Virales Reisen in Indien – Teil 1

Liest Du eigentlich (noch) Reiseberichte? Der Trend von vergangenen Reisen zu berichten war Anfang der 2000er Jahre entstanden, als es plötzlich möglich war, per E-Mail über den Kreis von Freunden und Familie hinaus vom Abenteuer in der Welt zu berichten. Kaum einer derjenigen, die damals Reiseberichte schrieben, hatte im Sinn, damit ein wenig Geld geschweige denn seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Damals war es schlicht unmöglich, „Reichweite“ zu erzielen – es gab die Multiplikatoren Facebook, Twitter, Instagram und Co. noch gar nicht. Trotzdem hatte auch ich meinen Spaß, ab 2001 meine Erlebnisse zunächst per E-Mail an Freunde und Bekannte zu versenden.

Als die ersten Webseiten entstanden und die sozialen Netzwerke plötzlich da waren und damit auch die Möglichkeit viral (!) zu gehen, entstanden ab 2008 die ersten Reiseblogs. Der Beruf des Reisebloggers etablierte sich, die Inhalte professionalisierten sich und die Reiseberichte der „Amateure“ verschwanden von der Bildfläche. Auch ich verfasste ab 2008 kaum noch Reiseberichte und widmete mich mehr der Fotografie auf Auswärtsspielen von Mainz 05 und der Publikation der Bilder auf meiner neu eingerichteten Webseite „Meenzer on Tour“.

Während viele Reiseberichte darauf abzielten, zu zeigen, was für ein Abenteuer man gerade absolviert hatte, bieten viele Blogs seither die Möglichkeit zum „Nachmachen“ an. Die Leser*innen sollen Lust bekommen, selbst auf Reisen zu gehen. Und viele Menschen tun dies auch – was meiner Meinung nach eine prima Sache ist. Der Horizont wird erweitert, die Einheimischen profitieren vom vor Ort ausgegebenen Geld und vielleicht lernt man seinen deutschen Reisepass und den Alltag in Deutschland im Ausland erst richtig Wert zu schätzen. Das Reisen funktioniert dank des Internets wunderbar, wenn alles reibungslos läuft. Vorbei die Zeiten, als ich mit Hilfe eines Kurzwellenempfängers die Deutsche Welle suchen musste, um Nachrichten zu empfangen. Vorbei die Zeiten, Reisen mit Hilfe von Reiseführern, die bereits Jahre zuvor geschrieben wurden, vorzubereiten. Vorbei die Zeiten, meinen Eltern mit Hilfe eines 20-Dollar- Telegramms mitzuteilen, dass „allesgut“ (ein Wort und daher billiger) sei. Wie gesagt, das Reisen funktionierte auf einmal dank des Internets kinderleicht, so dass es plötzlich für jede und jeden möglich war, in den entferntesten Winkel der Welt aufzubrechen. Recherche? Reisevorbereitung? Plan B? Worst Case Scenarios? Geschenkt! Ergooglen lässt sich ja immer alles. Und wenn nicht? Dann sind wir im Jahr 2020 beim Reisen zu Zeiten von Corona angekommen und bei unserer aktuellen Reise durch Indien im März 2020.

Happy Holi auch am leeren Frankfurter Flughafen

Noch in Indien am Freitagabend lasen wir einen Stern-Artikel mit dem Titel „Die wollen hier keine Deutsche mehr – in Indien gestrandete Deutsche bitten verzweifelt um Hilfe“. Dort wurde berichtet, dass eine Gruppe von Deutschen, die wie wir in Goa vorher verweilten, nun in Mumbai festsaß. Die Gruppe startete via WhatsApp an den Stern einen virtuellen Rundumschlag gegen die deutsche Botschaft in Delhi, das Konsulat in Mumbai, die Inder an sich und die Airlines – weil ihnen die deutschen Beamten vor Ort angeblich nicht halfen, die Inder wegen des Virus Aversionen gegen Deutsche hätten und sie nicht mehr beherbergten und die Airlines sie nur abzocken wollten. Die Fehler und Verfehlungen wurden nur bei anderen gesucht. Eigenes Handeln kommt in dem Artikel gar nicht vor. Vielleicht ist es daher doch an der Zeit, mal wieder einen Reisebericht zu verfassen – über die Notwendigkeit auch in Zeiten des Internets eine gewisse Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – egal ob in Indien oder zu Hause.

Am 6. März, einem Freitag, starteten wir vom Frankfurter Flughafen aus unsere Reise durch Indien. Zu diesem Zeitpunkt hätte eigentlich die touristische Messe schlechthin, die Internationale Tourismusbörse in Berlin, stattfinden sollen. Sie wurde genau eine Woche vorher, am 28. Februar, abgesagt – fünf Tage bevor sie am 4. März starten sollte. Solche kurzfristigen Änderungen sollten sich wie ein roter Faden auch durch unsere Reise ziehen. Wir hatten bereits Tage vor dem Start unserer Reise Befürchtungen, dass uns das Virus einen Strich durch Rechnung machen würde und wir die Indien-Reise nicht werden antreten können. Schließlich verleitet zunächst zögerliches Handeln bei uns Menschen oft dazu, in Panik übertriebene Maßnahmen einzuführen.

Corona – als ständige Begleitung auf unserer Reise

Bei der Abfahrt mit der S-Bahn in Mainz schien noch alles wie immer zu laufen. Die Bahn war gut gefüllt, halbwegs pünktlich, doch als wir am Flughafen ankamen war die Abflughalle bereits ziemlich leer. Die Sicherheits- und Passkontrolle absolvierten wir fast alleine. Dahinter wurden wir im Duty Free-Bereich erstmal auf andere Gedanken gebracht: „Happy Holi“. Traditionell stammt Holi aus Indien und findet in der ersten Vollmondnacht im Pahlguna Monat des Hindukalenders Ende Februar bis Ende März statt. In diesem Jahr war dies der 9./10. März. Im Duty Free Shop war alles auf Indien getrimmt – mit bunten Elefanten und Hindi-Schriftzügen, die über einen Discount zu Holi informierten. Außer uns machten auch ein paar Inder*innen Selfies vor dem bunten Elefanten. Andere Fluggäste gab es nicht im Duty Free Bereich. Beim Einsteigen ins Flugzeug wurden wir penibel auf unser Visum kontrolliert. Es handelt sich zwar um ein elektronisches Visum – aber einen Ausdruck, zumindest im Handy, sollte man genau aus diesen Gründen immer vorweisen können. Wir waren allerdings fast die einzigen Leute mit einem Visum – die große Mehrzahl der Menschen stammten aus Indien oder Nordamerika mit indischen Wurzeln, die gar keine Einreiseerlaubnis brauchten.

