Vietnam 2004

Nachdem mir SARS im letzten Jahr auf meiner größeren Reise einen Strich durch Rechnung machte und ich Vietnam genauso wie Singapur nicht besuchen konnte, habe ich es nun doch noch in diese Ecke der Welt geschafft.

Da ich es mittlerweile ein wenig satt habe, mich als Sardine in einem Bus einmal um unseren Planeten durchzuquetschen bzw. herumzureisen, entschloss ich mich dieses Land genauso wie das Nordkap mit dem Rad zu entdecken. Da mir auf dem Rückflug vom nördlichsten Punkt Kontinentaleuropas das Rad doch arg beschädigt wurde, schraubte ich den Drahtesel vor Reiseantritt auseinander und verpackte ihn in einer Tasche. So geschützt kam das Ding dieses Mal heil und gemeinsam mit mir in Hanoi, der Hauptstadt Vietnams an. Das Wetter ähnelte dem damals in Helsinki, denn es beim Landeanflug sah ich nichts außer Wolken und Nebel. Im Hotel angekommen war ich dann dankbar, an meine Stirnlampe gedacht zu haben, denn erstens nahm ich das fensterlose Zimmer im Erdgeschoss, um das stählerne Ross nicht in den x-ten Stock schleppen zu müssen und zweitens war gerade einmal Stromausfall, so dass ich im Kerzenschein und Licht der Stirnlampe meine Fahrrad wieder zusammenschrauben durfte.

Danach ging es auf eine erste Erkundungstour durch die Stadt. Als erstes lernte ich die einzige Regel, die es auf Vietnams Strassen gibt: Es gibt KEINE Regel! Höchstens ein Kastensystem in dem man als Radfahrer ziemlich weit unten angesiedelt ist. Dadurch läuft das Radeln aber ganz einfach ab: Man muss lediglich am besten am Fahrbahnrand entlang rollen, jederzeit gefasst darauf sein, dass aus der Seitenstrasse ein „Lebewesen“ einer höheren Kaste, sprich Moped oder Auto auftaucht, und garantiert keine Anzeichen macht, dass es schon einmal etwas von rechtmäßiger Vorfahrt gehört hat. Weiterhin muss man immer darauf gefasst sein, dass man links und rechts überholt wird, aber das kann man auch ganz schnell ins Aktive umsteuern und links und rechts überholen, so dass man ein wenig das Geschehen selbst in die Hand nehmen kann. Einbahnstrassen existieren aber nur auf dem Schild, Geisterfahren gehört hierher wie der Stau zu deutschen Autobahnen. Auch hier bahnt sich immer ein Stau an, dem aber gut auf dem Bürgersteig ausgewichen werden kann: als Radler aber auch als Motorradfahrer!

Linksabbiegen ist in Hanoi als Radler etwa so einfach wie in Deutschland günstiges Benzin zu erhalten. Allein schon das Orientieren zur Straßenmitte hin ist fast unmöglich, da man in den Strudel von Mopeds, Pkws, LKWs und Bussen gezogen wird und in die Hauptverkehrsfluss gezogen wird, der meist geradeaus verläuft. Aus diesem Strudel ohne Absteigen hinauszugelangen ist meist eine Mission Impossible. Was ich allerdings für unmöglich gehalten hätte, ist die Tatsache, dass es hier Fahrradwege gibt! Diese werden zwar meist von Fußgängern genutzt, da die Buergersteige mit Waren voll gestellt sind, aber es hat doch jemand an diese Spezies Mensch gedacht, die sich auf zwei Rädern ohne Motor durch die Welt bewegen möchte.

Das sich Fortbewegen funktioniert beim Befolgen der genannten Regel aber wunderbar, so dass es ein Vergnügen war, diese Stadt aus dem Sattel zu erkunden. Die Stadt ist ein kleines Finnland, da zahlreiche Seen das Areal durchziehen. Am Ufer kann man wunderbar dem nur wenige Meter entfernten Straßenchaos entfliehen. Morgens um sechs machen die VietnamesInnen ihre Morgengymnastik um fit in den Tag zu starten.

Eigentlich ist Vietnam ja ein kommunistisches Land, was ich den ganzen Tag über meist am roten Stern erkenne, der viele Plattenbauten a la DDR ziert. Aber auch die riesigen überdimensionierten olivgrünen Schirmmützen der Offiziellen ähnelt an als Sowjetzeiten. Und dann ist da noch der Staatsgründer Ho Chi Minh, der das Land nach dem 2. Weltkrieg gegen die Widerstand der Franzosen in die Unabhängigkeit führte: Gegen seinen Willen wurde auch Ho einbalsamiert und könnte selbst nach seinem Tod vor mehr als 30 Jahren mittlerweile ein stattliches Vielflieger-Konto aufweisen, da er jährlich im September aus dem Mausoleum in Hanoi nach Moskau fliegt um dort genauso wie Lenin für das folgende Jahr präpariert wird um dann Anfang Dezember wieder nach Hanoi zurückzufliegen.

