Mainz blickt durch

Das Schöne an einer offenen, kreativen, solidarischen Gesellschaft ist die Vielfalt an Aktionen, die, wenn es darauf wirklich ankommt, gebildet wird – z.B. in der aktuellen Ausnahmesituation. Gleichzeitig verliere zumindest ich langsam den Überblick, wer, was, wie macht, um andere zu unterstützen. Daher habe ich mal drei Schwerpunkte gebildet:

  1. Helfer*innen
  2. Lokale Unternehmer*innen
  3. Tiere unserer Stadt

Ich versuche die Vielzahl der Initiativen auf dieser Seite zusammenzufassen. Diese Liste ist dynamisch und kann durch Hilfe Eures Feedbacks jederzeit aktualisiert werden. Beim Punkt 1 und 3 nehme ich gerne Einzelinitiativen auf. Bei Punkt 2 sollte die Initiative allerdings mehrere Unternehmen betreffen,, schließlich soll ja der Gedanke unterstützt werden, anderen in dieser misslichen Lage zu helfen.  

Update vom 20. April 2020:

„Mainz liefert“ in weitere PLZ-Bereiche aus (siehe Punkt 2).

Update vom 18. April 2020:

Die „Heile heile Gänsje, es is bald widder gut!“ Aktion der Supporters Mainz, des Q-Block und anderer Fanclus des 1. FSV Mainz 05 (siehe Punkt 2).

Update vom 15. April 2020:

Der Gutenbuchclub hat eine „Dealerliste“ erstellt (siehe Punkt 2).

Update vom 11. April 2020:

Lieferangebote der Mainzer Gastronomie – zusammengestellt von der Stadt Mainz (siehe Punkt 2)

Update vom 9. April 2020:

„Kochen für Helden Mainz“-Initiative (siehe Punkt 1)

Update vom 8. April 2020:

TakeCare-Gutscheine von Wohnsitzlos in Mainz e.V. (siehe Punkt 2)

Startseite von heldentickets.de

Helfer*innen

Mainz 05 hat die „Heldenticket“ Initiative ins Leben gerufen. Da nicht abzusehen ist, wann der Fußball wieder mit Zuschauern im Stadion startet, bietet der Verein die Möglichkeit, „Helden des Alltags“ bereits bezahlte Eintrittskarten für ein zukünftiges Heimspiel von Mainz 05 zur Verfügung zu stellen. Auch virtuelle Heldentickets genauso wie Gutscheine für Speisen und Getränke können erworben werden. Darüber hinaus bietet die Initiative die Möglichkeit, als eigener Verein ebenfalls mit von der Partie zu sein. Mehr Infos auf heldentickets.de.

Köch*innen aus der Mainzer Gastronomie-Szene krempeln unter dem Motto „Kochen für Helden Mainz jetzt die Ärmel hoch. Sie kochen Essen für die, die den Laden in Zeiten der Krise zusammenhalten. #kochenfürhelden​mainz​ ist​ nach eigener Aussage „Teil​ eine​r ​Graswurzelbewegung von Gastronomen mit Unterstützung vieler in Zeiten der Corona-Krise. Die wohltätige Aktion versorgt alle Menschen in den Funktionsberufen mit Mahlzeiten, die dafür sorgen, dass unser Leben unter den derzeitigen Umständen weiterläuft.“ Die Initiative ist sowohl offen für Leute, die spenden möchten als auch für Zuliefer*innen als auch für Mitmacher*innen. Essen für Held*innen kann auf der Seite ebenfalls angefragt werden. 

Lokale Unternehmer*innen

Gleich mehrere Initiativen bieten gegenwärtig die Möglichkeit, Produkte zu Dir direkt nach Hause liefern oder Gutscheine für eine spätere Einlösung ausstellen zu lassen. Zwar rückt das Thema Nachhaltigkeit aktuell in den Hintergrund, aber die Probleme, die es vor Corona gab, sind natürlich vom lauen Frühlingslüftchen einfach weggeblasen worden. Daher sollte das Thema Nachhaltigkeit auch eine Rolle spielen, wenn es um die Unterstützung lokaler Player geht. Im besten Fall werden jetzt in der Krise Änderungen vorgenommen, die nach der Krise beibehalten werden. Das gilt insbesondere für die riesige Menge an Verpackungsmüll, der gegenwärtig entsteht.

Startseite von „Mainz Help“.

Daher ist MainzHelp natürlich ganz vorne dabei, da Du auf dieser Seite Deine Lielingslocation jetzt finanziell unterstützen kannst. Im Gegenzug erhältst Du einen Gutschein, den Du einlösen kannst, sobald die Location wieder geöffnet hat. Dadurch hilfst Du dem Unternehmen liquide zu bleiben. Die Initiative ist eine private Selbsthilfeseite der teilnehmenden Gastronomie-Betriebe in Mainz. Dein Betrag geht komplett an das ausgewählte Unternehmen. Ein gewisses Restrisiko bleibt natürlich an Dir hängen, wenn trotz aller Unterstützung Deine Location den Betrieb aufgeben muss.

„Mainz gebracht“ kombiniert Nachhaltigkeit und Risikoscheu optimal – zumindest, wenn Du in der Innenstadt wohnst. Schließlich beliefert Euch diese Initiative der Werbegemeinschaft Mainz e.V. und des Mainzer Citymanagements in der Innenstadt mit dem Fahrrad. Aber auch alle Mainzer Stadtteile werden von „Mainz gebracht“ angesteuert, so dass niemand innerhalb des Stadtgebiets auf dieses Gratis-Angebot verzichten muss. Auf der Facebook-Seite von „Mainz gebracht“ kann die ständig aktualisierte Liste der Partner eingesehen werden. Ihr bestellt beim Partner Eurer Wahl online oder per Telefon und gebt an, dass Ihr das Gratis-Angebot von „Mainz gebracht“ nutzen möchtet. Im Alten Postlager wird Deine Lieferung zusammengestellt und von ehrenamtlichen Helfer*innen zu Dir nach Hause gebracht. Trinkgeld könnt Ihr den Helfer*innen kontaktlos via PayPal an mail@mainzgebracht.com zukommen lassen.

Startseite von „Mainz Gebracht“.

Bei „Mainz liefert“ handelt es sich um einen Zusammenschluss von aktuell 12 Restaurants in Mainz. Täglich von 17 bis 21 Uhr könnt Ihr über „Mainz liefert“ leckere Speisen und Getränke Eures Lieblingsrestaurants online bestellen und bezahlen. Trinkgeld könnt Ihr direkt bei der Bestellung hinzufügen. Es werden nun alle PLZ-Bereiche von Mainz beliefert. Pro Bestellung fallen 3 € Liefergebühr an (5 € bei 55126, 55127 und 55130).