Als die Maschine abhob, waren wir froh, es geschafft zu haben – trotz der sich anbahnenden Corona-Krise noch nach Indien zu starten. Und plötzlich fiel uns auf, dass der Jumbo höchstens halb besetzt war. Dass mit halbleeren Maschinen nicht dauerhaft geflogen werden kann, war uns auch klar und wir rechneten schon damit, dass es bald Flugstreichungen geben würde. In den nächsten zehn Stunden konnten wir uns dann schon einmal ausmalen, wie wohl die Einreise nach Indien verlaufen würde. Schließlich gab es in Deutschland bereits mehrere hundert Corona-Fälle, in Indien aber genau drei. Allerdings wurden wir vor der Abreise mehrmals gefragt, ob es nicht leichtsinnig sei, gerade jetzt nach Indien zu reisen. Natürlich stimmten die gerade erwähnten Zahlen nicht. Natürlich war das Virus längt schon in Indien angekommen. Aber das Land ist ein vielfaches größer als Deutschland und die Region, in die wir reisen wollten, galt zum damaligen Zeitpunkt sogar noch als Corona-frei. Rein theoretisch machten wir folglich das einzig vernünftige. Wir schützten uns vor dem Virus, indem wir Deutschland verließen. Diesen Satz äußerten wir so natürlich nicht wirklich, aber wir Deutsche haben immer so einen Hang zu glauben, dass es bei uns am sichersten sei und andere Länder von uns lernen könnten. Das ist sicherlich manchmal der Fall, doch eine Beratungsresistenz ist im Fall von Deutschland sicherlich unangebracht. Es gibt auch andere Länder, die etwas auf dem Kasten haben.

Biergarten in Bangalore – diese sind mittlerweile wegen Corona geschlossen

Zielort unseres Flugs war die Hauptstadt des indischen Bundesstaats Karnataka: Die IT-Metropole Bangalore. Dort mitten in der Nacht angekommen, wurden wir gleich mal ins kalte Wasser geschmissen: Kaum die Flugzeugbrücke verlassen, gab es das erste Chaos. Schon damals am 7. März standen wir voll auf „Physical Distancing“. Wir hatten eigentlich keine große Lust, mit hunderten von anderen Reisenden in einer Schlange zu stehen. Abstände in einer Schlange in Indien lassen sich  zudem nie in Metern sondern eher in Zentimetern angeben. Doch es gab gar keine Schlange, sondern ein großes Gewusel. Es musste zur im Flugzeug bereits erhaltenen Einreisekarte noch eine „Corona“-Karte in zweifacher Ausführung ausgefüllt werden: Passdaten, E-Mail-Adresse, Handynummer und Angaben über den Aufenthalt in anderen Ländern innerhalb der letzten 14 Tage. Die Leute füllten die Karten auf dem Teppichboden, auf dem Rücken der Vorderleute oder auf dem Hartschalenkoffer aus. Danach ging es ums Vordrängen, um endlich einreisen zu können. Am ersten Check-Point wurde geprüft, ob die „Corona“-Karte komplett ausgefüllt war. Um dorthin zu gelangen, war massiver Ellbogeneinsatz nötig, denn das indische Schlangestehen hat eher etwas von Wrestling als von Vorfahrt gewähren. Danach mussten wir einen Beamten des Gesundheitsamts passieren, der mit einer Art Wärmebild-Pistole bewaffnet war. Hätten wir Fieber gehabt, wären wir bereits hier aussortiert worden. Cool bleiben war jetzt die Devise – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit einem Wink wurden wir vorbeigelassen und durften den ersten Durchschlag der Corona-Karte abgeben.

Danach ging es zur Einreise, die dann recht unspektakulär erfolgte – allerdings an einem separaten Schalter für Leute mit E-Visum. Natürlich hatten wir uns erst in der falschen Schlange eingereiht, aber wir waren einfach schon mal glücklich, um zwei Uhr nachts Lokalzeit einen großen Schritt Richtung Einreise absolviert zu haben. Die zweite „Corona“-Karte mit der Einreisekarte abgegeben, Bild gemacht, Fingerabdrücke gemacht, bereit gestelltes Desinfektionsmittel danach genutzt und den Einreisestempel in den Pass gedrückt bekommen. Das Gepäck war auch schon da und am Zoll interessierte sich niemand wirklich für uns. Welcome to Incredible India! Und damit ging es an die wichtigen Dinge nach der Ankunft in einem fremden Land: Geld, SIM, Transport.

Es gab genau zwei Geldautomaten in der internationalen Ankunftshalle. Und beide akzeptierten weder Visa noch MasterCard. Daher hieß es Geld tauschen. Dafür musste der Pass mit den 100 Euro ausgehändigt werden. Es wurde eine Kopie vom Visum, vom Einreisestempel und den personenbezogenen Daten gemacht. Das machte Angestellter Nummer 1. Angestellter Nummer 2 untersuchte die beiden 50 Euro-Scheine auf ihr Aussehen. Eingefärbte Geldscheine oder Banknoten mit Rissen werden in Indien oft zurückgewiesen. Unsere druckfrischen Noten passierten den Test und ich durfte in einem Formular meinen Namen, E-Mail-Adresse, Adresse etc. eintragen. Zwischendurch wurde noch der Kunde vor mir fertig bedient – alles so zwischendrin. Meine Euro-Scheine sah ich zwischendurch auch nicht mehr. Aber es hatte alles seine Ordnung. So nach zirka 15 Minuten hatte ich dann meine Rupien in Empfang nehmen können.

Das mit der SIM-Karte, sprich dem Kauf einer lokalen Karte fürs Telefon, verschoben wir auf den nächsten Tag, es war schließlich bereits drei Uhr morgens. Schnell ein vorausbezahltes Taxi am Schalter neben dem Geldwechselbüro organisiert und schon fuhren wir mit dem Taxi ins Flughafenhotel. Am nächsten Morgen ging es nach einem ersten leckeren indischen Frühstück die 40 km in die Innenstadt von Bangalore. In der Metro gab es erste Hinweise zu Corona, die mit „Don’t panic, be aware“ zusammengefasst wurden. Wir empfanden diesen pragmatischen Umgang mit der anstehenden Pandemie als angenehm gelassen. Klopapier und Hamsterkäufe gab es in Indien nicht. Einerseits da sich Inder meist mit der linken Hand den Hintern abputzen und Supermärkte andererseits in Indien noch ein Novum sind.

