laenger. Immer wieder erwischte ich mich beim durchzaehlen, wieviele Koepfe noch vor mir in der Sonne auf Bares warteten und insgeheim hoffte ich auf eine „frauenlose“ Gesellschaft, denn bei jeder Dame, die auf dem Gehweg vorbei lief, bestand die „Gefahr“ dass dieser ploetzlich einfiel, mal schnell ein paar Rupien abzuheben. Leider kam es immer wieder zu dieser Situation, so dass ich nach zirka 30 Minuten endlich vor dem Automaten stand, sicherlich genauso „suechtig“ wie in Las Vegas die Zocker vor dem einarmigen Banditen. Mein „Bandit“ wollte zunaechst die Mastercard nicht. Als er auch die Maestrocard nicht wollte, war ich schon etwas verzweifelt. Aber ich gab nicht auf und stopfte ein ums andere Mal die Plastikkarte in den „Banditen“ hinein und irgendwann beim 4. Versuch erbarmte sich der und fragte nach der PIN. Danach gab ich den gewuenschten Betrag von 10.000 Rupien (153 EUR) ein – ein grobes Vergehen, denn es gab wieder eine Fehlermeldung. Aus Delhi wusste ich, dass es am dortigen Geldautomaten nur Betraege bis 4.000 Rupien zum Waehlen gab. Daher versuchte ich es aufs neue, denn hier in Leh gab es keine voreingestellten Betraege – also tippte ich dieses Mal 4.000 Rupien ein und der Automat hatte ein Erbarmen mit mir! Vom Glueck beseelt versuchte ich es nochmals und bekam gleich darauf hin ein weiteres Mal 4.000 Rupien ausgezahlt – Incredible India!

Blick auf die Umgebung von Leh
Blick auf die Umgebung von Leh

Unglaublich schoen ist auch die Landschaft, die Leh umgibt. So entdeckten wir Ladakh, das auf Deutsch „Land der hohen Paesse“ heisst, per Pedes auf einer 4-Tagestour, die uns ueber den Stok La, einen dieser hohen Paesse mit 4.875 m, fuehren sollte. Da wir unser Gepaeck nicht komplett alleine schleppen wollten, machten wir aus dieser Tour eine kleine „Expedition“ mit Bergfuehrer Jigmed, der im Wintersemester Politologie weit weg von Leh studiert, mit Sanzea Sherpa einem Koch aus Nepal, der in der ladakhischen Hochsaison Touris wie uns mit leckerem Essen abseits von jeder Kueche versorgt und einem „Horseman“ dessen Namen ich ueberhaupt nicht schreiben kann, der aber mit seinen beiden Pferden und den drei Maultieren dafuer sorgte, dass wir jeden Abend unser Gepaeck hatten. Natuerlich hatten wir unsere Bedenken, mit Tieren auf eine Wandertour zu gehen, aber die Ladakhis nutzen Vierbeiner seit je her zum Transport, Traeger gibt es anders als bspw. in Nepal oder Tansania hier nicht und die Tiere sahen wohlgenaehrt aus und wurden auch nicht ueberladen. Schliesslich kann ein Pferd hier unbedenklich 40 kg und ein Maultier 20 kg tragen – Gewichte, die nach meiner Einschaetzung deutlich unterschritten wurden. Ueberhaupt scheinen die Leute hier mit ihren Tieren einigermassen gut umzugehen. Die Hunde haben nie Angst vor Menschen, die Kuehe erlauben sich sowieso alles, zum Beispiel Mittelstreifen-Laufen, und fuer Esel gibt es mittlerweile sogar eine Aufpaeppelstation, die von Spendengeldern lebt und die wir gerne unterstuetzt haben.

