Nullfünf-Sucht süß-sauer

 „Ich bin verrückt nach dir, ich bin verliebt in dich, ich lass dich nie im Stich…“ so sangen wir seit Jahren im Block und drückten damit auch eine gewisse Sucht nach unserem Verein aus. Das mit dem Singen im Block stammt aus einer längst vergangenen Zeit. Damals drehten sich noch viele Diskussionen um das Thema Pyro. In der neuen Normalität des Jahres 2020 hat das Thema Geisterspiele das Thema Pyro als Dauerbrenner (hust) definitiv abgelöst. Keine Sorge – dieser Text beschäftigt sich nicht mit Geisterspielen, Stehplatzverboten, Verboten von Gästefans und Alkoholverbot im Stadion – da ja Mainz 05 an all diesen Punkten nach eigener Aussage nichts ändern kann. Und Beiträge von Fanseite zu diesen Themen sollten meiner Meinung nach tatsächlich lieber von Fanorganisationen wie „Unsere Kurve“ oder „Unser Fußball“ kommen, als über unzählige Blogposts, die ohnehin nichts an der Situation ändern werden.

In diesem Text soll es vielmehr um die Dinge gehen, auf die unser Verein Einfluss nehmen kann. An dieser Stelle soll es auch nicht um den neuen Ausrüster gehen, den sich der Verein doch hoffentlich noch selbst ausgesucht hat – oder wurde dieser womöglich auch einfach so vom Zentralkomitee der DFL aus der Stadt am Nebenfluss zugeteilt?

„Nur für das Trikot“ bzw. den Aufdruck am Ärmel hat ein chinesisches Unternehmen einen 7-stelligen Betrag an Mainz 05 bezahlt…

Es soll auch nicht darum gehen, zu hinterfragen, wer die neuen Trikots hergestellt hat, denn fair gehandelte Trikots gibt es im Profisport bisher eigentlich gar nicht. Und dass unser Verein da mal einen USP hätte heraushauen können, also einen „Unique Selling Point“, der aus Marketing-Sicht so wichtig wäre, ist wahrscheinlich „nicht darstellbar“ – wie es immer so schön heißt. Dass die schön anzusehenden Trikots in China produziert wurden – ebenfalls geschenkt, schließlich wird meine Tastatur, auf der ich diesen Text schreibe, ebenfalls dort produziert und das Unternehmen „vaude“ beweist, dass „Made in China“ nicht gleichbedeutend ist mit menschenunwürdiger Arbeit. Es erstellt vielmehr einen Nachhaltigkeitsbericht, in dem man tatsächlich nachlesen kann, wie die Menschen behandelt werden, die vaude-Produkte herstellen. Mainz 05 könnte seine Popularität nutzen, um den Ausrüster dazu zu bringen, wie vaude einen Nachhaltigkeitsbericht zu publizieren – zumal Kappa mit der Partnerschaft direkt auf der Startseite wirbt und sogar eine eigene Rubrik „Mainz 05“ auf seiner Webseite eingeführt hat. Ist aber sicherlich nicht darstellbar…

Kappa ist in Deutschland ein Tochterunternehmen der Schmidt Group GmbH aus Norderstedt bei Hamburg. Diese schreibt auf ihrer Seite „Die unternehmerische Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt nimmt bei SCHMIDT GROUP GmbH einen hohen Stellenwert ein. Mit unserem nachhaltigen Handeln in der Wertschöpfungskette verbessern wir langfristig die sozialen und ökologischen Kriterien. Unser Bestreben die Umwelt anhaltend zu schützen, treibt uns an, mit unseren Geschäftspartnern Programme zu entwickeln, die dazu führen zukünftig noch mehr Wasser und Energie einzusparen und den ökologischen Standard immer wieder in höchstem Maße erfüllen zu können.“ Von daher habe ich da große Hoffnung, dass sich da in der nächsten Zeit tatsächlich etwas tun wird. Ist vielleicht dann doch darstellbar?

Auf jenen angesprochenen Trikots prangt seit Kurzem das Logo eines neuen Anbieters „fb88.com“. Es geht in diesem Text auch nicht um die Zahlenkombination „88“. Die Bedeutung hat Jan Lehmann, Kaufmännischer Vorstand von Mainz 05, in der Allgemeinen Zeitung Mainz erklärt: Das Unternehmen hat seinen Sitz in China und dort gilt diese Zahlenkombi als Glückssymbol. In eben jenem Artikel wird auch erklärt, dass dieses Unternehmen einen siebenstelligen Betrag an Mainz 05 zahlt, um auf dem Trikot präsent zu sein. Der Verein hätte Lehmann zufolge gerne einem regionalen Anbieter den Vorzug gegeben. Es fand sich jedoch kein Unternehmen, das es sich leisten konnte, so viel Kohle dafür abzudrücken.