Abfahrt in Bangalore mit der indischen Bahn

Bangalore ist die am westlichsten geprägteste Stadt Indiens. Daher gibt es hier dann doch bereits Shopping Malls mit kleinen Supermärkten, die zum Glück Katzen- und Hundefutter für uns bereithielten – unterstützen wir doch gerne auf unseren Reisen die Vierbeiner, die kein Zuhause haben. Tierheime gibt es in vielen Ländern überhaupt nicht und Kastrationsprogramme leider auch nicht. Aber den Tieren den Vorwurf zu machen, sich zu vermehren, wie beispielsweise bei uns den Stadttauben, ist halt wieder mal eine Bequemlichkeitsdenke von vielen von uns. Egal ob Taube, Hund oder Katze – es waren Menschen, die diese gezüchtet haben und daher haben wir meiner Meinung nach gegenüber diesen Kreaturen auch eine gewisse Verantwortung.

In den Shopping Malls gab es leider keine SIM-Karten zu kaufen. Aber in Indien gibt es immer jemanden, der etwas organisieren kann. So erzählte ich dem Hotelpersonal von meiner Not und eine Stunde später hatte ich meine SIM-Karte – natürlich zu einem Aufpreis, aber diesen Service habe ich natürlich gerne bezahlt. Es gibt sicherlich angenehmere Dinge, als in einer 10-Millionen-Metropole durch die Straßen zu irren und eine SIM-Karte zu suchen. Außerdem stand auch noch das Problem der Geldbesorgung auf dem Tagesplan. Beim Ableger einer französischen Großbank funktionierte dann die Kreditkarte und wir erhielten 10 000 Rupien (ca. 120 Euro). Bangalore zeichnet sich weniger durch Sehenswürdigkeiten wie das Rote Fort oder die Mausoleen in Delhi oder die tolle Lage auf einer Landzunge wie Mumbai aus. Bangalore besticht eher durch seine Gärten und Parks aber vorallem durch seine Pubs. Bier in Indien abseits der großen Hotels zu bekommen ist oft unmöglich. An vielen heiligen Orten gibt es sogar ein Alkohol- und Fleischverbot – und in Indien sind sehr sehr viele Plätze heilig. Anders hier in Bangalore – dort gibt es mittlerweile mehr als 50 Mikrobrauereien und Biergärten! Und ein Heavy Metal Festival, das mit dem berühmten Pendant in Wacken kooperiert! Daher wollten wir in 14 Tagen hier unsere Reise beenden und am Bangalore Open Air 2020 teilnehmen.

Fahrkarte per SMS

Am nächsten Tag wollten wir unsere Barreserven weiter füllen. Leider haben wir an einem anderen Bankautomaten als am Tag zuvor die Kohle besorgen wollen und wieder funktionierte das Abheben nicht. Angeblich sei die Kreditkarte gesperrt oder kaputt. Solche Horrormeldungen habe ich schon öfters auf Reisen gelesen und ich machte mich erstmal nicht verrückt. Als ich dann fünfzehn Minuten später am Geldautomaten vom Vortag auch kein Geld bekam wurde ich dann doch etwas unruhiger. Meine Kreditkarte hatte ein Limit von 300 Euro pro Tag. Da ich vorher bereits versucht hatte, 300 Euro abzuheben und das nicht klappte, versuchte ich mich damit zu beruhigen, dass dieser Betrag wohl erstmal geblockt wurde und irgendwann nach vielleicht einer Stunde wieder freigegeben wird, wenn die Abhebung tatsächlich nicht funktionierte. Das war auch diesmal so. Eine Stunde später hatte ich am gleichen Automaten endlich genug Geld für die nächsten Tage in der Hand – denn Geldautomaten in Indiens Provinz mögen deutsche Kreditkarten oft nicht so gerne.

Der Hauptgrund, eine lokale SIM-Karte zu erwerben, lag an unserem Hauptfortbewegungsmittel auf dieser Reise, dem Zug. Mussten wir auf früheren Indien-Reisen Tage einkalkulieren, eine Fahrkarte zu erstehen, war es Anfang 2020 plötzlich relativ einfach diese Wochen im Voraus online zu kaufen – nach ein paar für Indien typischen Bürokratiehürden, die es zu überwinden galt – für Inhaber*innen ausländischer Kreditkarten. Allerdings war an die Online-Bezahlung der Tickets die Verpflichtung gekoppelt, sich die Fahrkarte ab 3 Tagen vor der Abfahrt per SMS zuschicken zu lassen. Indien und ausländische Handynummern – das passt einfach nicht. Wer schon mal an einem indischen Flughafen versucht hat, das Gratis-WLAN-Angebot zu nutzen, weiß wovon ich spreche. Es muss immer eine Handynummer eingegeben werden, an die ein Code verschickt wird. Der Code kommt grundsätzlich bei +49-Nummern nie an. Und gleiches erwartete ich mit der SMS der indischen Bahn.

Mit der lokalen SIM hat das alles problemlos funktioniert und wir starteten am 9. März unsere Reise mit der indischen Bahn. Als wir im Januar die Fahrkarten kauften, war uns Corona zwar schon ein Begriff und ich fragte mich bereits damals, ob das noch was wird mit unserer Indien-Reise, zumal ich ein Deja-vu hatte. 2002/03 reiste ich innerhalb eines Jahres von Mainz Hbf. nach Mainz Süd – halt anders herum, sprich vom Mainzer Hauptbahnhof über Amerika und Asien statt durch den Tunnel, der die beiden Bahnhöfe miteinander verbindet. Im April 2003 sah ich mich in Indonesien plötzlich mit SARS konfrontiert. Diese Lungenkrankheit verfolgte mich dann bis in die Türkei im Juli 2003 via Malaysia, Burma, Bangladesch, Indien, die Emirate und den Iran. Auch zu SARS-Zeiten fuhr ich mit der indischen Bahn und ein „Physical Distancing“ war in der „Sleeper-Klasse“ damals gar nicht möglich. Allerdings reiste der Virus damals auch nicht so wirklich um die Welt, so dass ich eigentlich nur bei den Grenzkontrollen durch Fieber messen und „Fit-for-Travel“-Kartenausfüllen konfrontiert war. Ferner war es leichter SARS-Infizierte zu identifizieren, da diese erst ansteckend waren, wenn die Symptome wie Fieber und Husten offensichtlich waren.