Esel-Aufzucht in Leh
Esel-Aufzucht in Leh

So zogen also zwei Deutsche, zwei Ladakhis und ein Nepali-Gastarbeiter sowie zwei Pferde und drei Maultiere gemeinsam in die Berge suedlich von Leh. Der Fuehrer ging mit uns voran, Horseman, Koch und die fuenf Lasttiere zogen hinterher. Bis auf den ersten Tag ueberholte uns der Lastzug immer irgendwann im Laufe des Tages. Am ersten Abend aber erreichten wir in einem engen Tal den „Campingplatz“ zuerst. Dort stand eine „Dhaba“ ein Teezelt in dem es auch „Godfather“ Bier gab, das laut Angaben auf dem Etikett „zwischen 5 und 8 Prozent Alkohohl“ enthielt – ein weiterer Grund, vom Gerstensaft in Indien einfach mal fern zu bleiben – Incredible India! Der Platz war terrassenförmig angelegt – ein Privileg, das wir erst in den Folgenächten schätzen lernten, da wir in diesen permanent bergab im Laufe der Nacht bergab rutschten, mal im mal mit dem Schlafsack. Nach einem Tee in der Dhaba und einer Stunde Warten kamen der Lastzug an. Die Tiere warteten geduldig, bis sie entladen wurden. Danach kam es zu einem Tier-Tanz der besonderen Art: Die Viecher schmissen sich ins Stroh und purzelten durch die Gegend, um den Schweiss und eventuelle Parasiten los zu werden. Einmal ausgetobt erhielten sie ein Festmahl in Form von Hafersaecken, die ihnen um die Mäuler umgebunden wurden. Nachdem das Küchenzelt aufgestellt war, schlug die Stunde des Kochs: Dieser tischte jeden Abend ein 3-Gänge-Menu auf unter der Premisse ja keine Speise während dieser drei Abende zweimal auf den Speiseplan zu setzen. Er backte während der Nachmittage sogar Chapatis, Papads und am Abschlussabend einen Kuchen! Nachdem Tier und Mensch gestärkt waren, ging es um halb neun Uhr abends nach dem Sonnenuntergang ins Bett. Obwohl Indien ja als tropisches Land gilt, merken wir hier die langen Sommernächte, die Ihr gerade geniesst, auch ein wenig. Schliesslich liegt Ladakh etwa auf der Höhe von Ägypten oder Marokko – also gar nicht so weit südlich vom besten Fassenachtsverein der Welt!

Wanderung am ersten Tag durchs Tal des Indus'
Wanderung am ersten Tag durchs Tal des Indus‘

Am nächsten Tag ging es durch eine enge Schlucht weiter bergan. Manche von Euch haben vielleicht vom Hochwasser, das letztes Jahr Ladakh erwischte, gehört – das Hochwasser in Pakistan stand allerdings weit mehr im Blickpunkt der Medien. In einer einzigen Nacht fiel in einer Stunde so viel Regen wie sonst in mehreren Monaten nicht. Das Wasser wurde von der trockenen Erde ueberhaupt nicht aufgenommen und schoss in ganz Ladakh einfach bergab. So wurden in einer Stunde viele Bruecken, Stromverbindungen und auch viele Menschenleben (ca. 100) zerstört. Wir konnten auf unseren Wanderungen auch ein Jahr nach dem Unglueck noch viele Zerstörungen erkennen. Wir wanderten ständig ueber Holzplanken an diesem Morgen, die die Bruecken ersetzten. Die Strommasten standen zum Teil auch nicht mehr – die Kabel waren komplett verschwunden. Nach ein paar Stunden kamen wir an einem Weiler vorbei, der eigentlich nach der Katastrophe ohne Strom zu sein schien. Doch die Bewohner nutzten Solaranlagen und hatten trotz der Katastrophe Strom. Ueberhaupt wird hier auch langsam auf Nachhaltigkeit gesetzt: Die Landfrauenkooperative bietet uns Touris zum Beispiel abgekochtes Quellwasser an, um endlich diese Flut an Plastikwasserflaschen einzudaemmen. Wer schon mal seine Klamotten in Indien zum Reinigen gab, weiss, dass aus einem roten Stoff schnell ein rosa Tuch werden kann, da hier auch der Farbstoff gleich weggeschrubbt wird. Die Landfrauen wissen dies und nutzen nicht mehr so aggresive Reinigungsmittel und leiten das Abwasser auch nicht mehr zurueck in Fluss. Ausserdem gibt es mittlerweile Bio-Aprikosen-Marmelade, -Öl und -Trockenfruechte zum Kaufen. Und selbst die Dosen werden hier recht sinnvoll weiter genutzt: Da alle Viecher hier als freilaufend zu bezeichnen sind, nagen Kuehe, Esel, Yaks, Schafe etc. gerne an den Bäumen der Bauern rum. Diese stuelpen nun alte Cola-, Suppen- und andere Blechdosen um die Staemme der Baeumchen und somit sind diese vor den Tieren geschuetzt – Incredible India!