Auf LiebeDeineStadt.net bietet Luups einen Same-Day-Delivery bei Bestellungen bis 17 Uhr von Montag bis Samstag an. Luups bietet viele schöne Dinge von lokalen Mainzer Unternehmen an. Ein Besuch des Online-Shops lohnt sich bestimmt für viele von uns. Interessanterweise ist Luups wiederum auch Teil von Heimatschatz, ein Service der VRM-Gruppe, zu der u. a. die AZ gehört, und der Werbegemeinschaft Mainz. Im Gegensatz zu „MainzHelp“, „Mainz Gebracht“ und „Mainz Liefert“ möchte Heimatschatz auch nach der Krise weiterhin diese Online-Plattform betreiben, um Händlern dauernhaft die Möglichkeit des Online-Verkaufs zu bieten.

*Neu* Eine doppelte Hilfe stellen die TakeCare-Gutscheine von Wohnsitzlos in Mainz e.V. dar. Menschen ohne festen Wohnsitz wurden bisher durch Essensausgaben unterstützt. Diese Einrichtungen sind aktuell geschlossen oder dürfen nur unter Auflagen ihre Hilfe anbieten. Gleichzeitig leiden auch kleine Pizzerien, Asia-Imbisse und Döner-Läden unter der aktuellen Situation. Durch eine Spende mittels Banküberweisung werden diese Beträge in Gutscheine für obdachlose Mitbürger*innen umgewandelt und ausgegeben. Damit wird diesen Menschen genauso geholfen, wie den Betreiber*innen der kleinen Gastrobetriebe.

Die Stadt Mainz bietet auf ihrer Webseite nach Branchen sortiert einen Überblick, welches Unternehmen online oder per Telefon Bestellungen entgegennimmt. Mittlerweile hat sie auch eine Übersicht über die Lieferangebote der Mainzer Gastronomie erstellt. Ferner hat der Gutenbuchclub hat eine „Dealerliste“ erstellt, auf der sich alle inhabergeführten Mainzer Buchhandlungen befinden, bei denen bestellt werden kann.

Darüber hinaus lohnt sich immer ein Blick auf die Webseite Deines lokalen Lieblingsunternehmens, das aktuell darüber informiert, ob, wann und wie bestellt, abgeholt oder geliefert werden kann.

Die Supporters Mainz e.V. der Q-Block und weitere Fanclubs des 1. FSV Mainz 05 haben mit „Heile heile Gänsje, es is bald widder gut!“ eine Aktion ins Leben gerufen, mit der in der ersten Bestellphase 100 % der Erlöse an drei Institutionen gehen, die aktuell jede Hilfe benötigen können: Der Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.“, „Kochen für Helden Mainz“ (siehe Punkt 1) und „Ärzte ohne Grenzen“. Es gibt T-Shirts, Aufkleber und Taschen zu erstehen, auf denen der Ausspruch „Heile heile Gänsje, es is bald widder gut!“, der Zuversicht zum Ausdruck bringen soll, gemeinsam mit einer weißen Gans im roten Schal abgedruckt ist.

Startseite von „Mainz liefert“.

Tiere unserer Stadt

In der aktuellen Situation haben auch Lebewesen zu leiden, die keine große Lobby haben. Auch wenn Dir beispielsweise Tauben vollkommen egal sind, bitte ich zu bedenken, dass es sich um Lebewesen handelt, die Nachfahren ausgewilderter Haustiere wie Brief- oder Zuchttauben sind. Die Tiere unserer Stadt kannst Du online mit einer Geld- oder Sachspende unterstützen. Letzteres ist auf Amazon über den Wunschzettel der jeweiligen Organisation möglich. Dort suchst Du Dir das Produkt Deiner Wahl aus, das Du spenden möchtest. Aktuell gibt es zwei Wunschlisten von Tierschutzorganisationen aus Mainz:

Kennst Du schon Amazon Smile? Amazon reicht an angemeldete Organisationen 0,5% der Einkaufssumme Eurer so genannten „qualifizierten“ Käufe weiter. Ihr könnt beispielsweise „Tierheim Mainz“ in der Suchmaske eingeben. Natürlich gibt es noch viele andere unterstützenswerte Organisation auf Amazon Smile zu entdecken.

Personalisierte Startseite von AmazonSmile

Gerne erweitere ich diese Liste und hoffe, dass kein Local Player zurückbleibt und wir bald wieder geMAINZam gesellig das Leben in unserer Stadt genießen dürfen.

Brauchen wir es noch?

Die vergangenen Tage haben unseren Alltag ziemlich durcheinandergewirbelt. Unsere Gewohnheiten und unser Konsumverhalten haben sich teilweise drastisch verändert. Manche Zukunftsforscher*innen gewinnen der aktuellen Situation durchaus positive Facetten ab und sind der Auffassung, dass die Mehrheit der Menschen in Zukunft beispielsweise nicht mehr so viel Flugverkehr braucht und durch Homeoffice nicht mehr so viel gependelt werden muss. Vielmehr sind ab sofort Kreativität und Solidarität gefragt. Und natürlich Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die in so genannten systemrelevanten (Mini-)Jobs arbeiten, und die in Zukunft mehr Geld verdienen sollten.

Den Hut ziehen wir aktuell vor allen, die versuchen, diese Krise zu bewältigen.

Geld ist wirklich ein gutes Stichwort. Denn dieses ist der Punkt, um den es beim höherklassigen Fußball bisher einzig und alleine geht. Das wissen wir eigentlich schon lange, aber der DFL-Chef hat es vor ein paar Tagen zum ersten Mal tatsächlich direkt auf den Punkt gebracht und vom „Produkt Fußball“ gesprochen. Die DFL stellte bis zum 11. März 2020 in ihren 36 Produktionsstätten, früher einmal Stadien genannt, ein Produkt her. Seither ist die Produktion eingestellt, da zu ihr Menschen nötig sind und bei der #PhysicalDistancing unmöglich ist. Oberstes Ziel der Gesellschaft ist allerdings gerade das Einhalten jener physischen Distanz zwischen den Menschen – und das mindestens noch bis zum 19. April 2020. Daher scheint es zunächst einmal stringent, dass die DFL am Dienstag den Produktionsstopp bis zum 30. April 2020 verkündet hat.

Während allgemein angenommen wird, dass bundesweit im besten Fall ab dem 20. April 2020 die aktuellen Beschränkungen gelockert werden, plant die DFL auf ihrer Produktionsfläche, früher auch unter dem Begriff „Spielfeld“ bekannt, den Betrieb mit einem Schlag wieder auf Vor-Corona-Niveau hochzufahren – laut „Kicker“ möglichst ab Mai 2020. Das virtuelle Meeting der Verantwortlichen am Dienstag mit den 36 Produktionsbetrieben, früher einmal „Vereine“ genannt, hat eines gezeigt: (TV-)Geld ist alles. Das Produkt Fußball ist so abhängig vom Geld der Fernsehsender wie Influencer*innen von Klicks und Likes. Ich ziehe bewusst keine anderen Vergleiche, denn Menschen, die von irgendwelchen Substanzen abhängig sind, sind krank und benötigen eine Therapie, sprich Hilfe.