Klopapier – in Indiens Zügen frei erhältlich

Da ich auf überfüllte Abteile 17 Jahre später nicht mehr wirklich Wert legte, hatten wir uns für ein „2 Tier“-Abteil entschieden: einen Liegewagen mit vier Betten auf der rechten Seite des Gangs des Abteils und zwei Betten links längs des Gangs. Damit war es durchaus möglich, auf Abstand zu anderen Fahrgästen zu gehen. Die Reise nach Hospet verlief relativ ereignisarm. In unserem Viererabteil kamen wir mit unserem indischen Abteilnachbarn ins Gespräch. Das Schöne an Indien ist die Tatsache, dass viele Leute besser als ich Englisch sprechen. Dazu sind viele Inder*innen sehr gebildet und aufgeschlossen. So wird wie in unserem Fall eine Zugfahrt zu einem interkulturellen Austausch über Gott und die Welt. Unser Gegenüber war Rentner und fuhr für vier Wochen in einen heiligen Ort in der Mitte Indiens, um einem Ashram ein wenig herunterzufahren. Dass wenige Wochen später die halbe Welt ein Ashram werden würde, hatten wir am 9. März noch nicht wirklich erwartet.

Über Google Maps konnten wir den Zug in Echtzeit verfolgen. Aus einer Verspätung von einer Stunde wurde bei der Indischen Bahn schon mal eine pünktliche Abfahrt ein paar Stationen später, da die Bahn hier mit Puffern arbeitet. Leider gibt es in der indischen Bahn keine Speisewagen, so dass das von Händlern und der Bahn angebotene leckere Essen leider in Einwegverpackungen am Platz daherkommt.

Wunderbares Hampi

Fast pünktlich trafen wir nach einer Tagesfahrt in Hospet ein und ließen es uns die nächsten fünf Nächte in der Nähe von Hampi in der Mitte Indiens gut gehen. In der ersten Nacht in Hampi war nun auch offiziell Holi – wir bekamen davon wenig mit, da dieses Festival hauptsächlich im Norden gefeiert wird. Ich hatte wegen Corona allerdings schon ein wenig die Befürchtung, dass „Physical Distancing“ zu Holi in Indien wohl nicht durchzusetzen sei – denn zu Holi schmieren sich alle mit bunten Farben das Gesicht ein. Auch ich wurde am 10. März eingefärbt – aber die Angst, sich mit Corona zu infizieren, war zu diesem Zeitpunkt bei mir eigentlich immer noch nicht da – Indien hatte immer noch nur ein paar Dutzend Fälle – offiziell!

Dennoch starteten die indischen Behörden nun ihren Aktionismus. Am 11. März 2020 wurde verkündet, dass alle Visa von Deutschen für ungültig erklärt würden, sofern man noch nicht eingereist sei. Damit bewahrheitete sich vier Tage nach unserer Einreise das, was wir bereits eine Woche zuvor befürchteten: dass wir nun nicht mehr ins Land hätten reisen können. Das Visum von Deutschen, die bereits eingereist waren, blieb allerdings gültig, so dass wir zunächst nichts zu befürchten hatten.

Die Tage in der bizarren Felsen- und Tempelwelt Hampis waren anstrengend und traumhaft zugleich – so wie es in Indien eigentlich immer ist. Anstrengend, weil es schlicht zu heiß war. 35° C um 10 Uhr morgens sind einfach zu viel. Traumhaft, weil dieser Landstrich einfach wunderschön ist. Wir konnten am Flussufer von Tempelruine zu Tempelruine spazieren, auf Felsen klettern, den Tempelaffen beim Futtern zuschauen und das leckere indische Essen genießen. Beim Hinaufklettern auf einen Tempelberg machte uns die Unmöglichkeit des „Physical Distancing“ mal wieder zu schaffen. Privatsphäre gibt es in Indien nicht. Das Recht am eigenen Bild auch nicht. Und so mussten wir beim Hinaufklettern auf einen Tempelberg mehrmals ungefragt für Selfies mit Inder*innen posieren. Natürlich hätten wir das abschlagen können – aber wir sind hier die Gäste. Das ist in Indien halt normal und es hätte ziemlich rüde gewirkt, wären wir wild gestikulierend der Masse entflohen. Wer so etwas nicht mag, der sollte nicht nach Indien fahren.

Abendstimmung in Hampi

Reisende in Indien sind oftmals so bizarr, wie Inder*innen. So laufen viele Fremde in den lokalen Klamotten durch die Gegend, färben sich die Haare mit Henna und geben den Guru. Trotzdem sind diese Menschen oft angenehme Zeitgenossen und Traveller Talk mit diesen ist meist sehr lustig. Was allerdings der UK-Guru mit seinem wunderbaren britischen Englisch so berichtete, gefiel uns gar nicht. Angeblich würden Reisende aus Hampi, das ebenfalls im Bundesstaat Karnataka lag, an der Weiterfahrt in den Bundesstaat Goa gehindert – wegen Corona. Bisher machte das Virus uns keinen Strich durch die Rechnung, doch wenn wir nun aus der staubigen Hitze Hampis nicht ans Meer fahren durften, wäre das natürlich ziemlich ätztend gewesen. Daher machten wir uns nach dem Gespräch gleich auf die Suche nach funktionierendem WLAN – das leider in Indien nicht immer so wirklich vorhanden ist. Auch das mobile Internet mittels lokaler SIM gab hier in der indischen Einöde nur „Edge“ her.

Teil 2 über die Weiterreise folgt demnächst

Indien 2011 letzter Teil

Julee,

aller Anfang ist schwer lautet ein bekanntes Sprichwort, das natuerlich fuer uns auf dieser Reise besonders galt. Denn selbst nach dem Trek auf fast 4.900 m Höhe hatten wir im Anschluss daran in Leh auf 3.600 Metern noch so manches Kopfweh und so manche Kurzatmigkeit auszuhalten – und das nach 10 Tagen Akklimatisierung!