Nachhaltigkeit Made in India
Nachhaltigkeit Made in India

Am Abend des zweiten Wandertags nächtigten wir „zwischen 4.000 und 5.000 Metern“ – eine wahrlich zuverlässige Aussage unseres Bergfuehrers! In Indien raeumt man nicht nur dem Alkohl im Bier sondern auch den Hoehenangaben eine gewisse Toleranz ein. Nun ja wir merkten, dass wir ganz schön hoch oben pennen wuerden, denn wir bekamen wieder richtig Kopfschmerzen. Diese konnte man immer recht schnell durch Fluessigkeitsaufnahme reduzieren, doch wer bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sich einmal in den Schlafsack eingemummelt hat, möchte am Liebsten erst morgens wieder um halb sieben von der Crew mit einem Nescafé oder Chai (ind. Tee) geweckt werden und nicht zwischenzeitlich den Gang aufs Plumpsklo mitten in der Nacht antreten. So galt es auszutuefteln gerade so viel Wasser zu sich zu nehmen, um die Kopfschmerzen auszuhalten aber noch keinen Harndrang hervorzurufen. Eine Tueftelei, die mir gluecklicherweise immer gelang…

Lager nach Abschluss des zweiten Wandertags
Lager nach Abschluss des zweiten Wandertags

Am Morgen des dritten Tags machte dann der Himalaya seinem Namen alle Ehre, denn uebersetzt bedeutet dieser Gebirgsausdruck nichts anderes als „Heimat des Schnees“ und es fing an zu schneien. Wer Schnee im Juli haben möchte, fährt also einfach mal nach Nordindien – Incredible India! Nach drei Stunden Aufstieg hatten wir dann den Stok La, laut deutschem Reisefuehrer 4.875 m hoch, erreicht. Die Wanderung durch bizarre Felsformationen und verschiedenartig gefärbte Erden fand hier ihren Hoehepunkt mit einem direkten Blick auf die schneebedeckten Sechstausender in der naeheren Umgebung. Beim Abstieg trafen wir dann auf Steinböcke und viele verschiedene Vogelarten begleiteten uns ebenfalls durchweg auf diesem Trek – inklusive der Mainzer Stadttauben, die uns sogar bis auf ueber 4.000 Meter folgten und den ausgeschiedenen Hafer unserer Lasttiere erpickten.

Abstieg vom Stok La (4.875 m)
Abstieg vom Stok La (4.875 m)

Nach einer weiteren Nacht, in der man vom waagrechten Liegen nur träumen konnte, erreichten wir am Sonntag Nachmittag wieder die Zivilisation, d.h. zunächst die Strasse nach Leh. Wir waren natuerlich heilfroh, dass den Tieren nichts passiert ist. Diese boten jeden Abend uns ihre eigene Show, wenn es darum ging, als erstes Stroh, Gemuese oder Hafersaecke zu bekommen. Auch die Liebkosungen der Tiere untereinander waren recht amuesant und einer Daily Soap absolut wuerdig. Nach einem kurzen Jeep-Trip zurueck nach Leh, stellte sich das angenehme Gefuehl ein, gleich eine heisse Dusche und eine richtige Toillette aufsuchen zu koennen. Was sind wir doch fuer Weicheier und ein wenig abhaengig von solchen Errungenschaften unserer Zivilisation! Aber egal – die vier Tage ohne diese Produkte haben wir genossen und koennen Euch eine Trip durch Ladakh nur empfehlen – auch wenn ich dafuer die Einweihung des neuen Mainzer Stadions nur durch Photos mitbekommen habe…