Aber sonst ist vom Kommunismus nicht viel zu spüren, da seit mehr als 10 Jahren Privateigentum legal ist und jede(r) seinen Mini-Business aufgebaut hat. Dementsprechend ist Hanoi voll von kleinen und kleinsten Läden die alles anbieten, was das Shoppingherz höher schlagen lässt. In jeder Gasse der Altstadt, die dank der vielen französischen Kolonialbauten wie eine französische Kleinstadt nach Südostasien versetzt aussieht, gab es früher eine andere Warengattung zu kaufen. Je nach dem was es dort gab, bekam die Strasse ihren Namen. Ein bisschen ist davon auch noch heute geblieben: So gibt es eine Gasse ausschließlich mit vietnamesischen Fußballtrikots und Fahnen oder eine andere Gasse bietet ausschließlich Brillen an. Überall wird Bia Hoi, Fassbier angeboten. Für 3.000 Dong oder 15 Cents gibt es einen Drittelliter süffigen Gerstensaftes, der in rauen Mengen konsumiert natürlich zum Mega-Dong für wenig Dong führen kann.

Da ich aber nicht wegen des Mega-Dong hierher geflogen bin, kehrte ich der Hauptstadt bald den Rücken um das Land zu erstrampeln. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich aus einer tropischen Megametropole hinaus aufs Land finden. Zwei Dinge erleichterten mir diese nicht ganz einfache Aufgabe: Dank der Franzosen fährt die Mehrheit der VietnamesInnen auf der rechten Seite, so wie der bundesdeutsche Ottonormalverbraucher. Zweitens haben die VietnamesInnen bzw. Franzosen vor langer Zeit beschlossen lateinische Schriftzeichen statt chinesischer zu nutzen, so dass ich die sporadisch vorkommenden Verkehrsschilder lesen kann. Aber diese Schilder kommen in der Innenstadt Hanois etwa genauso oft vor, wie Jubelgeschrei von Fans des VfL Wolfsburg – d.h. gar nicht 😉

Aber irgendwann habe ich mit Hilfe der Karte die Hauptausfallsstrasse gefunden und konnte mich mit der Strömung stadtauswärts treiben lassen. Nach 20 Kilometern war dann die Metropole hinter mir und das Land hatte mich für sich. Kam ich mir wegen Baguette, Croissants, Bonjour und Cafekultur in Hanoi schon wie in einem französischen Überseedepartement vor, so wurde es auf der Landstrasse dank der weiß-roten Kilometermarker nicht anders. Alle 100 Meter wusste ich wieweit ich es schon geschafft hatte und irgendwann merkte auch mein Magen, dass wir gemeinsam weit gekommen sind. Auf der Fahrt durch Reisfelder in Richtung Tonkinschen Alpen westlich von Hanoi machte ich an einem Straßenrestaurant halt, dass mir den Eindruck machte, dass mich vielleicht jemand verstehen würde, da es durch die Terrasse und das Strohdach doch sehr touristisch aussah. Weit gefehlt – keiner konnte Englisch oder Französisch. Aber aus der Schublade kramte die Bedienung einen MARCO POLO Führer Vietnam hervor und deutete auf „Ga“ (Huhn) und „MIEN“ (Nudeln) im Sprachführerteil. Ich dachte noch, Glück gehabt aber irgendwie wurde das Essen doch noch zum Spießrutenlauf! Zunächst wurde mir noch ein feuchtes Handtuch (Oshi Bori) gereicht, was prima war, denn ich der Strassendreck klebte mir an den Händen. Dann wurden mir grüne minigurkenähnliche Gemüse gereicht. Dazu wollte meine Bedienung gleich noch ein HEINEKEN Bier aufmachen, was ich im letzten Moment durch den Schrei „COCA COLA, PEPSI!“ verhindern konnte. Alles nur kein Alk während dem Radeln! Dafür bekam ich aber auch alles: Zunächst beides: COKE und rote PEPSI! Dann kam das GA, also das Huhn auch als ALLES! Mit der Schere schnitt die Bedienung dem gekochten und gerupften Huhn das eigentlich nur aus Haut und Knochen bestand den Hals ab, die Füße weg und den Kopf entzwei. Dann kamen die Glasnudeln die mit Pilzen und wohl anscheinend Hühncheninnereien angereichert wurden. Huh zum Glück kam der Reis ungarniert und nun hatte ich die Qual der Wahl. Na ja ich probierte alles und hielt mich mit meinen Stäbchen an den extrem klebrigen Reis und die fettigen Glasnudeln. Das Hühnchen probierte ich ein wenig und entschied es seinem weiteren Schicksal selbst zu überlassen. Das grüne Gemüse war auch genießbar und so wurde wieder einmal ganz schnell zum Vegetarier.