Mit dem Jeep im Hochland von Changtang unterwegs
Mit dem Jeep im Hochland von Changtang unterwegs

Aber vielmehr gilt dieses Sprichwort fuer unseren 3-taegigen Jeep-Trip in das Hochland von Changtang, einer grenzuebergreifenden Region von Ost-Ladakh bis ins tiefste Tibet hinein: Nassir unser Fahrer wendete schon mal vor unserer Pension, in der wir in Leh uebernachteten, waehrend wir unseren Kram anschleppten. Dummerweise uebersah er das riesige Loch in der Strassendecke und ein ums andere Mal brachte auch der Vierradantrieb nichts mehr, wenn ein Rad in der Luft ueber dem Loch haengt. Hm, nun ja, ich hatte jetzt zwar kein ungutes Gefuehl was seine Fahrweise anbetrifft, aber so konnte ich wenigstens mal schauen, ob die Jungs in diesem Teil der Erde immer noch so kreativ bei Pannen sind, wie ich es spaetestens seit unserer Afrika-Durchquerung 1995 in Malawi erlebte, als ein verkohlter Motor mit dem Luftdruck des Ersatzreifens „gekaerchert“ wurde. Und in der Tat wurde ich nicht enttaeuscht: Mit dem Wagenheber bockten sie die Karre hoch, Steine wurden unter das freie Rad bugsiert und nach einer Viertelstunde sass der Wagen wieder auf allen Vieren.

Jetzt setzte sich eine Multi-Religions-Karawane in Bewegung: Nassir der Fahrer (Muslim), Jigmet unser Fuehrer, der mit uns bereits durch Ladakh gelaufen war (Buddhist), Sangea Shera unser Koch aus Nepal (entweder Buddhist oder Hindu) sowie wir die Touri-Christen. In Ladakh kann man die Glaubensrichtung des Fahrers uebrigens immer rasch erkennen: An einem Choerten (einem buddhistischen Heiligtum) auf der Strasse duest der Muslim einfach vorbei, der Buddhist umrundet diese hingegen im Uhrzeigersinn mit seinem Gefaehrt. Deswegen gibt es in Ladakh optionale Kreisverkehre, die sich natuerlich auch fuer Franzosen eignen, die auf Kreisverkehrentzug sind…

Fahrt durch das Tal des Indus
Fahrt durch das Tal des Indus

Mit unserem Jeep-Trupp ging es von Leh aus den Indus in sueostlicher Richtung flussaufwaerts. Da das Hochland von Changtang an Tibet grenzt, brauchten wir fuer diese Region ein so genanntes „Innerline Permit“, das uns die Juns von Dreamladakh (http://www.dreamladakh.com/) genauso arrangierten, wie die wunderbare Crew fuer das Trekking oder fuer diesen Jeep-Trip. Ein erster Kontrollpunkt an der Abzweigung der Hauptstrasse, die weiter ueber Manali nach Delhi fuehrt, war relativ schnell passiert. Wir mussten nur kurz unsere Paesse zeigen. Diese wurden mit dem Wisch Papier verglichen, den Nassir in 4-facher Ausfertigung als Kopie mit dabei hatte, und auf dem unsere Namen sowie Passnummern notiert waren, mit einem Stempel irgendeiner indischen Behoerde drauf, die uns autorisierte, diese Gegend zu bereisen.

Auf dem ersten Teil der Strecke passierten wir mehr Militaerlager als Doerfer, schliesslich ist die indische Armee der groesste Arbeitgeber von Ladakh. Dies ist der politischen Lage Pakistan mehr und China weniger zu verdanken. Dass das Verhaeltnis zu China trotzdem zumindest in der Vergangenheit nicht gut war, zeigten einige Sprueche am Strassenrand z. B. „Beijing, Lhasa (Hauptstadt von Tibet) we will be there“ und ein Kilometerstein „Beijing 3.444 km“. Schliesslich hat China  bei der Besetztung von Tibet auch noch  einen Teil von Ladakh in den 50ern des letzten Jahrhunderts okkupiert und  bisher nicht zurueckgegeben.

Weiterfahrt auf der Jeep-Piste
Weiterfahrt auf der Jeep-Piste

Durch die Armeelager, war die Strasse in relativ gutem Zustand und wir kamen fuer indische Verhaeltnisse sehr schnell voran (ca. 60 km/h). An einer Bruecke, die den Indus ueberquerte, mussten wir den zweiten Check Point passieren. Dieses mal hiess es in der Einoede warten, denn die Herren Militaer assen gerade zu Mittag und natuerlich geht Essen vor Kontrolle. Irgendwann war der Lunch Break zu Ende und wir durften die extrem enge, mit Gebetsfahnen uebersaehte, Indus-Bruecke passieren – allerdings gab es eh keine Schranke, die die Passage verhindert haette.

Yaks bei der Bachdurchquerung
Yaks bei der Bachdurchquerung

Langsam stieg die Strasse vom Talgrund auf ca. 3.600 m Hoehe an und ploetzlich war aus der Teerstrasse eine Schotterpiste geworden, denn die Trasse fuehrte von der chinesischen Grenze weg und war somit militaerisch unbedeutend aber bedeutend schoener: Wir passierten mehrere Yak Herden. Yaks sind eigentlich die Kuehe des Himalayas. Aus der Milch laesst sich leckerer Kaese herstellen, den wir auf Yak Cheese Sandwichs genossen, wenn wir in Leh auf eine Tagestour gegangen sind. Spaeter rumpelten wir an Nomaden Zelten vorbei, denen diese Yak Herden gehoerten. An einem kleinen See trafen wir dann auf eine extrem surreale Szene, die wir zunaechst daran erkannten, dass neben den grossen Nomaden-Zelten kleine moderne Wanderzelte standen. Nassir erklaerte uns den Grund: In dieser herrlichen Bergkulisse wurde ein Bollywood-Film gedreht! Meine 3. Indienreise, mein dritter Bollywood-Drehort (der erste in der Naehe vom Taj Mahal war ebenfalls im Nirgendwo, fuer den zweiten in Shimla in den Bergen des Vorhimalayas wurden wir sogar als Komparsen einer Hochzeitsszene angesprochen). Nun ritt eine Schar Reiter am Seeufer in Hoechstgeschwindigkeit an der Kamera vorbei und wir erreichten wenig spaeter unser Tagesziel den Tsomiriri-See auf einer Hoehe von 4.500 m.  