Den Verantwortlichen rund um das Produkt Fußball ist gegenwärtig noch nicht zu helfen. Dafür müsste zunächst eine gewisse Einsicht einkehren, dass in den letzten Jahren etwas grundsätzlich schief gelaufen ist. Seit Jahren bewegen sie sich in einer Blase. Diese Blase hat sie ein wenig taub gemacht für die Entwicklungen außerhalb ihres geschützten Kosmos. Das hat sich erst vor ein paar Wochen gezeigt, als es um Plakate ging. Ein Blasenmitglied wurde in seiner Produktionsstätte verbal derb beleidigt. Innerhalb der Blase wurde sich mit dem Mitglied solidarisiert. Solidaritätsbekundungen mit Mitgliedern außerhalb der Blase, die in der Vergangenheit in ebenfalls in Produktionsstätten beleidigt wurden? Fehlanzeige!

Ein Bild wie aus einer anderen Zeit

Während das ganze Land schon darüber diskutierte, wie das Virus einzudämmen sei, und Fachleute bereits dazu rieten, auf Distanz zu gehen und Menschenansammlungen zu meiden, sollte unbedingt noch ein Spieltag durchgeführt werden – ohne Zuschauer! Wie stand es um den Schutz der Gesundheit derer, die in der Produktionsstätte das Produkt hätten produzieren sollen, sprich die Spieler, Trainer, Schiedsrichter, Kameraleute und die vielen anderen Menschen, die dafür notwendig sind, ein Fußballspiel durchzuführen? Wenn man einen Entzug fürchtet, ist die eigene Gesundheit scheinbar sekundär. Hier wäre es aber noch nicht einmal um die eigene Gesundheit der für die Produktion Verantwortlichen gegangen. Sondern um die Gesundheit von Mitarbeiter*innen, die den oben genannten Personengruppen zuzuordnen sind. Es existieren Fürsorgepflichten seitens der Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter und diese wären schlimmstenfalls verletzt worden. Zum Glück setzte sich der gesunde Menschenverstand dann in letzter Sekunde doch noch in der Blase durch – immerhin.

Jede*r Unternehmer*in weiß jedoch, dass es gefährlich ist, sich von einem Kunden oder Produzenten abhängig zu machen. Im Falle des Produkts Fußball sind es die Fernsehsender, deren Journalist*innen teilweise ebenfalls Mitglieder dieser Blase sind. Dies wurde offensichtlich, als es um die oben genannte Beleidigung ging und sich auch einige TV-Journalist*innen bei ihrem Blasenmitglied anbiederten, statt zu recherchieren und mit der nötigen Distanz über diesen Vorfall zu berichten. Es wurden in der Vergangenheit immer neue Rekordverträge für die TV-Vermarktung generiert. Dafür gab es neben den unsäglichen Montagsspielen in der 2. Liga plötzlich auch Spiele am Montag in Liga 1 (und 3), damit immer mehr Partien, die einzeln zu vermarkten waren – für die dafür zahlenden Fernsehzuschauer*innen.

Gewinnmaximierung ist nicht nur die Leitlinie im Fußball, sondern auch in der Formal 1. Um auch in der aktuellen Situation weiter ungestört produzieren zu können, wurde bei einem Rennstall, der zufälligerweise auch ein Konstrukt in der Bundesliga hochgezüchtet hat, vom Motorsportberater die Idee erörtert, die Fahrer absichtlich mit dem Virus zu infizieren, damit diese sich schneller immunisieren. Dass auch junge Menschen an Covid-19 sterben, hat bei der Entwicklung dieser Idee wohl keine Rolle gespielt, zumal der Berater am 10. März mit folgenden Sätzen zitiert wurde: „Es handelt sich um eine Influenza. Es sterben Großteils Menschen im hohen Alter mit einer Vorerkrankung.“ Und weiter: „Die Quarantäne ist das Problem“, man müsse „der Panikmache mancher Politiker entgegenwirken und darf sie nicht noch unterstützen.“ Zum Glück wurde die Idee verworfen. Sie zeigt aber, dass sich der Profisport einfach für zu wichtig hält. Die breite Mehrheit der Fernsehzuschauer*innen, schaut Fußball oder Formel 1 noch freiwillig und nicht aus beruflichen Gründen. Es ist eine Freizeitbeschäftigung. Die große Mehrheit der Bevölkerung gehört nicht zu den 56 000 Beschäftigten, die mit dem Produkt Fußball ihren Lebensunterhalt verdienen. Fußball im Speziellen und Profisport im Allgemeinen ist nicht systemrelevant. Das gilt jetzt besonders, aber auch in „normalen“ Zeiten stimmt diese Aussage. Das haben die Verantwortlichen in anderen Sportarten wie dem Eishockey bemerkt und ihre Saison einfach abgebrochen – in einer Sportart, die mit wesentlich weniger Geld wirtschaften muss, als es im Fußballbusiness der Fall ist. Und selbst die Verantwortlichen in Wimbledon haben das diesjährige Tournier am Mittwoch abgesagt – obwohl sich Tennis mit 1,50 Abstand relativ gut spielen lässt – im Gegensatz zum Fußball.

Die Sehnsucht nach Spielen im Stadion ist natürlich jetzt schon riesig.

Und was macht die DFL? Sie richtet eine „Task Force Sportmedizin / Sonderspielbetrieb“ ein, die ein Vorgehen erarbeitet „mit dem eine engmaschige, unabhängige Testung von Spielern und weiterem Personal unter anderem unmittelbar vor den Spieltagen durchgeführt werden kann“. Stand heute sind Corona-Tests nicht so einfach zu haben, wie eine Dose Brauselimo aus Fuschl am See. Mit welcher rechtlichen Begründung möchte die DFL hunderte von Tests für sich proklamieren? Und das womöglich vor jedem Spieltag?

Gegenwärtig entstehen abseits der Fußballproduktion täglich neue Lösungsansätze. Angeblich brauchen wir ja in Zukunft kaum noch Flugzeuge. Dass im Bauch der Passagiermaschinen ganz viel Luftfracht mitfliegt, um in guten Zeiten beispielsweise Blumen aus Kolumbien, Wein aus Südafrika und argentinische Steaks nach Deutschland zu transportieren, wissen wahrscheinlich nicht so viele Leute. Dass aber aktuell diese Passagiermaschinen komplett mit dringend benötigter Luftfracht befüllt werden, also Gepäckfächer und Passagiersitze beispielsweise mit Millionen von Atemschutzmasken aus China beladen werden, zeigt, dass die Airlines umschichten, sicherlich zu ihrem eigenen Überleben, aber auch, um die nun mal bestehenden Lieferketten am Leben zu erhalten, um Leben zu erhalten. Und das Produkt Fußball? Wie ist es dort um die Kreativität bestellt?