Es ist bemerkenswert, mit welcher Offenheit mittlerweile so etwas kommuniziert wird. Spätestens mit Corona hat der knallharte Kapitalismus auch bei Nullfünf Einzug gehalten: Derjenige der am meisten bietet, bekommt den Platz auf dem Trikot. Vorbei die Zeiten, in denen man bei Mainz 05 noch mit einem Piccolo die lokale Unternehmer-Prominenz für ein Engagement bei Nullfünf „ködern“ musste. Dass in diesem Fall der Meistbietende ein Unternehmen ist, das Wetten anbietet, ist dem Verein anscheinend egal.

„Allein unter den Spielsüchtigen, die sich in den Beratungsstellen in Bayern melden, sei der Anteil der Sportwetten-Teilnehmer schon auf knapp über 13 Prozent gestiegen, sagt Konrad Landgraf, Geschäftsführer der Landesstelle Glücksspielsucht.“ in einem Bericht des Bayerischen Rundfunks. Schließlich kann man sich gerade in Corona-Zeiten seine Partner wohl nicht aussuchen. Oder sind chinesische Spielsüchtige egal?

Manche von uns waren vor Corona sicherlich schon mal in Asien unterwegs. Dort ist das Zocken „Volkssport“, so dass einige Länder das Glücksspiel gänzlich verboten haben, wie z.B. Thailand. Da radelte ich 2005 herum und über die Grenze nach Kambodscha. Im Niemandsland war ein riesiges Kasino errichtet worden, in denen die Thais ihre Baht, die thailändische Landeswährung, in aller Ruhe verlieren konnten. Ein paar Tage später konnte ich samstags abends in Siem Reap tatsächlich Bundesliga in einer Open Air Kneipe gucken. Auf dem einen Fernseher lief HSV vs. Hertha – ohne Ton. Schließlich standen da noch ein paar andere Fernseher herum, auf denen Premier League-Spiele übertragen wurden. Ich hatte den Eindruck, ich sei der Einzige, der sich tatsächlich für das Spielgeschehen im Volksparkstadion interessierte. Die Kambodschaner um mich herum, Frauen waren nicht anwesend, wetteten was das Zeug hielt und versenkten ihre hart verdienten Kip, die kambodschanische Landeswährung, mit dem größten Vergnügen. Da der Ton eh abgeschaltet war, würden Geisterspiele der Vermarktung der Bundesliga in Asien garantiert nicht schaden – und eine gefakte Tonspur wäre erst gar nicht nötig. Welch herrliche Verhältnisse aus der Perspektive der Vermarkter.

Laut Lehmann und dem AZ-Artikel „hoffen die Mainzer darauf, im attraktiven asiatischen Markt weiter Fuß zu fassen.“ Und das mit Hilfe eines Wettanbieters, dessen Kunden sich sicherlich bald das rote, das weiße und das goldene Nullfünf-Trikot wegen des farblich herrlich passenden grünen „fb88.com“-Logos darauf kaufen werden.

In eben jenem Bericht des Bayerischen Rundfunks wird auch von einer Suchtberatungsstelle berichtet. Diese wird von der Caritas geführt. Gut möglich, dass im Rahmen von „Mainz 05 hilft e.V.“ auch Gelder an die Caritas fließen. Diese stammen dann auch indirekt vom chinesischen Wettanbieter. Das ist dann eine etwas andere Kreislaufwirtschaft, eine wirklich runde Sache und definitiv darstellbar!

Quellen:

VAUDE CSR-Report – Unsere Produzenten:

https://nachhaltigkeitsbericht.vaude.com/gri/menschen/unsere-produzenten.php

Über uns – Schmidt Group: Eco Facts:

https://www.eco-facts.eu/ueber-uns-schmidt-group

Was steckt hinter dem „FB88“-Deal von Mainz 05?

https://www.allgemeine-zeitung.de/sport/fussball/mainz-05/was-steckt-hinter-dem-fb88-deal-von-mainz-05_22118911

Suchtgefahr bei Sportwetten: Experten schlagen Alarm | BR24

https://www.br.de/nachrichten/bayern/suchtgefahr-bei-sportwetten-experten-schlagen-alarm,ReKMCOz

Fair Fashion for Future

Was haben Zagreb und Dijon gemeinsam? Richtig, sie sind Partnerstädte von Mainz. Und in beiden Städten rüstete der italienische Sportartikelhersteller Kappa bereits einen lokalen Fußballverein (FCO Dijon, NK Zagreb) aus. Allerdings verbinde ich persönlich Kappa mehr mit deutschen Vereinen, denn mir sagte Kappa erstmal recht wenig: St. Pauli, Lautern, Werder, die Münchner Löwen, VW und beide Borussias wurden oder werden von Kappa ausgestattet.