Wassermelonen füllten dann meinen zum Bersten vollen Magen, denn von dem Mahl hätte wohl die halbe Meenzer 05er Mannschaft satt werden können. Dann ging es leider im Platzregen weiter und ich machte zum ersten Mal Bekanntschaft mit einigen Regenarten, wie es Forrest Gump im gleichnamigen Film beim Stichwort VIETNAM erzählt: Sprühregen, Platzregen, Dauerregen, Landregen und auch noch Regenschauer!

Jetzt bin ich im Trockenen und hoffe, dass diese Mail ihre Empfänger erreicht – denn der gestrige Entwurf ist irgendwie gelöscht worden, so dass ich alles noch einmal schreiben durfte!

Ich wünsche Euch einen schönen ersten Advent und viel Spaß beimGlühweintrinken und Bayern gegen Mainz gucken!

Singapur 2004

Nachdem mir SARS im letzten Jahr einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte und ich die Welthauptstadt des guten Futterns nur vom Boot aus auf meinem Weg von Indonesien nach Malaysia angucken durfte, habe ich es jetzt endlich doch noch geschafft in die Löwenstadt oder auf malaiisch Singapur zu gelangen. Singapur ist eine Stadt, ein Land, ein Fluss und eine Insel. Aber das war es auch schon mit der Einfallslosigkeit der Menschen die hier leben, denn der Rest ist ziemlich spannend, angenehm und irgendwie nicht ganz von dieser Welt.

Normalerweise läuft doch eine Einreise am Flughafen so ab: Die Tür hinter der Gepäckausgabe geht auf und schon stürzen sich Piranha-mäßig die Taxifahrer auf den Jet Lag-geplagten Reisenden um ihn möglichst genial über das Ohr zu hauen. Bakschisch, Tip, Money, Pen oder sonst was habe ich hier noch gar nicht gehört. Vielmehr holen die meisten Hotels ihre Passagiere am Airport ab und mein kleines Gepäckstück, ausnahmsweise kein Rucksack, wird Bakschischfrei in den Bus gehievt und dann sogar in die Hotellobby geschleppt, ohne dass das Gepäck geleert wurde oder gar verschwunden wäre.

Aber natürlich ist Singapur auch deshalb anders, weil hier viel verboten ist. Kaugummis sind vom Import ausgeschlossen und absolut tabu. Es gibt hier sicherlich alles zu kaufen…aber keine Airwaves, Wrigley Spear Mint oder Double mint. Da Singapur zu Dreivierteln von Chinesen bevölkert wird und diese gerne auf die Strasse spucken, da das angeblich der inneren Reinigung dient, kostet diese Angewohnheit 500 Sin$ oder ca. 250 €. So wird zwar nicht innerlich gereinigt, die Strassen jedoch sind immer gereinigt, da ja auch das urinieren lediglich gegen 500 Sin$ zu haben ist. Rauchen in der Öffentlichkeit kostet genauso viel. Für den gleichen Preis ist „Rot über die Ampel gehen“ oder „die Strasse in der Nähe einer Ampel überqueren“ zu haben. Ebenfalls in der Verbotspalette ist „Hunde halten“ und „Tiere füttern“ – aber das wird wohl nicht so hart verfolgt, ansonsten wäre meine Schwester schon längst fürs Taubenfüttern im Knast gelandet. Dafür verfolgen den Bürger permanent Videokameras bis vor die Toilettenbox, wo übrigens das „Vergessen“ des Abspülens mit ebenfalls 500 Sin$ zu Buche schlägt. Kurz und gut…“Singapore is a fine city“, wie die Einwohner manches Mal etwas zynisch sagen, denn auch die Demokratie ist eher unfein und eher nicht westlichem Standard angenähert, wenn ich Gerüchten Glauben schenken darf, dass politische Versammlungen in der Strasse mit 2000 Sin$ bestraft werden.

Trotz dieser Law and Order Mentalität sehe ich kaum Polizisten auf der Strasse und in einigen Vierteln habe ich es doch tatsachlich straffrei geschafft quer über die Gasse zu laufen, ohne dafür blechen zu müssen. Laufen muss man eigentlich kaum, denn die Taxis schalten den Meter ohne murren ein und sind relativ günstig, genauso wie die MRT (Mass Rapid Transportation), die jeden Tag 2 Millionen der 4 Millionen Bewohner Singapurs nutzen. Dementsprechend gequetscht ist dann natürlich der Reisende in den Zügen der MRT, aber anders als in vielen anderen Metropolen unserer Welt, wird dies nicht zum Anlass genommen, den langen Touri bis auf die Unterhose zu beklauen. Ich frage mich nur wie Singapurer in unsere reale Welt mit Taschendieben und Taxifahrern fahren können ohne traumatisiert wieder in ihren Stadtstaat zurückzukehren. 