Indien 2011

Julee…

…kann auf Ladakhisch vieles heissen, z. B. „Hallo“ und so gruesse ich Euch heute aus dem indischen Himalaya. Nach drei Jahren Abstinenz vom Subkontinent der krassen Gegensaetze war die Sucht nach „Bahrat“, wie die Inder ihr Land nennen, nun doch so gross, dass es uns jetzt wieder mal gen Chaos pur zog.

Der Spiegel titelte letzte Woche „Ploetzlich und erwartet“ zur  Euro Krise und so koennte man auch einen Aufenthalt in Indien betiteln. Das fing schon im Flieger nach Delhi an, da die Economy Class relativ voll, die Premium Economy aber leer war: Ploetzlich und erwartet liess sich nach dem Essen eine Inderin ohne zu fragen in den bequemeren Sesseln nieder und war erst nach Intervention der Crew wieder dazu zu bewegen, sich in die Holzklasse zu begeben. 

Nach der Ankunft standen alle Passagiere gemeinsam in der Schlange vor den Einreisebeamten. Ploetzlich und erwartet fasste eine Hand den Wartenden vor uns von hinten an, doch mal weiter zu ruecken, obwohl eine gelbe Linie genau festlegte, bis wohin sich die Schlange bewegen durfte. Und ploetzlich und erwartet war auch meine Begegnung mit dem Wischmob in der Flughafentoillette von Delhi Airport, die blitzblank war. Schliesslich wartete der Wischmann direkt vor der Tuer und sobald jemand aus der Toillette trat, war seine Zeit mit dem Mob gekommen. So sass ich auf der Toillette und neben mir wurde gewischt und auch unter der Abtrennung hindurch bis zu meinen Schuhen. Ploetzlich und erwartet eben…

Plötzlich und unerwartet auch das Qutab Minar - islamische Architektur in Delhi
Plötzlich und unerwartet auch das Qutab Minar – islamische Architektur in Delhi

Dass sich Indien gerade in einer aeusserst interessanten Phase befindet, zeigte sich bei unserem eintaegigen Zwischenstopp in Delhi. Extreme Armut der fuenften Welt trifft hier direkt auf den Luxus der ersten Welt. Alleine schon die Taxifahrt mit einem verbeulten Gefaehrt, das sicherlich wesentlich aelter als ich selbst war, vorbei an Papphuetten in die Satelitenstadt Gurgaon auf einer Autobahn mit Mautstelle zeigte innerhalb von ein paar Minuten diesen Gegensatz. Auch die Fahrt mit der Fahrrad- oder Autorikschah zur hypermodernen Metro war irgendwie bizarr. 

In der U-Bahn fand sich dann auch ein extrem bizarrer Strafenkatalog: Spucken 200 Rupien Strafe (65 Rupien = 1 EUR). Das Schwarzfahren war extrem billig mit 50 Rupien plus maximaler Fahrpreis von 30 Rupien – aber das Schwarzfahren war dank moderner Passierschleusen auch gar nicht moeglich. Guenstig war auch die Strafe fuer das Fahren auf dem Dach mit 50 Rupien! Welche Strafe einem Touri eher erwarten koennte, ist das unerlaubte Fahren im „Women Car“ mit 250 Rupien. Regt man sich dann vor einem Offiziellen mit Schimpfworten auf, wuerde dies die Top-Strafe von 500 Rupien kosten. Uebrigens koennte man auch die 50 Rupien Schwarzfahr-Strafe alternativ im Gefaengnis absitzen. Allerdings bekam ich nicht raus, wie lange man dafuer einsitzen muesste. 

