Spätlese Gladbach Jahrgang 2018/19

Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!

01 Hin und weg:

Manchmal sind Sonntagsspiele gar nicht so schlecht. Etwa, wenn man auf Einladung seines indischen Geschäftspartners bis Samstagmorgen in Mumbai lecker Essen darf und es schafft, das Auswärtsspiel am Sonntagabend mit einem ansehnlichen Mob aus Mainz zu besuchen. Eine Anreise von 6.730 Kilometern, um mal wieder ein Auswärtsspiel zu besuchen, nimmt man doch gerne mal in Kauf, wenn alle mitspielen. Nicht mitgespielt hat die Deutsche Bahn, die den letzten ICE des Tages von Düsseldorf ins Rhein-Main-Gebiet strich, statt ihn über die Rheinstrecke umzuleiten. Das traf genau meinen Humor, weil die Bahn gleichzeitig bekannt gab, dass die Schnellfahrstrecke, die wegen eines ausgebrannten ICE-Wagons tagelang gesperrt gewesen war, nun wieder befahrbar sei. Ich bekam auch keinen „Verspätungsalarm“ als Push-Mitteilung geschickt. Das lag vielleicht daran, dass es ja auch keine Verspätung, sondern eine Zugstreichung gab. Dadurch durfte ich noch eine Nacht in Düsseldorf dranhängen. Fortuna-Fans, mit denen ich dieses fußballerische Horrorwochenende begießen hätte können, traf ich leider keine mehr…

Abfahrt in Mumbai
Abfahrt in Mumbai

02 (N)immer nuff:

Mönchengladbach Hauptbahnhof ist mit der heruntergekommenste Bahnhof der Republik. Überall werden die Bahnhöfe aufgemotzt nur an Gladbach fährt der Zug der Modernisierung ohne Halt vorbei. Die ganze Umgebung um den Bahnhof herum hat den Charme einer Grenzstadt. Dafür ist der Bustransfer zum Stadion routinemäßig gut organisiert. Auffallend in Gladbach ist immer wieder die Kuttendichte in den Bussen. Die vielen Jungs und wenigen Mädels gehen wohl schon seit den goldenen 70ern nuff – mit Kutte natürlich!

Streetart in Gladbach
Streetart in Gladbach

03 Kon-Trolle

Diesmal ging es ohne Tablet in den Gästeblock. Die Kontrolle verlief vollkommen unspektakulär und ohne großes Gehabe. Angenehm! Weniger angenehm waren letzte Woche die Hausdurchsuchungen für einige 05-Fans. Da ich die Hintergründe nicht kenne, möchte an dieser Stelle lieber auf die Existenz der Mainzer Fanhilfe hinweisen. Diese hat zu den Durchsuchungen auch Stellung bezogen.

Fanhilfe ist immer eine gute Idee
Fanhilfe ist immer eine gute Idee

04 Kampf um den Mampf

Ich wurde zwar von vielen schief angeguckt, warum ich mir das Bolten Altbier gebe. Aber die Alternative aus Bitburg gibt es ja auch bei uns zu Hause, wie gefühlt in mindestens zehn weiteren Stadien der Republik. Das Bolten ist wohl auch das einzige Bier in der Liga, das tatsächlich noch aus der Region stammt, wenn man mal das Kölsch in Köln weglässt, (da die ja eh 2. Liga spielen). Denn selbst in Leverkusen wird zwar nahezu im ganzen Stadion Gaffel ausgeschenkt; im Gästeblock jedoch nur Bit angeboten. Angenehm waren auch die fehlenden Schlangen vor den Buden und die Barzahlung.

Bolten...lecker Altbier
Bolten…lecker Altbier


05 Käfighaltung

Der Gästeblock in Gladbach ist für mich einer der besseren der Liga: kurze Wege zur Futterkrippe und zur Pippibox, dazu einigermaßen steil und er bietet einen guten Blick aufs Spielfeld. Sehr positiv: Auch in Gladbach stellt man sich von Vereinsseite gegen Rassismus. Während ein Großteil des Fernsehpublikums, für das ja schließlich der Bundesliga-Fußball veranstaltet wird, nach dem einen oder anderen Tor kein Bock mehr auf dieses Spiel hatte, supportete der Auswärtsmob unbeeindruckt weiter: Die Mannschaft schließlich mit Applaus und ohne Häme auf die Rückreise in die goldene Stadt zu schicken, ist definitiv mein Mainz 05!

Blick aus dem Käfig
Blick aus dem Käfig

Fazit: Der Jahrgang 2018/2019 besticht durch die lange Anreise, ergebnisunabhängig guten Support und bestes Kuttenwatching – zum Wohl!

Lasst uns Fehler akzeptieren

Warum ich ins Stadion gehe und nicht ins Internet, um mir zahlreiche Dekoder zuzulegen, um den Fußball auf dem Bildschirm zu betrachten? Hm, weil nunmal der abgedroschene 5-Euro-ins-Phrasenschwein-Werbespruch „Mittendrin statt nur dabei!“ tatsächlich stimmt.