Die einfachste Lösung, die Saison abzubrechen, würde natürlich viele Produktionsbetriebe in der Tabelle benachteiligen. Aber wieso nicht einfach, nur Aufsteiger „produzieren“ – keine Absteiger? Oder die Liga einfach so lange aussetzen, bis wieder normal produziert werden kann? Und dann ggf. halt eine Saison durchzuführen, die zwei Jahre dauert – und gleichzeitig Lösungen mit TV-Sendern suchen. Sprich die Verträge entsprechend länger laufen zu lassen – ja, auch mit den ungeliebten Montagsspielen. Oder Gutschein-Lösungen entwickeln, um den finanziellen Mittelabfluss zu verhindern? Sprich, die Saison würde abgebrochen, und die Fernsehgelder fließen trotzdem. Dafür würden die Verträge mit den TV-Anstalten einfach zeitlich nach hinten verlängert und die Fernsehzuschauer würden ebenfalls eine Abo-Verlängerung erhalten. Und/oder es würde gleichzeitig mit allen Spielern ein Modell der Kurzarbeit entwickelt, damit diese einerseits nicht finanziell ins Bodenlose fallen, aber, wie Millionen anderer Menschen auch, für Monate finanzielle Abstriche machen müssten. Es wird von der DFL so getan, als sei alles in Stein gemeißelt. 750 Millionen Euro Schaden würden entstehen, wenn nicht zu Ende gespielt wird. Das sind doch „Peanuts“, wenn man an die Ablösesummen der letzten Jahre denkt. Aber das Produkt Fußball hält sich nunmal für systemrelevant und unverzichtbar. Und das gegenwärtige Vertragskonstrukt für alternativlos. Die Medienrechte-Ausschreibung wird ja tatsächlich verschoben. Das hätte ein erstes Indiz dafür sein können, dass entsprechend gedacht wird. „Anstelle des ursprünglich geplanten Termins im Mai ist eine Vergabe ab Juni dieses Jahres vorgesehen.“ Zitat DFL – es ist aktuell dann doch noch keine Einsicht vorhanden, leider.

Fußball ohne Fans macht eigentlich „Koan Sinn“.

Von den bereits angesprochenen gesundheitlichen Aspekten abgesehen, wird als einzige Lösung die Durchführung von Geisterspielen präsentiert. Stadionverbot für alle sozusagen. Das ist natürlich auch eine Art gelebter Solidarität. Und eine nie dagewesene Ehrlichkeit. Wenn im Mai Menschen weiterhin #PhysicalDistancing betreiben sollen und gleichzeitig Fußballspiele stattfinden, dann denke ich, dass die DFL den Bogen endgültig überspannt hat. Das Fanvolk soll das Geschehen am Bildschirm im Wohnzimmer verfolgen. Gerade bei Derbys wird es sicherlich Menschengruppen geben, die es nicht zu Hause auf dem Sofa aushalten, sondern versuchen werden, das Spiel gemeinsam zu schauen. Die Ordnungskräfte haben sicherlich besseres zu tun als in diesem Fall Menschengruppen auseinanderzutreiben. Die Politik zeigt aktuell eine nie dagewesene Entschlossenheit zu gestalten. Es bleibt spannend, mitzuverfolgen, wie sie auf die Pläne der DFL reagieren wird.  

Egal, ob es nun zu Geisterspielen kommen wird oder nicht – die DFL hat durch ihren Entschluss, die Saison möglichst bis zum 30. Juni 2020 auf Gedeih und Verderb zu Ende zu bringen, gezeigt, dass für sie die Zuschauer in der Produktionsstätte bloßes Beiwerk sind:

  • Das Kind, das zum ersten Mal mit Mama und/oder Papa hingeht.
  • Das Rentnerpärchen, das seit Jahrzehnten nuff geht.
  • Die Gruppe an Flüchtlingen, die im Rahmen von „In unserer Kurve ist noch Platz“ dorthin kommt.
  • Die Mitglieder karitativer Einrichtungen, die auf Einladung eines Sponsors einen Besuch geschenkt bekommen.
  • Die beiden Nasen, die sich durch das Premium-Fenster das Spiel anschauen dürfen.
  • Die gut Betuchten, die einen Logenplatz gebucht haben.
  • Die Normalos, die sich einfach mal wieder aufregen und/oder pöbeln wollen.
  • Die Selbstdarsteller*innen, die das Rampenlicht mittels Clownskostüm suchen.
  • Die Analyst*innen, die sich mit Doppelsechsern, falschen Neunern und Dreier-, Vierer oder Fünfer-Ketten beschäftigen.
  • Die Ultras, die, wenn sie nicht gerade böse Plakate basteln oder dekadent Klorollen aufs Spielfeld werfen, so schöne Choreos durchführen (und deutschlandweit aktuell sehr viel Hilfe den Risikogruppen anbieten – danke dafür, übrigens).
  • Die Kutten, die schon immer da waren.
  • Die Koreaner*innen und Japaner*innen, die für ein Selfie mit Ihren Idolen an die Werbebande kommen.
  • Die Modefans, die auch schon „immer da“ waren.

Sie sind alle systemirrelevant!

Es stellt sich für uns für die Zukunft die Frage: Brauchen wir es noch? Dieses Produkt Fußball in seiner aktuellen Form?

Quellen:

„Coronavirus: Helmut Manko kritisiert „Panimache“ in der Politik“ Formel 1.de vom 10. März 2020

„Formel 1- Red-Bull-Berater plante Corona-Camp“ SZ.de vom 30. März 2020

DFL-Präsidium empfiehlt Aussetzung von Bundesliga und 2. Bundesliga bis mindestens 30. April – Medienrechte-Ausschreibung wird verschoben“ dfl.de vom 24. März 2020

Mitgliederversammlung der DFL beschließt weitreichende Anpassungen im Lizenzierungsverfahren zur Entlastung von Clubs“ dfl.de vom 31. März 2020

Fußball-Bundesliga soll ab Mai mit Geisterspielen wieder starten“ kicker.de vom 31. März 2020

Virales Reisen in Indien – Teil 2

Hier geht es zum Teil 1

Irgendwann klappte es schließlich mit dem WLAN und wir checkten zunächst die Informationen des Auswärtigen Amts. Dort stand lediglich, dass die Flugverbindungen zwischen Europa und Indien massiv reduziert worden sind. Deutsche und ein paar andere Europäer durften ja seit dem 11. März nicht mehr einreisen, daher war das ein erwartbarer Schritt. Von innerindischen Reisebeschränkungen lasen wir nichts. Dafür aber auf Facebook, dass das Heavy Metal Festival wegen Corona auf unbestimmte Zeit verschoben worden sei. Verschoben war für uns natürlich total doof, denn wir können ja nicht einfach mal für zwei drei Tage von Mainz nach Bangalore düsen, um Stage Diving zu betreiben. Daher fragten wir nach einer Rückzahlung des ausgelegten Betrags an. Dieser betrug mehr als 120 Euro, da wir ein Paket mit Hotelübernachtung gebucht hatten – wären es ein paar Euro gewesen, hätten wir das als Support für die Organisatoren gerne verbuchen lassen.