Indische Touristen am Qutab Minar
Indische Touristen am Qutab Minar

Nach einem Tag Metrofahren ohne Strafe aufgebrummt zu bekommen, ging fuer uns die Reise weiter. Zur sehr unchristlichen (und sicherlich auch sehr unhinduistischen) Zeit um 6.30 Uhr morgen (3.00 Uhr MESZ) nahmen wir den Spaetflieger (der andere hob um 5.45 Uhr ab) nach Leh. Der Grund warum die Flieger so frueh morgens unterwegs sind, liegt am Wetter unseres Zielorts. Leh liegt im Indus-Tal zwischen zwei Gebirgsketten im indischen Himalaya im Grenzgebiet zu Tibet und Pakistan. Da das Wetter tendenziell morgens am stabilsten ist und die Piloten nach Sichtflug direkt zwischen den Felsen den Flieger auf den Boden setzen, hatten wir keine Alternative, denn ueberland in ca. 4 bis 5 Tagen auf 3.600 Meter hinauf mit einem indischen Bus zu aechzen war fuer uns keine Alternative…

So nahmen wir den einstuendigen „Aufzug“ hinauf aus der unertraeglichen Hitze Delhis in die nicht weniger heisse Himalaya Provinz Ladakh. In Leh angekommen trafen uns drei Faktoren: Die Hitze folgte uns hierher, die Sonne strahlte im wahrsten Sinne des Wortes und das Hochbeamen von 0 auf 3.600 Meter fuehlte sich sehr rauschartig an. So hiess es fuer uns erstmal ausruhen und sich wirklich mal aklimatisieren – dank der Hoehe kamen wir aber auch erst gar nicht auf den Gedanken am ersten Tag viele Schritte zu gehen. Vielmehr mussten wir uns auf die Atmung konzentrieren, denn man bekam permanent das Gefuehl, nicht genug Luft zu bekommen, was insbesondere beim Einschlafen ein sehr existenziell bedrohendes Gefuehl sein kann. Nach ein paar Tagen war dieses Atemproblem dann vorbei und ich konnte sogar anfangen mal ein paar Bilder zu machen oder Notizen aufzuschreiben oder sogar endlich die herrliche Landschaft um Leh herum zu entdecken. 

Blick auf Leh
Blick auf Leh

Die Stadt befindet sich inmitten einer Oase aus Gruen. Ringsrum liegen Gebirgsketten, nur vom Industal durchzogen. Die Berge sind alle vegetationslos und wuestenbraun. Die hoechsten Gipfel sind schneebedeckt und das Blau des Himmels erscheint schon manches Mal fast schwarz. Innerhalb von der Oase Leh kann man wunderbar an den von Lehmziegelmauern abgegrenzten Feldern auf kleinen Pfaden entlang laufen und so dem indischen Verkehrschaos entgehen. Denn obwohl die Ladakhis aussehen wie Tibeter mit ihrer braunroten Haut und den asiatischen Gesichtszuegen ist Leh vom Verkehr her sehr indisch. D.h. es wird dauergehupt, der Linksverkehr ist optional und die Kuehe omnipraesent. Die Hoehe schien auch die Tiere zu besonderen Hoechsleistungen anzutreiben, denn diese blockierten ploetzlich die gesamte Fahrbahn und liessen sich beim Paaren auch durch den dauerhupenden Inder nicht stoeren. 

Ladakh gehoert kulturell eigentlich eher zum benachbarten Tibet als zum indischen Subkontinent. Die politischen Spiele des letzten Jahrhunderts sorgten dafuer, dass diese Region zwischen Pakistan, Tibet (China) und Indien aufgeteilt wurde. Dadurch ist das Essen in Leh ein Traum, denn die indische Kueche mit ihren leckeren Curries wird hier durch ladakhische Gerstensuppen und tibetische Koestlichkeiten wie Momos (Teigtaschen) und den Buttertee ergaenzt. Dieser gibt einem genug Kraft z.B. zwischen zwei Stromausfaellen mal in die Tasten zu hauen und Euch ein wenig von dieser Region zu berichten. In diesem Sinne sage ich jetzt mal „Julee“ denn „Julee“ heisst im Ladakhischen auch so viel wie „Auf Wiedersehen“!