Blick aus dem Gästeblock auf das Spielgeschehen im Borussia-Park
Blick aus dem Gästeblock auf das Spielgeschehen im Borussia-Park

Und was erlebte ich gestern im Gästeblock? Ein Tor, das erst nicht zählte, dann durch den Videobeweis doch. Eskalieren? Irgendwie nicht. Auch Abdou freute sich zunächst wie ein Schneekönig, dann wurde sein Jubeln abgebremst und schließlich zählte das Tor dann doch. Das kam mir irgendwie wie ein schales Bier vor und die Schmähgesänge gegen den DFB im Anschluss an das gegebene Tor aus dem Mainzer (!) Block zeigen schlicht, dass es Fußballfans halt auch um das Wie und nicht nur ums Gewinnen an sich geht.
Dass Jean-Philippe zuvor elfmeterreif gefoult wurde und der Videobeweis nicht zum Einsatz kam, nun ja. Denn schlimmer geht ja immer: Levins Schuss ins Glück, der Block eskaliert, um dann Sekunden später wieder runterkommen zu müssen. Da war es dann eigentlich schon fast egal, ob das Tor nun zählte oder nicht – die Emotionen wurden wunderbar zerstört.
Vor dem Anpfiff gestern wurde der Videobeweis zum x-ten mal auf der Anzeigetafel erklärt. Er soll den Fußball gerechter machen. Ein hehres Anliegen, eine für sich genommen gute Idee. Aber wenn man das gestrige Spiel betrachtet, hätte das erste Tor letztlich nicht gezählt. Der Gästeblock wäre explodiert und dem Schiedsrichter alles Übel dieser Welt gewünscht worden – so wie seit der Einführung der Bundesliga und schon weit davor. Levins Ding hätte der Schiri als Tor gewertet und der Gästeblock wäre explodiert. Vielleicht hätte es die eine oder andere Bierdusche gegeben. Wer auswärts fährt, der weiß, was es heißt, in der Höhle des Löwen einen Treffer bejubeln zu dürfen. Man steht sicher früh und vielleicht verkatert auf, fährt hunderte von Kilometern und denkt daran, wann sein Club das letzte Mal einen Dreier in der Fremde geholt hat – davon können wir Mainzer ein sehr bekanntes Liedchen singen. Und dann ein Tor für den eigenen (eingetragenen) Verein! Grandios, galaktisch, geil!
Wenn man aber das Versagen beim Foul an Jean-Philippe betrachtet, dann kann man folgendes Fazit ziehen: Der Videobeweis hat nicht dafür gesorgt, den Fußball gerechter zu machen, er hat es aber hinbekommen, dem Fußball seine Emotionen zu nehmen.
Warum der Fußball nicht gerechter wird ist klar. Weil hier Menschen am Werk sind. Und Menschen machen Fehler. Man will also eine Tatsachenentscheidung eines Menschen ggf. durch einen Videobeweis, der durch einen Menschen angeleiert wird, korrigieren. Das kann funktionieren, muss es aber nicht. Vielleicht sollten wir einfach wieder mehr Vertrauen in die Leistung der Schiedsrichter entwickeln oder uns einfach daran laben, sich über ihre Tatsachenentscheidungen so richtig schön aufzuregen. Und sicher ist: Es gleicht sich bestimmt nicht alles an Fehlentscheidungen aus. Aber ein Fußballspiel lebt nun mal von seinen Emotionen. Dass Trainer und Offizielle den Videobeweis wollen, ist nachvollziehbar. Sie wollen das Unkalkulierbare, die Tatsachenentscheidung eines Menschen ausmerzen, damit sie im schlimmsten Fall nicht durch einen Fehler eines anderen um ihren Job gebracht werden. Denn diesen Leuten geht es nicht um Emotionen, sondern rein ums Geld. Und da wären wir schon wieder bei der Kommerzialisierung des Fußballs angelangt. Dass aber auch diese monetären Argumente letztlich ins Leere laufen, sollten die Verantwortlichen zur Kenntnis nehmen.
Und wenn man wie ich als Stadiongänger vielleicht bis gestern dem Videobeweis, nicht erst seit dem Hertha-Spiel, freundlich gesonnen war, dann gestehe ich gerne meinen Fehler ein und denke, dass man diesen nach der Testphase oder gerne früher bitte abschaffen sollte. Er sorgt nicht für Gerechtigkeit und Berechenbarkeit, sondern nur für den Verlust von Emotionen. Und Fehler können tatsächlich sogar zum Schmunzeln anregen. Das hat Robin gestern wunderbar unter Beweis gestellt! Und wenn wir alle mal lernen, Fehler letztlich zu akzeptieren, dann wird der Fußball wieder menschlicher!
In diesem Sinne – pro Stadionverbot, aber nur für den Videobeweis!