Corona dominierte plötzlich auch die indischen Medien

Bereits Wochen im Voraus mussten wir für das Festival-Hotel unsere persönlichen Daten übermitteln. Daher hatten wir bereits eine E-Mail-Adresse parat und baten Salman, den Gründer des Bangalore Open Air (BOA), um eine Erstattung. Er hatte für unsere Situation Verständnis und fragte, ob wir vor der Rückreise nach Deutschland nochmal in Bangalore vorbeischauen wollten. Trotz der Absage des BOA war eine Rückkehr geplant und so verständigten wir uns auf eine Geldübergabe in einem Club der Stadt, in dem am 20. März das „Wacken Metal Battle“ stattfinden sollte – ein Wettbewerb für indische Heavy Metal Bands, bei dem es um einen Auftritt beim Wacken Open Air 2020 ging. Metal Battle in einem Club mit leckerem India Pale Ale statt dem ersten Open Air in 2020 war zwar nicht ganz so schön, dennoch natürlich eine nette Alternative.

Am Abend des 13. März wurden wir im Hotel plötzlich vom Personal angesprochen. Wann wir am nächsten Tag abreisen wollten, war die Frage. Wir entgegneten um 5.45 Uhr, um den Zug nach Goa um 6.20 Uhr in Hospet zu erreichen. Der Hotelmanager sagte, wir müssten wegen des Virus einen Test machen, den nun jede*r zu machen hätte. Es handelte sich allerdings nicht um einen Corona-Test, sondern ums Fiebermessen – eine vollkommen sinnbefreite Maßnahme. Corona ließ sich auch ohne Symptome übertragen – anders als zum Beispiel SARS 2003. Dieser vollkommen nutzlose Test wäre um 10 Uhr am Samstag möglich und wir könnten ja einfach den Nachmittagszug nehmen. Die Zugfahrt nach Goa dauert 9 Stunden und wir hatten eine Reservierung für den Zug am Morgen. Ohne Reservierung nachmittags die Reise anzutreten, hätte sicherlich in einem überfüllten „Sleeper“ geendet – „Physical Distancing“ wäre somit obsolet gewesen. Wir waren auch gar nicht sicher, ob überhaupt nachmittags eine Direktverbindung bestünde oder wir nicht in Hubli auf halber Strecke hätten umsteigen müssen. Wir entgegneten daher, dass wir um diese Zeit ja schon im Zug säßen – was nicht so wirklich auf Verständnis stoß. Ich fürchtete bereits, dass wir im Hotel festgehalten werden würden und uns die frühmorgendliche Abreise womöglich verwehrt werden würde. Wir boten daher an, diesen Test jetzt am Freitagabend um 18 Uhr zu absolvieren. Corona hin oder her – am Freitagabend hat die indische Bürokratie Feierabend. So einigten wir uns darauf, dass wir mitteilten in welchem Hotel wir in Goa übernachten würden, damit dieser Test dann dort am Samstagabend nachgeholt werden würde. Angeblich wurde unser Hotel in Goa verständigt und alle wahrten ihr Gesicht. Tatsächlich konnten wir am frühen Samstagmorgen das Hotel verlassen, den Zug nehmen und danach hoffen, dass wir bis Goa durchkämen.

Blick auf den Strand von Arambol – Goa

In der indischen Bahn lief alles seinen gewohnten Gang. Nichts ließ erahnen, dass womöglich der Zug an der Grenze zu Goa gestoppt werden würde. Wir kamen fast pünktlich am Bahnhof in Vasco da Gama am Indischen Ozean an und ließen erstmal die Massen an Fahrgästen sich dicht gedrängt über den Bahnsteig und die Brücke über diesen ergießen. Hier funktionierte „Physical Distancing“, wie im reservierten „2 Tier“ Abteil wieder gut  – allerdings waren wir die einzigen, die dieses betrieben. Trotz Corona hatten wir es geschafft, die Zielregion unserer Reise zu erreichen. Im Hotel angekommen, sagten wir nichts zu dem angekündigten Test. Schließlich machte uns eine News aus Deutschland schon genug Sorgen. Angeblich sollten Deutsche, die nach dem 15. Februar 2020 in Indien eingereist waren, für 14 Tage in Quarantäne. Wir waren am 7. März eingereist und heute war der 14. März 2020. Sprich hätte diese Meldung gestimmt und wären wir von den Behörden aufgegriffen worden, wären wir womöglich noch für mindestens 7 Tage irgendwo in Quarantäne gelandet. Quarantäne in Indien kann vieles bedeuten. Es gab allerdings noch kein Nobelhotel, das unter Quarantäne stand, so dass die Chance hoch gewesen wäre, in irgendeinem Rattenloch mehr oder weniger eingesperrt zu werden. Rein theoretisch wäre es für die Behören ein Leichtes gewesen uns zu orten, da in jedem Hotel unsere Personalien inklusive Passkopie und Kopie des Visums plus Einreisestempel erhoben worden waren. Niemand sprach uns am Abend auf den angeblich so wichtigen Test an und wir konnten eine erste geruhsame Nacht in Goa verbringen.

Am nächsten Morgen stand plötzlich die Polizei im Hotel. Sie sperrten aber nur den Pool und das Fitnessstudio wegen Corona ab. Auf den Seiten des Auswärtigen Amts zu Indien fanden wir die angesprochene Quarantäne-Verpflichtung nicht. Da wir uns vor der Abreise in Mainz in die Krisenvorsorgeliste „Elefand“ eingetragen hatten, erhielten wir die aktuellen Änderungen der Sicherheitshinweise für Indien auch per E-Mail mit der netten Begrüßung „Liebe Landsleute“ zugeschickt. Es wurde auf die Reduzierung des Flugverkehrs zwischen Indien und Deutschland hingewiesen, da die größte deutsche Airline ihre Flüge mittlerweile tatsächlich eingestellt hatte. In unserem ersten Domizil in Goa blieben wir wie vorgesehen nur eine Nacht und fuhren nach dem Frühstück ein paar Kilometer weiter nach Norden an den Hippiestrand nach Arambol. Im dortigen Hotel war der Pool offen und Gewichte hätten wir dort auch weiterhin stemmen können. Die kommenden fünf Nächte bis Freitag, 21. März 2020 hatten wir bereits vorab bezahlt, da in Goa die Saison bis Mitte März geht und die besten Hotels oft Wochen vorher ausgebucht sind.