Der Tsomoriri-See
Der Tsomoriri-See

Der tiefblaue See ist fast vollstaendig von Schneebergen von bis zu 7.000 Metern Hoehe umgeben und es gibt nur ein kleines Dorf namens Korzok. Der Rest des riesigen Seeufers ist unbewohnt und die kahlbraunen Ebenen, der weiss leuchtende Schnee und das saubere Seewasser boten eine sagenhafte Szenerie. Es war wirklich wunderbar dort EINE Nacht zu verbringen, nur hier am Ende der Welt zu wohnen, waere der blanke Horror fuer mich. Leh, ebenfalls eigentlich am Ende der Welt, liegt 8 Fahrstunden entfernt. Ein paar Satelitenschuesseln dienten wohl als Empfaenger fuer das Geschehen der Aussenwelt. Nie habe ich mich wohl wohler gefuehlt in Mainz zu wohnen als an diesem Abend mit dieser grandiosen Naturkulisse.

Blick auf Korzok und den Tsomoriri-See
Blick auf Korzok und den Tsomoriri-See

Am naechsten Morgen unternahmen wir eine Wanderung am Seeufer, denn das Bergangehen fiel uns dermassen schwer. Die Nacht bei Temeperaturen um den Gefrierpunkt, war dank unserer guten Schlafsaecke ertraeglich, doch das Fortbewegen auf dieser Hoehe war bereits im Flachen recht beschwerlich. So liefen wir am Ufer entlang und hatten ein wenig den Eindruck an die Nordsee gebeamt worden zu sein: Die Uferbepflanzung sah so aus wie am Wattenmeer und als dann noch ein paar Moewen vorbeiflogen war die Impression der indischen Nordsee perfekt. Natuerlich durfte am Dorfrand ein Militaerlager nicht fehlen. Doch die Uniformierten hatten wohl nichts anderes zu tun, als eine Cafeteria zu betreiben, in der wir Chai tranken und verdutzt auf die feilgebotenen kitschigen Souvenirs, wie Teller mit der Beschriftung des Sees Tsomiriri glotzten. Soldaten als Souvenirhändler und Teeverkäufer im Himalaya – Incredible India!

Gegen Mittag wurde es unertraeglich heiss. Die LSF 50 Sonnencreme bewahrte uns vor Sonnenbrand aber ein Wandern war wegen des fehlenden Schattens unmoeglich und wir rumpelten mit unserem Jeep weiter durch das Hochland an weiteren Yak-Herden und relativ zahmen hellbraunen Murmeltieren vorbei. Die Mittagspause auf einem kleinen Pass auf 4.900 Metern Hoehe haben wir gut vertragen und dann ging es hinuntern an den Salzsee Tsokar und in ein weiteres Kaff am Ende der Welt. Die Bewohner horten auf ihren Daechern den Yak-Mist, denn dieser gilt als bestes Brennmaterial im kalten Winter mit Temperaturen von unter -40 Grand Celsius im Extremfall bei fehlender Heizung im Lehmhaus. Und wieder beschlich mich das komische Gefuehl im „Geburtslotto“ einen 6-er mit der Heimat der 05er gezogen zu haben.

Yak-Mist auf dem Dach
Yak-Mist auf dem Dach

Nach einer weiteren kalten Nacht in grandioser leeren Landschaft, die sehr zu Meditation anregte, fuhren wir auf einer Rumpelpiste zu Hauptstrasse Manali-Leh zurueck. Diese war in extrem erbaermlichlichen Zustand, aufgrund der Regenfaelle, die ich in #2 bereits beschrieb. Irgendwann waren wir am Scheitelpunkt des Passes angekommen: Wir ueberquerten den Zentralhimalaya auf mehr als 5.300 Metern Hoehe! Auf dem angeblich zweit höchsten befahrbaren Pass der Welt, dem Tanglang La, ging es uns allerdings gar nicht gut. Ein kurzer Sprintansatz und schon stellte sich ein extremes Schwindelgefühl ein. Also nichts wie runter von dem Pass! Nassir meinte es besonders gut mit uns und nahm dem „Short Cut“, eine Buckelpiste praktisch senkrecht hinunter ins Tal. Ich kam mir vor wie in einer Seilbahn, so steil war diese Abkürzung aber so gut ging es uns auch nach ein paar Minuten und vielen verlorenen Höhenmetern.

Passhöhe des Tanglang La
Passhöhe des Tanglang La

Nach ein paar Stunden Fahrt erreichten wir wieder unser Basislager Leh, das wir nun gestern verlassen haben, um mal wieder irgendwann in Deutschland aufzutauchen. Auch nach der dritten Reise auf den Subkontinent bin ich von Indien und seinen manches Mal etwas bizarren Bewohnern fasziniert. Nach dem 1. Mal stellte sich bei mir eine Art Hassliebe ein, die beim 2. und erst Recht beim 3. Mal jetzt deutlich in Richtung großer Zuneigung umgeschwungen ist. Indien hat große Probleme, aber die einfachen Menschen für die Politik verantwortlich zu machen, geht meiner Meinung nach zu weit. Die größte Demokratie der Welt ist sicherlich auf dem richtigen Weg – nur braucht halt alles in Indien sehr viel Zeit – auch die Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards. In einem ZEIT-Artikel ging es letzte Woche darum, ob man in „Schurkenstaaten“ wie es z.B. Tunesien oder Ägypten bisher waren, Urlaub machen darf – die Meinungen gehen natürlich auseinander. Gleiches gilt auch für Indien mit seinen großen sozialen Gegensätzen – aber wer einmal von einem Land so richtig ergriffen werden möchte (positiv oder negativ) sollte sich auf den Weg auf den Subkontinent machen!

Indien 2011 2. Teil

Julee…

…mal wieder aus Leh, da dies der einzige Ort in Ladakh ist, der innerhalb von 24 Stunden mal wenigstens ein paar Stunden Strom und dann wenn alles glatt läuft auch Internet hat. Mein Handy hat hingegen die Höhenkrankheit und empfängt rein gar nichts.