Zeitgleich mit der Bekanntgabe des neuen Ausrüsters, bekannte sich Mainz 05 zum wiederholten Male, die Fridays for Future-Klimaaktivist*innen zu unterstützen. Wer dabei jetzt ganz ruhig bleibt, keine Schnappatmung bekommt und es einfach mal als gegeben hinnimmt, dass der selbsternannte erste klimaneutrale Verein der Bundesliga sich für den Klimaschutz einsetzt, der kann dann versuchen, Kappa und Fridays for Future unter einen Hut zu bringen.

2009 war Nike-Trikotsponsor

Schließlich sollte man davon ausgehen, dass der Verein eine Strategie hat, bei der Auswahl seiner Partner. Und diese Partner sollten in ähnlicher Weise ticken, wie der Verein selbst. Auf die Gefahr des Greenwashings bin ich ja bereits im meinem Artikel „Nächster Halt: Nachhaltigkeit im Fußballbusiness“ eingegangen.

Löblicherweise gibt es ja mittlerweile im Fanshop zahlreiche Produkte, die GOTS zertifiziert sind. Der Global Organic Textile Standard (GOTS) steht u.a. dafür, dass als Materialien Rohstoffe aus Bioanbau genutzt werden. Wenn es um Nachhaltigkeit geht – und ich nehme mal stark an, dass Mainz 05 sich diesem Ziel verschrieben hat – dann sollte neben dem ökologischen auch der soziale Aspekt nicht zu kurz kommen.

Gerade in der textilverarbeitenden Industrie gibt es leider immer noch genügend Beispiele von Ausbeutung der Näher*innen und Arbeiter*innen auf den Feldern, die die Rohstoffe für die Textilien herstellen. Zudem werden bei vielen Anbaumethoden auch noch giftigen Chemikalien eingesetzt.

Oft werden bei uns Klamotten nur einmal getragen, weil sie halt so schön billig sind. Daher kam für diese Art der Kleidung der Begriff „Fast Fashion“ auf. Quasi als Gegenentwurf gibt es so genannte „Fair Fashion“. Hier soll fair mit der Natur (Stichwort GOTS) aber auch mit den Menschen umgegangen werden, die die Klamotten herstellen.

Déjà vu – 2007 war Lotto Trikotsponsor

Wenn es jetzt darum geht, Fair Fashion-Hersteller für Sportklamotten zu finden, ist die Sache ziemlich einfach. Patagonia und Vaude sind da ganz weit vorne, wie mehrere Quellen belegen. Aber wenn es um Fußballtrikots geht, wird die Sache ziemlich schwierig. Da findet sich leider kein Ausrüster darunter, der so richtig aus der Masse heraussticht.

Im „Lexikon der Nachhaltigkeit“ finden sich sehr viele Modemarken und auch Sportausrüster. In der besten Kategorie A gibt es keinen Sportartikelhersteller. Da sind Marken wie Freitag oder Hess Natur vertreten. In Kategorie B finden sich allerdings Nike, Trigema und Puma. In Kategorie C entdeckt man Adidas, in D New Balance und das sehr beliebte und auch von mir getragene The North Face. In Kategorie E finden sich unter anderem Kappa und Lotto. Leider stammt die Studie von 2015 und ist vielleicht nicht mehr so aussagekräftig.

Auf „Rank a brand“ wurde Kappa ebenfalls geprüft. Das Fazit fiel 2017 allerdings ähnlich ernüchternd aus. Kappa kommuniziert zum Thema Nachhaltigkeit nicht. Daher machte ich nun den Test auf der Kappa Seite. Dort findet man zum Thema Nachhaltigkeit erstmal…nichts. Aber es gibt ja eine Suchmaschine, in der ich dann das Wort „fair“ eingegeben habe. Das Suchergebnis „OOOPS! Deine Suche hat leider keine Ergebnisse geliefert.“

Das muss alles nichts heißen. Allerdings werben immer mehr Unternehmen mit ihren Maßnahmen in Sachen Nachhaltigkeit. Mainz 05 ist ja das beste Beispiel dafür. Wenn nun schon der Ausrüster gewechselt wird, der ja auch eine Art Aushängeschild für den Verein ist, dann sollte doch die Chance ergriffen werden, hier bewusst ein Zeichen in Sachen Fair Fashion zu setzen.

Ich hoffe, Mainz 05 wird gemeinsam mit Kappa, bzw. dessen deutschen Franchisenehmer ab der kommenden Saison Ergebnisse in Sachen Fair Fashion gemeinsam präsentieren. Denn nicht nur Fridays for Future ist unterstützenswert, sondern auch der faire Umgang mit Mitarbeiter*innen in der textilverarbeitenden Industrie!

Update 20. Januar 2020: Natürlich schließt GOTS auch soziale Nachhaltigkeit ein – das war in der ursprünglichen Version so nicht erkennbar.

Quellen:

Lexikon der Nachhaltigkeit: https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/nachhaltige_mode_und_luxusmarken_1965.htm

Rank-a-brand: https://rankabrand.de/sport-outdoormode-schuhe/Kappa

Der offizielle Online Shop von Kappa Deutschland: https://www.kappa-shop.de/