Soziale Kontakte hielten wir hauptsächlich zu Hunden und Katzen

Auf Facebook erhielten wir dann die nächste Stornierung: das Wacken Metal Battle in Bangalore wurde gestrichen, da es in der Stadt den ersten offiziellen Corona-Fall gab und als Reaktion alle Pubs und Clubs bis auf weiteres geschlossen wurden. Wir kontaktieren Salman und fragten, wie wir das nun mit dem Geld machen sollten. Paypal hatte er nicht, eine Gutschrift des Betrags auf unser Kreditkartenkonto ging angeblich auch nicht. Doch wozu hat man Freunde? Salman versprach, einen Freund in Goa zu finden, dem er über eine lokale mobile Bezahlvariante das Geld schicken würde und der Freund uns dann das Geld in bar in die Hand drücken könnne.

Wir genossen die Tage am Strand von Arambol sehr. Trotz Corona konnten wir uns den Hintern jeden Tag mit Klopapier abwischen, uns die Hände desinfizieren, denn beides Klopapier und Desinfektionsmittel gab es hier wie Sand am Meer – und Nudeln gab es auch nicht zum Essen. Aber im Ernst, einsame Strandspaziergänge, das Füttern von Hunden und Katzen und das Genießen von leckerem indischen Essen vereinnahmte uns komplett. Corona war zwar anwesend, aber nicht dauerpräsent, da wir vereinbarten, nur im Hotel auf dem Zimmer den WLAN zu nutzen und beim Essen und unterwegs darauf zu verzichten.

„Physical Distancing“ funktionierte im Restaurant am Strand meist gut.

So langsam mussten wir aber auch an unsere Rückreise denken, schließlich sollte ich am 24. März wieder arbeiten. Der ursprüngliche Plan, am 23. März von Bangalore direkt nach Frankfurt zurückzufliegen, ging nicht mehr auf, da fast alle europäischen Airlines ihre Flüge ab Bangalore bereits gestrichen hatten. Auch von Mumbai konnte man leicht erkennen, dass es von dort kaum noch Flüge nach Europa gab. Mit Hilfe von Metasearchern wie skyscanner.com ist es aber ein Leichtes, nach Flügen zu schauen, die noch buchbar sind.

Gleichzeitig hatten wir in den Medien gelesen, dass das Auswärtige Amt bereits Rückholaktionen startete, um gestrandete Urlauber bspw. aus Ägypten herauszuholen. Dennoch war es natürlich unser Ziel, selbstständig unsere Rückreise zu planen und durchzuführen. Die Botschaft in Delhi mahnte am 18. März wieder alle Reisenden an, unverzüglich Flüge vorzuverlegen und zu versuchen, die Rückreise selbst organisiert anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt waren sogar Flüge von Goa via Doha oder Muscat nach Frankfurt für ca. 500 € zu haben. Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstanden hatte, was da gerade passiert, dem kann man nicht wirklich helfen, zumal das Auswärtige Amt zum ersten Mal überhaut eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen hatte. „Reiswarnung, Sicherheitshinweis, etc. – was bedeutet das“ – hierzu habe ich vor 11 Monaten nach den Terroranschlägen in Sir Lanka einen eigenen Blogartikel verfasst. Wir hatten zwei Tage vorher unseren innerindischen Flug vom Freitag, den 20. März auf den nächsten Tag verlegt, da ja das „Wacken Metal Battle“ ausfiel und wir nun vorhatten, am 22. März von Bangalore via London nach Frankfurt zu fliegen – die einzig mögliche Variante nonstop nach Europa von dort zu gelangen. So wären wir am Samstagabend am Flughafen in Bangalore angekommen, hätten kein Problem mit den indischen Behörden bekommen, da wir dann tatsächlich 14 Tage in „Quarantäne“ verbracht hätten (in Indien halt), bevor wir wieder auf Beamte an einem Flughafen gestoßen wären. Wir hatten einen Plan A und dachten über Plan B nach.

Einsame Küstenspaziergänge waren sehr erholsam – Corona plötzlich ganz weit weg.

Schließlich stellte sich für uns die Frage, was passiert, wenn der UK-Guru von Hampi doch noch Recht behalten sollte, und es zu Beeinträchtigungen im Reiseverkehr Indiens kommen sollte – entweder, dass es ein Flugverbot ab/nach Indien oder ein innerindisches Reiseverbot gäbe. Daher war unser Plan B, nach Ablauf der „Quarantäne“ am Samstag gegebenenfalls in die Hauptstadt Delhi zu gelangen. Dort gab es Hotels direkt am Flughafen, die deutsche Botschaft und noch viele Flüge in die weite Welt. Außerdem wäre sicherlich der erste Flug im Rahmen des Rückholprogramms durch das Auswärtige Amt aus Delhi gestartet – es ist die Hauptstadt des Landes und das Verwaltungszentrum. Es war einfach die logische Wahl für uns gewesen. Hier in Goa gab es zwei internationale Flüge, die nicht mal täglich nach Doha und Muscat verkehrten, eine zweistündige Taxifahrt zum Flughafen und ein Honorarkonsulat, das uns nicht wirklich weiterhelfen konnte (dafür aber das Generalkonsulat in Mumbai, das allerdings 500 km entfernt war). Im Falle einer Ausgangssperre wären wir hier ziemlich blockiert gewesen. So schön Arambol und der Bundesstaat Goa waren, so isoliert wären wir im Falle einer Ausgangssperre gewesen.

Salman meldete sich am 18. März auch noch. Wir könnten am nächsten Tag ins 10 km entfernte Siloim fahren und seine Freundin Bonnie treffen. Er würde ihr das Geld virtuell schicken, wir sie mit dem Taxi abholen, zum Geldautomat fahren und die Kohle bar erhalten. Dies klappte am 19. März tatsächlich – WhatsApp-Kommunikation sei Dank. Incredible India! Am gleichen Tag wurde der Pool im Hotel geschlossen. Es dauerte „nur“ 6 Tage von Sonntag bis Donnerstag bis die Verordnung 18 km Luftlinie nach Norden vorgedrungen war…

Am Morgen des Freitags, 21. März 2020 erhielt ich eine E-Mail, dass unser innerindischer Flug am Samstagabend von Goa nach Bangalore gestrichen sei. Das versetzte mich in eine sehr positive Grundstimmung. Schließlich hing dieser Flug wie Ballast an unseren Beinen. Viele Airlines sprachen zwar von kulanten Maßnahmen was Umbuchungen anging – allerdings nur auf der gleichen Strecke. Wir hätten eigentlich längst Plan B aktiviert, sprich nach Delhi umgebucht, aber eine Gratis-Änderung des Routings ließ die Airline nicht zu. Es gab auch keine Möglichkeit, den Wert des Flugs in einen Gutschein umzutauschen. Und so einfach zweimal 85 Euro sausen lassen, war natürlich nicht wirklich grandios – zumal wir ja eigentlich am Sonntag von Bangalore nach London problemlos hätten fliegen können. Ferner wurden wir direkt auf den nächsten Goa-Bangalore-Flug umgebucht. Daher ging die Tendenz dahin, eine Nacht von Freitag auf Samstag in Goa zu verlängern und den umgebuchten Flug zu akzeptieren.