Auch sonst ist der Alltag fuer den mitteleuropäischen Touri manches Mal sehr anstrengend. An Bargeld über einen Bankautomaten zu kommen will z. B. gut geplant sein. Vor der State Bank of India, der einzigen Bank, die eventuell nicht indische Karten akzeptiert, war die Schlange am Montag Morgen „den Umstaenden entsprechend“ relativ kurz – im Vergleich zum vorausgegangenen Wochenende. Daher hiess es die Situation beim Schopf zu packen und sich anzustellen. Nach ein paar Minuten in der prallen Sonne an einer Hauswand merkte ich, dass sich nur Inder anstellten. Die Damen des Subkontinents bildeten eine unsichtbare „Priority Lane“ und rauschten an der Maennerschar direkt vor die Tuer des Geldautomaten. So wurde die Schlange vor mir kaum kuerzer hinter mir jedoch noch wesentlich laenger. Immer wieder erwischte ich mich beim durchzaehlen, wieviele Koepfe noch vor mir in der Sonne auf Bares warteten und insgeheim hoffte ich auf eine „frauenlose“ Gesellschaft, denn bei jeder Dame, die auf dem Gehweg vorbei lief, bestand die „Gefahr“ dass dieser ploetzlich einfiel, mal schnell ein paar Rupien abzuheben. Leider kam es immer wieder zu dieser Situation, so dass ich nach zirka 30 Minuten endlich vor dem Automaten stand, sicherlich genauso „suechtig“ wie in Las Vegas die Zocker vor dem einarmigen Banditen. Mein „Bandit“ wollte zunaechst die Mastercard nicht. Als er auch die Maestrocard nicht wollte, war ich schon etwas verzweifelt. Aber ich gab nicht auf und stopfte ein ums andere Mal die Plastikkarte in den „Banditen“ hinein und irgendwann beim 4. Versuch erbarmte sich der und fragte nach der PIN. Danach gab ich den gewuenschten Betrag von 10.000 Rupien (153 EUR) ein – ein grobes Vergehen, denn es gab wieder eine Fehlermeldung. Aus Delhi wusste ich, dass es am dortigen Geldautomaten nur Betraege bis 4.000 Rupien zum Waehlen gab. Daher versuchte ich es aufs neue, denn hier in Leh gab es keine voreingestellten Betraege – also tippte ich dieses Mal 4.000 Rupien ein und der Automat hatte ein Erbarmen mit mir! Vom Glueck beseelt versuchte ich es nochmals und bekam gleich darauf hin ein weiteres Mal 4.000 Rupien ausgezahlt – Incredible India!

Blick auf die Umgebung von Leh
Blick auf die Umgebung von Leh

Unglaublich schoen ist auch die Landschaft, die Leh umgibt. So entdeckten wir Ladakh, das auf Deutsch „Land der hohen Paesse“ heisst, per Pedes auf einer 4-Tagestour, die uns ueber den Stok La, einen dieser hohen Paesse mit 4.875 m, fuehren sollte. Da wir unser Gepaeck nicht komplett alleine schleppen wollten, machten wir aus dieser Tour eine kleine „Expedition“ mit Bergfuehrer Jigmed, der im Wintersemester Politologie weit weg von Leh studiert, mit Sanzea Sherpa einem Koch aus Nepal, der in der ladakhischen Hochsaison Touris wie uns mit leckerem Essen abseits von jeder Kueche versorgt und einem „Horseman“ dessen Namen ich ueberhaupt nicht schreiben kann, der aber mit seinen beiden Pferden und den drei Maultieren dafuer sorgte, dass wir jeden Abend unser Gepaeck hatten. Natuerlich hatten wir unsere Bedenken, mit Tieren auf eine Wandertour zu gehen, aber die Ladakhis nutzen Vierbeiner seit je her zum Transport, Traeger gibt es anders als bspw. in Nepal oder Tansania hier nicht und die Tiere sahen wohlgenaehrt aus und wurden auch nicht ueberladen. Schliesslich kann ein Pferd hier unbedenklich 40 kg und ein Maultier 20 kg tragen – Gewichte, die nach meiner Einschaetzung deutlich unterschritten wurden. Ueberhaupt scheinen die Leute hier mit ihren Tieren einigermassen gut umzugehen. Die Hunde haben nie Angst vor Menschen, die Kuehe erlauben sich sowieso alles, zum Beispiel Mittelstreifen-Laufen, und fuer Esel gibt es mittlerweile sogar eine Aufpaeppelstation, die von Spendengeldern lebt und die wir gerne unterstuetzt haben.

Esel-Aufzucht in Leh
Esel-Aufzucht in Leh

So zogen also zwei Deutsche, zwei Ladakhis und ein Nepali-Gastarbeiter sowie zwei Pferde und drei Maultiere gemeinsam in die Berge suedlich von Leh. Der Fuehrer ging mit uns voran, Horseman, Koch und die fuenf Lasttiere zogen hinterher. Bis auf den ersten Tag ueberholte uns der Lastzug immer irgendwann im Laufe des Tages. Am ersten Abend aber erreichten wir in einem engen Tal den „Campingplatz“ zuerst. Dort stand eine „Dhaba“ ein Teezelt in dem es auch „Godfather“ Bier gab, das laut Angaben auf dem Etikett „zwischen 5 und 8 Prozent Alkohohl“ enthielt – ein weiterer Grund, vom Gerstensaft in Indien einfach mal fern zu bleiben – Incredible India! Der Platz war terrassenförmig angelegt – ein Privileg, das wir erst in den Folgenächten schätzen lernten, da wir in diesen permanent bergab im Laufe der Nacht bergab rutschten, mal im mal mit dem Schlafsack. Nach einem Tee in der Dhaba und einer Stunde Warten kamen der Lastzug an. Die Tiere warteten geduldig, bis sie entladen wurden. Danach kam es zu einem Tier-Tanz der besonderen Art: Die Viecher schmissen sich ins Stroh und purzelten durch die Gegend, um den Schweiss und eventuelle Parasiten los zu werden. Einmal ausgetobt erhielten sie ein Festmahl in Form von Hafersaecken, die ihnen um die Mäuler umgebunden wurden. Nachdem das Küchenzelt aufgestellt war, schlug die Stunde des Kochs: Dieser tischte jeden Abend ein 3-Gänge-Menu auf unter der Premisse ja keine Speise während dieser drei Abende zweimal auf den Speiseplan zu setzen. Er backte während der Nachmittage sogar Chapatis, Papads und am Abschlussabend einen Kuchen! Nachdem Tier und Mensch gestärkt waren, ging es um halb neun Uhr abends nach dem Sonnenuntergang ins Bett. Obwohl Indien ja als tropisches Land gilt, merken wir hier die langen Sommernächte, die Ihr gerade geniesst, auch ein wenig. Schliesslich liegt Ladakh etwa auf der Höhe von Ägypten oder Marokko – also gar nicht so weit südlich vom besten Fassenachtsverein der Welt!