Aber wenigstens kennen die Bürger Singapurs sich mit den kulinarischen Gegebenheiten des Rests der Welt sehr gut aus. Hier gibt es tatsächlich alles zum Futtern und da gerade Oktober ist, gibt es natürlich Paulaner und Schweinshaxe. Ich stehe zwar mehr auf die traditionellen Mahlzeiten wie Congee zum Frühstück. Das ist Reis-Porridge mit Hühnchen und Frühlingszwiebeln. Dazu Soja-Quark und Zuckerrohrsaft und fertig ist das Morgenessen. Der lokale Renner „Fish Head“ ist mir glücklicherweise noch nicht zwischen die Stäbchen gekommen, dafür aber Seegras Sushi und das frische TIGER Bier, das bei feuchtheißen Temperaturen um die 32 Grad Celsius auch von den meisten Einheimischen gerne in rauen Mengen konsumiert wird. Aber ein indisches Toshai, thailändisches Pad Thai, kambodschanisches Steamboat, britisches Oxtail Stew, mexikanische Nachos, australisches Känguru oder türkischer Kebab ist hier ebenfalls zu Konsumzwecken zu erhalten, denn Singapur ist Essen und Shopping! Die meisten Schilder lauten auf „Food Centre“ oder „More Shops“ mit Pfeil zum nächsten Konsumtempel, die meist über ein halbes Dutzend Stockwerke alles erdenkliche auf Lager haben, was die Menschenhand oder die Maschine je gefertigt hat.

Aber dem Konsumrausch kann man eigentlich recht schnell entkommen und stattdessen im Orchideengarten Aloe Vera Tee oder bei Pelikanen, Marabus und Flamingos Chrysanthemen-Tee konsumieren. Schließlich hat Singapur einen Grossteil der Tier- und Pflanzenwelt in ihrem Zwergstaat der Arche Noah ähnlich aufgenommen. So kann der Neugierige nachts durch den z. T. noch tatsächlich natürlich gewachsenen Dschungel stapfen und Hyänen, Löwen, Tiger, Elefanten, Giraffen, Ottern beim Futtern zugucken, ehe man selbst wieder in den klimatisierten Food Centre stapft und bei der mannigfaltigen Auswahl an Essen die Qual der Wahl hat. Aber auch die gefiederten Freunde sind natürlich hier vertreten. Damit die Vögel, die ursprünglich im Urwald lebten hier die gleichen Lebensbedingungen finden, wurde kurzer Hand ein Wasserfall von 30 m Höhe gebaut, um das Mikroklima für die Vögel genehm zu machen. Anders als im Mai 2003, wo ich mich knapp 300 km weiter nördlich im Dschungel für 3 Tage  verlaufen hatte, machte mir Singapur das Verirren unmöglich und ich habe problemlos wieder den Weg raus aus dem Kunsturwald gefunden und sogar noch ein Internetcafe gefunden, um Euch alle einmal wieder zu grüßen.

Singapur ist zwar irgendwie etwas künstlich, aber es macht schon Spaß von Viertel zu Viertel zu laufen und dabei in völlig verschiedene Kulturkreise einzutauchen. In Little India habe ich gleich einmal wieder meine Dosis Bolywood erhalten und Mango Lassi (kein Bang Lassi) trinken dürfen, ehe es im Malaien Viertel goldene Moscheekuppeln zu bestaunen gab und schließlich bei den alles dominierende Chinesen im vegetarischen Restaurant Kreationen zu verspeisen, die alle sehr bizarr aussahen aber doch wohl vegetarisch waren, so Gott will (!)

Leider ist eine kulinarische Speise auf die ich zur Zeit stehe unter anderem auch die Halstablette, da hier die Klimaanlagen selbst sonntags zu Höchstleistungen getrieben werden, wohingegen die meisten Rolltreppen am Sonntag ruhen dürfen. So bin ich dauerheiser und das obwohl ich schon seit 10 Tagen auf keinem FSV Mainz 05 Spiel mehr gewesen bin oder auch nur einmal hier Helau geschrieen zu haben. In diesem Sinne freue ich mich mit Euch auf das nächste Spiel gegen Werder Bremen sofern meine Stimme nicht irgendwo zwischen Singapur und Mainz endgültig verloren geht.