E-Mail Benachrichtigung durch das Konsulat in Mumbai, das für Goa zuständig ist.

Ich sprach den Hotel-Manager an und der sagte, das mit der Verlängerung sei natürlich kein Problem. Ich erzählte ihm vom gestrichenen innerindischen Flug und er entgegnete mir lapidar, dass es ab Sonntag sowieso keine internationalen Flüge mehr geben würde. Das hätte die indische Regierung so verfügt. Von dieser Nachricht überwältigt, mussten wir erstmal diese Aussage versuchen zu verifizieren, denn wir dachten gleich an den UK-Guru und sein Gerücht, dass die Bundesstaaten ihre Grenzen innerhalb des Landes dicht gemacht hätten. Tatsächlich fand ich einen Zeitungsartikel, der gerade mal ein paar Minuten alt war, der diese für Sonntag angekündigte Sperrung bestätigte. Nun musste alles ganz schnell gehen. Wir suchten den nächsten passenden Flug von Goa nach Delhi über skyscanner.com raus. Allzu knapp durften wir nicht kalkulieren. Wir waren zwar nur 42 Kilometer vom Flughafen entfernt – dafür mussten wir aber zwei Stunden Taxifahrt einrechnen. Außerdem war es angebracht, das zu erwartende Chaos am Flughafen einzuplanen – zwei Stunden sollten dafür passen. Außerdem gibt es in Indien sehr gute und „gute“ Airlines. Wir hatten keine Lust, auf „gute“ Airlines. Es war 9.15 Uhr – der nächste erreichbare Flug mit einer sehr guten Airline sollte um 14.30 Uhr gehen. Das war zu schaffen. Packen in ein paar Minuten, den Flug buchen und auch schon den Flug Delhi – Paris, der abends gehen sollte und für uns noch verfügbar war.

Tatsächlich sind wir um 10.30 Uhr losgefahren. Der Fahrer fing auf einmal an zu Husten. „Physical Distancing“ im Taxi war nicht möglich. In Indien rannten jeden Tag mehr Menschen mit Mundschutz durch die Gegend. Gefühlt aber nur diejnigen, die nicht husteten. Fast zwei Stunden die Luft anzuhalten geht natürlich nicht wirklich. Augen zu (statt Mund zu) und durch. Am Flughafen angekommen, hatte ich mir in der Hektik nur eines von beiden Tickets als PDF aufs Handy gespeichert. Also kam nur einer von uns in den Flughafen hinein. Indien ist eines der Länder, das auch in normalen Zeiten seine Flughäfen absperrt, damit Unbefugte (Terroisten) erst gar nicht ins Terminal gelangen, um Schaden anzurichten. Zum Glück hatte ich mit unserem indischen Telefon bereits im Taxi online eingecheckt. So konnte ich schnell im Flughafen beide Bordkarten am Automaten ausdrucken und wieder raus rennen, um zu beweisen, dass wir beide ein Ticket nach Delhi hatten. Wir durften sofort in den Flughafen hinein.

Dann standen wir vor einer ewigen Schlange schwitzender Menschen. Ich pirschte mich an der Schlange vorbei und checkte, wohin diese überhaupt führte…zu einer „guten“ Airline. Weiter hinten im Terminal befanden sich die Check-in-Schalter unserer sehr guten Airline…keine Schlange. Wir konnten sofort unser Gepäck abgeben. „Physical Distancing“ hat diesmal funktioniert. Weiter zur Sicherheitskontrolle…

Auf „rueckholprogramm.de“ können sich gestrandete Deutsche registrieren, um ggf. ausgeflogen zu werden.

Hier wurde zwischen Weiblein und Männlein getrennt. Die Männerschlange war ziemlich lang und es war dort Usus, erstmal sein Handgepäck aufs Band zu legen und sich dann in die Schlange zu stellen. Zum ersten Mal hatte ich etwas Sorge um den Dienstlaptop, den ich mitschleppte – schließlich war ich bereits vor unserer Abreise auf die Idee gekommen, dass womöglich der Flugverkehr eingestellt werden würde und ich dann aus dem Hotel, wo auch immer, hätte arbeiten können.

Zwei Meter Abstand in der Schlange war natürlich wieder mal ein Träumchen – zwei Zentimeter waren die Realität. Aber wenigstens habe ich hinter der Kontrolle meinen Laptop wieder bekommen. Noch eine Stunde bis zum Abflug. Wir nahmen auf einem der vielen leeren Sitze in der Abflughalle des Flughafens in Goa Platz. Ein paar Sekunden später setzte sich sofort ein Herr neben uns. Arrg…. „Physical Distancing“ funktioniert so nicht wirklich. Also „Reise nach Jerusalem“ gespielt und umgezogen – diesmal auf einen Platz am Ende einer Sitzreihe – so hatte wenigstens einer von uns „Physical Distancing“ durchziehen können. Beim Blick aufs Handy ist mir dieses fast aus der Hand gefallen. Der Flug Paris – Delhi wurde inzwischen gestrichen. Plan A nach Bangalore hatten wir aufgeben, da Plan B nach Delhi zu reisen, besser erschien. Jetzt war die Maschine, die uns von Delhi nach Paris bringen sollte, ab Paris gestrichen worden…

Am Freitagmorgen hatte das Auswärtige Amt seine Sicherheitshinweise bezüglich eines Flugstopps für den kommenden Sonntag nicht aktualisiert. Wir hatten also immer noch daran geglaubt, dass es sich vielleicht um Fake News gehandelt hatte. Doch so „fake“ war das wohl alles nicht. Denn plötzlich hatte uns das Auswärtige Amt per E-Mail eingeladen, uns auf ihrer eigens neu kreierten Rückholprogramm-Seite „Rueckholprogramm.de“ zu registrieren. Die Registrierung nahmen wir noch im Taxi auf der Fahrt zum Flughafen vor und jetzt wo der Flug von Paris nach Delhi gestrichen war…

Auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen, Goa!