Wanderung am ersten Tag durchs Tal des Indus'
Wanderung am ersten Tag durchs Tal des Indus‘

Am nächsten Tag ging es durch eine enge Schlucht weiter bergan. Manche von Euch haben vielleicht vom Hochwasser, das letztes Jahr Ladakh erwischte, gehört – das Hochwasser in Pakistan stand allerdings weit mehr im Blickpunkt der Medien. In einer einzigen Nacht fiel in einer Stunde so viel Regen wie sonst in mehreren Monaten nicht. Das Wasser wurde von der trockenen Erde ueberhaupt nicht aufgenommen und schoss in ganz Ladakh einfach bergab. So wurden in einer Stunde viele Bruecken, Stromverbindungen und auch viele Menschenleben (ca. 100) zerstört. Wir konnten auf unseren Wanderungen auch ein Jahr nach dem Unglueck noch viele Zerstörungen erkennen. Wir wanderten ständig ueber Holzplanken an diesem Morgen, die die Bruecken ersetzten. Die Strommasten standen zum Teil auch nicht mehr – die Kabel waren komplett verschwunden. Nach ein paar Stunden kamen wir an einem Weiler vorbei, der eigentlich nach der Katastrophe ohne Strom zu sein schien. Doch die Bewohner nutzten Solaranlagen und hatten trotz der Katastrophe Strom. Ueberhaupt wird hier auch langsam auf Nachhaltigkeit gesetzt: Die Landfrauenkooperative bietet uns Touris zum Beispiel abgekochtes Quellwasser an, um endlich diese Flut an Plastikwasserflaschen einzudaemmen. Wer schon mal seine Klamotten in Indien zum Reinigen gab, weiss, dass aus einem roten Stoff schnell ein rosa Tuch werden kann, da hier auch der Farbstoff gleich weggeschrubbt wird. Die Landfrauen wissen dies und nutzen nicht mehr so aggresive Reinigungsmittel und leiten das Abwasser auch nicht mehr zurueck in Fluss. Ausserdem gibt es mittlerweile Bio-Aprikosen-Marmelade, -Öl und -Trockenfruechte zum Kaufen. Und selbst die Dosen werden hier recht sinnvoll weiter genutzt: Da alle Viecher hier als freilaufend zu bezeichnen sind, nagen Kuehe, Esel, Yaks, Schafe etc. gerne an den Bäumen der Bauern rum. Diese stuelpen nun alte Cola-, Suppen- und andere Blechdosen um die Staemme der Baeumchen und somit sind diese vor den Tieren geschuetzt – Incredible India!

Nachhaltigkeit Made in India
Nachhaltigkeit Made in India

Am Abend des zweiten Wandertags nächtigten wir „zwischen 4.000 und 5.000 Metern“ – eine wahrlich zuverlässige Aussage unseres Bergfuehrers! In Indien raeumt man nicht nur dem Alkohl im Bier sondern auch den Hoehenangaben eine gewisse Toleranz ein. Nun ja wir merkten, dass wir ganz schön hoch oben pennen wuerden, denn wir bekamen wieder richtig Kopfschmerzen. Diese konnte man immer recht schnell durch Fluessigkeitsaufnahme reduzieren, doch wer bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sich einmal in den Schlafsack eingemummelt hat, möchte am Liebsten erst morgens wieder um halb sieben von der Crew mit einem Nescafé oder Chai (ind. Tee) geweckt werden und nicht zwischenzeitlich den Gang aufs Plumpsklo mitten in der Nacht antreten. So galt es auszutuefteln gerade so viel Wasser zu sich zu nehmen, um die Kopfschmerzen auszuhalten aber noch keinen Harndrang hervorzurufen. Eine Tueftelei, die mir gluecklicherweise immer gelang…

Lager nach Abschluss des zweiten Wandertags
Lager nach Abschluss des zweiten Wandertags

Am Morgen des dritten Tags machte dann der Himalaya seinem Namen alle Ehre, denn uebersetzt bedeutet dieser Gebirgsausdruck nichts anderes als „Heimat des Schnees“ und es fing an zu schneien. Wer Schnee im Juli haben möchte, fährt also einfach mal nach Nordindien – Incredible India! Nach drei Stunden Aufstieg hatten wir dann den Stok La, laut deutschem Reisefuehrer 4.875 m hoch, erreicht. Die Wanderung durch bizarre Felsformationen und verschiedenartig gefärbte Erden fand hier ihren Hoehepunkt mit einem direkten Blick auf die schneebedeckten Sechstausender in der naeheren Umgebung. Beim Abstieg trafen wir dann auf Steinböcke und viele verschiedene Vogelarten begleiteten uns ebenfalls durchweg auf diesem Trek – inklusive der Mainzer Stadttauben, die uns sogar bis auf ueber 4.000 Meter folgten und den ausgeschiedenen Hafer unserer Lasttiere erpickten.

Abstieg vom Stok La (4.875 m)
Abstieg vom Stok La (4.875 m)

Nach einer weiteren Nacht, in der man vom waagrechten Liegen nur träumen konnte, erreichten wir am Sonntag Nachmittag wieder die Zivilisation, d.h. zunächst die Strasse nach Leh. Wir waren natuerlich heilfroh, dass den Tieren nichts passiert ist. Diese boten jeden Abend uns ihre eigene Show, wenn es darum ging, als erstes Stroh, Gemuese oder Hafersaecke zu bekommen. Auch die Liebkosungen der Tiere untereinander waren recht amuesant und einer Daily Soap absolut wuerdig. Nach einem kurzen Jeep-Trip zurueck nach Leh, stellte sich das angenehme Gefuehl ein, gleich eine heisse Dusche und eine richtige Toillette aufsuchen zu koennen. Was sind wir doch fuer Weicheier und ein wenig abhaengig von solchen Errungenschaften unserer Zivilisation! Aber egal – die vier Tage ohne diese Produkte haben wir genossen und koennen Euch eine Trip durch Ladakh nur empfehlen – auch wenn ich dafuer die Einweihung des neuen Mainzer Stadions nur durch Photos mitbekommen habe…