Während des zweistündigen Flugs nach Delhi spielten wir alle Varianten durch, die es noch gab. Das Problem: Flüge von Delhi nach Deutschland auf einer Umsteigeverbindung mit zwei unterschiedlichen Airlines bargen die Gefahr, am Transitflughafen zu stranden. Die Emirate hatten bis Freitag noch gar keine Einreisebeschränkungen erlassen – es war aber nur eine Frage von Stunden, bis diese kommen sollte. Wir waren da sehr misstrauisch. In Dubai zu stranden wäre wesentlich kostspieliger gewesen, als in Delhi zu verharren. Gleichzeitig waren tatsächlich am Freitag die Preise für Flüge via Dubai nach Deutschland dermaßen teuer geworden, dass das den finanziellen Spielraum von fast jedem Reisenden überstieg. Es gab noch eine Variante via Kiew in der Ukraine, doch die Ukraine ließ keine Deutschen mehr ins Land. Dadurch dass der Flug von Kiew nach Frankfurt mit einer anderen Airline als der Flug von Delhi nach Kiew stattfand, war die Gefahr groß, dass unser Gepäck in Kiew landen und wir damit in der Falle sitzen würden.

Der Vorteil von Uniformen ist der, dass man von ihr auf den Arbeitgeber schließen kann. Ich sah in der Ankunftshalle eine Dame mit blauer Uniform und sprach sie an, ob sie für die Airline arbeiten würde, mit der wir heute eigentlich nach Paris fliegen wollten. Sie bejahte es und auf meine Frage, ob denn der Flug von Delhi nach Paris heute Nacht tatsächlich gestrichen sei, war sie vollkommen überrascht und sagte, nein, der Flug würde planmäßig starten. Ich hatte einfach den Fehler gemacht und angenommen, wenn der Flug von Paris nach Delhi gestrichen sei, dass auch der Rückflug nicht durchgeführt werden würde. Da Indien allerdings schon vor dem 22. März möglichst keine Menschen mehr ins Land lassen wollte, wurde der Flug nach Delhi tatsächlich für Passagiere gestrichen und die Maschine als „Evakuierungsflug“ leer hierher geschickt. Gleiches wäre übrigens auch beim Flug ab Bangalore der Fall gewesen – nur wäre dieser Flug erst am Sonntag Morgen geflogen, womöglich zu spät, da ja ab dem 22. März keine internationalen Flüge durchgeführt werden durften.

„Physical Distancing“-Schilder in Paris-CDG

Es fiel uns ein riesen Stein vom Herzen und tatsächlich schafften wir es nach Paris – und auch noch pünktlich. Der Flughafen Charles de Gaulle war morgens um 6 Uhr wie ausgestorben, obwohl zu dieser Zeit normalerweise Flugzeuge aus der ganzen Welt ankommen. Um 7.25 Uhr ging unser Flug nach Frankfurt. Nach der Landung auf dem Rhein-Main-Flughafen, musste unser Flugzeug auf einer Außenposition parken, obwohl so viele Flüge gestrichen waren. Die 50 Passagiere wurden in zwei Busse gestopft. Wer jetzt noch über das vermeintlich nicht mögliche „Physical Distancing“ in Indien lächelt oder sich beschwert, solle sich das hier mal auf der Zunge vergehen lassen. Am hessischen Tor zur Welt bekommt es der Flughafen nicht hin, mehr Busse einzusetzen, damit die Passagiere nicht dicht gedrängt wie in der Legebatterie zum Terminal gefahren werden müssen – obwohl wir aus einem Coronoa-Hochrisikogebiet wie Frankreich kommen. Gleichzeitig wurden Flugzeuge von Deutschlands größter Fluggesellschaft am Terminal 2 geparkt – obwohl diese normalerweise in Terminal 1 beheimatet ist. Die Fahrt zurück nach Mainz hingegen war angenehm. Die S-Bahn pünktlich und leer und „Physical Distancing“ problemlos möglich.

Zurück in Mainz wollten wir uns vom Rückholprogramm des Auswärtigen Ams abmelden. Doch das ging leider nicht. Stattdessen werde ich nun täglich von Delhi aus angerufen. Bisher habe ich jeden Anruf leider verpasst. Es ist aber ein verdammt gutes Gefühl zu wissen, dass Dich die deutsche Botschaft nicht im Stich lässt und Dich versucht nach Hause zu holen, Dir Hotellinks schickt und Dich virtuell wunderbar betreut. An dieser Stelle auch nochmals ein großes Dankeschön an das Auswärtige Amt und seine diplomatischen Vertretungen. Seit vergangenen Mittwoch erklärt der Deutsche Botschafter in Indien per täglicher Videobotschaft genau, was wir Landsleute machen sollen, was gerade in Indien passiert und wann der erste Flieger gehen soll. Er ist für Mittwoch Abend den 25. März geplant…ab Delhi mit 500 Leuten an Bord eines Airbus A380! Plan B hätte auch als Plan B2 funktioniert. Glück gehabt!

Leere S-Bahn auf dem Weg vom Frankfurter Flughafen zum Mainzer Hbf.

Nachtrag: Der internationale Luftverkehr ab/nach Indien wurde tatsächlich am 22. März eingestellt. Es wurde für den 22. März eine freiwillige Ausgangssperre landesweit verhängt. Seit dem 23. März ist es praktisch unmöglich, zwischen zwei Bundesstaaten per Zug oder Taxi zu reisen – der UK-Guru hatte mit etwas Zeitverzögerung doch noch Recht behalten. Der innerindische Luftverkehr wurde am Ende des 24. März gestoppt. Die Deutsche Botschaft hat ihren Landsleuten ein „Laisser Passer“ Dokument (Passierscheine) ausgestellt, das rein theoretisch die Möglichkeit bietet, noch nach Delhi zu gelangen. Ob dies tatsächlich noch funktioniert, darf bezweifelt werden.

Fazit: Das Reisen ist mit Hilfe des Internet tatsächlich leichter geworden – vielleicht zu leicht. Es bleibt wichtig, jede Reise, aber insbesondere Reisen außerhalb Europas gut zu planen. Das fängt bei der Gesundheitsvorsorge an (Impfungen, Reiseapotheke), geht über das Lesen von Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amts hin bis zur Information über das Tagesgeschehen in den lokalen Medien und auf den Seiten der Behörden vor Ort und durch Kontakt mit den Einheimischen. Oftmals sprechen viele Backpacker ja davon, dass sie Reisende und keine Touristen seien. Wenn man auf der einen Seite Touristen mit Pauschaltouristen gleichsetzt, die durch einen Tour Guide alles organisiert bekommen, und man selbst andererseits als Individualtourist sich als Reisender sieht, dann sollte man auch in solchen Krisenzeiten, möglichst alles selbst organisieren und sich nicht per WhatsApp beim Stern beschweren, dass niemand einem direkt unter die Arme greift oder sich darauf verlassen, dass einem die Deutsche Botschaft am Ende den Hintern rettet. Denn ansonsten wirkt dieses sich von Touristen unterscheiden wollen leider nur selbstverliebt und vollkommen abgehoben.